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Archiv "SOZIALE FRÜHWARNSYSTEME: Handeln statt grübeln" (25.05.2007)

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A1450 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 21⏐⏐25. Mai 2007

1 1 0 . D E U T S C H E R Ä R Z T E T A G

die Lage versetzt werden, säumige Eltern zu erinnern beziehungsweise die Familien ausfindig zu machen, die sich der Teilnahme an der Vorsor- ge entziehen.

Keine Screeningstellen

Weitergehende Anträge, mit denen zentrale Screeningstellen zur Über- prüfung der Teilnahme an Früherken- nungsuntersuchungen gefordert wur- den, fanden keine Mehrheit. Dafür hatte sich unter anderem der Präsi- dent der Ärztekammer des Saarlands, Sanitätsrat Dr. Franz Gadomski, aus- gesprochen. Das Saarland hat als ers- tes Bundesland eine Screeningstelle eingerichtet. Eltern sind dort ver- pflichtet, mit Kindern zwischen ei- nem halben und fünfeinhalb Jahren an den Us teilzunehmen. Ein Daten- abgleich zwischen den Einwohner- meldeämtern und den Kinderärzten ermöglicht die Kontrolle. „Das Screening-Programm belastet vor allem das Vertrauensverhältnis zwi- schen Arzt und Eltern“, kritisierte Dr.

med. Anne Bunte, Westfalen-Lippe.

Besser seien Bonus-Systeme. „Wir wollen keine Gesundheitspolizei

sein“, stimmte Dr. med. Klaus Uwe Josten, Nordrhein, zu.

Die Mehrheit der Delegierten be- fürwortete deshalb einen Antrag von Martin Bolay, Gisbert Voigt und Det- lef Kunze. Darin werden ebenfalls verpflichtende Vorsorgeuntersuchun- gen gefordert. Ergänzend heißt es aber: „Der 110. Deutsche Ärztetag lehnt Regelungen entschieden ab, die den betreuenden Arzt zu einer Mel- dung durchgeführter Vorsorgeunter- suchungen verpflichten.“ Der Nach-

weis einer durchgeführten Vorsorge sei Aufgabe der Eltern beziehungs- weise der Sorgeberechtigten.

Gleichzeitig forderten die Dele- gierten eine Überarbeitung und Er- weiterung der Früherkennungsunter- suchungen. Ein Entschließungsan- trag bayerischer Delegierter wies darauf hin, dass die Us in den letzten 30 Jahren „nur geringfügig den ak- tuellen medizinisch/psychologisch- wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Früherkennung von Gesundheits- risiken und Krankheit“ angepasst worden seien. Sie müssten zudem um die frühzeitige und sichere Diagnos- tik von Verwahrlosung und Miss- brauch ergänzt werden. Außerdem seien die Abstände zwischen den Terminen von der U7 an so groß, dass „ein rechtzeitiges Erkennen von Risiken nur eingeschränkt möglich sei“. In dem mit großer Mehrheit befürworteten Antrag wird der Ge- meinsame Bundesausschuss aufge- fordert, die ihm vorliegenden The- men zu Früherkennungsuntersuchun- gen „schnellstmöglichst positiv zu

entscheiden“. I

Petra Bühring

D

ie Krankenschwestern in der Bielefelder Klinik haben kein gutes Gefühl. Susanne Meyer*, die gerade ihr erstes Kind entbunden hat, freut sich zwar darauf, wieder nach Hause zu kommen. Doch die alleinerziehende Mutter sorgt sich auch, ob sie zurechtkommen wird.

Ihre Eltern leben rund 500 Kilome- ter entfernt, Freunde hat sie kaum, schon gar keine, die ihr mit dem Kind eine Hilfe wären. Kein Wun-

der, dass sie nervös und unsicher auf die Krankenschwestern wirkt.

Sie sprechen Susanne Meyer an.

Die ist froh über das Angebot, den psychosozialen Dienst der Klinik einzuschalten, und nach einer Lö- sung zu suchen. Sie wird zügig ge- funden: Im Rahmen des sozialen Frühwarnsystems (FWS), das in Bielefeld existiert, vermittelt der Kinderschutzbund Susanne Meyer eine ehrenamtlich tätige Patin. Sie wird der jungen Mutter an zwei Nachmittagen pro Woche mit Rat

und Tat zur Seite stehen. Vier Mona- te später hat sich die Hilfe einge- spielt. Susanne Meyer hat mittler- weile über eine Stillgruppe Kontakt zu anderen Müttern gefunden. Ihr Kind entwickelt sich gut. Dennoch möchte sie, dass ihre Patin einmal die Woche vorbeischaut.

Ein gutes Netz ist mehr als

„Telefonlisten-Prävention“

Das Bielefelder Modell ist eines von sechs, die im Rahmen des Projekts

„Aufbau und Weiterentwicklung lo-

SOZIALE FRÜHWARNSYSTEME

Handeln statt grübeln

Manche Familien brauchen frühzeitig Hilfe, damit die Kinder nicht vernachlässigt oder misshandelt werden. Welche – darauf gibt es in NRW bereits mehr als 40 Antworten.

„Kinderärzte su- chen bei uns jeden Tag erneut nach Lösungen zusam- men mit Kinder- psychiatern. “ – Michael Schulte- Markwort

* Name geändert

Foto:ISA

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 21⏐⏐25. Mai 2007 A1451

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kaler sozialer Frühwarnsysteme“ in Nordrhein-Westfalen (NRW) von 2001 bis 2004 entwickelt und wis- senschaftlich untersucht wurden.

Sie werden alle fortgesetzt, mehr noch: Mittlerweile haben sich in NRW mehr als 40 soziale Frühwarn- systeme in Kommunen etabliert.

Die Stadt Münster baut derzeit ein FWS auf. Einige sind über das Bun- desland hinaus bekannt geworden, beispielsweise das Präventionspro- jekt „Zukunft für Kinder in Düssel- dorf“. Dort haben Geburtshilfeklini- ken, Kinderschutzambulanz, Kin- der- und Jugendärzte sowie Gesund- heits- und Jugendamt sich eng ver- netzt, um Risikofamilien zu erken- nen und ihnen zu helfen.

Das Institut für soziale Arbeit (ISA) in Münster hat die Modellpro- jekte von Anfang an wissenschaft- lich begleitet. Mittlerweile ist es von der Landesregierung beauftragt worden, interessierte Kommunen beim Aufbau sozialer Frühwarnsys- teme zu unterstützen. Annerieke Diepholz und Janine to Roxel, beim ISA zuständig für das FWS-Projekt, verweisen darauf, dass es vielerorts zwar Präventionsangebote gebe.

„Man muss sie aber besser vernet- zen“, betont Diepholz. Wirksame Hilfsangebote brauchten mehr als nur „Telefonlisten-Prävention“.

Meist fehlen in einer Kommune abgestimmte institutionelle Verfah- ren und klar vereinbarte Handlungs- schritte. Diepholz und to Roxel wissen, dass sich oft Einzelne ver- netzen. Man kenne sich, schätze sich, tausche sich bei Bedarf aus. Doch wenn sich ein Mitglied solcher in- formeller Zirkel beruflich verändere oder in Rente gehe, breche oft das ganze System zusammen.

Ein funktionierendes soziales Frühwarnsystem ist hingegen eine in sich geschlossene Reaktionskette, wie das Beispiel von Susanne Meyer zeigt. Es besteht aus drei Elementen:

Wahrnehmen, Warnen, Handeln.

Zunächst müssen dafür alle Beteilig- ten klären, aufgrund welcher Beob- achtungen sie überhaupt ein Pro- blem vermuten. „Riskante Entwick- lungen ist ein weiter Begriff, der sich auf sehr Unterschiedliches beziehen kann“, sagt Diepholz. „Ein Kinder- arzt mag ganz andere Maßstäbe an-

legen, wenn er kindliche Verhaltens- auffälligkeiten einschätzt, als viel- leicht eine Erzieherin.“ Erst wenn al- le sich verständigt haben, wann sie Handlungsbedarf erkennen, können sie festlegen, wer wen warnen soll und welche Schritte sich anschlie- ßen müssen.

Anfangs: Vorbehalte

Diepholz und to Roxel ist noch et- was wichtig. Besonders Risikofami- lien mit sehr kleinen Kindern fallen am ehesten im Gesundheitswesen auf, also in der Praxis oder im Kran- kenhaus. Doch nicht alle Ärzte wis- sen, welche Unterstützungsmög- lichkeiten ihre Kommune bietet.

Dazu kommen Vorbehalte gegen an- dere Berufsgruppen und Institutio- nen sowie Sorgen, die ärztliche Schweigepflicht zu verletzen.

Gemeinsam, das belegen die Pro- jekte, findet man aber Lösungen. So

koordinieren beispielsweise im Kreis Mettmann Mitarbeiterinnen der sozialpädagogischen Beratung im Gesundheitsamt frühe Hilfen für Kinder. „Sie kennen alle Hilfsange- bote und Akteure in- und auswen- dig“, erzählt Diepholz. Wer auch immer von den ins FWS eingebun- denen Fachleuten glaubt, dass ein Kind Hilfe braucht, kann die Eltern über Angebote informieren. Mit ih- rer Unterschrift auf einem Informa- tionsblatt stimmen sie zu, dass zum Wohl des Kindes andere Experten einbezogen werden dürfen.

Wenn ein Frühwarnsystem funk- tioniert, nutzt das in erster Linie Kindern aus Risikofamilien. Doch auch die professionellen Helfer pro- fitieren, weiß Diepholz: „Sie haben dann nicht mehr diffuse Gefühle der Sorge, sondern das sichere Gefühl, dass etwas passiert.“ I Sabine Rieser

ARMUT IST UNGESUND

Wie es Mädchen und Jungen bis 17 Jahre geht – dazu liegen mit dem jüngsten Kinder- und Ju- gendgesundheitssurvey des Robert-Koch-Instituts (RKI) aussagekräftige Daten vor.„Die am schwers- ten wiegende Erkenntnis ist, dass Kinder aus so- zial benachteiligten Familien nicht nur in einzel- nen Bereichen von Gesundheit und Lebensqua- lität schlechtere Ergebnisse aufweisen, sondern in durchweg allen“, schreibt das RKI. Auffällig ist zu- dem eine Verschiebung von akuten zu chroni- schen Krankheiten und von somatischen zu psy- chischen Störungen. Im Einzelnen bedeutet das:

>Jugendliche aus Familien mit niedrigem Sozi- alstatus rauchen häufiger als andere.

>Etwa drei Viertel der Mädchen und Jungen zwischen drei und zehn sind mindestens einmal pro Woche sportlich aktiv, mehr als ein Drittel dreimal oder häufiger. Auch im Jugendalter sind Sport und Bewegung verbreitet. Kinder, die unre- gelmäßig Sport treiben, stammen überproportio- nal häufig aus Familien mit niedrigem Sozialsta- tus, Migrationshintergrund und aus den neuen Bundesländern.

>15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von drei bis 17 werden als übergewichtig eingestuft, darunter rund sechs Prozent als adipös. Ein er- höhtes Risiko tragen Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus, mit Migrationshintergrund und mit übergewichtigen Müttern.

>Zu den häufigsten psychischen Problemen zählen Verhaltensprobleme, emotionale Probleme

und Hyperaktivitätsprobleme. Hinweise darauf fand man in Familien mit niedrigem sozioöko- nomischen Status dreimal so häufig wie in Famili- en mit hohem sozioökonomischen Status. Das RKI fordert deshalb, frühzeitig auf beginnende psychi- sche Probleme zu achten und gerade schwer er- reichbare Gruppen bei präventiven Angeboten zu berücksichtigen.

>Essstörungen zählen zu den häufigsten chronischen Gesundheitsproblemen. Auch in die- sem Bereich sind Mädchen und Jungen aus Fa- milien mit niedrigem sozioökonomischem Status häufiger betroffen, nämlich fast doppelt so oft wie solche aus Familien mit höherem Status.

>Was Gewalterfahrungen anbelangt, so ver- neinten rund 82 Prozent der Mädchen und 67 Prozent der Jungen diese für die zurückliegenden zwölf Monate. Haupt- und Gesamtschüler sowie Jugendliche mit Migrationshintergrund sind aber häufiger als andere Täter und haben permissivere Einstellungen zu Gewalt als andere.

Für den Survey wurden von Mai 2003 bis Mai 2006 mehr als 17 500 Mädchen und Jungen un- tersucht und befragt. Angaben der Eltern ergänzten die der Kinder. Die Teilnahmequote lag bei zwei Dritteln. Der Survey wurde erweitert durch Studien zur psychischen Gesundheit, Umweltbelastungen in den Haushalten, motorischer Leistungsfähigkeit und Ernährung. Erstmals wurden auch Kinder mit Migrationshintergrund entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung einbezogen. Rie

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