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Archiv "Passivrauchen und Lungenkrebs: 4 Lungenkrebs durch Passivrauchen — ein biostatistisches Artefakt?" (17.07.1995)

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MEDIZIN

I> Größe der Rauchbelastung:

Diese wird oft nicht einmal andeu- tungsweise mitgeteilt,

> Schadstoffgehaltsmessungen der Luft in Räumen, in denen ge- raucht wird.

Prof. Dr. med. Walter Hartenbach Perlacher Straße 42a

82031 Grünwald

4 Lungenkrebs durch Passivrauchen — ein biostatistisches Artefakt?

Die Autoren schließen aufgrund der bis jetzt vorliegenden epidemiolo- gischen Arbeiten, insbesondere zwei- er neuerer Fall/Kontrollstudien, daß das Lungenkrebsrisiko durch Passiv- rauchen geringfügig, aber doch er- kennbar erhöht ist. Sie sehen die Viel- zahl meistens nicht signifikanter, aber gleichgerichteter Korrelationen in diesen Studien als Beleg für einen sol- chen Zusammenhang an, obwohl es viel wahrscheinlicher ist, daß diese auf systematischen Fehlern beruhen.

Von den vielen Gründen, die für diese Annahme sprechen, möchten wir ei- nige anführen:

Durch Mißklassifikation von Rauchern oder Ex-Rauchern als Nie- malsraucher wird das relative Lun- genkrebsrisiko durch Passivrauchen fälschlicherweise erhöht. Der Beweis für diesen Zusammenhang ist längst erbracht, strittig ist lediglich die Größe des Einflusses (1, 2). Eine Miß- klassifikation entsteht dadurch, daß entweder Raucher ihr jetziges Rauch- verhalten verleugnen, was in 1 bis 6 Prozent (durchschnittlich in 2,5 Pro- zent) der Fälle zutrifft (1), oder Ex- Raucher ihr früheres Rauchen ver- drängen. Das bisher nicht bekannte Ausmaß dieser zeitabhängigen Miß- klassifikation deutet sich bei der MO- NICA-Studie der WHO in Augsburg an (3): Bei der Befragung im Jahre 1983/84 bezeichneten sich von insge- samt 2 840 Studienteilnehmern 688 als Ex-Raucher. Aber schon vier Jah- re später behaupteten 121 davon, das heißt 17,6 Prozent, niemals geraucht zu haben. Wie hoch deren Anteil in 20 Jahren, wenn die Latenzzeit für Lun- genkrebs allmählich abläuft, sein wird, kann nur vermutet werden. Da

DISKUSSION

das Lungenkrebsrisiko ehemaliger Raucher nur langsam zurückgeht und vermutlich nie mehr ganz auf das von Niemals-Rauchern abfällt, erhöht diese bis jetzt wenig beachtete Art der Mißklassifikation das Lungenkrebsri- siko der Patientengruppe unabhängig vom Passivrauchen weit stärker, als bisher angenommen.

Confounding-Faktoren sind eine weitere Ursache, durch die ein erhöh- tes Lungenkrebsrisiko durch Passiv- rauchen vorgetäuscht wird. Ganz all- gemein ist bekannt (4, 5, 6, 7, 8, 9), daß Raucher-Familien in sozial niedrige- ren Schichten und in Städten stärker vertreten sind, mehr Alkohol trinken sowie fettreicher und vitaminärmer essen. Nichtraucher, die mit einem Raucher verheiratet sind, passen sich in der Regel den Lebens- und insbe- sondere den Ernährungsgewohnhei- ten des rauchenden Partners an (6, 9, 18, 19, 20). Die Unterschiede sind so deutlich, daß sie in Fall/Kontrollstudi- en zwangsläufig Auswirkungen auf das Lungenkrebsrisiko der Patienten- gruppe ganz unabhängig vom Passiv- rauchen haben. Beispielsweise haben Alavanja et al. (10) in ihrer Studie über das Lungenkrebsrisiko nichtrau- chender Frauen gezeigt, daß ein Adenokarzinom in der Gruppe mit dem höchsten Fettverzehr elfmal häu- figer auftritt als in der Gruppe mit dem niedrigsten Fettverzehr. Beson- ders bedeutsam ist dieser Befund des- halb, weil es sich um die Art von Krebs handelt, die nach Fontham et al. (11; in der Zwischenzeit wurde da- zu eine Fortsetzung publiziert: 12) auch durch Passivrauchen verursacht werden soll.

Auch die mit angeblich verbes- serter Methodik durchgeführten Stu- dien von Fontham et al. (11, 12) und von Stockwell et al. (13) selbst zeigen, daß sich die Patientengruppen von den Kontrollgruppen in weit mehr Variablen als der Tabakrauchexposi- tion unterscheiden. Die Schwierigkei- ten, die einer Vergleichbarkeit der Fall- und Kontrollpersonen im Wege stehen, werden kaum gewichtet: An- gehörige niedrigerer sozialer Klassen sind erfahrungsgemäß weniger bereit, sich für solche Studien als Kontroll- gruppen zur Verfügung zu stellen.

Wenn ihre Auswahl wie in den Studi- en von Fontham et al. (11, 12) und von

Stockwell et al. (13) noch dazu abhän- gig gemacht wird von der Verfügbar- keit eines Telefons zur Durchführung der Befragung, wird die Selektion weiter verstärkt. Darüber hinaus ist die Response-Rate in der Kontroll- gruppe häufig niedriger als in der Pa- tientengruppe. In der Studie von Fontham et al. (12) beträgt der Unter- schied knapp 13 Prozent, und in der von Stockwell et al. (13) ist er offen- bar so groß, daß die Autoren erst gar keine Angaben darüber machen. Als Folge dieser Selektion überwiegen in beiden Studien in der Patientengrup- pe Personen mit geringerer Bildung und geringerem Einkommen. In der Studie von Fontham et al. (12) beträgt der Anteil derer mit weniger als High- school-Bildung in der Patientengrup- pe 33,1 Prozent und in der Kontroll- gruppe nur 21,2 Prozent. Wenn dann noch in beiden Studien bei den Pati- enten und den Kontrollen unter- schiedliche Befragungsmethoden ver- wendet werden, sind systematische Fehler, durch die das Ergebnis ver- zerrt wird, geradezu unausweichlich.

In Amerika ist die nicht durch Rauchen bedingte, das heißt raucher- bereinigte Mortalität von Personen mit weniger als Highschool-Bildung im Vergleich zu denen mit College- Abschluß bis zu dreimal höher (14).

Dies dürfte auch die Todesursache Lungenkrebs einschließen, zumal die- ser Zusammenhang für England gesi- chert ist (15). Warum dies so ist, ist ge- genwärtig nicht bekannt (14). Wenn aber bei klinischen Studien die direk- te Wirkung des zu untersuchenden Faktors (beispielsweise des Passiv- rauchens) im Vergleich zum Confoun- der (zum Beispiel dem sozioökonomi- schen Status) gering ist, ist es nahezu unmöglich, das durch den Confoun- der verursachte Bias mittels statisti- scher Methoden zu bereinigen. Die Stratifizierung der Studienpopulation nach Einkommen und Erziehung wie in den Untersuchungen von Fontham et al. (11, 12) und von Stockwell et al.

(13) zeigt zwar, daß die Autoren das Problem erkannt haben, sie können es damit aber nicht lösen. Was bleibt, ist die unbequeme Schlußfolgerung, daß wegen zahlreicher methodischer Unzulänglichkeiten in den bisherigen Studien ein erhöhtes Lungenkrebsri- siko durch Passivrauchen keineswegs Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 28/29, 17. Juli 1995 (55) A-2013

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MEDIZIN

als erwiesen angesehen werden darf (16, 17). Wir halten diese Klarstellun- gen deswegen für so wichtig, weil in zukünftigen Studien diese Zusam- menhänge berücksichtigt werden müssen, um zu eindeutigen Aussagen kommen zu können.

Literatur bei den Verfassern

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Klaus Thurau Physiologisches Institut

Universität München Pettenkoferstraße 12 80336 München

Prof. Dr. med. Franz Adlkofer Analytisch-biologisches Forschungslabor

Goethestraße 20 80336 München

Schlußwort

Wir freuen uns über die Gelegen- heit, einige zusätzliche Aspekte dar- stellen und auf einige Kommentare eingehen zu können. Die Endauswer- tung der Fontham-Studie (1) mit ins- gesamt 653 Lungenkrebsfällen und 1 253 Kontrollen wurde im Juni 1994 veröffentlicht — unser Manuskript wurde im Januar 1994 eingereicht und enthält daher nur die Zwischenaus- wertung — und bestätigt die Ergebnis- se der Zwischenauswertung deutlich.

Dr. Zapka weist zu Recht darauf hin, daß man sich bei einem Risiko von 1,3 in einem Bereich befindet, wo sichere epidemiologische Aussagen schwierig sind. Eine weitere umfangreiche in- ternationale Studie wird derzeit unter deutscher Beteiligung, nämlich des Bremer Instituts für Präventionsfor- schung und Sozialmedizin (BIPS), durchgeführt. Weitere epidemiologi- sche Studien zu dieser Fragestellung halten wir derzeit nicht für erforder- lich. Herr Professor Immich bemän- gelt die fehlende Angabe von Ori- ginalzahlen in epidemiologischen Ar- beiten. Auch wir sind der Meinung, daß zu häufig aus Platzgründen auf die Angabe nützlicher Tabellen ver- zichtet wird. In dem von Immich ge- nannten Beispiel lautet die Antwort:

Von den 420 Lungenkrebsfällen ha- ben 294 einen Raucher oder Exrau- cher als Partner gehabt. — In der Tat ist „Dauer der Exposition" und „Al- ter" hoch korreliert. Als Dosisvaria-

DISKUSSION

ble wird unter anderem deshalb oft auch die kumulative Belastung be- nutzt, bei der eine Korrelation zwar ebenfalls vorhanden, aber schwächer ist. Weiterhin ist in Fontham et al. (1) neben einer direkten Altersadjustie- rung auch eine Subgruppenanalyse (Untersuchung des Effekts nur für Fälle und Kontrollen innerhalb eines bestimmten Altersintervalls) durch- geführt worden. Die D osis-Wirkungs- Analysen für die Dosisvariable

„Pack-years of passive smoking expo- sure" ergab für alle einzelnen Alters- gruppen ähnliche Ergebnisse. Der Ef- fekt war etwas stärker in den jüngeren Altersgruppen (Fontham, pers. Mitt.).

Die Bemerkungen von Professor Hartenbach zu den statistischen Aus- wertungen treffen nicht zu: eine glei- che Zahl von Fällen und Kontrollen ist selbstverständlich nicht erforder- lich; Altersgleichheit ist in der Regel gewährleistet; retrospektive Erfas- sung der Exposition in Fall-Kontroll- studien ist gerade die Methode, mit der auf einen langen Beobachtungs- zeitraum verzichtet werden kann (2).

Die von den Professoren Thurau und Adlkofer zitierten Arbeiten, daß der Nachweis eines Zusammenhangs zwischen Passivrauchen und Lungen- krebs fehlt, stammen aus den Jahren 1984 und 1991 (3, 4) und enthalten die in unserem Artikel besonders hervor- gehobenen Studien (1, 5, 6) nicht. Sie sind deshalb wenig geeignet, als Beleg für den heutigen Sachstand herange- zogen zu werden. Weiter sprechen Thurau und Adlkofer Punkte an, de- ren korrekte Behandlung in epide- miologischen Studien tatsächlich die größte Herausforderung darstellt.

Mißklassifikation ist ein zu beachten- der Faktor, aber allein daraus läßt sich nicht ableiten, ob es zu einer Unter- oder Überschätzung des relativen Ri- sikos führt: Die Tatsache, daß ein Teil der Personen, die sich als Nicht- raucher ausgeben und eine Passiv- rauchexposition angeben, in Wirk- lichkeit selbst Raucher oder Exrau- cher sind, führt nur dann zu einer Un- terschätzung des relativen Risikos, wenn dieser Teil bei Fällen größer ist als bei Kontrollen. Die aus den oben genannten Studien vorliegenden Zah- len sprechen auch dagegen, daß eine Mißklassifikation hohen Ausmaßes vorliegt. Auf die von Thurau und Adl-

kofer genannten Zahlen, die eine sehr hohe Mißklassifikation suggerieren, soll hier nicht weiter eingegangen werden. Die zitierte Arbeit ist keine von der Studienleitung der MONI- CA-Studie autorisierte Publikation (Keil, pers. Mitt.).

Ähnliche Aussagen gelten für das Confounding. Bedingt durch die Tatsache, daß eine epidemiologische Studie eine Beobachtungsstudie und keine randomisierte Studie ist, läßt sich Confounding nie völlig aus- schließen. Die Tatsache, daß sich Pati- entengruppen von den Kontrollgrup- pen in weit mehr Variablen als der Passivrauchexposition unterscheiden, ist normal: Es gibt auch andere Risi- kofaktoren für Lungenkrebs. Die Tat- sache, daß nach Adjustierung nach Alter, ethnischer Zugehörigkeit, Stu- dienregion, Einkommen und Bil- dungsgrad immer noch ein deutlicher Effekt, insbesondere bei der Dosis- Wirkungs-Analyse, verbleibt, ist als ein deutlicher Beleg für das Vorhan- densein eines Zusammenhangs zwi- schen Passivrauchen und dem Entste- hen von Lungenkrebs zu interpretieren.

Literatur

1. Fontham ETH, Correa P, Reynolds P et al.:

Environmental tobacco smoke and lung cancer in nonsmoking women: a multicen- ter study. JAMA 1994; 271: 1752-1759.

2. Breslow N, Day N.: Statistical Methods in Cancer Research. Volume I — The analysis of case-control studies. IARC Scientific Pu- blications No. 32. International Agency for Research of Cancer, 1980, Lyon.

3. Wynder EL, Hoffmann D: Smoking and lung cancer: scientific challenges and op- portunities. Cancer Res 1984; 54:

5284-5295.

4. Fleiss JL, Gross AJ: Meta-analysis in epide- miology, with special reference to studies of the association between exposure to envi- romental tobacco smoke and lung cancer: a critique. J Clin Epidemiol 1991; 44:

127-139.

5. Fontham ETH, Correa P, Wu-Williams A, Reynolds P et al.: Lung cancer in nonsmok- ing women: a multicenter case-control stu- dy. Cancer Epidemiology, Biomarkers &

Prevention 1991; 1: 35-43.

6. Stockwell HG, Golduran AL, Noss CL: En- vironmental Tobacco Smoke and Lung Cancer Risk in Nonsmoking Women. Jour- nal of the National Cancer Institute 1992;

84: 1417-1422.

Dr. rer. nat. habil. Heiko Becher Prof. Dr. sc. math.

Jürgen Wahrendorf

Deutsches Krebsforschungszentrum Abteilung Epidemiologie

Postfach 10 19 49 69009 Heidelberg

A-2014 (56) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 28/29, 17. Juli 1995

Referenzen

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