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Archiv "PRÜGELSTRAFE: Nur negative Folgen" (06.10.1977)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Briefe an die Redaktion

PRÜGELSTRAFE

Anderer Auffassung als Dr. Diel (Leser- brief in Heft 5/1977) ist der Deutsche Kinderschutzbund. Seine Gründe:

Nur negative Folgen

. . . Der Deutsche Kinderschutzbund kämpft seit Jahren gegen den Be- griff „elterliche Gewalt", gegen Züchtigungsrecht und Prügel als Er- ziehungsmittel. Er identifiziert sich voll und ganz mit der Stellungnahme der Deutschen Vereinigung für Kin- der- und Jugendpsychiatrie. Und er kann das tun, weil er über andere, zum großen Teil grausige Erfahrun- gen verfügt im Gegensatz zu Herrn Kollegen Diel. Ärzte unterliegen überhaupt sehr leicht in sozialen und soziologischen Problemen der Verführung, aus dem eigenen Milieu und der eigenen Schicht Schlüsse auf die Allgemeinheit zu ziehen. Das muß auf jeden Fall bekämpft wer- den: In der Schule haben wir er- reicht, daß „Prügel kein Erziehungs- mittel" sind, im Elternhaus noch nicht. Wenn wir unterstellen könn- ten, daß kritikfähige und urteilsfähi- ge Eltern ihren Kindern wirklich nur immer einen „Klaps" gäben, wäre die ganze Aktion überflüssig. Was aber an Art und Massivität der Strafe auf eine Unzahl von Kindern trifft, kann in einer kurzen Stellungnahme gar nicht dargelegt werden. Auf je- den Fall ist als wissenschaftlich un- bestreitbar anzusehen, daß Prügel- strafe, gleichgültig wo sie angewen- det wird, überwiegend oder fast nur negative Folgen nach sich zieht.

Eine der schlimmsten Folgen ist das scheinbar angepaßte, in Wirklichkeit aber von Ablehnung, ja Haß erfüllte Kind, das den Anfechtungen aus der Umwelt fast widerstandslos ausge- liefert ist. Die Grenzen von der

„sinnvollen und notwendigen" kör- perlichen Züchtigung sieht Herr Kol- lege Diel als gut abgrenzbar von der Kindesmißhandlung an. Wir sind aus der sehr großen Erfahrung ganz an- derer Meinung, aber glauben auch nicht, daß es sinnvolle und notwen- dige körperliche Züchtigung über- haupt gibt, wenn man den Eltern mehr und bessere Einsicht in Erzie-

hungsfragen gibt. Dem dient ein au- ßerordentlich teures und schwer realisierbares Projekt des Deut- schen Kinderschutzbundes, das Er- ziehungs- und Gesundheitslehre in Form von Curriculum-Bausteinen für ältere Schüler aller Schularten verwirklichen will. Wir bemühen uns augenblicklich mit Nachdruck, diese Curriculum-Bausteine den Kultus- ministerien „schmackhaft" zu ma- chen, und versprechen uns von sol- chen Lerninhalten bedeutsame Fort- schritte wenigstens in der nächsten Generation.

Professor Dr. med.

K. Nitsch Präsident des

Deutschen Kinderschutzbundes Auestraße 46

3000 Hannover

WEITERBILDUNG

Zu dem Artikel von Prof. Dr. W. Bräuti- gam „Psychoanalyse in die Medizin inte- griert" in Heft 9/1977.

Arzt für

psychoanalytische Medizin

Eine Integration von Psychothera- pie/Psychosomatik in das therapeu- tische Vorgehen setzt m. E. unbe- dingt voraus, daß der „Arzt für psy- choanalytische Medizin" während seiner Weiterbildung eine mehrjäh- rige Ausbildung in einem klinischen Fach wie der inneren Medizin erhal- ten soll, um auch Erfahrungen mit den körperlichen Symptomen psy- chosomatischer Erkrankungen ge- winnen zu können. Eine derartige Weiterbildung könnte dazu beitra- gen, die Verständigungsschwierig- keiten zwischen Psychotherapeuten und auf anderen Gebieten praktizie- renden Ärzten zu vermeiden. Der

„ärztliche Psychotherapeut" würde sich dann auch grundsätzlich von dem nur analytisch ausgebildeten Psychologen unterscheiden.

Prof. Dr. med. H. Kleinsorge Am Wiesbrunnen 33

6730 Neustadt

AUF DEN ULUDAG

Ergänzend zu dem Reisebericht „Ski- Spektakel auf dem Uludag" in Heft 3/

1977, eine Reiseerinnerung aus dem Jahre 1928.

Vor einem

halben Jahrhundert

Wieviel sich in diesem letzten halben Jahrhundert im Vorderen Orient ver- ändert hat, wurde mir beim Lesen des obengenannten Berichtes klar.

Hatte ich doch als Oberschüler vor 49 Jahren (1928) den Uludag, auch bithymischer Olymp genannt, bestiegen ... Der Orient war damals noch das, was der Name versprach:

Geheimnis, Zauberreich und Aben- teuer. Zwar hatte Kemal Atatürk, der 1923 zur Macht kam, manches ver- ändert und dem Westen angegli- chen, aber noch waren Basare, Mo- scheen und Gassen Konstantinopels voller Zauber. Mit einem Schiff er- reichten wir Mudanya ... Von Mu- danya brachte uns eine Schmalspur- bahn über das Gebirge nach Bursa.

Am Abend machten wir uns dann zu siebt auf, den Berg Uludag zu be- steigen. Auf ihn führte von Bursa aus nur ein Saumpfad. Ihn zu benüt- zen schien uns zu banal. Bei begin- nender Dunkelheit, als die Tageshit- ze nachgelassen hatte, machten wir uns zu Fuß auf den Marsch. Durch niederes Buschwerk und Felsgeröll bahnten wir uns den Weg über die Nordseite. Der Mond schien, und wir kamen rasch voran. Überall in der Tiefe glommen die Lagerfeuer von Nomaden. Wölfe heulten, und die südliche Nacht mit ihrem klaren Sternenhimmel zeigte uns ihre Wun- der. Bei Tagesanbruch bezwangen wir felsiges Gelände und kamen auf die im Bericht erwähnte Schulter des Berges, wo heute „die sechs in alpenländischer Bauweise gehalte- nen Hotels mit insgesamt 1000 Bet- ten" stehen. Dort stand damals eine Hütte. In ihr rasteten die Schnee- und Eisholerkolonnen, die das be- gehrte Gefrostete im Sommer in Körben auf Pferden und Eseln hinab nach Bursa brachten. Es diente der Speiseeisbereitung und war ein be- gehrtes Kühlobjekt. Als uns die wild aufgemachten Reiter erspähten,

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 40 vom 6. Oktober 1977 2399

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Briefe an die Redaktion

schossen sie mit ihren alten Vorder- laderpistolen in die Luft. Ob zur Be- grüßung oder Abschreckung war uns nicht klar. Wir ließen unser Ge- päck zurück und machten uns auf zum Anstieg auf den Gipfel, der sich vor uns etwa 600 m hoch als riesiger Buckel erhob. In praller Mittagsson- ne quälten wir uns aufwärts. Kein Mensch und kein Tier begegnete uns. Über große Steinplatten turnten wir aufwärts. Spuren früherer Gene- rationen in Form von riesigen be- hauenen Steinblöcken ließen uns wundern. Später erfuhren wir, daß auf allen Bergen des Olymp (des Sit- zes der Götter) solche Altäre gesetzt waren. Es war Mittag geworden, als wir den Gipfel erreichten. Der Aus- blick war gewaltig. Berg reihte sich an Berg, Gipfel an Gipfel. Nach Osten zu ahnte man die Weite

Die Münchner Jungen-Gruppe (ganz rechts der Autor) auf dem Gipfel des Ulu- dag am 28. Juli 1928

Asiens, nach Norden im Dunst des Mittags war das 200 km entfernte Konstantinopel als kleine Silhouette zu erkennen. Der Abstieg war schnell bewältigt. Von der Hütte ab benützten wir den Saumpfad der Treiber. Es war bereits dunkel, als wir Bursa, die Stadt der Bäder, hei- ßen Quellen und Moscheen erreich- ten. Welch ein Unterschied zwi- schen damals und heute. Die größte Konstantinopler Tageszeitung „al Gumhuriet" brachte eine halbe Seite unserer Bergbesteigung (23. Juli 1928). Damals stieg, wenn es nicht sein mußte, kein Türke auf einen Berg.

Dr. med. A. Jüngling Jos.-Aberger-Straße 9 8211 Unterwössen Spektrum der Woche

Aufsätze • Notizen

FORUM

Wenn es zwar der Patient kaum während einer Behandlung bei sei- nem Arzt bemerkt haben dürfte, so hat er es doch längst aus Zeitun- gen, Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen erfahren: Die Medizin befindet sich in einer Krise, und alle an ihr auch nur entfernt Betei- ligten schieben einander gegensei- tig die Schuld dafür in die Schuhe:

die Krankenkassen, die Kranken- hausverwaltungen, die Ärzte, die Apotheker, die pharmazeutische und medizintechnische Industrie, die Baufirmen, die Sozialämter und natürlich die Politiker aller Schat- tierungen, welche gar wohl wissen, wie sich im schrankenlosen Ge- währen sozialer Hilfen die Gunst der Wähler am leichtesten und si- chersten gewinnen läßt.

Zum krisenumfassenden Schwur- wort wurde der Ausdruck „Kosten- explosion" erkoren und die Lö- sung der Krise in die überraschen- de Formel gegossen: „Alles billi- ger, aber trotzdem immer noch mehr und besser."

Damit sollte man einmal einkaufen gehen.

Tiefschürfende Arbeiten mit gewal- tigen statistischen Unterlagen ha- ben noch vor wenigen Jahren die Bettennot bewiesen und die Errich- tung neuer Krankenhäuser stür- misch verlangt, während sie heute ebenso unanfechtbar den Betten- berg nachweisen und die Schlie- ßung von Krankenhäusern katego- risch fordern. Der einfache Mann,

also wir, stehen diesem zwar schwankenden, aber immer redli- chen Bemühen um unser Wohl be- glückt und dankbar gegenüber, denn so viel krank, wie wir Steuern zahlen, dürften wir kaum jemals werden, und wenn wir dereinst ein- mal rasch gesund sterben, haben wir alles getan, was wir zur Sanie- rung der Medizin beitragen kön- nen.

Hat es in der Medizin schon frü- her einmal Krisen gegeben, aus welchen wir für heute lernen könn- ten? Ein Vorteil unseres Zeitalters liegt darin, daß wir wie kein ver- gangenes die Geschichte alles Werdens überblicken, auch jene der Medizin. Lassen wir sie als Kurzfilm schnell an uns vorüber- flimmern.

Kurzfilm der Medizingeschichte Von der Magie, der Kräutermedizin und den Steinmessern des Urmen- schen, die immerhin zur Trepana- tion und zur Beseitigung aller psy- chosomatischen Leiden reichten, also eine Heilquote von wenigstens 50 bis 60 Prozent aufwiesen, und sich nicht um Gerontologie und Säuglingssterblichkeit zu kümmern brauchten (ein Auslesefilter am Eintritt in das Leben und ein siechfreier Abgang aus ihm waren gewiß nötig und ohne Krankheits- wert), gelangen wir zu den ersten uns bekannten Hochkulturen, für die hier vor allem — einander oft ähnlich — Ägypten erwähnt sei. Es

Krise und Zukunft der Medizin

August Vogl

Ein Arzt macht sich Gedanken über die Zukunft der Medizin, die er zum erstenmal in ihrer Geschichte in einer wirklichen Krise sieht:

einer Krise, entstanden aus ihrer Überdosierung und daraus, daß sie sich aus ihrer Einbindung in das Menschliche, in das Psychische, in die Religion gelöst hat. — Der Autor war Chefarzt der chirurgischen Abteilung eines städtischen Krankenhauses und befindet sich seit kurzem im Ruhestand.

2400 Heft 40 vom 6. Oktober 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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