Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 44⏐⏐31. Oktober 2008 A2305
P O L I T I K
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ie bioethische Debatte zur gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen erhält eine neue Richtung. Dafür sorgt der schwarz-rot-grün-gelbe „Gesetz- wurf zur Verankerung der Patienten- verfügung im Betreuungsrecht“, den Wolfgang Bosbach (CDU), Ka- trin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) und René Röspel (SPD) am 21. Oktober in Berlin vor- gestellt haben.
Der interfraktionelle Gruppenan- trag ist als ein Gegenentwurf zu der im Juni vom SPD-Rechtsexperten Joachim Stünker vorgelegten – ebenfalls fraktionsübergreifenden – Initiative zu werten (Bundestags- drucksache 16/8442). Diese betont strikt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und wird bereits von etwa 200 Parlamentariern (unter ih- nen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries) unterstützt. Im Kern sieht dieser rot-rot-grün-gelbe Gesetzent- wurf eine grundsätzliche Verbind- lichkeit von Patientenverfügungen
vor – unabhängig von Art und Sta- dium der Erkrankung. Der neue Entwurf der Gruppe um Bosbach basiert dagegen auf einem Zwei- stufenmodell (Kasten).
Kritik an der neuen Gesetzes- initiative kommt von den Unterstüt- zern des Stünker-Entwurfs. Diese nannten sie „inakzeptabel“, weil sie Millionen Patientenverfügungen im Nachhinein entwerte und dem Wil- len der Patienten bürokratische und kostenintensive Hindernisse entge- gensetze. Stünker selbst bezeichne- te den Entwurf als ein „Patienten- verfügungs-Verhinderungsgesetz“.
„Heilsamer Zwang“
Bosbach widersprach dem vehe- ment: Die vorgeschriebene ärztliche Konsultation solle die Patienten le- diglich dazu bringen, sich eingehend mit ihrer Patientenverfügung zu be- fassen. Vorschnelle Entscheidungen, wie „Ich möchte niemals beatmet werden“, könnten so vermieden be- ziehungsweise in den richtigen Kon- text gestellt werden. Bereits verfasste Verfügungen, die sich auf tödlich verlaufende Krankheiten bezögen, verlören keineswegs ihre Gültigkeit.
„Alle getroffenen Verfügungen kön- nen zudem jederzeit formlos und auch mündlich widerrufen werden“, betonte der stellvertretende Vorsit- zende der CDU/CSU-Fraktion. Fer- ner könne niemand zu einer Patien- tenverfügung verpflichtet werden.
Die Deutsche Hospiz-Stiftung wertete den Vorschlag von Bosbach als einen „großen Schritt in die rich- tige Richtung“. Positiv sei, dass Be- ratungsgesprächen ein hoher Stel- lenwert eingeräumt werde. Denn viele Menschen hätten diffuse Ängs- te vor der Apparatemedizin. Erst
nach gründlicher Beratung seien sie in der Lage, wirklich selbstbe- stimmt zu entscheiden.
Der Deutsche Hospiz- und Pallia- tivverband und die Deutsche Gesell- schaft für Palliativmedizin begrüß- ten, dass mit diesem Gesetzentwurf die Reichweite für Patientenverfü- gungen gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Fassung erweitert worden sei. Allerdings sei zu be- fürchten, dass die vorgeschlagenen Regelungen große Hürden für die Menschen bedeuteten.
Auch Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Ärzte- kammer Hamburg und Vizepräsi- dent der Bundesärztekammer (BÄK), hält den neuen Vorschlag für besser als den Entwurf von Stünker.
Gleichzeitig verwies auch er jedoch auf die Hürden, die aufgebaut wür- den: „Es wäre noch einmal zu be- denken, ob es nicht klüger wäre, auf jedwede weitergehende gesetzliche Regelung zu verzichten. Man kann nicht alle Prozesse des Lebens und Sterbens in gesetzliche Schablonen pressen.“ Die BÄK hatte sich in die- sem Sinne bereits mehrfach gegen ein Gesetz ausgesprochen, das die Verbindlichkeit von Patientenverfü- gungen regelt. Nach Ansicht ihres Präsidenten, Prof. Dr. med. Jörg- Dietrich Hoppe, ist eine Verfügung stets verbindlich, wenn sie auf die Situation zutrifft.
Bosbach, Göring-Eckardt und Röspel wollen in den nächsten Wo- chen bei den Abgeordneten für ihren Gesetzentwurf werben. Bislang wird er von etwa 50 Abgeordneten unterstützt. Noch in diesem Jahr soll der Antrag in erster Lesung im Bun- destag beraten werden. I Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
PATIENTENVERFÜGUNG
Selbstbestimmung erst durch ärztliche Konsultation
Anfang nächsten Jahres will der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Regelung von Patientenverfügungen beschließen. Eine interfraktionelle Gruppe um den CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach stellte jetzt einen neuen Entwurf vor.
ZWEISTUFENMODELL
Entwurf der Gruppe um Bosbach:
Einfache, in schriftlicher Form vorliegende Verfügungen sind verbindlich, auch wenn sie ohne vorherige ärzt- liche Beratung und notarielle Beurkundung verfasst wurden. Dies gilt allerdings nur, wenn eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit vorliegt oder der Patient endgültig sein Bewusstsein verloren hat.
Möchte ein Patient jedoch den Abbruch von lebens- erhaltenden Maßnahmen unabhängig vom Krankheits- stadium verbindlich anordnen, muss er dies in einer notariell beurkundeten Patientenverfügung tun. Dazu muss er sich alle fünf Jahre von seinem Arzt beraten lassen. Die Kosten dafür soll die gesetzliche Kranken- versicherung übernehmen.