Ortskrankenkassen beharren auf Grundlohnbindung
Die Beitragssätze der Ortskrankenkassen sind stabil, sie werden in der nächsten Zeit voraussichtlich auch stabil bleiben. Erst ab 1992 rechnet der AOK-Bundesverband wieder mit einer defizitä- ren Entwicklung. Ursache dafür wären, so rechneten Vertreter des Verbandes auf einem Presseseminar in Bonn vor, überdurch- schnittlich hohe Leistungsausgaben in einigen großen Ausgaben- bereichen. Über der Grundlohnentwicklung dürften, wie der Ver- band vermutet, die Ausgaben bei Krankenhauspfiege, für Heil- und Hilfsmittel und für zahnärztliche Behandlung liegen. Vor allem aber werden die Kassenfinanzen ab 1990 durch die Ausgaben für Schwerpflegebedürftige außerordentlich stark belastet werden.
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AKTUELLE POLITIK
DEUTSCHES ARZTEBLATT
auf der Finanzplanung der Ortskrankenkassen werden lediglich die Ausgaben für die kassenärztliche Behand- lung und für Arzneimittel im Rah- men der Grundlohnentwicklung oder sogar — bei den Arzneimitteln, jedenfalls zeitweise — unter der
Grundlohnentwicklung bleiben.
So jedenfalls die Planung, auf die der AOK-Bundesverband seine Politik aufbaut. Bei dem Bonner Presseseminar kam bei der Gelegen- heit zur Sprache, weshalb die Ausga- ben für die stationäre Behandlung überdurchschnittlich wachsen, wäh- rend man bei den Ausgaben für die ambulante Behandlung weiterhin mit einer im Rahmen liegenden Ent- wicklung rechnet — im Unterschied etwa zur zahnärztlichen Behandlung, die außerhalb des Rahmens liegen wird. Einige Zahlen dazu: Die Fi- nanzplanung der Ortskrankenkassen sieht für 1990 bei den Kassenärzten ein Plus von 3 Prozent, für 1991 von 2,8 Prozent und für 1992 von 2,6 Pro- zent vor. Die Ausgaben für kassen- zahnärztliche Leistungen werden für jedes dieser drei Jahre mit jeweils + 4,5 Prozent veranschlagt. Für Krankenhauspflege sollen laut Fi- nanzplanung die Ausgaben in 1990 um 6,2 Prozent, 1991 4,8 Prozent und 1992 um 3,5 Prozent steigen.
Was die Aufwendungen für Krankenhausleistungen angeht, so wiederholten die Kassenvertreter einmal mehr das alte Lied von der allzu schwachen Stellung der Kran-
kenversicherungen bei den Pflege- satzverhandlungen. Die überdurch- schnittlichen Steigerungen bei zahn- ärztlichen Leistungen begründet man damit, daß nach dem Gesund- heits-Reformgesetz die Zahnprophy- laxe wesentlich gefördert werden soll. Gleichfalls laut Gesundheits- Reformgesetz soll zwar auch die Vorsorge, die die Kassenärzte lei- sten, ausgebaut werden, im wesent- lichen durch die neue Gesundheits- untersuchung. Doch die AOK-Ver- treter erklärten in Bonn, man werde abwarten, wie sich das entwickele.
Fürs erste habe man in die Finanz- planung weiterhin nur Ausgabenstei- gerungen auf dem Kassenarztsektor in Höhe der mutmaßlichen Grund- lohnentwicklung angesetzt.
Die Verhandlungslinie
Die mit den Kassenärzten ver- einbarte Grundlohnbindung der Ge- samtvergütung läuft freilich Ende dieses Jahres aus. Der derzeitige Vorsitzende des AOK-Bundesver- bandes, Dr. Detlef Balzer erklärte vor der Presse in Bonn, die Orts- krankenkassen würden in den anste- henden Verhandlungen mit allem Nachdruck versuchen, den Grund- satz der Beitragssatzstabilität in den Verhandlungen zu realisieren.
Grundsätzlich müsse, von einigen ex- emplarischen Leistungen abgesehen, an der Begrenzung der ärztlichen Gesamtvergütung festgehalten wer-
den. Das sei, so lockte Balzer, auch keineswegs zum Nachteil der Ärzte.
Die Pauschalierung der Vergütung und ihre Koppelung an die Grund- lohnentwicklung hätten zum Beispiel
1988 einen Zuwachs beim Gesamt- honorar von 4,2 Prozent bewirkt.
Innerhalb dieses Rahmens ver- folgen die Ortskrankenkassen indes eine differenzierte Vergütungspoli- tik. So hält man es durchaus für mög- lich, gesundheitspolitisch wichtige Bereiche aus der Deckelung heraus- zunehmen und für diese flexiblere Vergütungsformen zu finden. Einen vollständigen „Auszug aus der Dek- kelung" (Balzer) könne man sich freilich nicht leisten. Grund: die so- genannte Mengendynamik.
Die gedämpfte Entwicklung bei den Ausgaben für Arzneimittel führt der AOK-Bundesverband im wesent- lichen auf die Festbeträge, die auf immer mehr Arzneimittelgruppen ausgedehnt werden, zurück. Man är- gert sich freilich über „Gegenstrate- gien der Pharmaindustrie", sprich, über kompensatorische Preiserhö- hungen in Marktbereichen, die nicht unter die Festbeträge fallen.
Die Schlußfolgerung, die der AOK-Bundesverband aus einer sol- chen Entwicklung zieht, ist wider- sprüchlich. Balzer sprach davon, daß die Industrie sich eines normalen wirtschaftlichen Verhaltens befleißi- ge; das habe der Gesetzgeber gewußt und wohl auch so gewollt. Balzer ver- tritt im AOK-Bundesverband die Ar- beitgeberseite. In seinem vorbereite- ten Redemanuskript (von dem er ab- wich) waren Schlußfolgerungen zu lesen, die möglicherweise eher die des Verbandes sind. Hier hieß es:
„So positiv das Festbetragskonzept als erster Schritt in die richtige Rich- tung ist, es ist kein ausreichendes In- strument, um den gesamten Arznei- mittelmarkt zu steuern. Die Phar- maindustrie bringt durch ihre Ge- genstrategien den Gesetzgeber in Handlungszwang, weitergehende In- strumente für den nichtfestbetrags- fähigen Teil des Arzneimittelmark- tes zu etablieren.
Verbandsgeschäftsführer Franz Josef Oldiges bekräftigte: „Der Ge- setzgeber ist sich wohl heute dar- über klar, daß was geändert werden muß". NJ Dt. Ärztebl. 86, Heft 48, 30. November 1989 (19) A-3675