• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Plädoyer für eine realistische Weiterentwicklung des Gesundheitswesens" (31.10.1974)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Plädoyer für eine realistische Weiterentwicklung des Gesundheitswesens" (31.10.1974)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Plädoyer für eine realistische Weiterentwicklung

des Gesundheitswesens

Jörg-Dietrich Hoppe

Die zahlreichen gesundheitspolitischen Vorschläge und Program- me, die in der jüngsten Zeit veröffentlicht wurden, reichen von radi- kaler Systemveränderung bis zu realistischen Konzepten einer sy- stemgerechten Weiterentwicklung des Gesundheits- und Kranken- hauswesens. Ausgehend von dem „Blauen Papier": das der 77.

Deutsche Ärztetag im Juni 1974 in Berlin verabschiedet hat, sowie den ebenfalls in Berlin verabschiedeten Gesundheitspolitischen Vorstellungen des Marburger Bundes („Zur Reform des Gesund- heitswesens"), entwickelt der Verfasser Vorschläge und Anregun- gen für zwei wesentliche Bereiche des Gesundheitswesens, die seines Erachtens bevorzugt einer Neuregelung bedürfen: zur Struk- tur der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Struktur der Vergütung des ärztlichen Dienstes im ambulanten und stationären Sektor. Der Verfasser macht deutlich, daß viele Vorschläge bereits seit Jahren diskutiert werden, ihre Realisierung aber noch auf sich warten läßt.

Der Aufsatz von Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Mitglied des Bun- desvorstandes des Marburger Bundes, will zugleich einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion des Gesundheitswesens leisten.

indem er alle Beteiligten dazu auffordert, selbstkritisch zu überle- gen, was sie selbst zur Verbesserung der Situation beitragen kön- nen.

Die große Zahl gesundheitspoliti- wie bei seiner Ausfüllung Verzer- scher Programme, mit denen wir in rungen und Mißbrauch durch Ärzte den letzten Jahren aus den ver- und Patienten. Hier Abhilfe zu schiedensten gesellschaftlichen schaffen, bedarf es aber keiner Bereichen mit mehr oder weniger grundsätzlichen Änderung des Sy- konstruktiven Vorschlägen kon- stems etwa nach schwedischem, frontiert worden sind, deutet allein englischem oder DDR-Vorbild. Al- schon darauf hin, daß neben man- lerdings erscheinen teils auch tief- chem vordergründigen Motiv auch greifende Strukturänderungen in- berechtigte Kritik an der Gesund- nerhalb des Systems notwendig.

heitsversorgung der Bevölkerung

in unserem Land vorhanden sein Aber von einer Krise des deut- muß. Tatsächlich gibt es ja auch schen Gesundheitswesens zu re- Unzulänglichkeiten im Gesetz so- den — das hat der 77. Deutsche

THEMEN DER ZEIT:

Plädoyer für eine realistische Weiterentwicklung des Gesundheitswesens

FORUM:

Gemeinsamer

Sozialärztlicher Dienst in der Diskussion

„Neue Mathematik"

und „Ganzwortmethode"

überfordern die Schulkinder Arzthonorare —

politökonomisch gesehen

GESETZE UND VERORDNUNGEN:

„Abwicklung"

der Reichsärztekammer

TAGUNGSBERICHT:

Altern und Alter als Provokation

DAS BLAUE PAPIER:

Rehabilitation

FEUILLETON:

Psychographie einer Fahrt in den Süden

REISE:

Seoul — Weltstadt im Fernen Osten

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 44 vom 31. Oktober 1974 3177

(2)

Aufsätze ·Notizen

Gesundheitspolitische Programmvorstellungen

Ärztetag in Berlin zu Recht festge- stellt - ist maßlos übertrieben; be- deutete eine Krise doch, daß die Bundesbürger gegenüber mögli- chen Seuchen schutzlos stünden oder, daß die durchschnittliche Le- benserwartung der Menschen in unserem Land signifikant unter der vergleichbarer Industrienationen liege. Das trifft aber sicher nicht zu. Und dies wissen auch die Polit- gaukler, die besonders während des Ärztetages in Berlin mit ihrer schriftlich, mündlich und hand- greiflich geäußerten Polemik bei manchen Journalisten Anklang fan- den, indem diese sich ohne viel Skepsis von unvergleichbaren sta- tistischen Gegenüberstellungen be- eindrucken ließen. Währenddessen wurden aber von den demokratisch gewählten Gremien, dem Deut- schen Arztetag und vom Marburger Bund, der größten Gewerkschaft der angestellten Ärzte, gesund- heitspolitische Vorstellungen ver- abschiedet, die mit großer Wahr- scheinlichkeit die Gestaltung der Gesundheitsversorgung der Bevöl- kerung wesentlich beeinflussen werden.

Zwei wesentliche Bereiche des Ge- sundheitswesens bedürfen nun- mehr bevorzugt einer Neuregelung:

~ die Struktur der gesetzlichen Krankenversicherung und

~ die Struktur und Vergütung des ärztlichen Dienstes.

Dabei sollten durchaus schon dis- kutierte und scheinbar abgelegte Vorschläge neu durchdacht wer- den, da wir mittlerweile um einige, teils negative Erfahrungen reicher sind, und sich auch die soziale und sozialpolitische Situation in der Bundesrepublik Deutschland ge- wandelt haben.

Die Anspruchsmentalität der Versicherten

Leider ist den zu rund 99 Prozent krankenversicherten Bürgern unse- res Landes das Versicherungsprin- zip, also die gegenseitige Absiehe-

rung von Einzelpersonen gegen das Risiko Krankheit, nicht mehr ausreichend bewußt. Die Einstel- lung, die Versicherung nur im

Eventualfall bzw. zu dessen Verhü- tung einzuschalten, ist einer reinen Anspruchshaltung gewichen, so daß man heute schon von "Ge- sundheitskonsum" spricht. Allzu viele Mitglieder der Versicherten- gemeinschaft verhalten sich so, daß man "aus der Kasse minde- stens ebensoviel herausholen müs- se, wie man selbst hineingezahlt hat". Dabei macht man sich nicht klar, daß dadurch das System nicht mehr funktionieren kann. Aus die- ser Mentalität erwachsen ganz si- cher zum großen Teil die enormen Kosten- und Beitragssteigerungen, die bald das Maß des Vertretbaren zu übersteigen drohen. Trotzdem wird diese Entwicklung aber wohl nicht überall gesehen; denn eine derartige Einstellung zur Kranken- versicherung wird unklugerweise

auch von offizieller und offiziöser Seite noch bekräftigt, zum Beispiel indem man den Versicherten sug- geriert, daß verschiedene Leistun- gen "kostenlos" gewährt würden, gerade so, als wenn nicht alle Lei- stungen der Krankenversicherung ausschließlich durch die Beiträge der Mitglieder finanziert werden müßten. So mag man zwar den ei- nen oder anderen mehr zur Inan- spruchnahme von Vorsorgeunter- suchungen bewegen. Zugleich setzt man aber eine sehr schlichte Struktur des sogenannten mündi- gen Bürgers voraus und verhält

sich ihm gegenüber unehrlich.

Effizientere Mittelverwendung So muß, um die zwangsläufig be- grenzte Finanzmasse für wirklich sinnvolle Zwecke zur Verfügung zu halten, überlegt werden, wie eine gezieltere Inanspruchnahme der Krankenversicherung durch die Versicherten und auch eine stren- gere Selbstkontrolle der Ärzte bei ihren Handlungen erzielt werden können. Und hier sollte man die Diskussion um die Selbstbeteili- gung des Versicherten und die Ein- führung des sogenannten Kosten-

erstattungsprinzips wiederaufneh- men, wobei gerade eine Kombi- nation dieser beiden Verfahren mir besonders wirkungsvoll erschiene.

Es geht nicht an, daß die Kranken- kasse für jedes Pflaster oder ande- re finanzielle Bagatellen miß- braucht wird, während womöglich Geld für lebensnotwendige Maß- nahmen, wie zum Beispiel die Er- weiterung der Vorsorge- und Früh- erkennungsprogramme oder auf- wendige therapeutische Verfahren fehlt. Hier muß der sinnvollen ärzt- lichen und pflegerischen Versor- gung der Vorzug gegeben werden vor einer Verschwendung der zur Verfügung stehenden stets knap- pen Mittel.

~ Der gegen eine sozial vertretba- re, eventuell abgestufte Form der Selbstbeteiligung des Versicherten immer wieder erhobene Einwand, der Patient gehe bei nur scheinbar harmlosen Erkrankungen zu spät zum Arzt, ist nicht stichhaltig. Ein- mal ist es bislang nicht bekannt- geworden, daß schwere Erkrankun- gen bei selbstzahlenden Patienten später diagnostiziert würden. Zum anderen wird immer wieder darauf hingewiesen, daß in der Wertskala der Bundesbürger die Gesundheit an oberster Stelle stehe, so daß zu erwarten ist, daß die große Mehr- heit unserer Bevölkerung sich in Fragen Gesundheit von solchen fi- nanziellen Erwägungen nicht be- einflussen läßt.

~ Die Einführung eines zumindest fakultativen Kostenerstattungsprin- zips würde die Einsicht des Kas- senmitgliedes, einer Versicherung anzugehören, verstärken. Der Pa- tient sollte erfahren, was seine Krankheit die Versichertengemein- schaft tatsächlich kostet. Das halte ich in einer Zeit, wo zahlreiche Er- krankungen durch Selbstverschul- den aus Verantwortungslosigkeit (zum Beispiel Alkoholmißbrauch, Ernährungsfehler, Rauchen, Bewe- gungsmangel, Medikamentenmiß- brauch) entstehen, für wirksamer als andere im Raume stehende Vorschläge wie "Strafzuschläge"

oder ähnlicher Unsinn.

I>

(3)

• Schließlich sollte in einer um- fassenden Studie geprüft werden, ob die vor einigen Jahren einge- führte ungeschmälerte Lohnfort- zahlung im Krankheitsfall nicht doch den Effekt gehabt hat, den Gesundungswillen zu lähmen und die Bereitschaft, krank zu sein, zu fördern. Es sollte zu denken geben, daß in unsicheren wirtschaftlichen Zeiten die Zahl der „Krankfeiern- den" beträchtlich absinkt, ohne daß bisher eine einzige Veröffentli- chung eine etwa daraus resultie- rende zunehmende Zahl bedrohli- cher Erkrankungsfälle nachgewie- sen hätte. Dabei ist auch zu über- denken, ob der Arzt bei der Aus- stellung der Arbeitsunfähigkeitsbe- scheinigung immer die nötige Un- abhängigkeit bei seinen Entschei- dungen besitzt.

Modifikation

der Arbeitsunfähigkeits-Regelung Auf der anderen Seite muß eine Modifikation der Regelung der Ar- beitsunfähigkeit aus medizinisch- therapeutischen Gründen überlegt werden. Im sozialversicherungs- rechtlichen Sinne ist grundsätzlich nach wie vor als arbeitsunfähig zu betrachten, wer für die vor der Ar- beitsunfähigkeit zuletzt ausgeübte Tätigkeit noch nicht wieder voll einsatzfähig ist. Allerdings kann aus medizinisch-therapeutischen Gründen eine schrittweise sich steigernde Arbeitsbelastung die Genesung des Erkrankten fördern und die Wiedereingliederung in das Berufsleben erleichtern.

• Deshalb sollte eine aus medi- zinisch-therapeutischen Gründen angezeigte Teilzeitbeschäftigung (auch bei einem anderen Arbeit- geber oder einer speziellen Ar- beitseinrichtung der Rehabilitation) unter Fortzahlung eines anteiligen Entgelts bzw. Krankengeldes mög- lich sein. Voraussetzungen dazu müssen zum einen die Zustimmung des Versicherten, zum anderen ein entsprechendes ärztliches Gutach- ten sein, nach dem die Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung Be- standteil einer medizinischen The-

rapie ist. Ein derartiges Verfahren wird in Hamburg seit längerer Zeit bereits mit Erfolg praktiziert. Der Marburger Bund versucht diese Auffassung in seinen Vorschlägen zur Gesundheitspolitik zu verbrei- ten.

Für sinnvolle Weiterentwicklung Insgesamt hat unser in großen Tei- len durchaus vorbildliches System der gegliederten Krankenversiche- rung den Nachteil, daß es beson- ders in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität die Versicherten gera- de zum Mißbrauch dieser Einrich- tung einlädt, ohne daß die beteilig- ten Exekutivorgane (hauptsächlich Krankenkassen und Ärzte sowie deren Selbstverwaltungsorgane) nennenswerte Korrekturmöglich- keiten zur Verfügung hätten. Die Sozial- und Gesundheitspolitiker sind aufgerufen, sich zur Weiter- entwicklung Gedanken zu machen, bevor es so weit kommt, daß unser gesamtes Bruttosozialprodukt in das Gesundheitswesen fließen muß. Auf diesen gefährlichen Punkt treiben wir aber zur Zeit ohne Aufenthalt zu!

Verzahnung von ambulanter und stationärer Krankenversorgung Bei den jetzt schon Jahre dauern- den Diskussionen um die Gesund- heitsversorgung der Bürger unse- res Landes hat sich mittlerweile weitgehend die Ansicht durchge- setzt, daß die überkommene stren- ge Trennung zwischen ambulanter und stationärer Krankenversorgung besonders wegen des rapiden technischen Fortschrittes in der Medizin nicht mehr nützlich sei.

Die derzeitigen Pläne, so auch die Aussagen im sogenannten Blauen Papier der deutschen Ärzteschaft, laufen darauf hinaus, daß sich in Zukunft eine Vielzahl von Institutio- nen, die alle Übergänge von der rein ambulanten bis zur vollstatio- nären Patientenbetreuung darstel- len, entwickeln werden. So ist da- von auszugehen, daß in Zukunft die weit überwiegende Zahl der Fach-

ärzte, besonders aus den operati- ven Fächern, aber auch die Interni- sten, an Krankenhäusern tätig sein werden, entweder als Belegärzte in Praxiskliniken oder Belegkranken- häusern oder als „Fulltimer" in Großkrankenhäusern der verschie- denen Versorgungsstufen.

Es ist zunehmend zu beobachten

— und ich kann mir nicht vorstel- len, daß noch eine Rückentwick- lung eintritt —, daß eine Unlust bei den Krankenhausärzten, sich als Facharzt in freier Praxis ohne die Möglichkeit der stationären Be- handlung niederzulassen, besteht.

Zur Zeit zwingen lediglich die Ver- hältnisse den einen oder anderen zu diesem Schritt, weil es die Kran- kenhäuser bisher nicht fertigge- bracht haben, die erforderliche Zahl qualifizierter Ärzte für eine Lebensaufgabe im Krankenhaus zu gewinnen. (Ganz akut scheint sich ein Niederlassungsboom übrigens durch die neuerlich bekannt ge- wordenen Gesetzesinitiativen von Bundesarbeitsministerium und Bun- desrat abzuzeichnen).

So hat die Niederlassung von Fachspezialisten zu erheblichen Verzerrungen geführt insofern, als mehr Chirurgen als praktische Ärz- te denn als Fachärzte für Chirurgie in freier Praxis niedergelassen sein dürften, und daß zahlreiche nieder- gelassene Internisten praktisch weitgehend die Aufgaben von All- gemeinärzten wahrnehmen. Das

kann aber einen in langer Vorbe- reitungszeit zum Spezialisten wei- tergebildeten Arzt nicht befriedi- gen. Und es erscheint auch sehr fraglich, ob diese Entwicklung für die Patienten förderlich ist.

Auch weil bei der rapiden Verteue- rung für die medizinisch-techni- schen Einrichtungen, die bei fach- ärztlicher Betreuung meist unent- behrlich sind, der rationelle Einsatz in einer Praxis, die lediglich ambu- lante Patientenbetreuung betreibt, immer schwieriger wird, dürfte künftig die überwiegende Zahl der Fachärzte wahrscheinlich am Kran- kenhaus tätig sein, sofern die Be- dingungen dies gestatten.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 44 vom 31. Oktober 1974 3179

(4)

Aufsätze ·Notizen

Gesundheitspolitische Programmvorstellungen

~ ln Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung sollten für solche Erkrankten, die keiner fach- spezifischen Betreuung bedürfen, auch Ärzte für Allgemeinmedizin in die stationäre Behandlung einge- schaltet werden.

~ Diese Strukturentwicklung ist also von der Sache her begrüßens- wert, und der Vorschlag der Ein- richtung von Praxiskliniken ist si- cher von daher begründet.

Kette von

Versorgungseinrichtungen

Es wird also eine Kette von Versor~

gungseinrichtungen, von der Praxis des Allgemeinarztes für die ambu- lante Krankenbetreuung, über die belegärztliche Versorgung durch den Allgemeinarzt, über die beleg- ärztliche Versorgung durch den Facharzt bis zur stationären Ver- sorgung durch den Facharzt im Krankenhaus, zur Verfügung ste- hen, die je nach Art und Schwere der Krankheit dem einzelnen Pa- tienten eine möglichst ortsnahe, medizinisch angemessene und wirtschaftlich tragbare Betreuung gewährleistet.

~ Alle daraus resultierenden Betä- tigungsarten des Arztes müssen aber in Form einer freiberuflichen Tätigkeit der Ärzte zum Nutzen der Patienten ausgeführt werden. Ich kann mir eine echte partnerschaf}- liche Patienten-Arzt-Beziehung al- lerdings nur dann vorstellen, wenn der Arzt möglichst unabhängig, das heißt freiberuflich wirkt. Ärztli- che Tätigkeit ist etwas so Individu- elles, daß sie mit wirklicher Befrie- digung für beide Partner - Patient und Arzt - erst bei voller Selb- ständigkeit des Arztes ausgeführt werden kann. Davon gibt es nur wenige Ausnahmen.

~ Jede bürokratisierte Form der Ausübung ärztlicher Tätigkeit in der kurativen Medizin bedeutet ei- nen Schlag gegen die Herstellung einer partnerschaftliehen Bezie- hung zwischen dem einzelnen Pa- tienten und seinem Arzt.

So bin ich davon überzeugt, daß, gleich wo sich diese Beziehung entwickelt, ob im ambulanten oder im stationären Sektor, sich die Art und Weise der Ausführung des ärztlichen Berufes zunehmend an- gleichen wird.

~ Die derzeit noch zementierte Teilung in freiberuflich, meist als Kassenärzte tätige Ärzte und fest- angestellte bzw. beamtete Ärzte an den Krankenhäusern wird nicht mehr aufrechtzuerhalten sein. in beiden Bereichen haben sich ja mittlerweile auch systembedingte nachteilige Konsequenzen heraus- gebildet:

~ So stimmt zum einen das Gebührenordnungssystem längst nicht mehr, und die niedergelasse- nen bzw. die beteiligten oder er- mächtigten Kassenärzte sind durch mißbräuchliche Ausnutzung dieses Mangels durch einige "Kassenlö- wen" manchmal ins Zwielicht gera- ten.

~ Die eigentlichen ärztlichen Lei- stungen werden gegenüber den technischen Zusatzverrichtungen eindeutig minderbewertet, so daß geradezu eine Versuchung besteht, möglichst häufig auf die in der Ge- bührenordnung höher bewerteten technischen Leistungen auszuwei- chen. Hier muß bei der Neufassung der Gebührenordnung darauf ge- achtet werden, daß die Vergütun- gen für die eigentlichen ärztlichen Leistungen in differenzierterer Form aufgenommen werden und angemessen ausfallen. Als wichtig sind dabei zum Beispiel die aus- führliche Anamnese einschließlich Familien- und Sozialanamnese, die entsprechende Beratung, aber auch Ehe- und Sexualberatung zu bedenken.

Eine vernünftigere Anwendung der technischen Hilfsmethoden der Medizin, besonders der Labormedi- zin, kann nur erreicht werden, wenn eine modifizierte Abrechnung dieser Laboruntersuchungen ein- geführt wird. Dabei muß die techni- sche Befunderbringung von der ei- gentlichen ärztlichen Leistung, der

Indikation und der Befundeinord- nung, getrennt werden. Dieses so- genannte Honorarsplitting bedeu- tet, daß dem Befundhersteller - auch wenn er Arzt ist - ein ange- messener Preis für Material-, Per- sonal- und Raumkosten sowie La- borinvestitionen plus Gewinn ge- zahlt wird, daß aber die Honorie- rung der eigentlichen ärztlichen Leistung, nämlich die lndizierung und die Befundeinordnung dieser technischen Untersuchung dem behandelnden Arzt zukommt.

Sonderprobleme bei angestellten und beamteten Ärzten

Bei den angestellten und beam- teten Ärzten liegen die Probleme anders. Hier hat sich im Laufe der Jahre als Folge der Einordnung dieser Arztgruppe in ein Tarifsy- stem eine für andere Bereiche der Arbeitswelt vielleicht durchaus ver- tretbare, typische "Arbeitnehmer- haltung" eingestellt. Pünktliche Gehaltszahlung bei pünktlichem Dienstbeginn und Dienstschluß sind mit der doch auch für diese Ärzte geltenden freien ärztlichen Berufsausübung nicht in Einklang zu bringen.

ln dieser Haltung liegt auch das entscheidende Hindernis auf der Arztseite für die doch von allen Seiten geforderte Erweiterung der Möglichkeit der freien Arztwahl auch in der stationären Versorgung.

(Die Einführung des Schichtdien- stes für Ärzte am Krankenhaus, wie er mancherorts, zum Beispiel in Berlin, bereits praktiziert wird, macht die Realisierung dieses Wunsches völlig unmöglich. Von einer freien Arztwahl im Kranken- haus kann doch wohl keine Rede mehr sein, wenn der Patient im Achtstundenturnus von der Hand des einen in die des anderen Arz- tes weitergereicht wird ... )

Das Problem ist nur auf dem Wege einer Änderung der Vergütung des ärztlichen Dienstes am Kranken- haus zu lösen. [:>

(5)

Arbeitsgruppe

des Marburger Bundes

Der Marburger Bund wird in Kür- ze mit einer Arbeitsgruppe zur Fra- ge der Vergütung des Arztdienstes am Krankenhaus Antworten su- chen. Ich selbst mache keinen Hehl daraus, daß ich allein ein Ausscheiden der Krankenhausärzte aus dem Tarifgefüge für richtig und notwendig halte und eine Einzel- leistungshonorierung nach einer sinnvollen Gebührenordnung for- dere.

Das würde auch viele Probleme der gerade heute wieder aktuellen, vielbeklagten Trennung der ambu- lanten von der stationären Patien- tenbetreuung lösen und die Dis- kussion um die vorstationäre und nachstationäre Behandlung erleich- tern.

Auch der manchmal nur in Form der Spitze eines Eisberges sichtba- re Interessenkonflikt der niederge- lassenen und der im Krankenhaus angestellten Ärzte wäre durch ein für beide Gruppen von der Syste- matik her in gleicher Weise gelten- des Vergütungssystem zu beseiti- gen.

Darüber hinaus ist nur so der mit der endlich sich durchsetzenden Neustrukturierung des ärztlichen Dienstes am Krankenhaus, der Ent- wicklung zu einem Kollegialsystem also, entstehenden Gefahr der zu- nehmenden Verbürokratisierung der Ärzte zu begegnen. Manche Krankenhäuser, besonders im kommunalen Bereich, erscheinen heute bereits als „Administration mit angeschlossener Krankenabtei- lung".

Tarifgefüge und Teamarbeit

Gelegentlich wird argumentiert, daß die Herauslösung der Kran- kenhausärzte aus dem für die mei- sten Krankenhausbetriebsangehö- rigen geltenden Tarifgefüge eine Störung oder gar Zerstörung der Zusammenarbeit und des Zusam- mengehörigkeitsgefühls der im

Krankenhaus Tätigen bedeute. Die ser Auffassung kann ich nicht zu- stimmen. Es ist doch so, daß Teamarbeit nicht von der Vergü- tungsform, sondern von der Struk- tur der Dienste und eben nicht zu- letzt auch von den Persönlichkei- ten selbst abhängt. Im Gegenteil wird eine stärkere Unabhängigkeit der Ärzte im Krankenhaus auch die Unabhängigkeit der anderen am Krankenbett tätigen Mitarbeiter för- dern. Zudem können meines Er- achtens erst bei einer so entste- henden größeren Unabhängigkeit der Angehörigen der medizini- schen Dienste die Konflikte zwi- schen medizinischen und wirt- schaftlichen Zielen eines Kranken- hauses gleichberechtigt ausdisku- tiert werden.

Hier geht es nicht um Machtzu- wachs für eine Gruppe, sondern vielmehr um die Gestaltung einer vernünftigen Balance zwischen me- dizinisch Notwendigem und ökono- misch Vertretbarem.

Es scheint, daß wir in der Bundes- republik Deutschland bei der ge- sundheitlichen Betreuung der Be- völkerung an Grenzen stoßen. Per- sonell und finanziell sind so gut wie keine Reserven mehr vorhan- den. Es gilt, die zur Verfügung ste- henden Kapazitäten realistisch und bestmöglich einzusetzen.

Mir ist klar, daß nahezu nichts von dem, was hier gesagt wurde, neu ist und nicht schon früher von an- deren gesagt wurde. Aber gerade das, was bisher nicht aufgegriffen wurde, muß deswegen nicht falsch sein.

Vielleicht wurde es damals nur zur Unzeit oder taktisch unklug vorge- tragen. Alle Beteiligten müssen auch selbstkritisch überlegen, was sie selbst zur Verbesserung der Si- tuation beitragen können.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe 565 Solingen-Gräfrath

Von-Galen-Straße 61

Gemeinsamer Sozialärztlicher Dienst in

der Diskussion

Zu den Beiträgen in Heft 2/1974, Seite 53 ff., Seite 95 ff., Heft 3/1974 Seite 130ff., und Heft 36/1974, Seite 2598 ff.

Im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT Heft Nr. 36/1974, Seite 2598 ff., ist aus dem „Blauen Papier" die end- gültige Fassung der „Gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellun- gen der deutschen Ärzteschaft", zum „Öffentlichen Gesundheits- dienst" und zu den „Ärztlichen Diensten bei den Sozialleistungs- trägern" veröffentlicht worden.

Daraus ergibt sich als Beschluß des Deutschen Ärztetages 1974 die Ablehnung eines einheitlichen oder gemeinsamen sozialärztlichen Dienstes und die Befürwortung ei- ner großregionalen Gesundheits- fachverwaltung an Stelle der bishe- rigen Gesundheitsämter.

Zum Thema „Gemeinsamer Sozial- ärztlicher Dienst" sind im DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATT bisher nur ablehnende Ärztemeinungen zu Wort gekommen (Heft 2 und 3/

1974). So muß zwangsläufig der Eindruck entstehen, daß hier eine einheitliche ablehnende Haltung al- ler Ärzte — insbesondere aber der bei den verschiedenen Soziallei- stungsträgern mit Gutachtertätig- keiten betrauten Ärzte — besteht.

Dem ist aber sicher nicht so.

In den nachfolgenden Ausführun- gen wird eine gegensätzliche — d. h. positive Einstellung zu einem gemeinsamen „Sozialärztlichen Dienst" vertreten, und zwar aus der Sicht und Erfahrung einer mehr als 25jährigen Tätigkeit als Gutachter, Gutachtenprüfarzt und schließlich Leitender Arzt einer großen versor- gungsärztlichen Dienststelle.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 44 vom 31. Oktober 1974 3181

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Wichtig für den Therapie- erfolg seien, so Bonsmann, evidenzba- sierte, praxisnahe Konzepte, verbunden mit einer realistischen Erwartungshal- tung bei Zahnärzten

Nach Befragungen der DKG werden 14 Prozent der Krankenhäu- ser die interne Budgetierung erst mittel- oder langfristig einführen, nur 16 Prozent aller befragten

Langfristig wird sich die Kran- kenversicherung, für die es künftig eine Pflicht zur Versicherung geben wird, auf eine steuerfinanzierte Grund- finanzierung für

Bei den berufstätigen Ärzten hat die Zuwachsrate ebenfalls deut- lich über dem langfristigen Durch- schnitt gelegen: fast 6500 Ärztinnen und Ärzte Netto-Zugang bedeutet über

Deutschen Ärztetages im An- schluß an die Debatte folgender Pas- sus angefügt: „Strukturelle Verände- rungen, welche die Weiterbildung für Allgemeinmedizin nicht fördern und

Hierin liegt die Chance für freiberufliche Ärzte und freie Ärzteverbände – auf einem zukünftigen Gesundheits- markt, der durch die Nachfrage ihrer. „Kunden“ nach

29,3 Prozent meinen, daß Kuren nur bei speziellen Indikatio- nen wie bei einer Rehabilita- tion durchgeführt werden sollten, und dies nur für wirklich Kranke bei Verzicht

Auch bei dieser Frage zeigt sich, daß Ärzte bis 35 Jahre die Aus- dehnung der Selbstbeteiligung mit 58 Prozent weniger häufig befürwor- ten als alle anderen Altersgruppen, die mit