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ekaufte Verschreibungen, be- stochene Ärzte sind die Schlag- worte im Zusammenhang mit Anwendungsbeobachtungen.Dabei sollen sie dazu dienen, „Er- kenntnisse bei der Anwendung zuge- lassener oder registrierter Arzneimit- tel zu sammeln“. So will es das Arznei- mittelgesetz. „Derzeit haben die An- wendungsbeobachtungen nichts mit Wissenschaft zu tun. Sie sind ein reines Marketinginstrument“, beschrieb der Allgemeinarzt Dr. med. Klaus Wahle auf der Tagung der Fachgesellschaft der Ärzte in der Pharmazeutischen In- dustrie (FÄPI) in Bonn die aktuelle Situation. Wahles Kritik richtete sich vor allem gegen ein simples Studien- design, das keinem wissenschaftlichen Anspruch genüge. Dabei könnten An- wendungsbeobachtungen seiner An- sicht nach dazu beitragen, die Kluft zwischen klinischen Studien und der Realität der praktizierenden Ärzte zu schließen. Viele Ergebnisse der kli- nischen Forschung hätten keinerlei Relevanz für die Praxis, lautet Wahles Urteil. Zudem finde Forschung im weitverzweigten Gebiet der Allge- meinmedizin kaum statt. Hier bö- ten Anwendungsbeobachtungen auf- grund ihrer praktischen Ausrichtung eine Möglichkeit, allgemeinmedizini- sche Forschung zu betreiben. So könn- ten beispielsweise „klinische“ Thera- piekonzepte unter Alltagsbedingun- gen überprüft und hausärztliche Dia- gnose- und Therapieschemata ent- wickelt werden.
Produkt-Management zu einflußreich
Wahle räumte ein, daß es kein In- strument gebe, um zu überprüfen, ob die niedergelassenen Ärzte den Ein- satz eines neuen Arzneimittels gewis- senhaft dokumentieren. Abhilfe kön- ne nur geschaffen werden, indem die Ärzte entsprechend motiviert würden.
Fachliches Interesse müsse durch ein qualitativ gutes Studiendesign und pra- xisrelevante Fragen geweckt werden.
Ähnlich kritisch sieht auch Dr.
med. Claus Kori-Lindner, Vorstands- mitglied der FÄPI, die derzeitige Situa- tion: „Wir haben uns die Fragestellun- gen vom Produkt-Management aus der Hand nehmen lassen. Wir sollten einen
Schlußstrich ziehen unter das bisherige Vorgehen.“ Denn Anwendungsbeob- achtungen könnten wichtige Informa- tionen zur Nutzen-Risiko-Bewertung eines Arzneimittels liefern. „Bei einer fundierten, überzeugenden AWB geht es um die Marktfähigkeit und Sicher- heit des Arzneimittels, nicht um seine Marktpenetranz“, sagte Kori-Lindner.
Nach Ansicht von Rechtsanwalt Herbert Wartensleben sind die Miß- stände derzeit so, daß kein Arzt mehr eine AWB ernst nehme. Ziel einer ord- nungsgemäßen Anwendungsbeobach- tung sei es, Erkenntnisse über die Arz- neimittelutilisation zu gewinnen. Des- halb dulde eine AWB keine Manipula- tionen der Therapie zum Zweck der Beobachtung. Der Arzt dokumentiere nur dann, wenn er das betreffende Arzneimittel im Rahmen seiner Routi- nebehandlung verordne. Das werde gerade von Marketingmitarbeitern der Pharmafirmen gerne übersehen.
Die Frage, wie sich ein Arzt davor schützen kann, unwissentlich in Mar- keting-Studien eingebunden zu wer- den, hat den Förderkreis Qualitätssi- cherung der Kassenärztlichen Vereini- gung Schleswig-Holstein beschäftigt.
Er hat eine Checkliste zur Qualität von Anwendungsbeobachtungen her- ausgegeben, von denen der Arzt ablei- ten kann, ob die AWB wissenschaftli- chen Kriterien gerecht wird.
Auch das Bundesinstitut für Arz- neimittel und Medizinprodukte hat Empfehlungen zur Durchführung und Planung von Anwendungsbeobachtun- gen erstellt und den betroffenen Ver- bänden zur Stellungnahme zugeleitet.
Dr. med. Maria Holz-Slomczyk vom Bundesinstitut begründet dies damit, daß die Berliner Behörde vor allem im Bereich der Homöopathie und der be- sonderen Therapierichtungen schlech- te Erfahrungen mit Anwendungsbeob- achtungen gemacht hat. Ein großes Problem sei die Datenqualität. Dabei hält auch sie das Instrument für aus- baufähig. Im Gegensatz zu klinischen Studien, die sehr eingeschränkt seien, erhalte man hier „wirkliche Daten“.
Rahmenbedingungen schaffen
Dr. med. Karl-Heinz Munter, Ge- schäftsführer der Arzneimittelkommis- sion der deutschen Ärzteschaft, ist der Ansicht, daß eine Verpflichtung zur Veröffentlichung der Ergebnisse die Qualität von Anwendungsbeobachtun- gen verbessern könnte. Er forderte zu- dem angemessene wissenschaftliche und organisatorische Rahmenbedin- gungen. AWB dürften sich jedoch nicht zu einem Kontrollinstrument für ärztli- ches Handeln entwickeln. Qualitäts- sichernde Maßnahmen seien Aufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung.
Vor allem die Honorierung der Dokumentationsleistungen im Rah- men von Anwendungsbeobachtungen hat die Ärzte in Verruf gebracht.
Wahle schlug deshalb vor, das Hono- rar auf der Basis einer ärztlichen Gebührenordnung, beispielsweise der GOÄ, zu berechnen. Vorwürfe der Bestechlichkeit würden auf diese Weise entkräftet. Heike Korzilius A-2965
P O L I T I K AKTUELL
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 45, 7. November 1997 (21)