M E D I Z I N
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 51–52⏐⏐26. Dezember 2005 AA3599
Selbst neue Antipsychotika können nicht verhindern, dass die meisten schizophre- nen Patienten ihre Therapie abbrechen.
Auch wirken sie nicht wesentlich besser als ein klassischer Wirkstoff. Dies sind die wichtigsten Ergebnisse einer doppelblin- den, randomisierten Studie mit fast 1500 Patienten, die wegen ihrer Unabhängig- keit besonders erwähnenswert ist: Das National Institute of Mental Health, und nicht wie häufig die Herstellerfirmen, hatte das Projekt finanziert.
Eine Forschergruppe um Jeffrey Lie- berman, Columbia University, New York, verglich den Therapieerfolg von vier neuen antipsychotischen Medika- menten (Olanzapin, Quetiapin, Risperi- don, Ziprasidon) und einem klassichen (Perphenazin) über den für derlei Studi- en sehr langen Zeitraum von 18 Mona- ten. Die behandelnden Ärzte konnten die Dosierung individuell anpassen.
Insgesamt brachen drei Viertel der Pa- tienten die Behandlung ab – das Haupt- kriterium dieser Studie. Die Hälfte nahm bereits nach sechs Monaten das Medika- ment nicht mehr ein. Für Olanzapin war die Abbruchrate mit 64 Prozent am ge- ringsten, die der anderen Antipsychotika bewegte sich zwischen 74 und 82 Prozent (Perphenazin: 75 Prozent). Den – knapp nicht signifikanten – Unterschied zwi- schen Olanzapin und Perphenazin be- werten die Autoren als nur leicht und weisen auf das Risiko hin, unter langfri- stiger Olanzapin-Therapie an Gewicht zuzunehmen und an Diabetes mellitus zu erkranken.
Selbst in Bezug auf die bei klassischen Antipsychotika besonders gefürchteten extrapyramidalmotorischen Nebenwir- kungen war Perphenazin den teureren Vergleichssubstanzen nicht unterlegen, obwohl in der Perphenazin-Gruppe et- was mehr Patienten aus diesem Grund die Therapie beendeten als in den ande- ren Gruppen (8 Prozent versus 2 bis 4 Prozent).Allerdings hatten Patienten mit Bewegungsstörungen in der Anamnese Perphenazin nicht erhalten.
Zu der Frage, welchen Antipsychotika der Vorzug zu geben ist, passt auch eine ebenfalls im New England Journal of Medicine veröffentlichte Untersuchung
von Philip S.Wang und seinen Koautoren (Harvard University, Boston). Anfang des Jahres hatte die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) ge- warnt, dass die bei demenzkranken Pati- enten häufig eingesetzten atypischen An- tipsychotika mit einem im Vergleich zu Placebo nahezu verdoppelten Sterberisi- ko während der Therapie behaftet seien.
Die Autoren werteten retrospektiv Versicherungsdaten von über 20 000 äl- teren Patienten aus, die aus den verschie- densten Gründen Antipsychotika erhal- ten hatten. Bei den im Durchschnitt 83 Jahre alten Patienten, von denen jedoch nur rund die Hälfte auch an einer De- menz erkrankt war, ergab sich für kon- ventionelle Antipsychotika gegenüber der Benutzung eines atypischen Wirk- stoffs eine um den Faktor 1,37 (95% KI:
1,27 bis 1,49) erhöhte Wahrscheinlich- keit, innerhalb der ersten 180 Tage nach Therapiebeginn verstorben zu sein. Die Autoren haben einige mögliche Einfluss- faktoren, etwa Alter und Erkrankungen, in ihren Analysen berücksichtigt. Insge- samt starb im Untersuchungszeitraum fast jeder sechste Patient in dieser Grup- pe schwer erkrankter Menschen.
Wegen des retrospektiven Charakters der Untersuchung sollte man diese Er- gebnisse vorsichtig interpretieren. Auch Angaben zu einem direkten Zusammen- hang zwischen Antipsychotikagabe und Tod sind der Studie aus methodischen Gründen nicht zu entnehmen. bae Lieberman JA, Stroup TS, McEvoy JP et al.: Effectiveness of antipsychotic drugs in patients with chronic schizophrenia.
N Engl J Med 2005; 353: 1209–23. E-Mail: jlieberman@
columbia.edu
Wang PS, Schneeweiss S, Avorn J et al.: Risk of death in elderly users of conventional vs. atypical antipsychotic medications. N Engl J Med 2005; 353: 2335–41. E-Mail:
pwang@rics.bwh.harvard.edu
Neue Antipsychotika nicht besser als alte?
Referiert
Die Behandlung intrakranieller rupturierter Aneurysmen durch eine Blockade mit Platinspiralen (Coiling) bietet offenbar bessere Langzeitüberlebensraten als invasive Gehirnoperationen. So lautet das Ergebnis der 1-Jahres-Nachuntersuchung von 2 118 Patienten, die an der multizentrischen ISAT-Studie (International Subarachnoid Aneurysm Trial) teilnahmen.
Während man bei der traditionellen neurochirurgischen Behandlung operativ den Schädel eröffnet und das Aneurysma mit einem Clip abklemmt (Clipping), um den weiteren Blutfluss zu stoppen, führt man das Coiling endovaskular mit einem Kathe- ter durch.
Die Probanden wurden randomisiert entweder neurochirurgisch therapiert oder mittels Coiling-Technik behandelt. Für 2 118 von eingangs 2 143 Patienten lagen zum Zeitpunkt der Auswertung Follow-up-Daten vor. Von 1 055 Studienteilnehmern der Clipping-Gruppe waren 326 (30,9 Prozent) nach einem Jahr verstorben oder pflege- bedürftig. In der Coiling-Gruppe traf dies auf 250 von 1 063 (23,5 Prozent) Patienten zu, entsprechend einer absoluten Risikoreduktion von 7,4 Prozent (95-Prozent-Kon- fidenzintervall 3,6–11,2; p = 0,0001). Die Forscher berechneten zudem, dass dieser Überlebensvorteil bis zu sieben Jahre weiter besteht.
Das Risiko für einen Schlaganfall war in der Coiling-Gruppe deutlich niedriger als in der Clipping-Gruppe.Die Gefahr für spätere Blutungen wird von den Autoren zwar als gering eingestuft, ist infolge der Coiling-Behandlung jedoch größer als nach neu-
rochirurgischer Intervention. Se
Molyneux AJ, Kerr RSC, Yu LM et al., for the International Subarachnoid Aneurysm Trial (ISAT) Collaborative Group: Inter- national subarachnoid aneurysm trial (ISAT) of neurosurgical clipping versus endovascular coiling in 2143 patients with ruptured intracranial aneurysms: a randomised comparison of effects on survival, dependency, seizures, rebleeding, sub- groups, and aneurysm occlusion. Lancet 2005; 366: 809–17.
Dr. Andrew J. Molyneux, E-Mail: nvru@nds.ox.ac.uk