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unmittelbare Probleme der elterlichen Erkrankung

2.2 kindliche Gefühle und Gedanken

2.2.1 unmittelbare Probleme der elterlichen Erkrankung

Ein unmittelbares Problem der elterlichen Depression ist die Einsamkeit.

Einsamkeit

„Außerdem vermißte ich meine Mutter, die ich so sehr liebte und auf die ich mich bis dahin immer hatte verlassen können. Was hätte ich gege-ben, wenn sie jetzt bei mir gewesen wäre, doch diese Mutter hatte mich

im Stich gelassen. Ich fühlte mich einsam und leer.“ (Bern, 24, 2000, S.16)

Die Autorin erinnert sich auch an den Moment, als ihre Oma bei ihr einzog:

“Endlich war ich mit meiner Angst nicht mehr allein- mit seiner Angst allein zu sein, das ist bis heute für mich das schlimmste Gefühl, das es gibt.“ (Bern,

2000, S.14)

Ebenso das Kinderbuch ‚Bei mir zuhause ist was anders‘ beschreibt durch kind-liche Zeichnungen und Aussagen, was Kinder psychisch kranker Eltern erleben.

Dass Kinder sich alleingelassen und verunsichert fühlen, beschreibt z.B. die Aussage eines Kindes, das seine Mutter auf dem Bett malt: „…das ist meine Mama, die im Bett liegt, das tut sie immer, wenn es ihr schlecht geht, darum liegt sie im Bett, viele Tage lang.“ (Hrsg. Kühnel & Koller, 2013, S.2).

Angst/ Sorge

Weitere Auswirkungen sind z.B. Ängste vor einer Krankheitsverschlimmerung oder einem erneuten Krankheitsausbruch (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S. 22;

31 ff.):

„Die Angst vor einem erneuten Krankheitsausbruch ist zu meinem ständigen Begleiter geworden […] Ich wünsche mir, daß diese Angst mich losläßt […]

Manchmal dachte ich, daß diese Anspannung, unter der ich durch die Unge-wißheit eines Krankheitsausbruches ständig stehe, mich innerlich zerreißt. Zwar

habe ich mich entspannt nach dem letzten Ausbruch vor jetzt schon über zwei Jahren, aber gänzlich verlieren werde ich diese Angst wohl nie.“

(Bern, 2000, S.12)

Hinzu kommen insbesondere bei jüngeren Kindern Trennungsängste (Plass &

Wiegand-Grefe, 2012, S. 22; 31 ff.) oder die bereits genannte Angst, den ge-liebten Elternteil zu verlieren, sei es durch einen stationären Aufenthalt oder selbstschädigendem Verhalten wie Suizid (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.31 ff.):

„Wenn meine Mutter so ganz krank ist, ich gebe ihr dann sofort Tabletten, dass sie nicht zu krank wird, dass sie nicht wieder ins Krankenhaus kommt [...] ich habe immer Angst, dass ich nie wieder meine Mutter oder so sehe“ (w, 10

Jah-re aus Lenz, 2005, S.89).

Klinikeinweisungen sind für Kinder besonders belastend. Mit einer Einweisung gehen häufig dramatische Umstände einher, was für die Kinder nicht selten ein traumatisches Erlebnis darstellt, zusätzlich mit dem Gefühl verbunden, allein gelassen worden zu sein. Auch eine Erschütterung des Elternbildes und der Beziehung des Erkrankten kann bei den Kindern entstehen, da diese Erfahrung einen Verlust von Autonomie und Autorität darstellt. Um dies verarbeiten zu können, kommt es zum emotionalen Rückzug der Kinder. Nach außen wirken sie häufig teilnahmslos, scheinbar unberührt vom Geschehen oder apathisch (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.24).

Die Sorge, dass dem erkrankten Elternteil etwas zustoßen könnte oder dieser sich etwas antun könnte, ist vor allem bei jüngeren Kindern stark ausgeprägt (Lenz, 2008, S.34).

„Manchmal auch so, wenn sie gesund ist […] zum Beispiel am Abend in der Schule gibt es ja immer so Elternabend oder so […] und die ist mit dem Fahrrad

los gefahren, da war es schon ganz stockdunkel und ich hatte Angst, das ihr irgendwas passiert.“ (w, 9 Jahre, aus Lenz, 2005, S.87).

Erfolgt eine Klinikeinweisung durch Zwangsmaßnahmen, hat dies eine beson-ders traumatisierende Wirkung auf das Kind:

„Da hat sie sich richtig erschrocken, wo sie erfahren hat, dass, weil die haben gesagt, dass sie mit Polizei oder so abgeholt werden muss, weil sie wollte nicht

alleine. Und da, wo sie das erfahren hat, da hatte sie richtig so Angst gehabt, wie ‚echt jetzt‘ und dann hat mein Vater gesagt: ‚Sie kommen gleich‘. Da sagte

sie nur: ‚Bitte nicht, bitte nicht‘.‘“ (w, 10 Jahre, aus Lenz, 2005, S.84).

Eine Klinikeinweisung kann nach längerer akuter Krankheitsphase, welche durch eine angespannte Familienatmosphäre gekennzeichnet ist, für die Kinder jedoch auch entlastend wirken. Teilweise reagieren sie erleichtert, da jemand anderes die Verantwortung für die erkrankte Mutter oder den erkrankten Vater übernimmt (Knutsson-Medin, Edlund, & Ramklint, 2007, S. 744 ff.).

Ist der erkrankte Elternteil dann in Behandlung, besteht jedoch teilweise die Sorge, dass die erkrankte Mutter oder der erkrankte Vater nicht die Behandlung bekommt, die er oder sie benötigt und die Angst, dem erkrankten Elternteil kön-ne etwas zustoßen (Knutsson-Medin, Edlund & Ramklint, 2007, S.744 ff.).

Bei einigen Kindern bestehen auch Ängste vor Gewalt (Pretis & Dimova, 2016, S.64) oder die Angst, in Zukunft selbst an der psychischen Krankheit zu leiden (Pretis & Dimova, 2016, S.64; Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.31 ff.).

Die Angst, selbst zu erkranken, tritt insbesondere bei älteren Kindern und Ju-gendlichen auf (Lenz, 2008, S.24 ff.; Lenz, 2008, S.34) und es stellt sich die Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, im Laufe des Lebens ähnlichen Problemen wie der erkrankte Elternteil ausgesetzt zu sein (Lenz, 2008, S.24 ff.):

„…ich krieg die Krankheit vielleicht auch mal, davor hab ich echt Angst.“ (Hrsg.

Kühnel & Koller, 2013, S.8).

Häufig werden Ängste und Unsicherheiten meist vergrößert, da ungenaue In-formationen und Ungewissheit über die Erkrankung oft diffuse Annahmen und Vermutungen über die Ursachen der elterlichen Erkrankung auslösen (Lenz, 2008, S.24 ff.).

Neben den zahlreichen Ängsten können auch Schuldgefühle auftreten.

Schuld

Von massiven Schuldgefühlen berichten retroperspektiv mehr als drei von vier Kindern psychisch erkrankter Eltern (Pretis & Dimova, 2016, S.62), so auch Be-troffene wie S.W. (2000, S.29) und Frau P. (2000, S.31).

Zu diesen kommt es, da Kinder glauben, sie haben an den psychischen Prob-lemen ihrer Eltern Anteil:

„Mama ist durcheinander, weil ich böse war und weil ich mich nicht genug um sie gekümmert habe.“ (Mattejat, 2000, S. 72 ff.; Plass & Wiegand-Grefe, 2012,

S.31 ff.).

Insbesondere jüngere Kinder ziehen sich häufig zurück, beginnen zu grübeln und werden unsicher, da sie sich dafür verantwortlich fühlen, dass es ihren El-ternteilen so schlecht geht (Lenz, 2008, S.34).

Die Kinder erleben in jungen Jahren, manchmal jedoch sogar bis ins Erwach-senenalter das Gefühl, für die psychische Stabilität oder das Leid ihres kranken Elternteils verantwortlich gewesen zu sein (Pretis & Dimova, 2016, S. 62). Auch als Erwachsener treten dadurch Gefühle zwischen Wut und Trauer auf, sogar Selbsthass, keine Hilfe bekommen zu haben oder nicht verstanden worden zu sein (Williams, 1998, S.73 ff.). Die Schuldgefühle werden häufig durch die Un-gewissheit genährt, was die elterliche psychische Erkrankung ausgelöst hat (Lenz, 2008, S.34).

Ältere Kinder belasten häufig Schuldgefühle nach den teilweise vehementen Abgrenzungs- und Distanzierungsversuchen (Lenz, 2008, S.34; Plass & Wie-gand-Grefe, 2012, S. 22).

Das jedoch nicht alle Kinder an Schuldgefühlen leiden, bestätigt das folgende, eindrucksvolle Zitat:

„Und noch mal, Mami: Es war sicher nicht alles so einfach für uns, aber niemals habe ich mich schuldig gefühlt, und Du solltest dich auch nicht

>>schuldig<< fühlen. Ich denke, ich bin sehr >>gewachsen<< an diesen Herausforderungen, vielleicht etwas früh und etwas schnell.“

(Tochter der Familie H., 2000, S.52)

Scham

Es gibt viele Kinder, die sich auch für ihre Eltern schämen: „…ich bring lieber nicht meine Freundin mit nach Hause, weil die soll nicht sehen, wie‘s bei uns ausschaut.“ (Hrsg. Kühnel & Koller, 2013, S.4).

Desorientierung/ Verunsicherung

Ein weiteres Problem der Kinder stellt die Desorientierung dar. Da die Kinder die elterlichen Probleme nicht verstehen oder einordnen können, sind sie häufig verwirrt und geängstigt (Mattejat, 2000, S. 72 ff.).

Folgen einer möglichen massiven Desorientierung und Verunsicherung sind, dass Werte, Regeln oder Normen an Bedeutung verlieren (Pretis & Dimova, 2016, S.62).

Hilflosigkeit

Ein Kind äußert: „…ich geh dann meistens in mein Zimmer und zieh mir die De-cke über den Kopf, weil ich eh nichts tun kann.“ (Hrsg. Kühnel & Koller, 2013, S.7).

Es beschreibt eine weitere häufige Auswirkung, das Gefühl der Hilflosigkeit.

Kinder fühlen, dass sie Anteil daran haben könnten, dass es ihrem Elternteil nicht gut ginge. Aus diesem Grund bringen sie ihr eigenes Verhalten in Zu-sammenhang mit den Reaktionen des psychisch Erkrankten und erleben Un-vorhersehbarkeit und massive Hilflosigkeit. Auch wenn sie sich vorbildlich be-nehmen, ändert das nichts am Verhalten von Mutter oder Vater. Eine Folge können massive „Ich bin nicht okay“ –Botschaften sein. Diese erlernte Hilflosig-keit wird im zunehmenden Alter auch mit Depression in Bezug genannt, ist sie mit einer biologischen Verwundbarkeit kombiniert (Pretis & Dimova, 2016, S.62).