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Archiv "Psychische Erkrankungen: Besonders hohe Krankheitslast" (13.12.2013)

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A 2412 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 50

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13. Dezember 2013

PSYCHISCHE ERKRANKUNGEN

Besonders hohe Krankheitslast

Wie beeinflusst die Diskussion um Befindlichkeitsstörungen versus

behandlungsbedürftige psychische Erkrankungen den hohen Versorgungsbedarf bei langen Wartezeiten? Beiträge am Rande des DGPPN-Kongresses

D

er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheil- kunde (DGPPN) hat eine klare Bot- schaft an die nächste Bundesregie- rung: Dem Versorgungsbedarf psy- chisch kranker Menschen müsse stärker Rechnung getragen werden, indem die notwendigen Strukturen geschaffen und das Fach der spre- chenden Medizin gestärkt werden.

Prof. Dr. med. Wolfgang Maier stellte beim Jahreskongress seiner Fachgesellschaft Ende November in Berlin fest: „In keinem ande- ren Fach klaffen Versorgungsbedarf und -angebot so weit auseinander.“

Dies sei kaum nachvollziehbar, weil psychische Erkrankungen aufgrund der zunehmenden Fehlzeiten und Frühverrentungen „immense Folge- kosten“ verursachten.

Maier, auch Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätskli- nikum Bonn, hält das im Koali - tionsvertrag aufgenommene Ziel, mehr Betroffenen eine zeitnahe Kurzzeittherapie anbieten zu kön- nen, für sehr wichtig. Sehr sinnvoll sei auch die „indizierte Präventi- on“, also bei Frühwarnzeichen Hil- fesuchenden auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Präven- tionsangebote zu unterbreiten: „Da- mit können Krankheiten verhütet werden – doch die Kassen zah- len das bislang nicht“, kritisierte der DGPPN-Präsident. Ebenso for- dert er eine Aufwertung der ärztli- chen Gesprächsleistungen – diese seien vor allem im Vergleich zur Richtlinien-Psychotherapie völlig un- terbewertet.

In Bezug auf die Revision der US-amerikanischen Klassifikation psychischer Störungen, DSM-5, die dem Vorwurf ausgesetzt ist, neue psychische Krankheiten zu produ-

zieren, warnte Maier vor einer „Pa- thologisierung resilienzfördernder Faktoren“. „Bei der Ausweitung der Grenzen psychischer Störungen müs- sen wir vorsichtig sein, sonst besteht die Gefahr, harmlose Befindlich- keitsstörungen und gesellschaftliche Probleme zu medikalisieren.“ Die resultierenden Leistungsansprüche könnten das Versorgungssystem über- lasten – vor allem zum Nachteil von schwer psychisch Kranken.

Medikalisierung vermeiden, aber auch Bagatellisierung Die Herausforderung der diagnosti- schen Praxis bestehe darin, Medika- lisierung zu vermeiden, aber auch die Bagatellisierung von Beschwerden mit der Folge, dass trotz erheblicher Belastungen Angebote nicht oder erst sehr spät in Anspruch genom- men werden, betonte Prof. Dr. rer.

nat. Frank Jacobi, Psychologische Hochschule Berlin. „Ob ein Be- handlungsbedarf besteht, ist schwer

und niemals absolut zu bestimmen.“

Dies sei jedoch ein grundsätzliches Problem bei der Frage des „medizi- nisch Notwendigen“ und nicht auf psychische Störungen beschränkt.

Aufgrund der besonders großen Krankheitslast bestehe bei einer psychischen Diagnose jedoch im- mer Bedarf weiterer Abklärung und Beobachtung, sagte Jacobi.

Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz vom Vorstand der DGPPN schlug eine Krankheitstheorie vor, die dann von einer behandlungsbe- dürftigen Erkrankung spricht, wenn wesentliche Funktionen oder auch die soziale Teilhabe deutlich beein- trächtigt seien. „Die Krankheit muss für den Betroffenen von erhebli- chem Nachteil sein“, sagte der Di- rektor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité – Uni- versitätsmedizin Berlin, „aber nicht jeder Leidenszustand ist eine Er- krankung“. Das DSM-5 habe nicht lauter neue Diagnosen beschrieben, sondern neue Kategorien festgelegt, wenngleich es in einzelnen Fällen die Grenze zwischen sozial beein- trächtigenden Störungen und Krank- heiten im eigentlichen Sinne aufwei- che (siehe auch „Hilfestellung zur Indikation“, DÄ, Heft 49/2013).

Der Vorsitzende des Gemeinsa- men Bundesausschusses (G-BA), Jo- sef Hecken, war nach seiner Äuße- rung, man brauche nicht für jeden eine Psychotherapie, denn eine Fla- sche warmes Bier tue es manchmal auch, vielfach angriffen worden.

„Ich wollte auf das Problem einer belastbaren Abgrenzung zwischen behandlungsbedürftigen Erkrankun- gen und Befindlichkeitsstörungen hinweisen“, erklärte Hecken nun. Er nutzte den DGPPN-Kongress, „um mich zu entschuldigen und meine fachlich nicht fundierte Bemerkung zurechtzurücken“. Ihm stelle sich Dem G-BA-Vor -

sitzenden Josef Hecken stellt sich die Frage, wie man mit Lebenskrisen umgehen soll.

Foto: DGPPN

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13. Dezember 2013 A 2413 die Frage, wie man mit Lebenskri-

sen oder fortgesetzten Überforde- rungen umgeht: „Werden Menschen manchmal nicht viel zu früh für krank erklärt, obschon sie eine Le- benskrise auch allein oder mit Hilfe ihres sozialen Umfeldes bewältigen können?“ Es gehe ihm nicht um ei- ne Ressourcendiskussion und auch nicht um eine Bagatellisierung, ver- sicherte Hecken. Doch man müsse darauf achten, dass nicht bei einer Vielzahl von neuen leichteren Stö- rungen, wie sie das DSM-5 zum Teil kategorisiere, die zur Verfügung stehenden Ressourcen grundlos ein- gesetzt würden. „Dies umso mehr, als das DSM-5 präjudizierende Wirkung für die kommende neue ICD-11 haben wird“, gab Hecken zu bedenken.

Ziele des Koalitionsvertrags zügig umsetzen

Liege indes eine behandlungsbe- dürftige Erkrankung vor, müssten ausreichende Behandlungsoptionen zeitnah zur Verfügung stehen, for- derte der G-BA-Vorsitzende weiter.

Alle im Koalitionsvertrag vorgese- henen Ziele, wie die Verringerung der Wartezeiten, zeitnahe Kurzzeit- therapie sowie die Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie durch den G-BA, sollten deshalb zügig umgesetzt werden. Zur Reduzie- rung der Wartezeiten habe der G-BA außer der Bedarfsplanung kein Instrument zur Steuerung, er- läuterte Hecken. „Obwohl bundes- weit mehr als 28 000 Personen für den Bereich Psychotherapie zur Ver- fügung stehen – bei 52 000 Hausärz- ten zum Vergleich –, haben wir in ländlichen Regionen Versorgungs- lücken.“ Alle neuen Praxissitze für Psychotherapeuten, aber auch für Nervenärzte sowie Kinder- und Ju- gendlichenpsychotherapeuten seien deshalb für diese Regionen vorge- sehen. Hecken wies darauf hin, dass ab 1. Januar 2014 wahrscheinlich knapp 300 Sitze übergangsweise für Psychologische Psychothera- peuten freigegeben würden, die von ärztlichen Psychotherapeuten nicht besetzt werden konnten. Eine Ent- scheidung stehe noch vor Weih- nachten im G-BA an.

Petra Bühring

Die ambulante Psychotherapie sei ein Versorgungsbereich, der mit dem Trin- ken einer Flasche Bier nicht zu lösen sei – es habe sich gelohnt, ein Positi- onspapier zur Reform zu erarbeiten, hieß es bei der Sitzung des Verwal- tungsrates des GKV-Spitzenverbandes Ende November in Berlin. Inzwischen ist auch der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken eines Besseren belehrt, der mit der Bemerkung, man brauche nicht für jeden eine Therapie, eine Fla-

sche warmes Bier tue es manchmal auch, für Entrüstung gesorgt hatte.

Die Autoren des Positionspapiers zur

„Reform des Angebots an ambulanter Psychotherapie“ gehen differenzierter an das Problem des steigenden Be- darfs an Behandlungskapazitäten für psychisch Kranke heran. Neben eini- gen sinnvollen Vorschlägen regt der GKV-Spitzenverband jedoch im We- sentlichen die Verkürzung von Be- handlungszeiten an. Das erscheint als ein fragwürdiger Ansatz für eine lang- fristig bessere Versorgung, die auch zum Abbau der zunehmenden Fehlzei- ten und Frühberen tungen aufgrund psy- chischer Erkrankungen beiträgt. Grund- sätzlich wollen die Krankenkassen näm- lich „ausgabenneutral“ handeln.

Zu den allgemein konsentierten Vorschlägen gehört neben der weite- ren Förderung der Gruppenpsycho- therapie die Einführung von obligato- rischen Sprechstunden bei Psycho- therapeuten für eine Basisdiagnostik und Krisenintervention vor den pro- batorischen Sitzungen. Beides fordert ebenfalls die Bundespsychotherapeu- tenkammer (BPtK). Nach Ansicht der Kassen sollen diese Sprechstunden auch der Beratung der Patienten zu den verschiedenen Versorgungsange- boten dienen und somit „Steuerungs- wirkung“ entfachen, etwa das An - raten einer stationären Behandlung

oder auch Angebote der Selbsthilfe.

Dann sollen, falls erforderlich, drei probatorische Sitzungen folgen und zwölf Stunden Therapie – für alle Richtlinienverfahren. Anschließend ist eine Wartezeit von sechs Wochen vor- gesehen, um zum zweiten Behand- lungskontingent von weiteren zehn Stunden durchzudringen. In schweren Ausnahmefällen soll eine „Bypass- möglichkeit“ zur mittels Gutachter- verfahren (GV) begründeten Langzeit-

therapie möglich sein. Die ersten 25 Stunden sind ansonsten nicht geneh- migungspflichtig, das aufwendige GV entfällt – kurze Therapien werden so- mit besonders attraktiv. Statt Vor- schläge für eine Entschlackung des GV zu machen, schlagen die Kassen den zusätzlichen Einsatz von psycho- metrischen Instrumenten nach jedem Behandlungskontingent vor.

Eine grundsätzliche Wartezeit von sechs Wochen komme „einer thera- peutischen Katastrophe gleich“, kriti- siert die BPtK. Dass eine kontinuierli- che Behandlung nur noch in Ausnah- mefällen möglich sein soll, sei „fach- lich und ethisch nicht zu verantwor- ten“. Eine solche Rationierung sei bei körperlich kranken Menschen undenk- bar und deshalb eine Diskriminierung psychisch Kranker.

Das Positionspapier der Kassen kann also allenfalls ein Anfang zur – notwendigen – Veränderung der psy- chotherapeutischen Versorgung sein, die sich auch die nächste Bundesregie- rung in den Koalitionsvertrag geschrie- ben hat: Wartezeiten reduzieren, zeitna- he Angebote für Kurzzeittherapie, Ent- bürokratisierung des Gutachterverfah- rens, Überarbeitung der Psychothera- pie-Richtlinie in einer definierten Frist, Überprüfung der Befugnisbeschränkun- gen für Psychotherapeuten. Es ist noch viel zu tun.

KOMMENTAR

Petra Bühring, DÄ-Redakteurin

PSYCHOTHERAPEUTISCHE VERSORGUNG

Kassenrationierung

P O L I T I K

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