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Archiv "Männer in den besten Jahren" (21.04.1988)

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Manner in den besten Jahren

in Thema auch

ä für den Arzt

leonore Le

THEME DER ZEIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

I

n der Auseinandersetzung mit der Problematik der Lebensmit- te ist es gerade für Ärzte ange- zeigt, über die Erstellung eines

„objektiven" Krankheitsbildes hin- auszugehen. Die Krankheitsanfällig- keit um die Lebensmitte unterschei- det sich von der anderer Lebenspha- sen. Oft liegt die Bedeutung der Krankheitssymptome in ihrer Sym- bolik.

Es handelt sich hierbei nicht um

„alte Krankheitsgeschichten", d. h.

mehr oder weniger habituelle oder chronisch-präsente Episoden, son- dern um Krankheitsbilder, die eine Art Bewältigungsform im Verhal- tensrepertoire eines jeweiligen Men- schen sein mögen.

Krankheit ist nicht immer ein objektiv-somatischer Befund, der messend-diagnostisch erfaßt und dann apparativ-technisch geheilt werden kann. Ich will hier jedoch nicht für Patienten in der Lebens- mitte die Überweisung in die Psy- chotherapie als Allheilmittel anra- ten. Gerade die Literatur zur psy- choanalytischen und zur psy- chotherapeutischen Behandlung und ihrem Erfolg im mittleren und spä- ten Erwachsenenalter ist recht kon- trovers.

Schon Freud wies auf eine „Ri- gidität" der Persönlichkeit um das 50. Lebensjahr hin, mit dem Gedan- ken, daß die Analysierbarkeit des Patienten von da an stark zurückge- he (Freud 1904; 1933). Später arbei- tende Psychoanalytiker wiederholen diese Bedenken, während andere finden, daß Klienten im mittleren Lebensalter durchaus positive und fortschrittliche Entwicklungen in der Therapie und darüber hinaus zeigen

(Shainess, 1979). Sicherlich gilt, daß psychotherapeutische Maßnahmen in mittleren und höheren Lebensjah- ren mit geringeren „Erfolgen" zu rechnen haben.

Das mittlere

Erwachsenenalter

Das mittlere Erwachsenenalter ist in vielen Aspekten eine Verlän- gerung des frühen Erwachsenenal- ters (20 bis ca. 40 Jahre). Die im frü- hen Erwachsenenalter übernomme- nen Verantwortlichkeiten in den Be- reichen Beruf, Partnerschaft, Fami- lie werden hauptsächlich aufgebaut bzw. gelebt. Die Struktur, für die man sich entschieden hat, bleibt er-

halten und wird ausgefüllt über eine ganze Reihe von Jahren.

Bezeichnend allerdings für die Zeit des mittleren Erwachsenenal- ters (40. bis ca. 60. Lebensjahr) ist, daß mit fortschreitender Zeit Verän- derungen auftreten, die letztlich zu einer neuen Struktur der Lebenssi- tuation führen. So verändern sich mit dem Erwachsenwerden der Kin- der deren kindliche Anforderungen an Zeit und Arbeitsaufwand der El- tern: aktive Elternschaft mündet in passive Elternschaft. Meist wird das Nachlassen dieser Verantwortungen und Verpflichtungen gerade von Müttern als befreiend erlebt (Datan/

Antonovsky/Maoz, 1981). Bisher etablierte Familienstrukturen än- dern sich mit möglichen Folgen für andere Lebensbereiche. Das mittle- re Erwachsenenalter präsentiert den einzelnen also mit Veränderungen in der über viele Jahre gelebten Le- bensstruktur (Levinson et al. , 1978).

Damit ist eine Reorganisation der Prioritäten für die Lebensbereiche Beruf, Familie, Parternschaft im mittleren Lebensalter zu erwarten.

Die Studie

Zur Abklärung einer Vielfalt entwicklungspsychologischer Frage- stellungen wurden 42 Männer inter- viewt. Die Altersspanne dieser Gruppe reicht von 40 bis 57 Jahren mit einem Durchschnittsalter von 47 Jahren. In der Regel fand das Inter- view während eines einmaligen Ter- mins statt (1986 bis 1987) und dauer- te circa 3 bis 4 Stunden. Die Studien- teilnehmer leben im süddeutschen Raum; sie sind alle voll berufstätig, in den unterschiedlichsten Berufen zum Beispiel Rechtsanwalt, Versi- cherungsvertreter, Arzt, Lehrer, Pa- stor, Bankkaufmann, handwerkliche Berufe). Fast alle Männer sind ver- heiratet oder leben in einer festen Partnerschaft, die meisten haben Kinder. Ihre gegenwärtige Lebenssi- tuation ist also äußerlich stabil.

Aus der Fülle der Interviewma- terialien wurden für diesen Text je- ne Angaben der Studienteilnehmer herangezogen, die auf Fragen zu er- sten Alterserlebnissen gegeben wur- den.

Die Entwicklungspsychologie der Lebensspanne geht von der Grundannahme aus, daß jede Lebenszeit eigene charak- teristische Merkmale besitzt. Dies ist eine betonenswerte Po- sition, steht sie doch der immer noch weitverbreiteten An- nahme entgegen, daß die frühen Lebensjahre, also Kindheit und Jugend, unabänderliche Muster für die weiteren Lebens- jahre eines Menschen prägen. Ich verweise hier unter ande- rem auf die klassische Freudsche Psychoanalyse, aber auch auf allgemeine Aussagen aus dem Volksmund. Beispielswei- se: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr", oder auch „früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will".

A-1092 (24) Dt. Ärztebl. 85, Heft 16, 21. April 1988

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Thematisierung der Gesundheit und erhöhte Körper- aufmerksamkeit

In der Regel bringen die Jahre der Lebensmitte keine rapiden oder auffallenden gesundheitlichen Ver- änderungen mit sich. Auf jeden Fall werden die Fähigkeiten des einzel- nen zur Erfüllung der täglichen An- sprüche im Beruf und in den übrigen Lebensbereichen nicht grundsätzlich durch Alterungsprozesse einge- schränkt Allerdings verdeutlicht sich der Alterungsprozeß in diesen Lebensjahren, indem größere An- strengungen notwendig werden, da- mit das bisherige Erscheinungsbild erhalten werden kann. Leistung mag erhalten bleiben, fordert aber ihren Preis.

„Ich war schon immer aktiv im Sport, habe bei Skimarathon mitgemacht. Daß ich die Spitzen sowieso nicht mehr errei- che, ist mir klar. Ich merke, daß ich mü- de werde, daß man nicht mehr so gut ist, und ich muß laufend etwas machen. Man muß immer etwas tun — und besonders einigermaßen vernünftigt leben." (56 Jahre)

„Die Erholungsphasen sind länger heute als früher — gerade wenn ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen habe."

(41 Jahre)

„Mein Ziel ist es, körperlich und gei- stig fit zu bleiben, die Kräfte zu erhalten

— das ist wichtig, denn ich merke schon heute, daß ich längere Regenerationspha- sen brauche." (49 Jahre)

„Bisher war die Gesundheit gut. Aber man denkt daran, öfters jetzt auch, je äl- ter man wird. Das schlimmste wäre, wenn etwas in der Familie passieren wür- de — alles andere kann man managen."

(47 Jahre)

Soweit über die sich bemerkbar machenden Gedanken um die eige- ne Gesundheit, die Erkenntnis, daß längere Ruhepausen gebraucht wer- den, bis man sich erholt hat und auf dem alten Leistungsstand ist.

Die empirische Literatur weist darauf hin, daß in diesen Lebensjah- ren meist erste gefühlsbetonte Reak- tionen auf Alterungsprozesse, die schon geraume Zeit im Gange sind, auftreten (Levinson et al. , 1978;

Neugarten, 1968). Zu diesen soge-

nannten Alterserfahrungen gehören Gewichtszunahme, weniger Durch- haltekraft, zunehmend graue Haare beziehungsweise Haarausfall, ver- schlechtertes Sehvermögen (zwei In- terviewteilnehmer erwähnten die Brille als Altersanzeichen).

Auch die Beispiele der ersten sportlichen Niederlagen gegen jün- gere, zum Beispiel gegen den Sohn, zählen dazu.

Zu dem Gesundheitsbereich ge- hört aber auch eine zunehmende Körperaufmerksamkeit (body moni- toring). Dabei werden vor allem die körperlichen Leistungsfähigkeiten moniert:

„Ich bin nicht mehr so leistungsfähig

— gerade bei körperlichen Aktivitäten.

Beim Waldlauf und beim Tennis bekom- me ich mal den Wadenkrampf, früher ist mir das nie passiert." (48 Jahre)

Hier ist es nicht so wichtig, daß der Wadenkrampf anscheinend frü- her nie auftrat, sondern, daß dieser im Zusammenhang mit Altern und Leistung betont wird. Ein anderer Interviewpartner, dem seine sexuel- le Leistungsfähigkeit sehr wichtig ist, bemerkt, daß er nun schon mal keine Lust zum Geschlechtsverkehr habe; für ihn ein beunruhigendes Zeichen.

Ein weiterer Themenbereich der mittleren Lebensjahre, auf den hier inhaltlich einzugehen ist, be- trifft die sich ändernde Zeitperspek- tive.

Veränderung

der Zeitperspektive

Durch zeitliches Näherrücken des Lebensendes verändert sich die Zeitperspektive von einer gemesse- nen Zeit „seit der Geburt" zur einer

„noch verbleibenden Zeit" bis zum Tode (Neugarten, 1968). Aussagen zur Zeitgewichtung über das Er- wachsenenalter ergeben für die Jah- re von 35 bis 43 eine gleichgewichte- te Betonung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; für die Jahre bis 50 eine Betonung der Ge- genwart als zeitlichem Rahmen für das eigene Leben (Gould, 1972).

Für die Zukunft wird meist keine

Verbesserung der guten Gegenwart erwartet (Tamir, 1982).

„Beim 50. Geburtstag hatte ich das Sinnbild einer Plattform; vorher ging es bergauf — jetzt nicht und hinten geht es runter. Ich bin beklommen darüber. Der Weg ist gemütlich, er schlängelt sich in Richtung Tal. Torschluß kam auch auf in mir. Was hättest du alles anders machen können — jetzt kannst du nichts mehr bes- ser machen." (53 Jahre)

Gerade dieses Bild der Lebens- mitte als Zenit und auch Scheitel- punkt, Gipfel des Lebens wird von C. G. Jung (1931) beschrieben. Das gleiche Thema wurde von Nietzsche (1883/85) aufgegriffen: „Der Le- bensmittag, vor dem sich der Nach- mittag des Lebens ins Tal neigt — der Abstieg ist an der Reihe".

Die Protokolle verzeichnen recht einschlägig, daß die Interview- partner erwarten, erhoffen, daß al- les so bleibt wie es ist (und in den meisten Fällen ist ja alles zur Zufrie- denheit).

Der eigenständige Charakter der 5. und 6. Lebensdekade läßt sich auch an anderen empirischen Arbei- ten aufzeigen, in denen Probanden gebeten wurden, ihren Lebensver- lauf über eine Zeichnung darzustel- len. Im Muster zeigen diese Lebens- graphiken einen Anstieg der Le- benskurve mit einem Höhepunkt im Alter von 40 bis 50 und münden dann in eine abfallende Kurve (Back/Bourque, 1970).

Manche Männer nennen ein Ge- fühl des rapiden Zeitflusses, Zeit rinnt durch die Finger. Hinweis auf die unumgängliche Sterblichkeit sind Verlusterlebnisse im sozialen Gefüge, zum Beispiel eine bedroh- liche Erkrankung von Kollegen, Tod von Gleichaltrigen und letztlich auch der Alterungsprozeß und Tod der ei- genen Eltern.

Der Interviewpartner hatte bei der Ausübung einer Sportart einen gefähr- lichen Sturz. Als er heimkam, erzählte er seiner Frau: „Eigentlich hätte ich tot sein können." Die Frau schimpfte mit ihm (über seine Leichtsinnigkeit — die Sport- art ist ihr nicht genehm) und er erkennt:

„Eigentlich wollte ich getröstet werden".

(56 Jahre)

„Als der Vater mit 77 gestorben ist, da erkannte ich, jetzt bist du die Genera- Dt. Ärztebl. 85, Heft 16, 21. April 1988 (27) A-1093

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tion - die, die am nächsten dran sind, sind wir". (49 Jahre)

Der Alterungsprozeß der eige- nen Eltern kann auch zu einer Aus- einandersetzung und Vorbereitung auf das eigene Altern werden.

„Älterwerden ist begleitet vom Allein- sein. Es geht besser (das Altwerden), wenn man sich damit beschäftigt. Ich kann an meiner Mutter sehen, wie wich- tig es ist, alleine sein zu können. Es ist unglaublich, wie die mit dem Alter fertig wird. (Mutter geb. 1899). Sie legt noch Patiencen und strickt Söckchen für ihre Enkelkinder." (53 Jahre)

Als dritten Schwerpunkt gilt es Veränderung von Gefühlen und Einstellungen anzusehen.

Veränderung von Gefühlen und Einstellungen

Daten aus Längsschnittstudien weisen auf eine zunehmende Über- kreuzung der geschlechtlichen Pola- ritäten hin, das heißt, bei Männern ist eine Abwendung von materiell- instrumentellen Werten zu verzeich- nen, ebenso eine zunehmende Nei- gung zur Abhängigkeit und zum Versorgt werden, zur Passivität (Neugarten/Gutmann, 1968; Lo- wenthal et al. , 1975). Werden Ehe- paare in den mittleren Lebensjahren gebeten, den Partner zu beschrei- ben, so geschieht dies weitgehend anhand normativer Rollenerwartun- gen.

In jungen Jahren waren es dage- gen persönliche Attribute, die am Partner bemerkt und geschätzt wur- den, ebenso Gemeinsamkeiten.

Die Frauen in der Lebensmitte sind ihrem Partner gegenüber kri- tisch, sie erwarten wenig Änderun- gen. Die Ehezufriedenheit ist in die- sen Jahren bei Frauen am gering- sten. Die Männer erwarten aber auch keine positiven Beschreibun- gen ihrer selbst von ihren Partnerin- nen. Sie zeigen sich dankbar über deren Vorzüge, benennen diese und geben gleichermaßen zu, daß sie den gefühlsorientierten Erwartungen ih- rer Ehepartnerinnen nicht entspre- chen (Thurnher, 1976).

Problematisch wird sicherlich die passive Emotionalität der Män- ner (Lehr, 1987). Sie zeigen sich eher in gefühlsmäßiger Abhängig- keit, ohne selber aktiv auf die Er- wartungen und Forderungen ihrer Frauen einzugehen.

Der Interviewpartner wollte immer ei- ne Frau, die Mütterlichkeit und Kumpel- haftigkeit in sich vereint. „Mir ist bewußt geworden, daß das, was ich suche, das gibt es nicht . . . ich habe zwar etwas ge- sucht, aber nie richtig gefunden. In der 2.

Ehe - mit Abstrichen - hab ich nun eine Frau, die Mutter und Kameradin ist, aber eigentlich ist diese zweite Frau nicht so mütterlich, obwohl sie Kinder in die Ehe mitgebracht hat. Für meine Frau bin ich etwas gewaltiges . . . ein Halbgott. Mir _macht das zum Teil Schwierigkeiten - ich

will doch ihr Mann sein und nicht ihr Götze." (56 Jahre)

Männer bemerken also oft in der Lebensmitte, daß sie den emo- tionalen Bedürfnissen ihrer Partne- rinnen nicht nachkommen. Zwar äu- ßern sie im Interview Sensitivitäten der Lebenssituation der Partnerin gegenüber (gerade wenn das Kind, vielleicht noch das einzige, aus dem Haus gegangen ist und damit der Frau der Ansprechpartner fehlt), aber sie selbst fühlen sich nicht im- stande, der Ehepartnerin aktiv ent- gegenzukommen; Gefühle der Hilfs- losigkeit scheinen vorhanden zu sein, und auch Hilflosigkeit im Um- gang mit Gefühlen.

Der Interviewpartner beklagt die Ge- fühlskälte seiner Frau, gerade auch im Bett und er sagt von sich, heute würde er es anders machen mit seiner Frau, er würde mit ihr über alles reden und spon- taner sein. Gefühle sucht er bei seinem Sohn, vermißt dort Nähe und auch einen gewissen zärtlichen Umgang mit ihm, er lernt dabei, ihn sein zu lassen, auch in der Distanz und sagt: „Von Kindern kann man sehr viel lernen, da kann man die Sachen sehen, die uns längst verloren- gegangen sind." (43 Jahre)

Eine andere Einstellung zum Alter kommt auch in so formulierter Erkenntnis zum Ausdruck:

„Jeden Tag, mit dem ich älter werde, da geht nichts mehr so schnell vom Tisch.

Das ist der Altersprozeß, die Erfahrung fehlt, wenn man jünger ist - da ist es im-

mer einfacher zu entscheiden. Mit dem Alter wird alles komplizierter." (49 Jahre)

Oder Veränderungen im eige- nen Ich:

„Ich bin ruhiger geworden, meine Hobbies haben sich geändert. Heute höre ich mehr klassische Musik (Mozart und Beethoven, allerdings noch keinen Bach oder Wagner). Früher waren das mehr Volkslieder, Operetten. Ich brauch mehr Zeit mit mir selber - und da bin ich froh, daß ich neuerdings einen längeren Ar- beitsweg habe, so habe ich da die Gele- genheit, mit mir selber zu sein." (50 Jahre)

Konsequenzen für die

Therapie

Die Tendenz, das Erwachsenen- alter als Monolith der Stabilität zu sehen, ist, auch durch die hier vorge- legten Aussagen von Männern in dieser Lebenszeit, grundsätzlich in Frage zu stellen. Männer und Frau- en im mittleren Erwachsenenalter erleben Veränderungen und rea- gieren auf diese.

Daß sich diese Veränderungen vorrangig erst mal im körperlichen Bereich zeigen, scheint einleuch- tend: Der Körper ist Spiegel und Ausdrucksebene somatischen und psychischen Erlebens. Störungsauf- tritte werden schnell - und nicht un- bedingt fälschlich - von Betroffenen als Krankheit registriert. Der Arzt wird Ansprechpartner, helfende In- stanz in der Auseinandersetzung mit und Beseitigung dieser körperlichen Störung.

Exakte und genaue Untersu- chungen zur Abklärung des Organ- befundes sind immer unerläßlich.

Diese gründlichen Untersuchungen zeigen auch dem Patienten, daß sei- ne Beschwerden vom behandelnden Arzt ernstgenommen werden. Tra- gende Elemente der Arzt-Patienten- Beziehung sind Sicherheit und Ver- trauen.

Die psychische Reaktion des Pa- tienten auf den Arzt ist oft ein aus- schlaggebender Aspekt jeglicher Art von Therapie (Nager, 1985a). Dies A-1094 (28) Dt. Ärztebl. 85, Heft 16, 21. April 1988

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spricht den Arzt als „Schöpferische Persönlichkeit" an, indem er eine seelische Beziehung zum Patienten herzustellen vermag Innerhalb die- ser kann es dann möglich sein, daß mit Hilfe des Arztes ein Aufhellen der Erfahrungen geleistet wird, die den Patienten in seiner lebenszeit- lichen Einbettung und den damit an- fallenden Entwicklungsaufgaben zeigen.

Natürlich erfordert dies auch Bereitschaft und Fähigkeit zur In- trospektion von seiten des Arztes.

Der Blick in das eigene Innere ver- langt die Bewußtmachung eigener innerer Vorgänge. Dies ist beson- ders dann vonnöten, wenn sich beim Arzt eine ähnliche Lebensthematik konstelliert.

Gegenstand des Untersuchungs- gespräches zwischen Arzt und Pa- tient sollte der Symbolcharakter der jeweiligen „Krankheit" sein. Die verstärkte Selbstbeobachtung sei- tens des Patienten kann eingebun- den werden in Fragen nach Thema und Sinn der Krankheit sowie deren Ursachen.

So kann Jacques' (1965) These, daß Ursache für die Veränderungen in der Lebensmitte die Angst vor dem Tode, vor dem endgültigen Verlust sei, mit auftretenden Herz- beschwerden in diesen Lebensjah- ren assoziiert werden.

Der Internist Prof. Dr. Nager (1985b) hat in einem lesenswerten Aufsatz über den besonderen Sym- bolcharakter des Herzens geschrie- ben. Auch ist sicherlich Gutmanns' (1980) Hinweis bedenkenswert, daß Männer in der Lebensmitte mit ei- ner Abhängigkeitsthematik kon- frontiert sind. Mit dieser kommt der Patient dann zum Arzt und/oder ins Krankenhaus; Institutionen also, die eine abhängige Haltung gerade er- fordern und diese Bedürfnisse damit auch befriedigen.

Über die Symbolik, die anfal- lende Krankheitsbilder aufhellen mag, hinaus ist wichtig, daß der Arzt dem Patienten Orientierungshilfen anbieten kann. Diese können als Meßlatte dienen, an denen erlebte Körperfunktionen verankert wer- den.

In der Erlebniswelt dieses Le- bensalters dient als Vergleich zum

jetzigen Leistungsstand ja meist der frühere. Veränderung wird also im Grunde genommen als Abbau, Ver- lust erlebt und der Verlust wird ne- gativ bewertet.

Daß Älterwerden Anderswer- den bedeutet und daß Anderswer- den nach neuen Maßstäben ver- langt, ist sicherlich kein Wissen, das wie ein Löffel Medizin geschluckt werden kann. Das Gespräch, das auch die Frage nach Leistung und ih- rem Platz im eigenen Leben aufneh- men muß, darf hier auch auf die not- wendig werdende Sinnfrage des Le- bens verweisen. Laut C. G. Jung liegt allen Krankheiten jenseits der Lebensmitte ein endgültiges Pro- blem zugrunde, das er in enger Ver- knüpfung zur Sinn- und Religions- thematik sieht (Barz/Kast/Nager, 1986).

Gegenstand der entwicklungs- psychologischen Forschung sind die vielfältigen Prozesse, die zur Ent- wicklung des Menschen im Laufe seines Lebens beitragen. Dabei wechseln Phasen einer verschlech- terten Allgemeinbefindlichkeit bis hin zur Krankheit mit Zeiten von gu- tem bis höchstem Wohlbefinden (Gesundheit) ab. Oft sind bela- stungs- und spannungsreiche Le- benssituationen wenn nicht Auslö- ser, dann doch Hintergrund für Un- wohlsein und Krankheit.

Die Entwicklungspsychologie kann hier einen wesentlichen Bei- trag zum Verständnis von Lebens- phasen leisten, die den Menschen mit unterschiedlichen Entwicklungs- anforderungen konfrontieren.

Krankheits- und Gesundheitszustän- de werden dann in einem lebenszeit- dynamischen Rahmen verortbar, in dem nun auch sich verändernde kör- perliche und psychische Befindlich- keiten ihren verständlichen und sinnhaften Platz haben.

Literatur bei der Verfasserin

Anschrift der Verfasserin:

Eleonore Lehr, Ph. D.

Sozialwissenschaftliche Fakultät Fachgruppe Psychologie

Universität Konstanz Postfach 55 60 7750 Konstanz 1

„Wer heilt, hat recht!"

Düsseldorfer Seminargespräch über Homöopathie

Gibt es ein Gespräch zwischen Schulmedizin und Homöopathie?

Prof. Dr. med Hans Schadewaldt, Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin an der Universität Düs- seldorf, wollte es wissen. Er lud die Bonner Ärztin Dr. med. Wiltraut Reich, die sich als „Schulmedizine- rin" mit Homöopathie in ihrer Pra- xis beschäftigte, zu einem Vortrag im Rahmen der Seminarreihe „Me- dizin und Philosophie", ein. Thema:

„Praxis der Homöopathie — Homöo- pathie in der Praxis."

Was Frau Reich zum Thema vortrug — das Auditorium hörte mehr als eine Stunde geduldig zu — war eine von Erfolgen in der eigenen Praxis begleitete Kasuistik, die sie allerdings mit Überzeugungskraft präsentierte. Sie sprach von „Pulsa- tilla" „Lachesis" , „Nux vomica"

und „Phosphor".

Sie hatte erklärt, mit Dr. med.

Veronica Carstens zusammenzuar- beiten und wunderte sich über das Versagen ärztlicher Behandlung in zahlreichen Fällen, die nach frustra- ner Behandlung in der Allgemein- praxis der Ärzte endlich, und zwar zufällig oder empfohlen, in ihre Pra- xis kamen, in der sie sie einer indivi- dualisierten Therapie mit zum Teil bis auf D200 hochverdünnten Sub- stanzen — Zwischenruf aus dem Au- ditorium: „Frau Carstens verdünnt bis zu den Photonen, sagte sie mir"

— behandele, um auf homöopathi- sche Weise zu heilen. Dokumentiert habe sie ihre Fälle nicht. Das sei in einer großen Praxis zeitlich nicht möglich. Sie rühmte sich aber, lange nach Abschluß der Behandlung von Patienten beiderlei Geschlechts noch Dankesbriefe zu erhalten, die auch verkünden, nur sie habe die Heilung vollbracht.

Das war zuviel! Kaum hatte Hans Schadewaldt die Diskussion Dt. Ärztebl. 85, Heft 16, 21. April 1988 (31) A-1095

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