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Archiv "Gesundheitsrisiken durch Passivrauchen" (27.10.2000)

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A

ls Anfang der 80er-Jahre Hiraya- ma und Trichopolus (21, 22, 66) über ein erhöhtes Lungenkrebs- risiko bei Ehepartnern von Rauchern berichteten, begann die anscheinend un- endliche Geschichte des Methoden- streits um die Belastbarkeit der epide- miologischen Resultate zum Passivrau- chen. Unter Passivrauchen versteht man die inhalative Aufnahme von Tabak- rauch aus der Raumluft, im Englischen als Environmental Tobacco Smoke (ETS) bezeichnet. Diese setzt sich zu- sammen aus dem exhalierten Haupt- stromrauch, der durch das Ziehen an ei-

ner Zigarette entsteht, und dem Neben- stromrauch, der auf das Glimmen der Zigarette zurückzuführen ist. Der Hauptstromrauch enthält eine komple- xe Mischung von Gasen, Dämpfen und Partikeln, die insgesamt mehr als 4 500 Stoffe umfassen, von denen 50 als Kan- zerogene bekannt oder verdächtigt sind (29). Der Nebenstromrauch, der bei ver- gleichsweise niedrigeren Verbren- nungstemperaturen von 400 bis 700 Grad Celsius entsteht, zeigt zum Teil deutlich höhere Schadstoffkonzentratio- nen. Aber nicht nur die Gefährlichkeit

der „Emissionen“ wurde gezeigt. In Räumen, in denen geraucht wird, sind zudem messbar höhere Schadstoffkon- zentrationen, beispielsweise an polyzy- klischen aromatischen Kohlenwasser- stoffen, als in Räumen, in denen nicht geraucht wird. Alle diese Substanzen werden vom Passivraucher aufgenom- men und verstoffwechselt. Tierexperi- mentelle Befunde bestärken die Annah- me einer kanzerogenen Wirkung von ETS. Auf diese Evidenz und die epide- miologischen Studien gestützt, hat die Senatskommission zur Prüfung gesund- heitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deut- schen Forschungsgemein- schaft kürzlich Passivrau- chen als krebserzeugend für den Menschen eingestuft (Kategorie III/1) (19). Sie kommt dabei zu der gleichen Einschätzung wie bereits 1993 die US-amerikanische Umweltbehörde EPA (En- vironmental Protection Agency). Allerdings wurde 1998 diese Einschätzung der EPA durch ein amerikani- sches Gericht in wichtigen Teilen für ungültig erklärt.

Eine wesentliche Rolle bei dieser Entscheidung spiel- te, neben rein formaljuristi- schen Gründen, die oben be- reits angesprochene Methodenproble- matik. Ziel dieses Beitrags ist, die neue- re wissenschaftliche Evidenz zur gesund- heitsschädlichen Wirkung von Passiv- rauchen darzustellen und den Stellen- wert der methodischen Argumente zu beleuchten.

Epidemiologische Studien zum Lungenkrebs

Die Passivrauchbelastung durch den rauchenden Partner ist eine bedeutsa- me Expositionsquelle und lässt sich dar- über hinaus vergleichsweise leicht erhe- ben. Die relativen Risiken für Lungen-

Gesundheitsrisiken durch Passivrauchen

Zusammenfassung

Seit Jahren wird die gesundheitsgefährdende Wirkung des Passivrauchens immer wieder kontrovers diskutiert. Insbesondere auf der Ba- sis von epidemiologischen Studien stufen na- tionale und internationale Gremien und Orga- nisationen das Passivrauchen als Humankanze- rogen ein. Darüber hinaus gibt es deutliche Be- lege für einen Zusammenhang zwischen Passivrauchexposition und Erkrankungen in der frühen Kindheit, dem Auftreten von Er- krankungen der unteren Atemwege, plötz- lichem Kindstod, Asthma und Asthmasympto- men sowie Mittelohrentzündung. Ein erhöhtes Mortalitätsrisiko für koronare Herzerkrankun- gen erscheint ebenfalls wahrscheinlich. Vor diesem Hintergrund müssen die Anstrengun- gen zur Prävention von Aktiv- und Passivrau- chen verstärkt werden. Generelle Regeln für die Entschädigung von durch Passivrauchen am Arbeitsplatz verursachte Bronchialkarzi- nomfälle müssen entwickelt werden.

Schlüsselwörter: Passivrauchen, Arbeitsplatz- belastung, Krebsrisiko, Gesundheitsrisiko, Ta- bakindustrie

Summary

Health Hazards from Passive Smoking Health hazards from environmental tobacco smoke have been discussed controversially for a while. On the basis of epidemiological studies national and international agencies and organizations categorize passive smoking as carcinogenic in humans. Furthermore, there is pretty good evidence for a causal relation- ship between passive smoking and diseases in early childhood, such as lower respiratory tract illness, sudden infant death syndrome, asthma and respiratory symptoms and middle ear dis- ease. An increased risk in coronary heart dis- ease mortality seems probable too. Therefore our efforts to prevent active and passive smok- ing should be increased. There is also an urgent need to develop general rules for the compen- sation of lung carcinoma cases due to passive smoking at the workplace.

Key words: passive smoking, workplace ex- posure, cancer risk, health hazard, tobacco industry

Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epi- demiologie (Direktor: Prof. Dr. rer. nat. Karl-Heinz Jöckel) des Universitätsklinikums Essen

Karl-Heinz Jöckel

PPaassssiivvrraauucchheenn ggeeffäähhrrddeett ddiiee GGeessuunnddhheeiitt

PPaassssiivvrraauucchheenn ggeeffäähhrrddeett ddiiee GGeessuunnddhheeiitt

M e d i z i n

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krebs bei lebenslangen Nichtrauchern, die mit einem rauchenden Partner zu- sammengelebt haben, im Vergleich zu Nichtraucherpaaren sind in der Grafik wiedergegeben. Die Metaanalyse von Hackshaw et al. (20) zeigt für Männer ein relatives Risiko von 1,34 (95 Pro- zent Konfidenzintervall [KI]: 0,97 bis 1,84) und für Frauen von 1,24 (95 Pro- zent KI: 1,13 bis 1,36). Für beide Ge- schlechter zusammen ergibt sich damit ein Exzessrisiko von 24 Prozent mit ei- nem 95 Prozent Konfidenzintervall von 13 bis 36 Prozent (20). Die Einbezie- hung zweier weiterer Studien, die nicht nach dem Geschlecht differenziert ha- ben, ändert an dieser Risikoschätzung praktisch nichts. Auch zeigten sich kei- ne relevanten Unterschiede hinsichtlich der geographischen Region (USA, Eu- ropa, Japan, China und Hongkong), dem Jahr der Publikation oder dem ge- wählten Studiendesign (Fall-Kontroll- versus Kohortenstudie).

Für 16 der in die Metaanalyse einbe- zogenen Studien standen die Daten für die Berechnung einer Dosis-Wirkungs- Beziehung zur Verfügung. Mit jeden zehn zusätzlichen Zigaretten, die durch den Partner geraucht wurden, stieg das Risiko um 23 Prozent an (95 Prozent KI: 14 Prozent bis 32 Prozent). Bei elf Studien lagen Informationen zur An- zahl der Jahre mit einem rauchenden Ehepartner vor. Das Risiko stieg mit je- der Dekade der Exposition um elf Pro- zent (95 Prozent KI: 4 bis 17 Prozent).

Methodische Kritik und die Ergebnisse von Metaanalysen

Kaum eine Fragestellung aus dem Be- reich der so genannten kleinen Risiken (23) hat so viele Wissenschaftler auf den Plan gerufen, die sich – meist ohne eigene epidemiologische Studienerfah- rung – mit möglichen, vermeintlichen oder tatsächlichen Verzerrungsquellen auseinandergesetzt haben. Sieht man einmal von der besonders in Deutsch- land beliebten Praxis der „worst case“- Betrachtung ab (was könnte denn alles so schief gegangen sein?), die meist zu einem mehr oder weniger intelligenten Extrakt eines Standard-Epidemiologie- lehrbuchs führt, so gibt es durchaus ernst zu nehmende Kritikpunkte, die

sich auf die Fehlklassifikation von Rau- chern oder Exrauchern als Nichtrau- cher und potenziell relevante Confoun- der beziehen.

Da man bei der Ermittlung von le- benslangen Nichtrauchern auf die Ei- genangaben dieser Personen angewie- sen ist, sind diese Angaben zum Teil falsch. Da Raucher eher mit Rauchern als mit Nichtrauchern zusammen leben, haben fälschlicherweise als Nichtrau- cher bezeichnete Raucher auch eine höhere Passivrauchbelastung durch den rauchenden Partner (28). Sowohl Hack- shaw et al. in der zitierten Metaanalyse als auch die EPA (67) haben diese poten- zielle Verzerrungsquelle in so genannten Sensitivitätsanalysen berücksichtigt und dabei festgestellt, dass sie zwar das Risi- ko absenken, es aber gleichwohl erhöht bleibt. Keinesfalls konnte die von Lee (38, 39, 40) geäußerte Auffassung, die gesamte Erhöhung des relativen Risikos könne dieser Fehlklassifikation zuge- schrieben werden, bestätigt werden.

Außerdem ist bekannt, dass Raucher ein für das Lungenkrebsrisiko ungünsti- geres Ernährungsverhalten (durch ge- ringeren Obst- und Gemüsekonsum) ha- ben als Nichtraucher. Tatsächlich zeigt sich aber in individuellen Studien (5, 6, 31, 36), wie auch in der Metaanalyse (20), dass dieser Effekt vernachlässigbar ist: Nur zwei Prozent des 24-prozentigen Exzessrisikos sind auf mögliche Einflüs- se der Ernährung zurückzuführen.

Neben den oben genannten Verzer- rungsquellen, die artifiziell zu einer Er- höhung des Risikos führen können, gibt es aber auch solche Fehlerquellen, die das Risiko künstlich erniedrigen kön- nen. Erinnern beispielsweise Erkrankte und Nichterkrankte in vergleichbarer Weise stattgehabte Passivrauchexposi- tionen nicht adäquat, so kann diese nicht differenzielle Fehlklassifikation eine künstliche Erniedrigung des Risi- kos bedingen. Am schwersten dürfte aber wohl die Tatsache wiegen, dass bei Studien über den rauchenden Partner andere Expositionsquellen der Passiv- rauchbelastung außer Betracht bleiben und somit angeblich nichtexponierte Personen in Wahrheit doch exponiert sind, was wiederum zu einer künstlichen Absenkung des Risikos führen kann.

Basierend auf publizierten Studien zur Konzentration von Cotinin, einem spe-

zifischen Metaboliten des Nikotin im Urin, würde dies zu einer Korrektur des relativen Risikos von 1,24 auf 1,42 (95 Prozent KI: 1,21 bis 1,66) führen (20).

In der gemeinsamen Betrachtung der drei Verzerrungsquellen, der Fehl- klassifikation von Rauchern, des Con- founding durch Ernährung und der Nichtberücksichtigung anderer Exposi- tionsquellen, berechnen Hackshaw et al. (20) ein relatives Risiko von 1,26.

Dies entspricht praktisch dem unadju- stierten Risiko.

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf das Problem der Selektion bei der Veröffentlichung von Studien. Posi- tive Studien könnten grundsätzlich eine höhere Chance besitzen publiziert zu werden als negative Studien. So be- haupten Copas et al. (12), dass die Me- taanalyse von Hackshaw et al. diesem so genannten Publication Bias unterlie- ge und das Risiko somit überschätzt wä- re. Allerdings zeigen Copas et al. auch Daten, die belegen, dass erst bei relativ unrealistischen Annahmen über die Nichtveröffentlichung von Studien ein insignifikanter Passivraucheffekt resul- tieren würde. Das heißt, es müssten deutlich mehr als neun große und 14 kleinere durchgeführte Studien (insge- samt also 23) unpubliziert geblieben sein, bevor ein insignifikantes Ergebnis beobachtet würde. Diese Gesamtzahl von 23 nichtveröffentlichten Studien würde einer Publikationsrate der 37 verwendeten von 62 Prozent entspre- chen. Copas et al. selbst halten eine 62- prozentige Publikationsrate für reali- stisch und den Daten angemessen.

Aber selbst dann würde ein statistisch signifikantes relatives Risiko von 1,15 mit einem 95 Prozent KI von 1,03 bis 1,28 resultieren. Auch wenn man in heutigen Zeiten des allgemeinen Publi- kationsdrucks diese Zahl noch für un- realistisch hoch halten mag, fordern diese Überlegungen doch dazu heraus, sich mit größeren Einzelstudien und de- ren Ergebnissen zu beschäftigen.

Bewertung von Einzelstudien

Besondere Bedeutung haben dabei sol- che Studien, die über eine hinreichende Anzahl von Fällen verfügen und die oben genannten Kritikpunkte bereits in

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der Studienplanung berücksichtigen.

Geht man dabei von einer Mindestzahl von 400 Lungenkrebsfällen aus, zeich- net sich die negative Studie von Brown- son et al. (6) durch eine gute Dokumen- tation, die Erfassung der Exposition ge- genüber Passivrauch zu Hause und am Arbeitsplatz sowie einer Berücksichti- gung möglicher Störgrößen aus, während die Studie von Wu-Williams et al. (70) als wenig valide zu bewerten ist.

Besondere Bedeutung haben die bei- den übrigen Studien von Fontham et al.

(14) und Boffetta et al. (4), weil sie auf die eventuelle Fehlklassifikation von Rauchern eingehen, aber auch die be- rufliche Exposition gegenüber bekann- ten Kanzerogenen, Ernährungsge- wohnheiten und die soziale Schicht berücksichtigen. Die Studie von Font- ham et al. (14) zeigt ein relatives Risiko der Passivrauchbelastung durch den rauchenden Partner von 1,26 (95 Pro- zent KI: 1,04 bis 1,54). Weiterhin zeigt sie ein statistisch signifikantes relatives Risiko von 1,79 für eine besonders hohe Exposition von mehr als 80 Packungs- jahren (dabei entspricht ein Packungs- jahr der Exposition von einer Packung pro Tag für ein Jahr) und ein mit der Dauer der Exposition am Arbeitsplatz signifikant zunehmendes Risiko, das für mehr als eine 30-jährige Exposition den Wert 1,86 (95 Prozent KI: 1,24 bis 2,78) erreicht. In der europäischen Mul- tizenterstudie von Boffetta et al. (4) war das relative Risiko der Exposition durch den rauchenden Partner mit 1,16 stati- stisch nicht signifikant erhöht, gleich- wohl zeigte sich für eine Exposition von mehr als 23 Packungsjahren ein erhöh- tes relatives Risiko von 1,64 (p < 5 Pro- zent). Für die Berücksichtigung der Dauer der Exposition (in Stunden/Tag mal Jahre) zeigte sich ein statistisch sig- nifikanter Anstieg (test of trend p = 0,02), wobei die am höchsten belastete Gruppe mit mehr als 223 Stunden/Tag mal Jahre ein relatives Risiko von 1,8 (95 Prozent KI: 1,12 bis 2,9) aufwies.

In die Ergebnisse dieser Multizenter- studie sind auch teilweise die Daten zweier deutscher Studien (30) einge- flossen, deren Ergebnisse in der Tabelle dargestellt sind. Dabei wurden für die statistische Auswertung der Daten die Erfahrungen aus einer vorangegange- nen Methodenstudie von Becher et al.

Butler (9), USA Cardenas et al. (10), USA

Hirayama (22), Japan

Akiba et al. (1), Japan

Brownson et al. (7), USA Brownson et al. (6), USA Buffler et al. (8), USA Chan/Fung (11), China Correa et al. (73), USA Du et al. (13), China Fontham et al. (14), USA Gao et al. (15), China Garfinkel et al. (16), USA Hole et al. (24), Schottland*1 Humble et al. (25), USA Inoue und Hirayama (26), Japan Janerich et al. (27), USA*1 Jöckel (28), Deutschland Jöckel et al. (30), Deutschland*1 Kabat et al. (32), USA Kabat und Wynder (33), USA Kalandidi et al. (34), Griechenland Koo et al. (35), Hongkong Lam (74), Hongkong Lam et al. (37), Hongkong Lee et al. (41), England Liu et al. (46), China Liu et al. (45), China Pershagen et al. (52), Schweden Rapiti et al. (60), Indien*1 Shimzu et al. (62), Japan Sobue (63), Japan Stockwell et al. (64), USA Sun et al. (65), China Trichopolous et al. (66), Griechenland Wang et al. (68), China Wu et al. (69), USA Wu-Williams et al. (70), China Zaridze et al. (72), Rußland Zaridze et al. (71), Rußland*1 Hackshaw et al. (20)*2 Garfinkel (16), USA

Boffetta et al. (4), Europa*1

Geng et al. (17), China Fall-Kontroll-Studien Kohortenstudien Studie/Land

0,01 0,1 1 10 100

*1 Nicht in der Metaanalyse von Hackshaw et al. (1997) enthalten

*2 Metaanalyse, 37 Studien für Frauen, 9 Studien für Männer Frauen

Männer Beide Geschlechter

Relatives Risiko für höchste Exposition (studienabhängig) p < 5 Prozent Relatives Risiko für höchste Exposition (studienabhängig) p 5 Prozent Grafik

Relative Risiken (RR) und 95-Prozent-Konfidenzintervall für Lungenkrebs durch Passivrauchen. Über- sicht über epidemiologische Studien zum Passivrauchrisiko durch den rauchenden Partner (modifi- ziert nach Greim, 1998).

(4)

(3) benutzt, die eine höhere Fehlklassi- fikation der Passivrauchbelastung für niedrig Exponierte nahe legt. Um das Signal vom Rauschen abtrennen zu können, wurden für die untersuchten Expositionsquellen nur solche Perso- nen als exponiert angesehen, deren Be- lastung höher als die 75ste Perzentile der Verteilung bei Fällen und Kontrol- len war. Alle anderen Personen wurden als gering oder nie belastet eingestuft.

Unter den als passivrauchbelastet ein- gestuften Personen wurden diejenigen jenseits der 90sten Perzentile als hoch, alle übrigen als relevant belastet ange- sehen. Bei Berücksichtigung aller Ex- positionsquellen war in der einen Stu- die das relative Risiko der am höchsten exponierten Gruppe mit 2,09 signifi- kant erhöht, während es in der anderen mit 1,41 die statistische Signifikanz ver-

fehlte. Bezogen auf die Exposition am Arbeitsplatz zeigt eine Metaanalyse der beiden Studien, basierend auf 335 ge- ring oder nie exponierten Fällen, für re- levante Exposition ein relatives Risiko von 1,63 (95 Prozent KI: 0,94 bis 2,84; 19 Fälle) und für hohe Exposition von 1,95 (95 Prozent KI: 1,11 bis 3,42; 21 Fälle).

Die Ergebnisse beider Studien sind inzwischen auch international publi- ziert (31, 36). Die Berücksichtigung der beruflichen Exposition gegenüber be- kannten Kanzerogenen oder von Er- nährungsgewohnheiten führte weder hier noch in der Multizenterstudie zu einer relevanten Veränderung der ge- schätzten Risiken (4, 31, 36). Außer- dem zeigte eine Validierungsstudie in- nerhalb der Multizenterstudie, dass die Fehlklassifikation von Rauchern als Nichtraucher unter der gewählten strin-

genten Definition von „Nierauchern“

in der Studie ein quantitativ vernachläs- sigbares Problem darstellt (49). Interes- santer Weise gibt es darüber hinaus Hinweise darauf, dass, wie beim Ak- tivrauchen, mit steigender Dauer der Nichtexposition eine Reduktion der Ri- siken zu beobachten ist (48). Dies führt dazu, dass Analysen, die diesen Effekt nicht berücksichtigen, die Risiken ten- denziell unterschätzen. Berücksichtigt man die veränderte Einstellung zum Rauchen und das Aufgeben des Rau- chens in älteren Bevölkerungsgruppen in den industrialisierten Ländern, könnte hier auch eine Erklärung für die in jüngeren Studien im Vergleich zu äl- teren beobachteten niedrigeren Risi- ken der Exposition auf dem Niveau von Ja/Nein-Antworten bezüglich der Ex- position durch den Partner liegen.

´ TabelleC´

Lungenkrebsrisiko für Passivrauchen: Ergebnisse zweier deutscher Studien für lebenslange Nichtraucher*1(30)

Studie 1 (BIPS) Studie 2 (GSF)

Exposition*2 Kontrollen Fälle Odds Ratio*3 95 % Konfidenz-

Exposition*2 Kontrollen Fälle Odds Ratio*3 95 % Konfidenz-

intervall intervall

Partner Partner

nie 158 30 1,00 Referenz nie 1 003 158 1,00 Referenz

jemals mit 78 41 1,58 0,83–2,98 jemals mit 420 146 0,93 0,69–1,25

rauchendem rauchendem

Partner zusam- Partner zusam-

mengelebt mengelebt

nie beziehungs- 215 63 1,00 Referenz nie beziehungs- 1 328 267 1,00 Referenz

weise gering weise gering

relevant 15 4 0,43 0,13–1,39 relevant 64 16 0,70 0,39–1,25

hoch exponiert 6 4 1,51 0,39–5,85 hoch exponiert 31 21 1,59 0,88–2,88

Arbeitsplatz Arbeitsplatz

nie beziehungs- 209 60 1,00 Referenz nie beziehungs- 1 296 275 1,00 Referenz

weise gering weise gering

relevant 17 6 2,64 0,89–7,79 relevant 79 13 1,23 0,65–2,34

hoch exponiert 10 5 1,91 0,58–6,36 hoch exponiert 48 16 1,97 1,04–3,71

Alle Quellen*4 Alle Quellen*4

nie beziehungs- 143 38 1 Referenz nie beziehungs- 962 200 1 Referenz

weise gering weise gering

relevant 59 15 1,05 0,52–2,12 relevant 256 47 0,88 0,61–1,27

hoch exponiert 34 18 2,09 1,02–4,28 hoch exponiert 205 57 1,41 0,98–2,01

*1Lebenslange Nicht- und Gelegenheitsraucher

*2Definition siehe Text

*3adjustiert für Geschlecht, Alter, Region und Raucherstatus

*4Kindheit, Partner, Arbeitsplatz, öffentliche Transportmittel, andere öffentliche Gelegenheiten

(5)

Aus den größeren, qualitativ besse- ren Studien lässt sich insgesamt folgern, dass sowohl für die Exposition durch den rauchenden Partner als auch am Ar- beitsplatz deutliche Dosis-Wirkungs- Beziehungen für einen kausalen Zu- sammenhang von ETS-Expositionen und dem Auftreten von Lungenkrebs sprechen.

Karzinogene Wirkung der Passivrauchbelastung

Die vorliegenden toxikologischen Da- ten, die Ergebnisse von Tierexperimen- ten, die Kanzerogenitätsuntersuchungen in Körperflüssigkeiten, aber insbesonde- re die epidemiologischen Studien ma- chen eine lungenkarzinogene Wirkung der ETS-Belastung höchst wahrschein- lich. Dass das eingangs erwähnte Urteil eines amerikanischen Gerichts der ent- sprechenden Einstufung der EPA wider- spricht, bedarf einer kurzen Kommentie- rung. Grundlage der richterlichen Ent- scheidung war neben einer speziellen Auslegung der Ermächtigungsgrundlage (51) der Vorwurf der mangelnden Berücksichtigung von Confoundern, ei- ne Kritik an der Auswahl der berücksich- tigten Studien und dem gewählten Ni- veau der Konfidenzintervalle von 90 Pro- zent (18). Inwieweit die Rechtsgrundlage die EPA zu einer solchen Einstufung be- rechtigte, muss sicherlich der amerikani- schen Rechtsfindung überlassen bleiben.

Aus wissenschaftlicher Sicht führen auch die Berücksichtigung weiterer Studien sowie weitergehende Sensitivitätsanaly- sen als die umfangreichen der EPA, wie die obigen Ausführungen belegen, zu keiner neuen Einschätzung. Das von der EPA gewählte Konfidenzniveau von 90 Prozent korrespondiert zu einem einsei- tigen Test zum Niveau a= 5 Prozent, was grundsätzlich vertretbar ist, da eine pro- tektive Wirkung des Passivrauchens si- cherlich ausgeschlossen werden kann.

Aber auch Konfidenzintervalle zum Ni- veau 95 Prozent schließen, wie die Meta- analyse von Hackshaw et al. zeigt, die 1 nicht ein, sodass die statistisch gefunde- nen Auffälligkeiten auch zweiseitig signi- fikant sind.

Auch für andere Lokalisationen exi- stieren Hinweise auf eine karzinogene Wirkung von ETS, jedoch ist die Evi-

denz deutlich geringer, da entweder die Studienumfänge zu klein sind oder Ef- fekte nur in Untergruppen gefunden werden. Für weitere Literatur sei hierzu auf (19) verwiesen.

Andere gesundheitliche Gefährdungen

Nachdem das Aktivrauchen einen star- ken Risikofaktor für Atemwegserkran- kungen und Erkrankungen des Herz- Kreislauf-Systems darstellt, erscheint ein vergleichbares Risiko durch das Passiv- rauchen zumindest plausibel. Inzwi- schen liegen eine Fülle epidemiologi- scher Studien aber auch tierexperimen- telle Befunde zu weiteren gesundheitli- chen Risiken des Passivrauchens vor.

Nach Ansicht der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemein- schaft (DFG) belegen die neuesten Me- taanalysen den Zusammenhang zwi- schen ETS-Exposition und Erkrankun- gen in der frühen Kindheit, dem Auf- treten von Erkrankungen der unteren Atemwege, plötzlichem Kindstod, Asthma und Asthmasymptomen sowie Mittelohrentzündung. Auch für Er- wachsene erscheint ein Zusammenhang des Passivrauchens mit Atemwegs- beschwerden und Lungenfunktionsstö- rungen plausibel. Die Daten aus pro- spektiven Studien und Fall-Kontroll- Studien hält die DFG-Kommission für ausreichend, von einem erhöhten Mor- talitätsrisiko der koronaren Herzkrank- heit auszugehen (19). Da die sich dabei ergebenden relativen Risiken eine ver- gleichbare Größenordnung wie für das Lungenkarzinom aufweisen, Herzer- krankungen aber wesentlich häufiger auftreten, ergeben sich für die Erkran- kungen des Herz- und Gefäßsystems et- wa fünf- bis zehnmal höhere durch das Passivrauchen verursachte Fallzahlen als für das Bronchialkarzinom.

Zusammenfassende Bewertung

Ein halbes Jahrhundert nach dem Vor- liegen international beachteter Studien zur lungenkarzinogenen Wirkung des aktiven Tabakrauchens, nahezu 20 Jahre nach den Studien von Hirayama

und Trichopolous, gibt es eine deutliche wissenschaftliche Evidenz für die ge- sundheitsschädliche Wirkung auch des Passivrauchens.

Während jedoch Risiken des Aktiv- rauchens kaum mehr ernsthaft bestrit- ten werden, erscheint kaum ein Artikel zum Risiko von Passivrauchen ohne nachgehende kritische Leserbriefe, die versuchen, vermeintliche oder wirkli- che Mängel der vorgelegten Studie auf- zuspießen. Gleichzeitig erscheint eine Fülle wissenschaftlicher Publikationen, die das gesundheitliche Risiko von ETS zu relativieren versuchen. Erwäh- nenswert ist in diesem Zusammenhang eine Batterie von Studien die „zufällig“

in den gleichen Orten wie die bereits zitierte europäische Multizenterstudie (4) durchgeführt wurde (53–58). In epi- demiologisch methodisch fragwürdigen Monitoringstudien wird der Nachweis versucht, dass die Exposition gegen- über Passivrauch mit vergleichsweise geringen inkorporierten Schadstoffbe- lastungen einhergeht. In einer dieser Publikationen (57) wurden nachweis- lich falsche Aussagen über die NO2- Konzentrationen der Luft genannt. Be- zeichnenderweise erfolgte die Publika- tion in einem Journal, das Leserbriefe gar nicht vorsieht! In welcher Weise diese Studien in eine generelle Strate- gie der Tabakindustrie eingebunden sind, die erwarteten Ergebnisse der IARC-Studie zu konterkarieren, zeigt die jüngste Publikation von Ong und Glantz (50) im Lancet.

Leicht ließe sich vor diesem Hinter- grund eine Publikation im Amerikani- schen Ärzteblatt (2) nutzen, die zeigt, dass bei 106 Review-Artikeln zur gesund- heitsschädlichen Wirkung von Passiv- rauchen als einziger relevanter prog- nostischer Faktor für die Bejahung ei- ner solchen Wirkung eine „affiliation to tobacco industry“ herausgekommen ist.

Aus methodischer Sicht bleibt bei einer solchen Assoziation unklar, ob die nahe gelegte Wirkung (Verneinung eines gesundheitlichen Risikos durch ETS) dem Faktor (affiliation to tobacco indu- stry) geschuldet ist, oder ob dieser Per- sonenkreis nicht per se eine deutlich liberalere Haltung zur Tabakindustrie zeigt. Die Zigarettenindustrie hat bis- lang keinen Versuch unternommen, dem vermeintlichen oder realen Ge-

(6)

sundheitsrisiko durch Passivrauchen tatsächlich durch eigene fundierte Stu- dien auf den Grund zu gehen. Ist dies so zu interpretieren, dass sie von der Nutz- losigkeit dieses Unterfangens bereits überzeugt ist?

Die bislang vorgelegte wissenschaft- liche Evidenz jedenfalls lässt eindeutig mehr Hinweise für eine gesundheitsge- fährdende Wirkung des Passivrauchens als gegen sie erkennen.

Eine historische Reminiszenz

Die lungenkanzerogene Wirkung des Tabakrauchs wurde schon durch Publi- kationen deutscher Ärzte in den 20er- und 30er-Jahren (42, 43, 44, 47, 61) be- legt. F. Lickint, hat bereits 1935 (43) auf das Lungenkrebsrisiko durch Passi- vrauchen hingewiesen und diesen Be- griff auch zuerst geprägt (44, 59).

Präventive und sozial- medizinische Konsequenzen

Aufgrund der oben dargestellten Er- gebnisse zur gesundheitsschädlichen Wirkung des Passivrauchens und der unbestrittenen schädigenden Wirkung des Aktivrauchens ist jeder Beitrag zur Prävention des Rauchens nicht nur ein Beitrag zum Schutz der Raucher, son- dern auch der Nichtraucher! Den Be- ginn des Rauchens zu verhindern, eine Reduktion der gerauchten Tabakmen- ge zu erreichen und das Aufgeben des Rauchens zu fördern, schützt nicht nur den Raucher, sondern auch all jene Personen, die durch diesen Raucher durch ETS belastet werden. Die Ein- sicht hierfür und die Akzeptanz von ge- eigneten Verfahren, wie zum Beispiel Reduktion der Tabakreklame und er- schwerter Zugang zu Tabakprodukten ist in der Bevölkerung allgemein ver- breitet.

Neben der Vermeidung zukünftiger gesundheitlicher Schäden durch Passiv- rauchen bedarf die sozialmedizinische Aufarbeitung bereits gesetzter Schäden besonderer Beachtung. Hier erscheint es erforderlich, Kriterien zu entwickeln, die bereits gesundheitlich Geschädigten Gerechtigkeit zuteil werden lassen. An erster Stelle sind hierbei Bronchialkarzi-

nome aufgrund von Passivrauchbela- stung am Arbeitsplatz zu nennen. Auf der Basis der Einstufung der MAK- Kommission der Senatskommission der DFG müssen dringend Prozeduren entwickelt werden, die zumindest gestat- ten, Bronchialkarzinomfälle bei Nicht- rauchern aufgrund stattgefundener Pas- sivrauchbelastung am Arbeitsplatz einer adäquaten Entschädigung zuzuführen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A 2852–2857 [Heft 43]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. rer. nat. Karl-Heinz Jöckel Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie 45122 Essen

Aufgrund ihrer Konzeption sind Be- obachtungsstudien leichter durchzu- führen als kontrollierte Studien. Sie weisen auch häufiger größere Pa- tientenzahlen auf und es wird ihnen eine größere Aussagekraft bezüglich einer Therapiewirkung unterstellt.

Diese Annahme wurde nun in einem Vergleich zwischen Beobachtungs- studien und kontrollierten Studien wi- derlegt.

Forscher der Yale-Universität wer- teten 136 in den Jahren 1985 bis 1998 erschienene Publikationen aus, in de- nen jeweils vergleichbare Fragestel- lungen mittels kontrollierten Studien

oder Beobachtungsstudien untersucht worden waren. Dabei waren in fast allen Fällen die Ergebnisse der Stu- dien trotz unterschiedlicher Studien- designs gleich, sodass die Autoren kein relevantes Abweichen der Ergebnis- se von Beobachtungsstudien gegen- über kontrollierten Studien feststellen

konnten. acc

Benson K, Hartz AJ: A comparison of observational studies and randomized, controlled trials. N Eng J Med 2000; 342: 1878–1886.

Dr. Hartz, Department of Family Medicine, University of Iowa College of Medicine, 01292-D PFP, Iowa City, IA 52242-1097, USA.

Vergleich von Beobachtungsstudien mit randomisierten kontrollierten Studien

Eine Arbeitsgruppe aus US-amerikani- schen und kanadischen Neurologen konnte einen CT-Score erarbeiten, mit dem sich die Prognose eines Patienten mit akutem ischämischen Schlaganfall sowie das zu erwartende Ansprechen auf eine Lysetherapie einschätzen ließ.

Dabei wurde der Schweregrad der zere- bralen Ischämie quantitativ durch Fest- legung einzelner betroffener Regionen im Versorgungsgebiet der Arteria cere- bri media quantifiziert und mit dem neurologischen Behandlungsergebnis nach Lysetherapie (Neurostatus nach drei Monaten, sekundäre Hämorrha- gien) korreliert. Der so erarbeitete

Score korrelierte signifikant sowohl mit dem neurologischen Ergebnis als auch mit der Komplikation einer Einblutung nach Lysetherapie. Die Autoren emp- fehlen daher, diesen CT-Score bei allen Apoplexiepatienten einzusetzen, um die Patienten zu identifizieren, die von einer Lysetherapie profitieren. acc Barber P et al.: Validity and reliability of a quantitative computed tomography score in predicting outcome of hyperacute stroke before thrombolytic therapy. Lancet 2000; 355: 1670–1674.

Prof. Buchan, Department of Clinical Neurosciences, Room 1162, Foothills Hospital, 1403 29thStreet NW, Calgary, Alberta, Kanada.

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CT als Prognosefaktor vor thrombolytischer Therapie

bei Schlaganfall

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