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Archiv "Die überproportionale Entwicklung der Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel" (10.12.1986)

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Darstellung 1: Struktur der Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel 1985

Ve.r.and - Heil- und 1-111Err,,,e1 und Ar2r.nn v.n Stelle=n

Hornuren

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT THEMEN DER ZEIT

Dem trat in seinem Statement vor der Konzertierten Aktion (Auszüge: Ka- sten auf der nebenstehenden Seite) der Hauptgeschäftsführer der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Eckart Fiedler, energisch entge- gen. Er lenkte das Augenmerk auf die medizinisch-gesundheitspolitischen Aspekte sowie die Einflüsse von Rechtsprechung und Gesetzgebung, die für die ausufernde Kostenent- wicklung in diesem Leistungssektor bedeutsam sind, und deckte auch die Wettbewerbspraktiken mancher Krankenkassen und Leistungserbrin- ger auf. Differenziert nahm er zu den einzelnen Teilbereichen Stellung.

Physiotherapeutische Leistungen

Besonders kritisch nahm er den mit knapp 29 Prozent größten Teilbe- reich, die physiotherapeutischen Lei- stungen, unter die Lupe. Jährlich knapp zwei Milliarden DM wenden die Krankenkassen inzwischen dafür auf. Der weitaus größte Teil der Aus- gabensteigerung im Bereich phy- siotherapeutischer Leistungen resul- tiert aus der Mengenentwicklung.

Diese hat vielfältige Ursachen.

An erster Stelle nannte Fiedler das Krankheitsspektrum. Die häufigsten Indikationen für physiotherapeuti- sche Leistungen sind Krankheiten des Bewegungsapparates, der rheu- matische Formenkomplex, Herz!

Kreislauferkrankungen und eine Rei- he neurologischer Erscheinungsfor- men verschiedener Krankheitsbilder, Krankheitsarten also, die seit Jahren deutlich zunehmen. Je nach Diagno- sekriterien und Schweregraden lei- den im Schnitt allein zwischen drei und 20 Millionen Menschen in der Bundesrepublik an Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises.

Die durchschnittliche Krankheitsdau- er liegt zwischen 13 und 17 Jahren.

Ein zweiter maßgeblicher Faktor ist die Ablösung der Arzneimittelthera- pie durch physikalische Therapie. Im- mer häufiger werden Beschwerden wegen degenerativer Prozesse an

• Fortsetzung auf Seite 3520

Die überproportionale

Entwicklung der Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel

Aufschlußreiche Analyse bei der jüngsten Sitzung der „Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen"

Zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren befaßte sich die Kon- zertierte Aktion im Gesundheitswesen in einer „Struktursitzung"

mit den Heil- und Hilfsmitteln. Anlaß boten die anhaltenden über- proportionalen Ausgabenzuwächse, aber auch Fragen im Zusam- menhang mit der schon eingeleiteten Strukturreform-Debatte in der gesetzlichen Krankenversicherung. Diskussionsgrundlage der Sitzung am 17. November in Bonn war ein umfassendes Arbeits- papier des Bundesarbeitsministeriums, das mit den Spitzenverbän- den der gesetzlichen Krankenversicherung, den Verbänden der Leistungserbringer und der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung mehrfach eingehend erörtert und überarbeitet worden war.

J

n den zahlreichen Vorgesprä- chen hatten die Krankenkassen stark auf eine ökonomische Be- wertung abgestellt und versucht, dem verordnenden Kassenarzt die Hauptverantwortung für die aus- ufernden Kosten zuzuschieben. Auch die Erbringer von Heil- und Hilfsmit- teln wuschen in den vorbereitenden

Anhörungen ihre Hände in Unschuld und verwiesen unter Berufung auf die Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien auf die Verantwortung des verordnenden Arztes. Sie träfe keine Schuld, wenn der Arzt wegen mangelnder Beach- tung der Richtlinien oder gar man- gelnder Qualifikation unspezifisch und unwirtschaftlich verordne.

3518 (14) Heft 50 vom 10. Dezember 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heil- und Hilfsmittel

Der Anteil der Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel an den Ausgaben der gesetzli- chen Krankenversicherung ist von 1970 bis 1985 von 2,8 Prozent auf 6 Prozent gestiegen. Demgegenüber ist im Vergleich der Anteil der Ausgaben für ambulante ärztliche Versorgung von 22,9 Prozent auf 18,1 Prozent im gleichen Zeitraum gesun- ken. Seit 1977 bis heute, in dem Zeitraum also, da das Kostendämpfungskonzept mit Grundlohnsummenorientierung gilt, wei- sen die Heil- und Hilfsmittel die höchsten durchschnittlichen jährlichen Ausgaben- überhänge über der Grundlohnsumme auf: 3,1 Prozent p. a. Diese deutlich über- proportionale Entwicklung ist ohne Zweifel mit eine Ursache der jüngsten Beitrags- satzanhebungen.

Eine Aufhellung der Hintergründe ist notwendig, und zwar sowohl unter ökonomisch-gesamtwirtschaftlichen als auch medizinisch-gesundheitspolitischen Aspekten, um daraus Schlußfolgerungen für ökonomisch gebotene und medizinisch vertretbare korrigierende Maßnahmen zie- hen zu können.

Immer wieder ist der Vorwurf zu hören, al- lein der Arzt löse durch seine Verordnung die Leistung und damit die Kosten aus.

Mithin müsse er in den Mittelpunkt der Kostendämpfungsbemühungen auch in diesem Bereich gestellt werden. Diese Meinung ist nur sehr bedingt richtig.

Der Arzt unterliegt einer Vielzahl von Gesetzes-, Rechts- und Vertragsvorschrif- ten, die ihn in seinem ärztlichen Handeln stark einengen. Seit 1982 sind die Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien des Bundes- ausschusses der Ärzte und Krankenkassen in Kraft. Diese engen seinen Handlungs- spielraum erheblich ein. Der Kassenarzt steht in einem ständigen Interessenkon- flikt zwischen seiner Sozialbindung gegen- über der Solidargemeinschaft der Versi- cherten (Gebot der Notwendigkeit und

Wirtschaftlichkeit) einerseits und seiner Fürsorgeverpflichtung und dem

ärztlich- ethischen Gebot, dem einzelnen Patienten

so gut wie möglich zu helfen, anderer- seits. Die vom Kassenarzt geforderte Zu- rückhaltung gegenüber den Wünschen des Versicherten wird unerfüllbar, wenn, wie immer wieder in der Alltagspraxis zu beobachten, diese seitens der Kranken- kassen durch allzu großzügige Auslegung des Wirtschaftlichkeitsgebots oder gar konterkarierende Werbemethoden aus Wettbewerbsgründen gegenüber anderen Kassenarten unterlaufen wird. Soviel zur grundsätzlichen Klarstellung vorweg!

Wo liegen die Ursachen für die rasante Entwicklung? Auch wenn die vorgelegten Daten keine abschließende Beurteilung, insbesondere unter medizinisch-gesund- heitspolitischen Aspekten, zulassen, ist dem Bundesarbeitsministerium doch für das Bemühen zu danken, in differenzierter Analyse diesen Sektor aufzuarbeiten. Im wesentlichen werden zwei Faktoren zur Er- klärung herangezogen:

1. ein in den letzten 10 bis 15 Jahren deut- lich gewandeltes Morbiditätsspektrum, stark beeinflußt auch durch eine veränder- te demographische Struktur,

2. die wachsende Zahl der Leistungser- bringer auch in diesem Sektor.

Weiter spielt eine Rolle die Preisentwick- lung und insbesondere bei den Hilfsmit- teln die Innovationskomponente: Neue Hilfsmittel sind in der Regel auch teurere Hilfsmittel!

Der Vergleich der Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel je Mitglied in den letzten 10 Jahren zeigt nicht nur mehr als eine Ver- doppelung der Ausgaben pro Kopf insge- samt, sondern insbesondere auch eine Verdreifachung der Ausgaben für Renten- versicherte. Demgegenüber haben sich die Ausgaben je Allgemeinversicherten

„nur" verdoppelt. Damit bestätigt sich auch in diesem Bereich die deutlich wach- sende „Alterslast" in der gesetzlichen Krankenversicherung, die über die Kran- kenversicherung der Rentner auf den Soli-

darausgleich zwischen Allgemeinversi- cherten und Rentnerversicherten durch- schlägt.

Besonders stark wirkt sich der Anteil al- tersbedingter Behandlungsbedürftigkeit naturgemäß bei den Sehhilfen, bei Dialy- seleistungen, Hörhilfen und im Bereich orthopädische Hilfsmittel aus. Hier kom- men neben dem altersbedingt veränderten Morbiditätsspektrum natürlich auch neue Diagnose- und Therapiemöglichkeiten und erhebliche technische Verbesserungen, aber auch die gesundheitspolitisch gewoll- ten verstärkten Rehabilitationsbemühun- gen und -möglichkeiten der letzten Jahre zum Tragen.

Ein Beispiel nur: Die Nachteile der nach- weislich teureren Im-Ohr- bzw. beidohri- gen Versorgung, die bei Beachtung der Physiologie des Hörens und der Patho- physiologie der Schwerhörigkeit medizi- nisch durchaus angezeigt sein kann, wer- den infolge der technischen Weiterent- wicklung der Geräte zunehmend überwun- den. Von daher dürfte eine Einschränkung der Versorgung insbesondere von Schwerhörigen mit dieser Art von Hörge- räten nicht nur als Rückschritt zu sehen sein, sondern auch bei der Werbung der Krankenkassen mit optimalem Leistungs- angebot den Versicherten nur schwer ver- ständlich zu machen sein. Dies kann je- denfalls nicht den Ärzten aufgebürdet wer- den.

Oder die Versorgung mit Reha-Mitteln und Stoma-Artikeln, die seit 1980 mit + 76,6 Prozent und + 91,9 Prozent Ausgabenzu- wachs besonders stark expandieren. Nie- mand wird ernsthaft unterstellen wollen, daß der Arzt hier unnötig oder unwirt- schaftlich verordnet bzw. der Patient un- nötig Ansprüche anmeldet!

Oder der Bereich Dialyse: Wo ist die Alter- native, wenn einerseits die Zahl der Pa- tienten mit kostenintensivem Behand- lungsbedarf und kostenintensiven Be- handlungsverfahren zunimmt, anderer- seits die Möglichkeit der Nierentransplan- tation aufgrund der relativ niedrigen Zahl verfügbarer Transplantate dem Bedarf nicht entspricht? Bemerkenswert er- scheint mir allerdings gerade hier die we- sentlich kostengünstigere und damit wohl auch wirtschaftlichere Leistungserbrin- gung in der Praxis des niedergelassenen

Arztes.

Wo liegen die Ursachen?

Aus dem Statement von Dr. Eckart Fiedler

zum Bereich Heil- und Hilfsmittel vor der Konzertierten Aktion

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 50 vom 10. Dezember 1986 (15) 3519

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Heil- und Hilfsmittel

e

Fortsetzung von Seite 3518 den Stütz- und Bewegungsorganen ohne Verordnung von Arzneimitteln durch physikalische Therapie gelin-

dert. Zumindest kann bei einer Dau-

erbehandlung die Wirkstoffdosis her- abgesetzt werden. Das trägt zwangs- läufig zu einer Ausweitung der physi- kalischen Therapie bei.

Aber auch generell geht die Medizin von passiven Behandlungsformen mehr zu aktiver Bewegungstherapie über, etwa nach einem Herzinfarkt.

Die ärztlichen Indikationen für die physikalische Therapie nehmen zu.

Die Effizienz der meisten arthroplasti- schen Eingriffe z. B. ist abhängig von einer gezielten physikalischen bzw.

krankengymnastischen Anschlußbe- handlung. Das erklärt zum Teil den großen Ausgabenzuwachs gerade für krankengymnastische Behandlung.

DEUTSCHES i\:RZTEBLATT

behandlungbei Kindern und krebser- krankten Patienten. Auch die Nach- sorge gewinnt in diesem Zusammen- hang zunehmend an Bedeutung.

Zu einer Vermehrung der Nachfrage hat ohne Zweifel aber auch die rasan- te Zunahme der Zahl der Leistungser- bringer beigetragen. Die Zahl der me- dizinischen Badebetriebe, Masseure und Krankengymnasten insgesamt hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Die stärksten Zuwächse verzeichnen mit rund 136 Prozent die Krankengymnasten. Die Wachstumsdynamik hat sich gegen- über den Jahren 1975 bis 1980 zwar etwas beruhigt; der steigende Trend hält allerdings, besonders bei den Krankengymnasten, an. Besonders starke Zuwächse zeigen die Logopä- den, Stimm- und Sprachlehrer und die sonstigen Sprachtherapeuten (+ 66,2 Prozent) sowie die Beschäf-

Darstellung 2: Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel je Mitglied von 1975 bis 1985

300

AUSGABEN JE MITGLIED IN DM +

1975 71,29 91,44 77,09

250 1980 122,08 176,41 137,89

1985 142,58 269,61 179,85

! in % +100,0

85,)5 +194,8 +133,2

20

150

Viele Verbesserungen im Leistungs- geschehen der letzten zehn Jahre sind gesetzlich induziert und gesund- heitspolitisch gewollt. Fiedler erin- nerte neben den generell verstärkten Rehabi I itationsanstreng u ngen i nsbe- sondere an die Ausweitung des Be- hindertensports, der Krankengymna- stik und der Beschäftigungs- und Ar- beitstherapie sowie die verstärkte Krankheitsfrüherkennung und Früh-

ALLGEMEINVERSICHER TE

tigungs- und Arbeitstherapeuten (+ 205,1 Prozent). Aufgrund der nied- rigen Ausgangsbasis ist gerade bei diesen Gruppen für die nächsten Jah- re noch mit erheblichem "Nachhol- bedarf" zu rechnen.

Dr. Fiedler räumte ein, daß natürlich auch die gezielte und wirtschaftliche Verordnung durch den Kassenarzt ei- ne wichtige Rolle spielt. Vorausset- 3520 (16) Heft 50 vom 10. Dezember 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

zung dafür sei aber eine hinreichen- de Preis- und Leistungstransparenz.

So fehle beispielsweise ein vollstän- diger bundesweiter Überblick über die Preisentwicklung. Außerdem di- vergieren vielfach die Leistungstexte und Preise zwischen den ärztlichen Gebührenordnungen und den Preisli- sten der nichtärztlichen Leistungsar- bringer erheblich. Dies führt zu einer lntransparenz des Leistu ngsgesche- hens.

~ Geboten sei ein einheitlich struk- turiertes Therapieangebot aller Lei- stungserbringer. Im Interesse der notwendigen Transparenz für den verordnenden Kassenarzt sei eine Vereinheitlichung der Leistungstexte und der Preise für alle Leistungsar- bringer anzustreben.

~ Nachdrücklich kritisierte Fiedler die Übernahme von Kosten durch die Krankenkassen für jene Leistungen von Masseuren und Bademeistern, die wegen ihres strittigen medizini- schen Nutzens für die Behandlung von Krankheiten in die Gebührenord- nungen nicht aufgenommen werden.

Er forderte die Krankenkassen zur Zurückhaltung bei der Bezahlung von Leistungen auf, deren medizini- sche Wirksamkeit strittig ist und die dem Wirtschaftlichkeitsgebot nicht genügen. Immer wieder klagten, so Fiedler, Kassenärzte darüber, daß sie Kostendämpfung bis zum äußersten betreiben sollen, während anderer- seits die Krankenkassen sich aus Wettbewerbsgründen ihren Mitglie- dern gegenüber um Kostendämp- fung nicht hinreichend kümmerten.

Fiedler wörtlich: "in einer Werbebro- schüre gibt eine große Krankenkasse bekannt, daß sie Kurse für Atemgym- nastik, Unterwasserbewegungsgym- nastik, Autogenes Training bezu- schußt, ohne daß eine ärztliche Ver- ordnung dafür erforderlich ist. Es wird lediglich gefordert, daß nach Abschluß der Kurse die bezahlten Originalrechnungen der Krankenkas- se zwecks Kostenerstattung einge- reicht werden sollen. Kein Wunder, daß bei derartigen Angeboten der Kassenarzt sich an der Nase herum- geführt vorkommt! ... in diesem Zu- sammenhang muß auf die eigene

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Heil- und Hilfsmittel

Verantwortung der Krankenkassen für den besorgniserregenden Ausga- bentrend in aller Deutlichkeit hinge- wiesen werden. Zumal es sich bei dem erwähnten Beispiel keineswegs um Einzelfälle handelt, wie durch ei- ne großzügige Kostenübernahme, ja sogar Propagierung einzelner Heil- methoden das Kostendämpfungsbe- mühen der Kassenärzte unterlaufen wird!"

Kritisch hinterfragte Dr. Fiedler schließlich auch die Steuerungswir- kung der nach dem Gesetz vorge- schriepenen Zahlung einer Verord- nungsblattgebühr von 4 DM pro Heil- mittel - unabhängig von der Anzahl.

in dieser Regelung liege zumindest ein Anreiz für den Patienten, um bei der Verordnungsblattgebühr zu spa-

ren, den Arzt zu bitten, ihm mehr Be-

handlungen aufzuschreiben, als nach den Heil- und Hilfsmittel-Richtli- nien zulässig sei. Je mehr Massagen beispielsweise pro Verordnungsblatt verschrieben würden, desto vorteil- hafter für den Patienten! Damit würde aber die mit den zahlenmäßigen Be- grenzungen in den Heil- und Hilfsmit- tel-Richtlinien an sich angestrebte In- tention klar unterlaufen. Zu prüfen seien gegebenenfalls andere, wirksa- mere Formen der Selbstbeteiligung bei Massagen und Leistungen von medizinischen Badebetrieben, etwa in der Weise:

..,.. bisherige Verordnungsblattge- bühr zuzüglich einer prozentualen Zuzahlung, gegebenenfalls bei gleichzeitiger Abstaffelung der ab- rechnungsfähigen Leistungen ab ei- ner bestimmten Anzahl von Anwen- dungen.

Sehhilfen

Für den zweiten großen Block in den Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel

(22,7 Prozent Anteil), die Sehhilfen,

gaben die Krankenkassen 1985 rund 1,5 Milliarden DM aus. Deutlich stär- kere Ausgabenzuwächse als bei den Brillen waren dabei bei den Kontakt- linsen zu verzeichnen. Sie setzen sich infolge besserer Verträglichkeit in den letzten Jahren immer mehr durch. Ihr Anteil an den Sehhilfen

DEUTSCHES :A:RZTEBLATT

Darstellung 3: Anzahl der Leistungserbringer an Heil- und Hilfsmitteln 1975 sowie 1985

10 052 / /

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liegt inzwischen bei 5,6 Prozent. Da-

bei sind Kontaktlinsen im Schnitt um

280 bis 300 DM teurer als eine Kas- senbrille.

Insgesamt ist der Leistungsaufwand für Sehhilfen seit 1982 jährlich um 7,9 Prozent gestiegen. Auch hier ist vor allem die Mengenentwicklung aus- schlaggebend. Rund 51 Prozent der Bevölkerung sind Brillenträger. Aller- dings ist dieser Anteil seit Jahren konstant. Insofern sind die Ursachen nicht allein in den gestiegenen Anfor- derungen an das Sehvermögen und in dem gestiegenen "Sehbewußt-

sein" der Bevölkerung zu suchen. Die

Ausweitung des Marktes läuft vor al- lem über Zweit- und Ersatzbrillen.

..,.. So werden die Augenoptiker z. B.

in Fachzeitschriften ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich Um- satzsteigerungen nur noch über Zweit- und Drittbrillen erreichen las- sen: ... die letzten Jahre haben eben auch bewiesen, daß es nicht ge- nügt, eine Brille optimal herzustellen und sie ,weiterzugeben'. Eine sta- gnierende Gesamtnachfrage bei Bril- len kennzeichnet die Situation der letzten Jahre. Die hohe Qualität der Brillenfassung und die Arbeit des Au- genoptikermeisters als Fachmann führt dazu, daß eine Brille viel länger

,stabil' bleibt als dies früher der Fall

war. Also: Es muß alles dafür getan werden, um Neukäufe zu forcieren, auch wenn die ,alte Brille' es noch tut. Und wie erreicht man dies? Nur, wenn Brilletragen ,in' ist, wird der

/ / /

20 295

1985

K r a n k e n - gymnasten - + - 1 3 5 , . 9 %

med . Ba d e - bet r i e be - +- 9 9 , . 0 %

Masseure

- ... 8 8,.2 %

Verbraucher auf Spontankäufe, auf Wiederholungskäufe und auf Dauer- käufe zurückgreifen. Die Brille muß ein Modeattribut werden, nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer.

Die Kunden müssen es als normal an- sehen, eine Zweit-, Dritt- und Viert- brille zu erwerben." So zu lesen in ei- ner internen Augenoptiker-Marktzeit- schrift vom September 1986.

Zweit- und Ersatzbrillen gehören zwar nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, dennoch gibt es in der Praxis- nicht zuletzt auch als Wettbewerb der Krankenkassen untereinander - Um- gehungsmöglichkeiten. Fiedler ver- wies in diesem Zusammenhang auf die Aufhebung der Genehmigungs- pflicht der ärztlichen Brillenverord- nung vor Inanspruchnahme des Opti- kers sowie auf die höchstrichterliche Aufhebung des alleinigen ärztlichen Brillenverordnungsrechts. Nur die erstmalige Verordnung einer Brille erfolgt obligatorisch durch den Arzt.

Beim wiederholten Brillenerwerb kann der Augenoptiker die Augen- glasbestimmung durchführen. Das Refraktionieren durch Augenoptiker ohne vorherige ärztliche Verordnung nimmt zu: 1985 wurden rund 30 Pro- zent aller Augenglasbestimmungen durch Augenoptiker vorgenommen. ..,.. Damit ist nach Fiedlers Auffas- sung eine anhaltende Ausweitung des Lieferumfanges vorprogram- miert: "Optiker sind in erster Linie umsatzorientiert Heil- und Hilfsmit- Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 50 vom 10. Dezember 1986 (17) 3521

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Heil- und Hilfsmittel

tei-Richtlinien gelten für sie nicht. Ei- ne Überprüfung ist so gut wie ausge- schlossen. Manche Krankenkassen ihrerseits fördern den Trend noch, in- dem sie ihren Mitgliedern nahelegen, den Augenoptiker ohne ärztliche Un- tersuchung direkt aufzusuchen. An- geboten werden dazu Berechti- gungsscheine zur Lieferung von Bril-

len. Nicht selten halten die Augenop-

tiker die Berechtigungsscheine sogar selbst vorrätig. Daß solche Praktiken zwangsläufig zu einer Mengenaus- weitung führen, liegt auf der Hand.

Ebenso, wer in Wahrheit den so oft und gern zitierten Schlüssel zum Geldschrank der Kassen in der Hand hat: Der Kassenarzt jedenfalls am we- nigsten!"

..,.. Vor diesem Hintergrund stellte Fiedler folgende Forderungen zur Diskussion: die Wiedereinführung der Genehmigungspflicht aller Bril- lenverordnungen, eine strenge und einheitliche Handhabung der Indika- tionslisten für Sonnengläser und ge- tönte Gläser, keine Kostenübernah- me für teure prismatische Gläser oh- ne augenärztliche Verordnung, keine Brillenbestimmung durch Optiker bei über 40 Jahre alten Personen, wenn die letzte augenärztliche Untersu- chung länger als ein Jahr zurückliegt;

in diesen Fällen hat der Augenarzt ei- ne Augeninnendruckmessung vorzu- nehmen. Generell sei die Frage zu stellen nach der Aufrechterhaltung des Kassenzuschusses zum Brillen- gestell. Schon heute zahlt der Versi- cherte 150 bis 200 DM zu einer Brille direkt hinzu.

Orthopädische Hilfsmittel und Hörhilfen

Die verstärkten Rehabilitationsbemü- hungen haben sich auch bei den or- thopädischen Hilfsmitteln und Hörhil- fen ausgewirkt. Entscheidend für die Mengenentwicklung und für Struk- turverschiebungen im Bereich insbe- sondere der orthopädischen Hilfsmit- tel sind die jährlich in großer Zahl neu auf den Markt kommenden Hilfsmit- tel. Eine wirksame Prüfinstitution sei- tens der gesetzlichen Krankenversi- cherung für neue orthopädische Hilfsmittel existiert erst in Ansätzen.

DEUTSCHES :JtRZTEBLATT

Maßgeblichen Einfluß hat allerdings auch die Rechtsprechung der letzten Jahre, über die in zunehmendem Ma- ße neue und zum Teilteure Hilfsmittel

(z. B. Elektro-Rollstühle, Treppenrau-

pen, Lesegeräte) Eingang in den Lei-

stungskatalog der gesetzlichen Kran- kenversicherung finden. Dies gilt neuerdings in besonderem Maße auch für Zweit- und Mehrfachausstat- tung mit kostenaufwendigen speziel- len Hilfsmitteln. Beachtlich ist aber auch der medizinisch-technische Fortschritt zum Beispiel beim Ersatz natürlicher Körperfunktionen oder im Bereich der Versorgung Krebskran- ker. Nicht zuletzt steht der Verminde- rung der Verkehrsunfälle mit Todes- folge eine Zunahme der Unfallverletz- ten gegenüber, aus der in zunehmen- dem Maße eine Versorgung mit or- thopädischen Hilfsmitteln resultiert.

..,.. Den aus dieser Entwicklung sich ergebenden Kostenschub haben, so Dr. Fiedler, weder die Ärzte noch die Handwerker zu vertreten. "Wer heute diesen Kostenanstieg beklagt, müßte die nachweislich bessere Versorgung vor allem behinderter Menschen wie- der rückgängig machen. Den Ärzten ist hieran nicht gelegen. Das bedeu- tet nicht, daß sie sich der Aufgabe entziehen, durch fachliche Überprü- fung der Verordnungen und der vom Handwerker gelieferten Hilfsmittel mit die Kosten im Griff zu halten."

Für den Bereich Hörhilfen gilt ähn- liches wie für die orthopädischen Hilfsmittel, was den Fortschritt und die jährlich neu auf den Markt kom- menden Gerätetypen angeht. Dabei handelt es sich allerdings in der Re- gel lediglich um Typvariationen, die zunächst preislich kaum beeinfluß- bar sind, da die Vorlaufzeit bis zur Aufnahme in die jeweils gültigen Ver- tragspreislisten ein Jahr beträgt. Der geschätzte noch ungedeckte medizi- nisch indizierte Bedarf liegt günstig- stenfalls zwischen 0,5 und 1,5 Millio- nen zur Zeit noch unversorgter Pa- tienten. Hier ist also mit einem weite- ren Kostenanstieg zu rechnen. "Zu prüfen ist", so die Schlußfolgerung Fiedlers, "ob zum einen die weiter wachsende Zahl der Hörgeräteakusti- ker bedarfsgerecht ist und zum ande- ren -ähnlich wie bei Brillen heute- 3522 (18) Heft 50 vom 10. Dezember 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

die Krankenkassen nicht lediglich ei- nen Festzuschuß zu Hörgeräten lei- sten sollten."

Generell für den gesamten Heil- und Hilfsmittelbereich müsse, so Fiedler, die Möglichkeit geprüft werden, ei- nen Negativ-Katalog gesetzlich zu verankern, aus dem eindeutig und verbindlich -auch für die Kranken- kassen- hervorgeht, welche Leistun- gen in diesem Bereich nicht zu La- sten der gesetzlichen Krankenversi- cherung verordnet und erbracht wer- den können. Dies aber sei Sache des Gesetzgebers, nicht der Krankenkas- sen oder der Leistungserbringer und schon gar nicht der Ärzte.

Trotz kontroverser Diskussion gemeinsame Erklärung

Trotz der Versuche, dem verordnen- den Kassenarzt die Hauptver- antwortung zuzuschieben, konnte im Vorfeld der Konzertierten Aktion mit Mühe und nach langen Verhandlun- gen der Entwurf eines Erklärungstex- tes abgestimmt werden, dem in der Sit- zung die Beteiligten zustimmten. Die- se Erklärung (Kasten auf der neben- stehenden Seite) betont auch weitere Anstrengungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Verordnungsweise der Kassenärzte im Sinne von mehr Transparenz und Information, bein- haltet aber keine verschärfende Wirt- schaftlichkeitsprüfung oder die Ein- führung von Bonus-Malus-Regelun-

gen, wie sie von den Krankenkassen

favorisiert worden waren. Solche Vor- stellungen der Kassen konnten nach zähem Ringen schließlich mit deut- lichen Beispielen über ihr eigenes Fehlverhalten - Förderung der An- sprüche von Versichertendurch Wett- bewerb - zurückgewiesen werden.

Ausdrücklich wird auch in der Erklä- rung auf die Verpflichtung der Kran- kenkassen hingewiesen, ihre Versi- cherten zu einerwirtschaftlichen Inan- spruchnahme der Leistungen sowie zu einerpfleglichen Nutzungvon Hilfs- mitteln anzuhalten.

Dr. Thomas Stührenberg

Kassenärztliche Bundesvereinigung Herbert-Lewin-Straße 3

5000 Köln 41 (Lindenthal)

Referenzen

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