A 942 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 21|
23. Mai 2014PSYCHISCHE ERKRANKUNGEN
Angst als Ursache thematisieren
Angststörungen sind die häufigsten psychischen Erkrankungen, werden aber in knapp
der Hälfte der Fälle aufgrund der somatischen Symptomatik nicht erkannt und richtig behandelt.
Eine neue S3-Leitlinie soll die Versorgung verbessern.
A
ngst hilft, Gefahren zu erken- nen und entsprechend zu rea- gieren, sie dient so als Schutz.Kommt es jedoch zu übertriebenen oder objektiv grundlosen Reaktio- nen, kann eine Angststörung vorlie- gen. Die Zwölfmonatsprävalenz in der Bevölkerung liegt bei 15,3 Pro- zent (Jacobi et al. 2014); praxisrele- vant sind dabei vor allem Panikstö- rungen, die generalisierte Angststö- rung und die soziale Phobie. Damit sind Angststörungen die häufigsten psychischen Erkrankungen.
Eine neue interdisziplinäre S3- Behandlungsleitlinie soll nun die
Versorgung von Patienten mit Angststörungen verbessern. Fach- gesellschaften und Patientenvertre- ter haben die Leitlinie nach etwa sechsjähriger Arbeit Anfang Mai in Berlin vorgestellt.
Trotz ihrer Häufigkeit werden Angststörungen nach Angaben des Expertenkonsortiums aus 20 Fach- gesellschaften in knapp 50 Prozent der Fälle nicht erkannt. „Die Pa- tienten zeigen häufig körperliche Symptome, wie ständiges Schwit- zen oder Herzrasen, und werden dann vom Hausarzt erstmal zum Kardiologen geschickt“, sagte Prof.
Dr. med. Manfred Beutel, Mainz, der die Deutsche Gesellschaft und das Deutsche Kollegium für Psy- chosomatische Medizin und Psy- chotherapie vertritt. Oftmals begin- ne dann eine Odyssee durch das Gesundheitswesen. „Angst als Ur- sache ist viel zu wenig Thema, und auch bei den Ärzten besteht noch großer Aufklärungsbedarf“, mahnte Beutel. Denn unbehandelt komme
es häufig zu Chronifizierungen, längeren Krankschreibungen und Frühverrentungen. Bei Angststö- rungen bestehe zudem ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Suchter- krankungen, somatoforme Störun- gen und Zwangsstörungen. Damit einher gehe auch ein erhöhtes Sui- zidrisiko.
Die neue S3-Leitlinie will des- halb durch transparente Standards die Diagnostik und Behandlung für die verschiedenen Versorgungsebe- nen verbessern. Die Leitlinie emp- fiehlt, Patienten mit Angststörun- gen, die einen hohen Leidensdruck
oder eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität haben, Psycho- therapie und Pharmakotherapie in Kombination anzubieten. „Konsens besteht darin, den Wunsch des in- formierten Patienten besonders zu berücksichtigen“, betonte Dipl.- Psych. Jürgen Matzat, Deutsche Ar- beitsgemeinschaft Selbsthilfegrup- pen. Ärzte sollen insbesondere über den Wirkeintritt der Medikamente, die unerwünschten Wirkungen, aber auch die Verfügbarkeit einer Psychotherapie informieren.
Die S3-Leitlinie empfiehlt an ers- ter Stelle die kognitive Verhaltens- therapie (KVT) (Empfehlung A) in Kombination mit medikamentöser Behandlung. „Psychodynamische Verfahren werden dann empfohlen (Empfehlung B), wenn eine KVT nicht wirksam war, oder wenn der informierte Patient dies wünscht“, erläuterte Prof. Dr. med. Borwin Bandelow, Göttingen, Deutsche Ge- sellschaft für Psychiatrie, Psycho- therapie und Nervenheilkunde und
Gesellschaft für Angstforschung.
„Empfehlungen über die Dauer der Therapie können wir nicht geben“, sagte Bandelow. Weitere Therapie- ansätze wurden evaluiert, jedoch für wenig wirksam bei Angststörungen befunden: Internettherapie, Applied Relaxation, EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) und Virtual-Reality-Therapie.
Bei der Pharmakotherapie haben SSRI (selektive Serotonin-Wieder- aufnahmehemmer) und SNRI (se- lektive Noradrenalin-Wiederaufnah- mehemmer) Empfehlung A erhal- ten. Werden diese nicht vertragen oder wirken sie nicht, können auch Pregabalin, Clomipramin oder Bu- spiron verordnet werden. „Ben- zodiazepine sollten aufgrund des hohen Abhängigkeitspotenzials nicht gegeben werden – dies ist leider noch häufig der Fall“, erklärte Ban- delow. Als ergänzende Maßnahmen raten die Experten zur Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe und auch zu Ausdauersport.
Probleme, die in der hausärztli- chen Praxis auftreten, erläuterte Prof. Dr. med. Thomas Lichte, Mag- deburg, Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienme- dizin (DEGAM): „Häufig nehmen Patienten eine psychische Diagnose nicht an und werden dann doch wie- der mit Herzrasen zum Kardiologen geschickt.“ Lichte fordert deshalb eine noch stärkere Enttabuisierung psychischer Erkrankungen. Wün- schenswert sei zudem ein verpflich- tendes Basisweiterbildungsmodul
„psychosomatische Grundversor- gung“ für Kardiologen, um Angst- patienten besser zu erkennen.
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Petra Bühring
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Kurzversion der S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen:www.aerzteblatt.de/14942
„ Häufig nehmen Patienten eine psychische Diagnose nicht an und werden dann doch wieder zum Kardiologen geschickt. “
Thomas Lichte, DEGAM