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Archiv "Selbsthilfe berücksichtigen" (02.09.2013)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 35–36

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2. September 2013 599

M E D I Z I N

DISKUSSION

Selbsthilfe berücksichtigen

Bedauerlicherweise bleibt im Artikel (1) die Selbsthilfe unberücksichtigt. Die gemeinnützige Selbsthilfeorgani- sation Deutsche Tinnitus-Liga (DTL) leistet hier einen wichtigen Beitrag zur Stützung der Betroffenen (2). Es ist den Autoren jedoch anzurechnen, das Thema Tinni- tusbewältigung umfassend dargestellt zu haben.

Gleichzeitig sollte aber auch deutlich werden, dass es sich überwiegend um Tinnitusbewältigung und nicht um eine Heilung handelt. Vor allem für extrem hochbe- lastete Tinnituspatienten stellt allein schon die Redukti- on der Belastung ein realistisches Therapieziel dar.

Wissenschaftliche Evaluationen zeigen, dass sich unter den 14 000 Mitgliedern der DTL 16 % im Schwe- regrad vier befinden (Mini-TF12) (3). Um die Effekti- vität der Selbsthilfe in qualifizierten Selbsthilfegruppen zu belegen, hat die DTL in Kooperation mit der Univer- sität Hamburg eine große prospektive 3-Jahres-Studie gestartet (2, 4).

Es gibt nach unserer Erfahrung bessere Graduierun- gen des Tinnitusschweregrades als die von den Autoren im Kasten aufgeführte Fremdeinschätzung. Die DTL bietet Interessierten den Tinnitustest auf der Home - page, der auf der Basis des wissenschaftlich evaluierten Mini-TF12 basiert und jährlich von circa 20 000 Be- troffenen durchgeführt wird. Unter ihnen sind 16 % schwerstbelastete Personen (3).

Im Artikel wird vermehrt undifferenziert von „Tinni- tuspatienten” gesprochen, mal für alle Betroffenen, dann aber auch für die eigentlich Leidenden, die oft wirklich als „Patienten” zu bezeichnen sind. Wenn das Leiden unter dem Tinnitus über Monate hinweg eindeu- tig im Vordergrund steht, sollte der Tinnitus im ICD-10 nicht mehr nur unter der Symptom-Kategorie H 93.1 sondern unter einer neu zu etablierenden Krankheitska- tegorie erfassbar werden. Die DTL – unterstützt von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medi- zinischen Fachgesellschaften (AWMF) – ist beim Deut- schen Institut für Medizinische Dokumentation und In- formation (DIMDI) für das ICD-10-GM 2014 hier ini- tiativ geworden. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0599a

LITERATUR

1. Kreuzer PM, Vielsmeier V, Langguth B: Chronic tinnitus: an interdisci- plinary challenge. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(16): 278–84.

2. Goebel G: Was ist Tinnitus-Selbsthilfe und welche Bedeutung hat sie? In: Hesse G (ed.): Tinnitus. Stuttgart: Thieme 2008: 175–77.

3. Goebel G: Psychische Komorbidität bei Tinnitus. Psychiatr Psychother Up2date 2010; 4: 389–408.

4. Kofahl C, Wagner S, Goebel, G: Evaluation der Wirksamkeit von Selbsthilfegruppenarbeit in der Deutschen Tinnitus-Liga e. V. (DTL).

Tinnitus-Forum 2012; 3: 26–7.

Volker Albert Michael Bergmann

Deutsche Tinnitus-Liga e. V., Wuppertal m.bergmann@tinnitus-liga.de

Interessenkonflikt

Herr Albert ist ehrenamtlicher Vorsitzender der Deutschen Tinnitus-Liga e. V.

Herr Bergmann ist Geschäftsführer der Deutschen Tinnitus-Liga e. V.

Therapieziel: Tinnitusbelastung reduzieren

Dem Artikel kommt der Verdienst zu, das Thema aus einer interdisziplinären Perspektive heraus im Über- blick dargestellt zu haben (1). Den Autoren ist beizu- pflichten, wenn sie dem immer noch verbreiteten thera- peutischen Nihilismus widersprechen. Gleichzeitig sollte betont werden, dass es in der Regel um Tinnitus- bewältigung und nicht um Heilung geht. Vor allem für hochbelastete Patienten ist die signifikante Reduktion der Tinnitusbelastung das realistische Therapieziel.

Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) stellt die ein- zige wirklich evidenzbasierte Therapie dar; dies geht in dem Artikel angesichts der recht knappen Darstellung und vorsichtiger Formulierungen („das empirisch besser abgesicherte Verfahren“) leider beinahe unter.

Zur Beurteilung der Behandlungsindikation (und des Therapieerfolgs) ist die Bestimmung der Tinnitusbelas- tung unabdingbar. Entsprechende validierte Fragebögen stehen nicht nur – wie beiläufig angegeben – zur Verfü- gung, sie sollten integraler Bestandteil der Diagnostik sein. An erster Stelle ist hier der Tinnitus-Fragebogen (TF; [2]) beziehungsweise der Mini-TF12 (3) zu nennen.

Eine psychologisch ausgerichtete Tinnitustherapie, die sich vom einmaligen Counselling bis zur multimo- dalen stationären Tinnitusbewältigungstherapie inklusi- ve KVT erstreckt, sollte abhängig von der Tinnitusbe- lastung und der psychischen Komorbidität differenziert eingesetzt werden (4). Die psychische Komorbidität, die häufig auch somatoforme Störungen umfasst, kor- reliert mit dem Schweregrad des Tinnitus. Vor allem hochbelastete Tinnituspatienten sollten deshalb gezielt bezüglich psychischer Störungen gescreent werden (3, 4). Psychische Begleiterkrankungen sind dabei nicht nur Folge des Tinnitus, vielmehr verhindern vorbeste- hende psychische Erkrankungen häufig auch eine adap- tive Verarbeitung des Tinnitus und stellen somit einen wesentlichen Risikofaktor für dessen Chronifizierung und Dekompensation dar (4). Eine Behandlung psy- chischer Begleiterkrankungen sollte nicht, wie in Gra- fik 2 dargestellt, einer (verhaltenstherapeutischen) Tin- nitusbehandlung voraus-, sondern mit dieser einherge- hen. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0599b zu dem Beitrag

Chronischer Tinnitus – eine interdisziplinäre Herausforderung

von Dr. med. Peter M. Kreuzer, Dr. med. Veronika Vielsmeier, PD Dr. med.

Berthold Langguth in Heft 16/2013

(2)

600 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 35–36

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2. September 2013

M E D I Z I N

Forschungsbedarf

Wir danken den Autoren für die wertvolle Übersichtsar- beit (1), unterstreichen die Wichtigkeit der kontinuierli- chen therapeutischen Beziehungsgestaltung, und sehen dringenden qualitativen Forschungsbedarf zu komple- xen Störungen.

Erfahrungsgemäß exazerbiert der sonst harmlose Tinnitus häufig dann, wenn das eigene Leben „nicht mehr stimmig ist“. Ein Entwicklungsschritt steht an, und Stress ist Kennzeichen von ausgereizten Bewälti- gungsmöglichkeiten. Komplexe psychische Funktio- nen wie Selbst- und Weltbild, Identität und Konsistenz - erleben sind betroffen; aufwendige, aber beforschbare Größen (2).

In der zitierten überlegenen multiprofessionellen Be- handlung (3) kommen, wie die Autoren erwähnen, ne- ben Counseling und Psycho- auch Sozio-, Physio-, Be- wegungs- und Sprachtherapie zur Anwendung, entspre- chend der Komplexität von Störung und Patient. Auch unserer Erfahrung entspricht, dass neben verbaler Psy- chotherapie auch körper-, und sinnesorientierte Verfah- ren die multimodale Therapie wirksam machen. Ort des Symptoms ist ja das auditorische System als „Um- schlagspunkt“, wo äußere Welt im Sinnesreiz zu inne- rem, das heißt psychischem Erleben wird. Dort wird bei zunehmender Spannung und Diskrepanz zwischen der inneren und der äußeren Welt der quälende „Warnton“

Tinnitus erlebt.

So überrascht es, in der Zusammenfassung zu lesen, dass neben der Verhaltenstherapie insbesondere appara- tive Lösungen im Mittelpunkt der Forschung stehen.

Dies weckt Hoffnungen auf einfache Lösungen, impli- ziert aber ein reduktionistisches Krankheits- und Men- schenbild. Denn trotz konstanter Hörminderung schwankt Tinnitus erheblich in Abhängigkeit vom psy- chischen Befinden, was viele Arbeiten am (Tier-)Mo- dell nicht abbilden können.

Das Subjekt als eigentlicher Ort des Leidens mit Di- mensionen wie Entwicklung, Reife, Selbstbild, Sinn,

Authentizität und „Stimmigkeit“ darf nicht verloren ge- hen. Es ist medikamentöser und apparativer Behand- lung nur indirekt zugänglich, für die nachhaltige Gene- sung des nicht objektivierbaren Tinnitus jedoch die ent- scheidende Größe. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0600a

LITERATUR

1. Kreuzer PM, Vielsmeier V, Langguth B: Chronic tinnitus: an interdisci- plinary challenge. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(16): 278–84.

2. Fonagy P, Gergely G, Jurist E, Target M: Affektregulierung, Mentalisie- rung und die Entwicklung des Selbst. Stuttgart: Klett-Cotta 2002.

3. Cima RF, Maes IH, Joore MA, et al.: Specialised treatment based on cognitive behaviour therapy versus usual care for tinnitus: a random - ised controlled trial. Lancet 2012; 379: 1951–9.

Dr. med. Tobias Roeckl HNO-Klinik Dr. Gaertner, München t.roeckl@gaertnerklinik.de

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Psychiater sind nicht erste Anlaufstelle

In ihrer Übersicht (1) stellen die Kollegen aus der Psy- chiatrie fest, dass Patienten, die an Tinnitus leiden, sinnvoll behandelt werden können. Dabei sind die Be- handlungsansätze ähnlich vielfältig wie die betroffenen Patienten unterschiedlich. Hilfreich ist nach unserer langjährigen Erfahrung

eine grundlegende neurootologische Kompetenz, die die konkrete Hörwahrnehmung einbezieht

ein psychosomatisches Verständnis

und vor allem Empathie für das Symptom und den betroffenen Menschen.

Dann ist in der Regel eine störungsspezifische Be- handlung, die auf audiologischer Grundlage die mögli- chen Ursachen ebenso berücksichtigt wie – psychoso- matisch oder somatopsychisch – die aufrechterhalten- den Faktoren, erfolgreich (2, 3). Psychiatrische Hilfe- stellung kann angesagt sein, wenn relevante psychiatri- sche Erkrankungen das Tinnitusleiden bestimmen (3) – sicher aber ist der Psychiater nicht die erste Anlaufstel- le in der Tinnitustherapie.

Wenn die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, können für die „in Deutschland häu- fig übliche stationäre Psychotherapie“ hohe Effektstär- ken nachgewiesen werden, auch wenn diese – wie die Autoren feststellen „bisher nicht durch randomisierte kontrollierte Studien evaluiert“ wurde.

Es ist auch – anders als bei Untersuchungen zu appa- rativen Ansätzen oder Psychopharmaka – schwer vor- stellbar, behandlungsbedürftige stationär aufgenomme- ne Tinnituspatienten in eine psychotherapeutisch be- handelte und eine Placebo-Gruppe zu unterteilen.

Schaut man sich – in auch Psychiatern zugänglichen Publikationen – die Ergebnisse von dafür geeigneten psychosomatischen Kliniken ausweislich einer sowohl symptombezogenen als auch psychologischen Testdi- agnostik an, zeigen sich nicht nur deutliche und anhal- tende Symptomverbesserungen (4), sondern auch the- LITERATUR

1. Kreuzer PM, Vielsmeier V, Langguth B: Chronic tinnitus: an interdisci- plinary challenge. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(16): 278–84.

2. Goebel G, Hiller W: Tinnitus-Fragebogen (TF). Ein Instrument zur Er- fassung von Belastung und Schweregrad bei Tinnitus. Göttingen, Bern, Toronto, Seattle: Hogrefe Verlag für Psychologie 1998.

3. Hiller W, Goebel G: Rapid assessment of tinnitus-related psychologi- cal distress using the Mini-TQ. International Journal of Audiology 2004; 43: 600–4.

4. Goebel G: Psychische Komorbidität bei Tinnitus. Psychiatr Psychother Up2date 2010; 4: 389–408.

Dr. med. Ulrich Stattrop Prof. Dr. med. Gerhard Goebel Prof. Dr. med. Ulrich Voderholzer Schön Klinik Roseneck, Prien a. Chiemsee grempert@schoen-kliniken.de

Interessenkonflikt

Prof. Goebel erhält Tantiemen für den Tinnitus-Fragebogen vom Hogrefe Verlag.

Die beiden übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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