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Archiv "Interferon — kritische Wertung unter dem Aspekt der Anwendung in der Human" (04.09.1980)

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Interferon ist eine Gruppe heute gut charakterisierter natürlicher Gly- koproteine mit antiviraler und zellbiologisch-regulatorischer Funk- tion. Die antivirale Aktivität kann in speziellen klinischen Situationen wertvolle therapeutische Dienste leisten.

Interferon ist jedoch kein generelles Virustherapeutikum. Die zeltbio- logischen Interferonwirkungen umfassen im experimentellen System ausgesprochen tumorhemmende Komponenten.

Entsprechende klinische Erfahrungen und die günstige Beurteilung der Interferon-Nebenwirkungen und -Risiken ermutigen zur kontrol- lierten Fortführung klinischer Tumorstudien.

Kritische Analysen der bisherigen Ergebnisse müssen jedoch vor überzogenen Erwartungen . von Interferon als „Krebsmittel" warnen.

Interferon — kritische Wertung unter dem Aspekt der

Anwendung in der Humanmedizin

Dieter Neumann-Haefelin

Aus dem Institut für Virologie im Zentrum für Hygiene (Direktor: Professor Dr. med. Harald zur Hausen) der Universität Freiburg

Interferon scheint nach mehr als zwei Jahrzehnten wechselvoller Ge- schichte nunmehr aus der Sphä- re der akademisch-experimentellen Medizin in die Nähe klinischer Reali- tät zu rücken.

Nachdem einzelne Gesichtspunkte des Themas Interferon bereits in der Trivialpresse Beachtung gefunden haben, ist es an der Zeit, der Ärzte- schaft einen Leitfaden an die Hand zu geben, der zu ihrer eigenen Orientierung und als Basis für die Antwort auf Fragen aus dem Patien- tenkreis dienen kann.

Dies soll — aufgrund der Komplexität der Materie teilweise nur kursorisch und in tabellarischer Kürze — mit der folgenden Stellungnahme versucht werden.

Zusammenfassung der Charakteristika

menschlicher Interferone

Menschliche Zellen werden durch Viren oder bestimmte andere Induk- toren veranlaßt, Glykoproteine zu bilden, die als Interferone bezeich- net werden. Interferone sind biolo- gisch definiert durch ihre Fähigkeit, Zellen gegen Virusinfektionen resi- stent zu machen, indem sie mit der intrazellulären Virusreplikation in- terferieren. Dies erfolgt unter De-no-

vo-Synthese zellulärer Proteine, die ihrerseits die Synthese viraler Pro- teine hemmen. Neben der Erzeu- gung der Virusinterferenz haben In- terferone auf bestimmte Zielzellen biologische Wirkungen, deren Me- chanismen noch weitgehend unbe- kannt sind: Sie hemmen die Teilung

besonders von Tumorzellen, wirken regulatorisch auf Immunzellen und sind in der Lage, die Aktivität der gegen Tumorzellen operierenden

„Natural Killer"-Zellen zu steigern.

Es wäre denkbar, daß der Synergis- mus dieser drei in vitro beobachte- ten nicht antiviralen Interferoneffek- te die Basis für eine Tumorhem- mung in vivo bildet.

Beim Menschen sind unterschiedli- che Interferontypen bekannt, näm- lich zwei Klassen säurestabiler Typ- I-Interferone, Leukozyteninterferon (Le) und Fibroblasteninterferon (F), sowie säurelabiles Typ-Il-Interferon, welches in vitro durch T-Zell-M itoge- ne induziert und auch als T-Zell-In- terferon oder Immuninterferon be- zeichnet wird. Dieser Interferontyp soll hier nicht in Betracht gezogen werden, da bisher sowohl ausrei- chende experimentelle Daten als auch Verfahren zur Gewinnung grö- ßerer Mengen des Typ-Il-Interferons fehlen und die Diskussion der Mög- lichkeiten klinischer Anwendung deshalb verfrüht wäre.

Le-Interferon und F-Interferon unter- scheiden sich sowohl immunolo- gisch wie auch in der Spezifität für ihre Zielzellen. Le-Interferon ist nämlich im Gegensatz zu F-Interfe- ron auch bei bestimmten tierischen Zellen aktiv. Darüber hinaus unter- scheiden sich die beiden Klassen in der Wirkung auf verschiedene menschliche Gewebetypen. Le-In- terferon besteht aus Glykoprotein- molekülen verschiedener Größe.L

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Glykoproteine

Nach Reinigung bis zu einer spezifi- schen Aktivität von 2,5 bis 4 x 10 8

Einheiten/mg stellen sich elektro- phoretisch zwei Komponenten mit Molekulargewichten von 21 bis 22x103 und 15 bis 18x10 3 dar. Un- terschiedlich starke Glykosilierung der Proteine wird als Grund für diese Inhomogenität angesehen.

F-Interferon stellt sich elektrophore- tisch homogen als Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von 20x103 dar. Es wurde — bisher in sehr kleinen Mengen — bis zu einer spezifischen Aktivität von 2 bis 3x 109 Einheiten/mg gereinigt und wird in diesem Zustand als annä- hernd 100prozentig angesehen. Der- artige Präparate erscheinen nicht nur elektrophoretisch, sondern auch nach Ergebnissen bisheriger Amino- säure-Sequenzanalysen homogen.

Werden statt primärer Leukozyten lymphoblastoide Zellen (zum Bei- spiel in permanenter Kultur wach- sende Namalwa-Zellen) induziert, so wird zwar überwiegend Le-Interfe- ron, zu einem geringen Teil (5 bis 15 Prozent) jedoch auch F-Interferon gebildet.

Dies wird dadurch erklärt, daß in al- len menschlichen Zellen beide Inter- ferone in unterschiedlichen Genen kodiert sind, welche in Abhängigkeit vom Zelltyp und vom Interferon-In- duktor unterschiedlich stark expri- miert werden.

Die Reinigung der in Namalwa-Zel- len induzierten Interferone (Namal- wa-Interferon) ist ebensoweit fortge- schritten wie diejenige von Fibrobla- sten-Interferon, kann jedoch bisher auch nur in beschränktem Umfang durchgeführt werden, so daß reines Interferon heute nur zu Laborzwek- ken zur Verfügung steht. Erste Er- gebnisse biologischer Untersuchun- gen mit den hochgereinigten Interfe- ronpräparationen zeigten zumindest drei der biologischen Wirkungen, die früher mit relativ unreinen Inter- feronen erzielt wurden: antivirale Aktivität, Wachstumshemmung von Tumorzellen und Aktivierung von

„Natural Killer"-Zellen. Somit ist an- zunehmen, daß die unterschiedli-

chen Aktivitäten eines Interferons von einem einzigen molekulär-defi- nierten Glykoprotein ausgehen.

In der Analyse der Aminosäurese- quenz der Interferone wurden erste Erfolge erzielt. Nachdem kürzlich Transfer und Expression eines Inter- feronstrukturgens in Escherichia- coli-Bakterien gelang, ist zu erwar- ten, daß neue Technologien in Zu- kunft eine breitere Basis für natur- wissenschaftliche und medizinische Arbeiten mit Interferon schaffen. Es kann vorausgesagt werden, daß in zwar nicht kürzester, aber doch ab- sehbarer Zeit die Biosynthese in Bakterien zur Interferonmassenpro- duktion verwendet wird, um die mü- hevolle Induktion menschlicher Zell- kulturen zu ersetzen. Biochemische In-vitro-Synthese ist eines der Zie- le der Interferon-Strukturanalysen.

Auch wenn die Vollsynthese von In- terferonmolekülen in großem Maß- stab heute nicht praktikabel er- scheint, könnten Molekülverände- rungen durch Teilsynthese ähnlich wie bei Antibiotika große Bedeutung gewinnen.

Indikationen

für die klinische Anwendung humaner Interferone

Die prophylaktische Wirksamkeit sy- stemisch verabreichten Humaninter- ferons ist bei experimentellen Infek- tionen mit unterschiedlichen Viren an Affen einwandfrei erwiesen. Eine entsprechende Anwendung in der medizinischen Praxis ist jedoch bis heute vor allem mangels Interferon ausgeblieben. Eine Ausnahme im beschränkten Umfang eines Modells bildet die erfolgreiche Prophylaxe der häufigen Herpes-simplex-Rezidi- ve nach operativer Durchtrennung der Trigeminuswurzel. Andere Indi- kationen wären gut denkbar, zum Beispiel analog der gegenwärtigen Praxis, die Manifestation verschie- denster Infektionen durch Immun- globulingabe in der Inkubationszeit zu verhindern.

Die Angabe von Indikationen für die systemische antivirale Therapie mit Interferon ist wesentlich schwieri-

ger. Selbst im Tierexperiment ist der Erfolg einer solchen Therapie nur schwer zu demonstrieren. Diese Er- fahrung steht mit theoretischen Er- wägungen in gutem Einklang: Im Verlauf einer akuten Virusinfektion treten Symptome, die eine spezifi- sche Therapie erfordern, im allge- meinen erst auf, wenn bereits die meisten für das Virus erreichbaren Zellen infiziert sind und auch eine ausreichende endogene Interferon- produktion eingetreten ist. Exogen zugeführtes Interferon, das ebenso wie das endogene nur noch nicht- befallene Zellen schützt, kann dar- über hinaus nicht mehr von wesent- lichem Nutzen sein.

Anders ist die Situation bei Zustän- den extremer Kompromittierung ge- genüber einer Virusinfektion zum Beispiel aufgrund von Erkrankun- gen, welche das lymphatische Sy- stem schädigen, oder aufgrund ia- trogener Immunsuppression. Ein Teil der Abwehrschwäche kann in solchen Situationen auf der man- gelnden Fähigkeit zur Bildung endo- genen Interferons beruhen. Ein Bei- spiel erfolgreicher Interferonthera- pie wurde bei Zoster-Erkrankungen leukämischer Patienten geliefert. An Transplantationspatienten unter Im- munsuppression wurden Prophyla- xe und Therapie der Zytomegalievi- rus-Infektion studiert, ohne daß bis jetzt eine sichere Erfolgsbeurteilung möglich ist.

Eine weitere denkbare Indikation bil- den chronische Viruserkrankungen, die mit einer floriden Virus.replika- tion ohne erkennbare endogene In- terferoninduktion einhergehen. Das Beispiel, welches in zahlreichen Stu- dien, aber bisher auch ohne ab- schließendes Ergebnis untersucht wurde, ist die chronisch aktive He- patitis B.

Die Indikation zur lokalen Interferon- anwendung bedarf besonderer Be- trachtung. Durch Prophylaxe mit In- terferon-Augentropfen ist die experi- mentelle oberflächliche Herpes-sim- plex-Keratitis beim Affen zu verhin- dern. Bei der rezidivierenden Kerati- tis dendritica des Menschen gelang dies hingegen nicht. Der Grund für

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DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT

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das Versagen ist wahrscheinlich nicht in mangelnder Wirksamkeit des Interferons, sondern in der pa- thogenetischen Besonderheit (neu- rogene Rekurrenz) der Erkrankung beim Menschen zu suchen. Dage- gen haben klinische Therapiestu-

dien gezeigt, daß lokale Interferon- gaben zwar nicht für sich allein, aber in Verbindung mit einer anderen wirksamen therapeutischen Maß- nahme (antivirale Chemotherapie oder Epithelabrasio) die schnelle und unkomplizierte Heilung des Hornhautepithels am sichersten her- beiführen.

Respiratorische Virusinfektionen sind Gegenstand zahlreicher klini- scher Prophylaxe- und Therapiever- suche mit lokalen Interferongaben gewesen. Überzeugende Thera- pieerfolge blieben jedoch — wohl auch aufgrund pathomechanischer Besonderheiten — aus. Die positiven Resultate der Interferonprophylaxe sind zwar prinzipiell überzeugend, liefern aber vorerst kaum Anhalts- punkte für eine Indikationsstellung in der medizinischen Praxis.

Interferon als Tumortherapeutikum Den Therapieversuchen an mali- gnen menschlichen Tumoren mit In- terferon liegen folgende Beobach- tungen zugrunde:

O Entstehung und Wachstum virus induzierter und anderer Tumoren bei Versuchstieren werden durch In- terferon gehemmt.

fp

Interferon wirkt auf kultivierte Tumorzellen, auch menschlichen Ursprungs, wachstumshemmend.

Seit mehr als zehn Jahren wird ver- sucht, diese experimentellen Erfah- rungen in der Krebstherapie des Menschen zu bestätigen. Gemessen an der tierexperimentellen Wirksam- keit von Interferon ist die Bestäti- gung noch nicht gelungen. Aus den Tierversuchen sind kaum Hinweise auf die Interferonsensitivität be- stimmter menschlicher Tumoren ab- zuleiten. Allein aufgrund erfolgver- sprechender Einzeltherapie-Erfah-

rungen wurden und werden in grö- ßeren und kleineren Studien ver- schiedenste Tumorformen behan- delt: osteogenes Sarkom, Mamma- karzinom, Myelom, Non-Hodgkin- Lymphom, Hodgkinsche Erkran- kung, bestimmte Formen akuter Leukämie, Melanom, Neuroblastom sowie das juvenile Larynxpapillom als einziger primär gutartiger Tumor und auch als einziger Tumor, in dem Viren nachweisbar und mit der Tu- morätiologie in Zusammenhang zu bringen sind. Über die vorläufigen Resultate dieser breitgefächerten klinisch-experimentellen Therapie- ansätze ist zusammenfassend zu sagen:

4) Unter Interferontherapie traten Tumorremissionen ein, die in eini- gen Fällen der neueren Studien bis heute anhalten. In anderen Fällen wurde die Metastasierungsrate chir- urgisch beziehungsweise radiolo- gisch behandelter Primärtumoren günstig beeinflußt. Tumorheilungen durch Interferon sind jedoch nicht einwandfrei belegbar.

Bemerkenswerte Erfolge sind nur bei wenigen sehr speziellen Tu- morformen (insbesondere Osteosar- kom und Myelom) beobachtet wor- den und auch hier wiederum nur bei einem Teil der behandelten Pa- tienten.

4)

Interferon hat sich in den erfolg- reich behandelten Fällen nicht als revolutionierendes Heilmittel, son- dern als ein Tumortherapeutikum

unter anderen erwiesen. Es hat sich nicht durch signifikant größere Wirksamkeit — gemessen an der Überlebenszeit der Patienten — aus- gezeichnet, könnte aber aufgrund wesentlich weniger eingreifender Nebenwirkungen anderen Therapie- formen überlegen sein oder diese ergänzen. Solange aber nicht ein- deutig gezeigt ist, bei welchen Tu- morformen Interferon tatsächlich wirksam ist, darf Interferonbehand- lung nicht mit Therapieverbesse- rung gleichgesetzt werden. Viel- mehr erfordert die Entscheidung zur Interferontherapie besonders kriti- sche Abwägung, damit nicht eventu- ell größere Chancen anderer Thera-

pieformen verpaßt beziehungsweise Patienten unnötig mit den Risi- ken der Interferontherapie belastet werden.

Fast alle Erfolge bisheriger Inter- feron-Tumortherapie wurden mit Leukozyteninterferon erzielt. Die be- kannten Unterschiede zwischen den Interferonklassen verbieten die Ver- allgemeinerung dieser Resultate für Fibroblasteninterferon, da bisher keine Erfahrungen aus vergleichen- den Studien vorliegen. Die Übernah- me der mit Leukozyteninterferon ge- wonnenen Ergebnisse für Interferon von lymphoblastoiden Zellen er- scheint dagegen eher möglich.

Es wird angestrebt, die Indikations- stellung zur Interferon-Tumorthera- pie auf eine rationale und möglichst objektive Basis zu stellen, zum Bei- spiel durch In-vitro-Testung von Le- und F-Interferon gegen Zellen aus individuellen Tumorbiopsien. Trotz experimenteller Ansätze ist dies bis heute nicht gelungen. Der Grund hierfür mag in der geringen Ver- gleichbarkeit der bisher bekannten Testsysteme mit den Interferonwir- kungen in vivo zu suchen sein.

Sicherheit humaner Interferone bei der klinischen Anwendung Interferone sind physiologisch vor- kommende, hormonartig wirkende Signalsubstanzen (Mediatoren), de- ren Aktivitäten theoretisch ohne Ver- ursachung von Nebenwirkungen do- sierbar sein müßten. Sowohl bei der antiviralen wie auch bei der Tu- mortherapie mit Interferon müssen jedoch vieltausendfach über die physiologische Aktivität konzentrier- te Präparate verabreicht werden, weil

• exogenes Interferon einer relativ freien Verteilung im Organismus un- terliegt und nicht wie das physiolo- gische endogene Interferon im en- gen Bereich zwischen produzieren- der Zelle und nah benachbarter Ziel- zelle wirken kann,

• die bisher bekannte Pharmako- kinetik der Interferone die Aufrecht-

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Glykoproteine

erhaltung meßbarer Aktivitäten im Serum stark erschwert und über den Verbleib im Gewebe nichts bekannt ist.

Die Nebenwirkungen reinster Inter- feronpräparate mit den für Therapie- zwecke notwendigen hohen Kon- zentrationen sind zwar noch unbe- kannt, absolute Nebenwirkungsfrei- heit ist aber nach den hier angestell- ten Überlegungen nicht zu erwarten.

Die heute bekannten Nebenwirkun- gen beruhen möglicherweise zu ei- nem großen Teil auf den nichtspezi- fischen Komponenten der Interfe- ronpräparationen. Denn die bisher für klinische Studien zur Verfügung stehenden „partiell gereinigten" In- terferonpräparate sind nur zu 0,1 bis 1 Prozent, in wenigen Ausnahmen bis 10 Prozent rein.

Diskutierte Sicherheitsrisiken Die nichtspezifischen Bestandteile in Interferonpräparaten für die klini- sche Anwendung stammen entwe- der aus den zur Interferortinduktion verwendeten menschlichen Zellkul- turen oder den im Herstellungspro- zeß unvermeidbaren Zusätzen. Sie bilden den Hauptgrund für die ärztli- che Sorge, daß dem Patienten durch Interferonbehandlung Schäden zu- gefügt werden könnten. Die in ver- schiedenen Stadien der Interferon- gewinnung möglichen Risiken sind in Tabelle 1 zusammengefaßt. We- sentliche Bedenken knüpfen sich an die Zellkulturen und sind bei den drei heute zur Interferonherstellung herangezogenen Zellarten in sehr unterschiedlichem Maße begründet.

Die größte Vorsicht ist zweifellos bei der Verwendung primärer Leukozy- tenkulturen angebracht. Diese wer- den aus einem Spenderblut-Pool ge- wonnen und enthalten daher die Summe aller Risikofaktoren, die je- der individuelle Spender mit seinem Blut übertragen kann. Trotzdem wird es nach den im folgenden an- gestellten Überlegungen möglich sein, das Leukozyteninterferon-End- produkt sicherer einzustufen als eine individuelle Bluttransfusion.

Lymphoblastoide Zell-Linien gehen

fast immer wie die Namalwa-Linie auf menschliche Tumorzellen zu- rück, welche Epstein-Barr-Virus- DNA enthalten. Jede Zelle der Na- malwa-Linie enthält Epstein-Barr-Vi- rus-Gene, jedoch so unvollständig, daß die Bildung von Viruspartikeln nicht möglich ist. Auf der Tumorher- kunft der lymphoblastoiden Zell-Li- nien und der in ihnen enthaltenen Virus-DNA beruhen aber die Beden- ken gegen Interferon aus solchen Zellen. Soweit sie sachlich begrün- det sind, können diese Bedenken wohl vollständig ausgeräumt wer- den.

Diploide menschliche Fibroblasten schließlich werden als das sicherste Zellsubstrat für die Interferon-Ge- winnung angesehen. Bei Vorliegen der Kriterien, die auch für die Ver- wendung zur Impfstoff-Herstellung Voraussetzung sind, gibt es keine Einwände gegen diese Zellart.

Alle übrigen in Tabelle 1 aufgeführ- ten Risiken, die auf dem Herstel- lungsprozeß der Interferone beru- hen, sind entweder durch geeignete Maßnahmen auszuschalten oder durch Sicherheitsteste auf ein er- trägliches Maß zu senken.

Maßnahmen

zum Ausschluß von Risiken So gut wie selbstverständlich ist, daß im Interferon-Herstellungspro- zeß akzidentelle Kontaminationen mit Viren („Pick up") oder Mikroor- ganismen durch strengste Sicher- heitsvorkehrungen verhütet werden.

Der Zusatz potentiell schädigender Faktoren (siehe Tabelle 1) wird so- weit wie möglich vermieden. Dies ist vielfach durch Austausch schädli- cher gegen unschädliche Stoffe, zum Beispiel Rinderserum-Proteine gegen Humanserunn-Proteine oder synthetische Ersatzstoffe möglich.

Risiken durch unvermeidbare Zusät- ze schädlicher Komponenten kön- nen dadurch ausgeschaltet werden, daß deren Elimination im Reini- gungsprozeß der Interferonpräpara- te herbeigeführt wird.

Der Ausschluß schädlicher Kompo- nenten in Interferonpräparationen für die klinische Anwendung wird heute zunehmend durch sogenann- te Rekonstruktionsexperimente (Ta- belle 2) gesucht:

Durch Zugabe hoher Konzentratio- nen bestimmter Risikofaktoren zum Rohinterferon beziehungsweise ei- ner entsprechenden Präparation oh- ne Interferongehalt (Mock-Interfe- ron) wird in repräsentativen Experi- menten die Elimination durch das Reinigungsverfahren getestet.

Durch radioaktive Markierung läßt sich der Nachweis etwa verbleiben- der Risikofaktoren mit höchster Empfindlichkeit führen.

Gültigkeit derartiger Modellteste für den konkreten Prozeß der Interfe- ronpräparation ist dadurch gewähr- leistet, daß beim Versagen der Reini- gungsprozedur auch das Interferon- Endprodukt infolge mangelnder Reinheit und Aktivität disqualifiziert wird.

Neben den Rekonstruktionsexperi- menten sowie der Reinheitskontrol- le von Geräten und Chemikalien kommt der laufenden Überprüfung der Zellen große Bedeutung zu, wel- che zur Interferoninduktion verwen- det werden (Tabelle 2). Die Verfah- ren sind im wesentlichen von der Impfstoff-Produktion beziehungs- weise vom Bluttransfusionswesen her bekannt.

An den für die klinische Anwendung fertiggestellten Interferonpräpara- tionen werden die üblichen Safety- Teste durchgeführt. Hier ist auch — namentlich im Falle des Interferons von lymphoblastoiden Zellen — ein Ausschluß von Tumorzellen denk- bar. Das gegenwärtig empfindlich- ste Verfahren hierfür ist die intraze- rebrale Injektion bei der nackten Maus. Die sachliche Notwendigkeit eines solchen Testes ist sicherlich nicht unbestritten.

Nicht sinnvoll sind zweifellos Such- teste auf Viruskontaminationen im Interferon-Endprodukt, wenn Re- konstruktionsexperimente zuvor ge-

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poly (rl) • poly (rC), Antimetabol iten, z. B. Aktinomycin D, Zykloheximid Induktor-Virus Induktor-Virus

Risiken von seiten des Induktionsprozesses

Chemikalien und Geräte Risiken von seiten des

Konzentrierungs- und Reinigungsverfahrens

Zellkultur-Substrat lymphoblastoide Zell-Linien (z. B. Namalwa) Tumorzellen, Viren, defekte Epstein-Barr- Kanzerogene, Virus-Genome Hormone, Toxine usw.

als Kontamination aus dem Spenderblut-Pool

Rinderserum-Proteine, Antibiotika und andere chemische Zusätze

Virus-„Pick up"

Risiken von seiten der Zellkultur

diploide Fibroblasten primäre Leukozyten

Tabelle 2: Teste zur Sicherheitskontrolle von Interferon

primären Leukozyten

Interferon von

Namalwa-Zellen diploiden Fibroblasten HIEVAntigen-Freiheit gleichbleibende Wachs-

der Blutkonserven tumseigenschaften, Fehlen von „frühen" so- wie von Strukturantige- nen des Epstein-Barr- Virus, Freiheit von zyto- pathogenen Viren und Mykoplasmen

Nachweis des diploiden Chromosomensatzes und gleichbleibender Wachstumseigenschaf- ten, Freiheit von zytopa- thogenen und nichtzy- topathogenen Viren so- wie von Mykoplasmen Zellkultur-Substrat

vor der Induktion

Unbedenklichkeit des Kultursystems Reinheit der verwende- (i. d. R. Hühnerembryonen) für die Induktor-Viren ten Chemikalien Induktion

Einschaltung von Rekonstruktionsexperimen- ten zum Nachweis der Elimination von Myko- plasmen, Viren, Nukleinsäuren, und toxischen Chemikalien durch den Reinigungsprozeß

I

I I I

Reinheit und Sterilität von Chemikalien und Glaswaren usw.

Rohinterferon- konzentrierung und -reinigung

Ergebnis der Rekonstruktionsexperimente:

Freiheit von Mykoplasmen, Viren, Nuklein- säuren usw.

gegebenenfalls Unbedenklichkeit der Restkonzentrationen von Chemikalien, Fremdproteinen Pyrogenfreiheit und Sterilität, Safety-Teste im Versuchstier, Kanzerogenitätstest

Endprodukt

Phase im Interferon- Herstellungsprozeß

(6)

zeigt haben, daß Viren den Reini- gungsprozeß nicht passieren kön- nen. Insbesondere der Nachweis hy- pothetischer Kontaminationen, für welche kein sicheres Nachweisver- fahren angegeben werden kann, ist in Gegenwart der Interferonaktivität so gut wie unmöglich.

Klinische Erfahrungen zur Sicherheit der Interferone Alle bisherigen Berichte zusammen- gefaßt, liegen bereits Erfahrungen in einigen hundert Fällen längerdau- ernder Behandlung, überwiegend mit Leukozyten-Interferon, vor. Über erhebliche Nebenwirkungen der Be- handlung in einzelnen Fällen wurde vor allem in den älteren Studien be- richtet, in denen noch mit gering gereinigten Interferonen gearbeitet wurde. Neben Fieber und Herabset- zung des Allgemeinbefindens sind Beeinträchtigungen des blutbilden- den Systems (Granulo- und Throm- bozytopenie) bekannt. Diese treten auch bei Verwendung höher gerei- nigter Präparate auf, machen aber selten den Abbruch der Behandlung nötig und sind reversibel.

Im Vergleich zu den Nebenwirkun- gen der in Frage kommenden Alter- nativtherapie bei Tumorpatienten sind die klinischen Erfahrungen mit Interferon jedenfalls als ausgespro- chen gut zu bezeichnen. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß Langzeiterfahrungen noch aus- stehen: Über die Spätinzidenz von Tumoren oder immunpathologi- schen Erkrankungen bei langfristig interferonbehandelten Patienten zum Beispiel ist nichts bekannt.

Ebensowenig wissen wir, welchen Effekt die Interferonbehandlung von Schwangeren auf die Embryonal- beziehungsweise Fötalentwicklung hätte. Gerade in diesem Punkt mah- nen tierexperimentelle Erfahrungen zu besonderer Aufmerksamkeit.

Insgesamt können die klinischen Er- fahrungen zur Verträglichkeit je- doch bei gewissenhafter Abwägung der Indikation durchaus zur Behand- lung mit Interferon ermutigen.

Besondere Aspekte

der lokalen Interferonanwendung Zur lokalen Behandlung zum Bei- spiel der Herpes-simplex-Keratitis können Interferonpräparate zweifel- los eher eingeführt werden als zur systemischen Therapie oder Prophy- laxe unter anderen Indikationen.

Gründe hierfür sind die leichtere Be- schaffbarkeit der benötigten Interfe- ronmengen, die bereits besser defi- nierte Wirksamkeit und die weniger im Vordergrund stehenden Sicher- heitsfragen. Für ausschließlich am Auge zu verwendende Interferone dürfte es zum Beispiel genügen, ei- nen Toxizitätsausschluß am Auge geeigneter Versuchstiere an die Stelle anderer Sicherheitsteste für injizierbare Interferone zu setzen.

Die bisher zur Verfügung stehenden Interferonpräparate haben zwar kei- ne völlige Nebenwirkungsfreiheit am Auge gezeigt, doch während der Be- handlung sind die reversiblen, meist nur vom Augenarzt bemerkten und auch von anderen Ophthalmika be- kannten Nebeneffekte tolerierbar.

Ausblick

Interferon steht auch 23 Jahre nach seiner Entdeckung noch nicht an der Schwelle genereller klinischer Anwendung, sondern erst in der Phase ernsthafter Prüfung seines Stellenwertes in der Medizin. Die Präferenz der künftigen klinischen Interferonstudien wird zunächst bei der Klärung der tatsächlichen Po- tenz als Tumortherapeutikum lie- gen. Durch den hohen Materialbe- darf dieser Untersuchungen wird die Verfügbarkeit klinischer Interferon- präparate auf Jahre hinaus einge- schränkt bleiben und bis auf Aus- nahmen (zum Beispiel der epithelia- len Herpes-simplex-Keratitis) eine gleichzeitige umfassende Analyse der antiviralen Potenz nicht zulas- sen. Durch die langfristig erwartete Einführung der eingangs angedeu- teten neuen Technologien kann sich diese Tendenz jedoch sehr wohl wieder wandeln. Mit einigem Opti- mismus darf für die Zukunft jeden- falls erwartet werden, daß Interferon als klinisches Heilmittel oder Pro-

phylaktikum die Medizin bereichern wird. Umwälzende medizinische Fortschritte — insbesondere in der Tumortherapie — sollten jedoch von Interferon so lange nicht erwartet werden, bis seine Wirksamkeit wis- senschaftlich unanfechtbar und mit klarer Abgrenzung der Indikation bewiesen ist. Dies ist erst bei weni- gen ausgesuchten Krankheitsbil- dern (vor allem Keratitis dendritica und Zoster generalisatus, mit Ein- schränkung Osteosarkom) ge- schehen.

Bei anderen Infektionskrankheiten und Tumoren sind noch umfangrei- che kontrollierte klinische Studien notwendig, deren Dauer auf mehre- re Jahre anzusetzen und deren Aus- gang nicht vorauszusagen ist.

Gegenwärtig wäre es sicher falsch, an Einzelbeobachtungen und Hypo- thesen Spekulationen zu knüpfen, welche die exakte Klärung der offe- nen Fragen nur gefährden würden.

Literatur

Neumann-Haefelin, D.: Abwehr und Bekämp- fung von Virusinfektionen durch Interferon.

Dtsch. med. Wsch r. 102 (1977) 766-772 — G res- ser, I. (Ed.): Interferon, Vol. I. Acad. Press, London (1979) - Stewart II, W. E.: The Interfe- ron System. Springer (Wien, New York) (1979)

— Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, American Cancer Society, National Cancer In- stitute, National Institute for Allergy and In- fectious Diseases: Second International Work- shop of Interferons, New York, April 22-244, 1979, Proceedings, im Druck — New York Academy of Sciences: Conference an Regula- tory Functions of Interferons, New York, Oc- tober 23-26, 1979, Proceedings, im Druck — National Cancer Institute, National Institute of Allergy and Infectious Diseases, Bureau of Biologics, Food and Drug Administration:

Workshop Human Interferon in the Clinic:

Guidelines for Testing. NIH Bethesda, October 29, 1979, Richtlinien in Vorbereitung — Spe- zielle Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Privatdozent Dr. med.

Dieter Neumann-Haefelin Institut für Virologie im Zentrum für Hygiene der Universität Hermann-Herder-Straße 11 7800 Freiburg im Breisgau

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