A-783
M E D I Z I N
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 12, 26. März 1999 (55) als Konsequenz davon auch im
Rechtschreiben. Diese Störung ist außerordentlich therapieresistent und führt zu sozialen und psycholo- gischen Folgeschäden bis ins Er- wachsenenalter. Es handelt sich um eine früh erworbene oder angebore- ne Störung jener Hirnareale, die mit der Steuerung der Lautanalyse und deren Ausdruck im Schreiben befaßt sind. Natürlich wissen wir, daß bei den meisten Rechtshändern die Analyse von Phonemen, vor allem wenn sie grammatikalisch sequenti- eller Natur ist, eher in der linken He- misphäre stattfindet. Andererseits zeigt sich bei Personen mit Dyslexi- en neben linkshemisphärischen Störungen auch eine Reihe von rechtshemisphärischen Dysregula- tionen, wenn man die Kinder mit Le- se- und Schreibaufgaben konfron- tiert. Bei Analyse der elementa- ren Wahrnehmungsfähigkeiten zeigt sich, daß Schwierigkeiten im Unter- scheidungslernen von ähnlich klin- genden Lauten bestehen, die dann zu Verwechslungen und falschen Zu- sammensetzungen von Phonemen und später Buchstaben führen. Die Konsequenz dieser Tatsache ist eine Neuorganisation der beiden Hirnhe- misphären im akustischen Areal, wobei es zum „Zusammenwachsen“
der Repräsentationsareale für die einzelnen Laute im Gehirn kommt.
Durch intensives psychologisches
Training von einfachen Lautunter- scheidungsaufgaben lassen sich die Hirnareale wieder „trennen“.
Wir können also aufgrund unse- rer rudimentären Kenntnis der Orte der Störung im Gehirn eine lernpsy- chologisch fundierte Behandlung an- bieten, die außerordentlich wirksam ist, obwohl wir nicht genau wissen, wie im einzelnen der zelluläre und chemische oder genetische Mecha- nismus der Störung aussieht. Dies soll auch ein Trost für jene Ungedul- digen sein, die aus der Verhaltens- neurobiologie letztlich kausale Er- klärungen erwarten, die ihnen klare Handlungsanweisungen für Therapi- en geben. Wir können eine Reihe von Erkrankungen besser als noch vor wenigen Jahren behandeln, auch wenn wir die einzelnen Mechanis- men nicht bis ins letzte Molekül ver- stehen. Insofern waren die ersten Schritte einer psychophysiologi- schen Analyse der Hemisphärenun- terschiede durchaus erfolgreich, vor allem wenn man die geringe Zeit be- trachtet, die seit Beginn dieser For- schungen nach dem Zweiten Welt- krieg vergangen ist. Die nachlassen- de Interdisziplinarität im Bereich der Medizin, die zunehmende Kon- zentration auf einzelne, isolierte mo- lekulare Mechanismen und die stei- gende Förderung für angewandte, klinisch unmittelbar nutzbare For- schung wird den Fortschritt in Zu-
kunft weiter verlangsamen. Die Un- geduldigen unter unseren Lesern müssen also noch viel Geduld auf- bringen.
Prof. Dr. phil. Niels Birbaumer Institut für Medizinische Psycholo- gie und Verhaltensneurobiologie Gartenstraße 29
72074 Tübingen DISKUSSION/FÜR SIE REFERIERT
Beim langfristigen Vergleich von spontan auftretenden Komplikatio- nen bei intrakraniellen Aneurysmen wie Rissen und Subarachnoidalblu- tungen und den Risiken einer operati- ven Behandlung zeigte sich, daß bei Patienten mit einem Aneurysma von weniger als zehn Millimetern Durch- messer und ohne Vorgeschichte mit subarachnoidalen Blutungen eine Operation anscheinend die Raten von Todesfällen und bleibenden Schäden nicht senkt. Dies ist das Ergebnis ei- ner internationalen Studie zu Verlauf und Behandlung von unrupturierten intrakraniellen Aneurysmen, an der
53 medizinische Zentren in den USA, Kanada und Europa beteiligt waren.
Dabei wurden die Krankheitsverläufe von 1 449 Patienten retrospektiv aus- gewertet, bei denen entweder ein Aneurysma ohne Komplikationen festgestellt wurde oder die nach einer Subarachnoidalblutung erfolgreich behandelt worden waren. Weiterhin wurden die Verläufe von 1 172 Patien- ten prospektiv ausgewertet. Die Rate für Komplikationen durch Riß und Blutung lag unter 0,05 Prozent pro Jahr bei den Teilnehmern, deren Aneurysmata weniger als 10 Millime- ter Durchmesser hatten und bei de-
nen keine Blutung in der Vorgeschich- te aufgetreten war. Weiterer Ein- flußfaktor für Komplikationen war die Lage des Aneurysmas; günstigere Verläufe ergaben sich bei Aneurys- mata der Arteria communicans po- sterior als bei der Arteria basilaris.
Die Raten für bleibende Schäden oder Todesfälle bei Aneurysmaopera- tionen lagen dagegen ein Jahr nach dem Eingriff zwischen 15,7 und 13,1
Prozent. silk
The International Study of Unruptured Intracranial Aneurysms Investigators:
Unruptured intracranial aneurysms – risk of rupture and risks of surgical in- tervention, N Engl J Med 1998; 339:
1725–1733.
Dr. David O. Wiebers, ISUIA Coordinat- ing Center, Mayo Clinic, 200 First St. SW, Rochester, MN 55905, USA.
Krankheitsverlauf bei intrakraniellen Aneurysmen und Risiken der Operation
Diskussionsbeiträge
Zuschriften zu Beiträgen im medi- zinisch-wissenschaftlichen Teil – ausgenommen Editorials, Kon- greßberichte und Zeitschriftenrefe- rate – können grundsätzlich in der Rubrik „Diskussion“ zusammen mit einem dem Autor zustehenden Schlußwort veröffentlicht werden, wenn sie innerhalb vier Wochen nach Erscheinen der betreffenden Publikation bei der Medizinisch- Wissenschaftlichen Redaktion ein- gehen und bei einem Umfang von höchstens zwei Schreibmaschinen- seiten (30 Zeilen mit je 60 Anschlä- gen) wissenschaftlich begründete Ergänzungen oder Entgegnungen enthalten. Für Leserbriefe zu ande- ren Beiträgen gelten keine beson- deren Regelungen (siehe regel- mäßige Hinweise). DÄ/MWR