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Archiv "Entwurf zum neuen Arbeitszeitgesetz: Ärzte werden ausgespart" (17.09.1993)

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POLITIK LEITARTIKEL / KURZBERICHT

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ein Einzelfall an deutschen Krankenhäusern: Ein Arzt beginnt morgens mit seiner beit. Er ist acht Stunden auf den Beinen. Nach der offiziellen Arbeitszeit schließt sich sein Bereit- schaftsdienst beziehungsweise seine Rufbereitschaft an. Während dieser Zeit werden zahlreiche Patienten eingeliefert, es gibt viel zu tun. Der Arzt schläft nachts weniger als zwei Stunden, muß aber am nächsten Tag wieder pünktlich zur Arbeit erschei- nen, weil der Dienstplan es so vor- sieht. Denn die Pläne werden zu Zei- ten erarbeitet, in denen die Arbeits- belastungen des einzelnen Arztes in seinem Bereitschafts- oder Rufbe- reitschaftsdienst noch nicht abzuse- hen sind. Betroffen von Mißständen dieser Art sind zur Zeit rund 100 000 Ärzte an den 3 400 deutschen Kran- kenhäusern.

Das neue Arbeitszeitgesetz, das ab 1994 gelten soll, wird daran nichts ändern. Zwar werden im Entwurf al- len Arbeitnehmern nach einem regu- lären Arbeitstag von acht Stunden mindestens elf Stunden ununterbro- chene Ruhezeit eingeräumt. Ärzte und Pflegepersonal sollen jedoch bis 1996 von dieser Regelung ausgespart bleiben.

Das ist auf eine Intervention durch einen Brief von Dr. Klaus Prößdorf, dem Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesell- schaft (DKG), bei Bundesgesund- heitsminister Horst Seehofer (CSU) zurückzuführen, der wiederum auf Bundesarbeitsminister Norbert Blüm eingewirkt hat. Prößdorf weist darauf hin, daß die Umsetzung des Gesetz-

entwurfes ohne die Ausnahmerege- lung für Ärzte und Pflegepersonal in Krankenhäusern zu „unkalkulierba- ren Auswirkungen und finanziellen Risiken für den Krankenhausbereich führen würde". Tatsächlich müssen die meisten Ärzte während ihres Be- reitschaftsdienstes über die Hälfte der Zeit arbeiten. Würden Ärzte die geplanten Ruhezeiten einhalten, müßte in den Krankenhäusern unter Umständen mehr Personal einge- stellt werden.

Folgende Rechnung legt die DKG zugrunde: Pro Krankenhaus müßte zusätzlich ein Arzt eingestellt werden. Dieser Arzt würde ein durchschnittliches Jahresgehalt von 150 000 DM bekommen. Bei insge- samt etwa 3 400 Krankenhäusern in Deutschland ergäbe das eine Summe von über einer halben Milliarde DM.

Dazu kommen weitere Ausgaben für die Krankenschwestern und zusätzli- ches Pflegepersonal, so daß die DKG eine Summe von 3,6 Milliarden DM Mehrkosten errechnete. Die Auf- schubsregelung von § 26 wurde des- halb eingerichtet, um die großen Um- stellungsschwierigkeiten für die Krankenhäuser zu vermeiden. Das geht aus der Begründung zu § 26 her- vor. Bisher gab es nämlich keine Ru- hezeitvorschriften im Krankenhaus, so wie sie nun in § 5 („Die Arbeitneh- mer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununter- brochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden haben.") vorgesehen wer- den. Wenn jedoch auch nach 1996 die Ärzte in über 50 Prozent ihrer Bereitschaftsdienstzeit zur Arbeit herangezogen werden, müssen mehr Vollbeschäftigung gerichtete Politik

diskutiert werden. Das Finanzmini- sterium hatte zunächst darauf ge- drängt, in das Papier den Satz aufzu- nehmen, . daß auf Hinterbliebenen- renten nicht nur Arbeitseinkommen und eigene Versorgungsbezüge, son- dern auch „sonstige Einkommen" an- gerechnet werden sollten. Das liefe auf eine weitere Novellierung der Hinterbliebenenrenten hinaus und diskreditierte die private Vorsorge.

Das vom Kabinett abgesegnete Pa- pier gibt Rexrodt Ansatzpunkte, zu einem passenderen Zeitpunkt die Rentendiskussion neu zu eröffnen.

Er hat wohl die politische Brisanz des Themas unterschätzt. Andererseits gehört dieses Thema in die Standort- diskussion, denn die Rentenversiche- rung bestimmt maßgeblich die Sozi- albelastung und damit auch die Lohnnebenkosten der Betriebe.

Fortsetzung der

„Gesundheitsreform"

In dem Standortbericht wird auch die Fortsetzung der „Gesund- heitsreform" angekündigt und auf das angeforderte Gutachten des Sachverständigenrates verwiesen.

Geprüft werden solle die Neuord- nung des Leistungskatalogs, der Um- bau der heutigen Angebots- und Ho- norarstrukturen und eine Reform des Beitragssystems zur Stärkung der Eigenverantwortung. Diese Punkte berühren den Auftrag an den Sach- verständigenrat.

In seinen früheren Papieren hat- te sich Rexrodt noch für die Veranke- rung des Prinzips der Regel- und Wahlleistungen, für eine stärkere Selbstbeteiligung der Versicherten, für Wahltarife und Beitragsrücker- stattungen ausgesprochen. Auch soll- te geprüft werden, ob das Kostener- stattungsprinzip allgemein an die Stelle des Sachleistungssystems tre- ten könne. Solche Hinweise hat See- hofer abgeblockt. Andererseits hat sich auch Seehofer (noch?) nicht mit dem Vorschlag durchsetzen können, künftig nicht nur die Beiträge der Selbständigen und der freiwillig Ver- sicherten im Rentenalter, sondern die Beiträge aller Versicherten nach dem Gesamteinkommen zu bemessen.wst

Entwurf zum neuen Arbeitszeitgesetz

Ärzte werden ausgespart

Ein Kabinettsentwurf für ein neues Arbeitszeitgesetz vom 5. Juli 1993 sieht vor, daß Ärzte, Schwestern und Pfleger in Krankenhäu- sern anders als andere Arbeitnehmer erst ab 1996 ein Recht auf ei- ne Ruhezeit von 11 Stunden haben sollen. In der Begründung zum Entwurf wird sogar die Auffassung vertreten, daß Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst grundsätzlich arbeitszeitrechtlich als Ruhezeit zu sehen sind. Der Marburger Bund hat gegen diese Regelungen protestiert, der Gesetzgeber dagegen hält sie für notwendig.

A1-2360 (12) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 37, 17. September 1993

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Arbeitsplatz Krankenhaus

Krankenhauspersonal Anfang 1992:1 029 731 Beschäftigte, darunter:

Pflegedlens

Operationsdienst*

•.• ... ... Technik Wäschereien Krankengymnasten

6 Ambulanz*

6. Anästhesie*

1 Ärzte im Praktikuin Hebammen Apothekenpempal

5.698 Masseure, Bertekelr.

4 576 Beschäftigiatkr .Pe9.9.

3 146opieggag:::i;:ii;i;:::::.».

3 033 Psychologen

In den 3 400 Krankenhäusern sind über eine Million Fachkräfte beschäftigt. Knapp 38 Prozent arbeiten im Pflegedienst. Es sind Krankenschwestern und -pfleger, Krankenpflegehelfer, Kinderkrankenschwestern und -pfleger sowie Hilfspersonal. Die zweigrößte Gruppe sind die Ärzte. Zusammen mit den „Ärzten im Praktikum" machen sie mehr als zehn Prozent des Personals aus. über Dreiviertel der Krankenhausan- gestellten sind Frauen. In den neuen Ländern liegt der Frauenanteil sogar bei 81 Prozent. Globus

POLITIK

Personal eingestellt und neue Schichtpläne erarbeitet werden.

„Normalerweise sollten die Um- stellungsschwierigkeiten für die DKG kein Thema mehr sein.

Schließlich sind Ruhezeiten nach ge- leisteten Bereitschaftsdiensten gel- tendes Tarifrecht, das die Kranken- hausträger nun ,offiziell' noch bis 1996 verletzen dürfen", empört sich Lutz Hammerschlag, Tarifexperte des Marburger Bundes. Schon lange fordere der Marburger Bund die Ein- stellung von zusätzlichem Personal in Krankenhäusern, um den Ärzten ge- regeltere Arbeitszeiten zu verschaf- fen. Außerdem verstoße eine derarti- ge Regelung gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 24. Fe- bruar 1982, in dem es heißt: „Wird ein Arzt an einem Kalendertag, an dem er eine Arbeitszeit von minde- stens siebeneinhalb Stunden abgelei- stet hat, zu einem Bereitschaftsdienst herangezogen, der mindestens zwölf Stunden dauert, soll ihm nach diesem Bereitschaftsdienst eine Ruhezeit von mindestens acht Stunden ge- währt werden; dies gilt nicht, wenn bei Gewährung der Ruhezeit die Versorgung der Patienten nicht si- chergestellt wäre." Zusätzlich versto- ße dieser Passus gegen Artikel 24 der Allgemeinen Erklärung der Men- schenrechte, wonach jeder Mensch unter anderem Anspruch auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeits- zeit hat.

Als einen weiteren „Knack- punkt" bezeichnet Hammerschlag die Begründung zu den abweichen- den Regelungen in § 7. Dort heißt es:

„ . . . Rufbereitschaft und Bereit- schaftsdienst sind arbeitszeitrechtlich grundsätzlich als Ruhezeit zu wer- ten." Hammerschlag: „Dieser Passus ist eine Unverschämtheit, da hier Be- reitschaftsdienste und Rufdienste mit Zeiten verglichen werden, in de- nen man sich ausruhen kann."

Bundesärztekammer:

Realitätsfern

Auch Dr. Karsten Vilmar, Präsi- dent der Bundesärztekammer, be- zeichnet die Formulierung, Bereit- schafts- und Rufbereitschaftsdienst seien arbeitszeitrechtlich grundsätz-

KURZBERICHT

lich Ruhezeit, als „hirnrissig". Vil- mar: „Man merkt, daß dieser Para- graph von Menschen gemacht wor- den ist, die nie Bereitschafts- oder Rufbereitschaftsdienst geleistet ha- ben." Der Entwurf zum neuen Ar- beitszeitgesetz werde den tatsächli- chen Verhältnissen in Krankenhäu- sern nicht gerecht.

Rudolf Anzinger, Ministerialrat im Bundesarbeitsministerium, sieht das anders: „Rufbereitschaft heißt doch nur, daß ein Arzt an einem Ort

jederzeit erreichbar sein muß. Mei- stens ist das zu Hause. Wenn er nicht zu arbeiten braucht, kann er sich doch bestens daheim erholen, oder?"

Außerdem habe ein Arzt ab 1996 Anspruch auf elf Stunden Ruhezeit, wenn er in mehr als der Hälfte seines Bereitschafts- oder Rufbereitschafts- dienstes gearbeitet habe. Arbeite er weniger, gelte die Zeit als Ruhezeit, damit der Arzt am nächsten Tag wie- der nach Plan eingestellt werden könne. Die gearbeitete Zeit werde zu einer anderen Zeit ausgeglichen.

Natürlich räumt Anzinger ein, daß die Krankenhäuser mit diesen Regelungen Geld sparen, da sie vor-

erst keine neuen Ärzte einstellen müssen. Das Bundesarbeitsministeri- um sei aber, so Anzinger, nur für ar- beitsrechtliche Ruhezeiten zustän- dig. Wieviel Bereitschafts- oder Ruf- bereitschaftsdienste die Ärzte leiste- ten, sei Sache der Tarifpartner.

Auf einen dritten Haken weist Dr. Frank Ulrich Montgomery, Vor- sitzender des Marburger Bundes, hin: Die EG-Richtlinie über be- stimmte Aspekte der Arbeitszeitge- staltung vom Juli 1993. Dort heißt es

in Artikel 1, Absatz 3: „ . diese Richtlinie findet Anwendung auf alle privaten oder öffentlichen Tätigkeits- bereiche mit Ausnahme der Tätigkei- ten der Ärzte in der Ausbildung." In Artikel 17, Absatz 2c werden Tätig- keiten bei Aufnahme-, Behandlungs- und/oder Pflegediensten von Kran- kenhäusern oder ähnlichen Einrich- tungen, HeiMen sowie Gefängnissen von den Regelungen zu Ruhezeit, Ruhepausen und Nachtarbeit ausge- nommen. Montgomery: „Auch hier werden die Ärzte wieder ausgespart.

Wann werden sie endlich so wie alle anderen Berufsgruppen auch behan- delt?" Petra Geschwandtner-Andreß Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 37, 17. September 1993 (13) A1-2361

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