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Archiv "Antivirale Chemotherapie" (26.08.1991)

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AKTUELLE MEDIZIN

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Die prinzipiellen Schwierigkeiten einer Chemotherapie von Viruskrank- heiten werden dargelegt, aber auch Möglichkeiten zur erfolgreichen Entwicklung neuer Therapeutika erörtert. Die schnelle Entwicklung therapieresistenter Virusmutanten erfordert eine intensive Diskussion zukünftiger Behandlungsstrategien.

Antivirale Chemotherapie

Resistente Virusmutanten und

das Problem des Designs neuer Pharmaka.

Hans J. Eggers

„Alles schon dagewesen"

(aus Uriel Acosta) Karl F. Gutzkow

Selektive Hemmung der Virusvermehrung Die Gründe für den späten Be- ginn einer praktisch relevanten anti- viralen Chemotherapie sind öfters dargelegt worden (14, 19). Wesentli- ches ist in Tabelle 1 zusammengefaßt.

Das fundamentale Problem liegt dar- in, daß Viren als Zeltparasiten von den Stoffwechselprozessen der Wirtszelle abhängig sind, sei es die Energiegewinnung, die Verfügbar- keit von Metaboliten, die komplexe Proteinsynthese und vieles andere mehr. Daß trotzdem virusselektive, allein das Virus treffende Substan- zen möglich sind, wird sogleich erör- tert werden.

Die Zahl der antiviralen Sub- stanzen mit Wirksamkeit beim Men- schen ist im Vergleich zum Reper- toire der antibakteriellen Chemothe- rapie heute noch klein (Tabelle 2).

Hier ist nicht der Ort, auf die für ei- ne praktische Anwendung notwendi- gen Details (Indikation, Dosierung, Toxizität etc.) einzugehen. Der In- teressierte findet die erforderlichen Informationen in guten zusammen- fassenden Publikationen (4, 28, 45, Meinem Kollegen und Freund vieler Jah- re, Herrn Professor Rudolf Rott, zum 65.

Geburtstag in Dankbarkeit gewidmet.

58) und einigen nützlichen Firmen- broschüren.

Was nun ist das Prinzip der Wir- kungsweise von antiviralen Substan- zen, also von selektiven Inhibitoren der Virusvermehrung? Viren sind Makromoleküle, die im einfachsten Fall aus Erbsubstanz (DNS oder RNS) und einem die Nukleinsäure umgebenden, sie schützenden Prote- inmantel, dem Viruskapsid, beste- hen. Bei der Infektion gelangt die Nukleinsäure in die Zelle und diri- giert deren Stoffwechsel derart um, daß die Stoffwechselmaschinerie in wenigen Stunden 1000 bis 100 000 neue Viruspartikel pro Zelle produ- ziert. Obwohl also, wie auch ein- gangs erwähnt, primär alle Stoff- wechselleistungen von der Zelle er- bracht werden, existieren nichtdesto- weniger wesentliche Unterschiede zwischen uninfizierten und infizier- ten Zellen: in infizierten Zellen wer- den Makromoleküle synthetisiert, zum Beispiel das Viruskapsid oder virale Enzyme, die in der uninfizier- ten Zelle nicht vorhanden sind. Mit diesen virusspezifischen Molekülen sind biochemische Prozesse ver- knüpft, die entweder ausschließlich in der infizierten Zelle vorkommen oder quantitativ stark von denen der uninfizierten Zelle abweichen (21).

Dies nun bietet Angriffspunkte für eine virusspezifische Chemotherapie und soll am Beispiel des Aciclovirs (ACV, Azykloguanosin, Handelsna- me Zovirax®) erläutert werden, ei- nem Nukleosidanalog des Deoxygua- nosins, mit dem große Erfolge bei der Therapie des Herpes, der Vari- zellen und des Zoster erzielt werden (Tabelle 2) (4).

Um seine Wirkung entfalten zu können, muß ACV zum Triphosphat phosphoryliert werden (Abbildung 1). In der mit Herpesvirus infizierten Zelle wird die Substanz durch das vi- rusinduzierte Enzym Thymidinkina- se (eine Deoxypyrimidinkinase!), das in der uninfizierten Zelle nicht vor- kommt, zum Monophosphat und dann durch zelluläre und virale Ki- nasen zum Triphosphat phosphory- liert. ACV-Triphosphat hemmt se- lektiv ein weiteres Virusenzym, die Herpesvirus-DNS-Polymerase, wäh- rend die entsprechende zelluläre DNS-Polymerase in relevanten Kon- zentrationen des ACV-Triphosphats nicht gehemmt wird. So wirkt ACV gleich zweifach selektiv: In der infi- zierten Zelle wird es im Gegensatz zur nicht infizierten Zelle vermehrt und zum aktiven Hemmstoff phos- phoryliert, der wiederum selektiv die herpesvirusspezifische DNS-Polyme- rase blockiert. Auf diese Weise ist die Synthese der Virus-DNS, des Vi- ruserbmaterials, in den erforderli- chen Quantitäten nicht möglich.

Falls es (trotz Hemmung der virusspezifischen DNS-Polymerase) doch noch zum Einbau von ACV in die Virus-DNS kommt, tritt ein kom- pletter Stopp der DNS-Synthese ein, da dem ACV mit seinem azyklischen Zuckerrest die 3 i-Hydroxylgruppe zur Kettenverlängerung fehlt.

Zusammenfassend ist also fest- zustellen, daß Aciclovir durch ein Virusenzym vermehrt zum aktiven

Hemmstoff

umgesetzt wird, der dann

Institut für Virologie (Direktor:

Professor Dr. med. Hans J. Eggers) der Universität zu Köln

Dt. Ärztebl. 88, Heft 34/35, 26. August 1991 (45) A-2793

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Tabelle 1: Prinzipielle Probleme der antiviralen Chemotherapie

Biologie der Viren — Selektivität: die Ehrlichsche Zauberkugel begrenztes Virusspektrum der

einzelnen Substanzen:

Schnelldiagnostik erforderlich

Virus-Wirtsbeziehungen: Pathogenese und Krankheits- manifestationen

kontrollierte Studien und leichtes Spiel und

kasuistische Mitteilungen: Herkules(Sisyphus)-Arbeit resistente Virusmutanten

Die schwierige Suche nach Zufall und gezieltes Design wirksamen Chemotherapeutika:

Wirkungsmechanismus von Aciclovir

uninfizierte Zelle

ACV

zelluläre

* Thymidinkinase keine Reaktion

[Herpesvirus-infizierte Zelle III

Herpesvirus-spezifische Thymidinkinase ACV-Monophosphat

Ilr

virale und/oder zelluläre Enzyme ACV-Diphosphat

ilr

virale und/oder zelluläre Enzyme ACV-Triphosphat Block der Herpesvirus-

* DNS-Polymerase keine/stark gehemmte Virus-DNS-Synthese Abbildung 1: Wirkungsmechanismus von Aciclovir

Insbesondere bei Patienten mit Immundefizienz, deren Haut- und Schleimhauteffloreszenzen aufgrund einer Herpesvirus-Infektion auf eine wiederholte ACV-Therapie nicht mehr ansprachen, wurden Stämme von Herpes-simplex-Virus isoliert, die sich als ACV-resistent heraus- stellten. Die biochemische Grundla- ge der ACV-Resistenz ist, wie nicht anders zu erwarten, erstens eine durch Mutation veränderte oder zweitens fehlende Herpes-simplex- Virus-Thymidinkinase oder drittens eine mutierte Virus-DNS-Polymera- se (wobei die beiden ersten Klassen von Mutanten in der Praxis am häu- seinerseits durch Interaktion mit ei-

nem weiteren virusspezifischen Mo- lekül, der Herpesvirus-DNS-Polyme- rase, die Produktion der essentiellen Virus-DNS unterbindet.

Die selektive Interaktion nieder- molekularer Substanzen mit spezifi- schen Strukturen von Virus-Makro- molekülen scheint ein wesentliches Prinzip der Wirkungsweise antivira- ler Substanzen zu sein (14, 15, 19, 21). Besonders anschaulich ist dies zu verdeutlichen anhand von Virus- inhibitoren, die mit dem Protein- mantel des Viruspartikels reagieren und seine Untereinheiten „verklam- mern" (Abbildung 2). Die im Inneren des Virus gelegene Nukleinsäure kann somit nicht herausgelangen und eine Infektion auslösen, mit an- deren Worten, es kommt zu einer Blockade des „Uncoating" des Virus (11, 12). Dieses vor nunmehr über zwanzig Jahren entdeckte Prinzip, das zunächst wenig Beachtung fand, wird in naher Zukunft in der antivi- ralen Chemotherapie eine wesentli- che Rolle spielen.

Resistente Virusmutanten Mit der breiteren Anwendung von antiviralen Chemotherapeutika trat auch das gefürchtete Phänomen der Resistenz (und Abhängigkeit) von Viren gegenüber diesen Sub- stanzen auf, wie es uns aus der Bak- teriologie und Parasitologie geläufig ist. Entsprechende Beobachtungen waren schon vor etwa drei Jahrzehn- ten gemacht worden, hatten aber

kaum Interesse gefunden, da es sich um experimentelle Systeme handelte (13, 20). Folglich wurde antivirale Resistenz neu „entdeckt" (34).

Die Zahl der Arbeiten, die sich mit Resistenz von Viren gegenüber Chemotherapeutika befaßt, ist schon Legion. Hier soll nur auf die bislang praktisch wichtigen, virusspezifi- schen Nukleosidanaloga ACV, Gan- ciclovir und Azidothymidin (AZT) eingegangen werden sowie auf Amantadin/Rimantadin, Hemmer des „Uncoating", des Freisetzens der Nukleinsäure, von Influenza-A-Vi- ren.

figsten auftreten). Es sind also dieje- nigen Enzyme verändert, die Schlüs- selenzyme für die antivirale Wirk- samkeit von ACV sind (Abbildung 1) (4, 34). Klinisch relevant sind die ACV-resistenten Herpes-simplex- Virus(HSV)-Infektionen zumeist bei immundefizienten Patienten (unter anderem angeboren, Krebs[Leukä- mie]-Chemotherapie, AIDS). In der Regel handelt es sich um Haut- oder Schleimhauteffloreszenzen bei im- mungeschwächten Patienten, die nach kürzer oder länger andauernder Behandlung auf die ACV-Therapie nicht mehr ansprechen (4, 25, 34). >

A-2794 (46) Dt. Ärztebl. 88, Heft 34/35, 26. August 1991

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Virus

Substanz Wirk-

samkeit

HSV, CMV HIV

+—+ +

Phosphonoameisensäure

Influenza-A-Virus Amantadin/Rimantadin ++

(+

) Rhinovirus Pyrazidine (R6 1837)

Marboran Variolavirus

Tabelle 2: Antivirale Substanzen mit Wirksamkeit beim Menschen

—Azykloguanosin (ACV)

—Bromvinyldeoxyuridin

—Ganciclovir

—Ribavirin

—Azidothymidin

—andere Nukleosidanaloge, zum Beispiel ddC und ddI

Herpes-simplex-Virus (HSV), nur topisch (Auge) HSV, nur topisch (Auge) HSV, nur topisch (Auge) HSV, Varicella-Zoster- Virus (VZV)

HSV, VZV VZV, HSV

Zytomegalievirus (CMV) Lassafiebervirus

RS-Virus, Influenza-B- Virus

HIV HIV Nukleosidanaloge

—Idoxuridin

—Trifluorthymidin

—Ethyldeoxyuridin

—Adeninarabinosid

Hepatitis-B-Virus Hepatitis-C-Virus Papillomviren

HSV, VZV, topisch (Auge) in Kombination mit

Nukleosidanalogen Interferone

+—+ +

+

(?)

Echovirus 12

Durch Rhodanin verklammertes Kapsid

Abbildung 2: Wirkungsmechanismus eines „Uncoating-Hemmers", dargestellt am Beispiel der niedermolekularen Substanz Rhodanin, die hochspezifisch mit dem Virusproteinmantel (Kapsid) von Echovirus Typ 12 reagiert (11, 12)

das heißt, nach anfänglicher klini- scher Besserung ist die Therapie spä- ter ohne Erfolg (5, 24, 30, 43, 56).Es sollte aber auch „primär" resistente Fälle geben — und sie wurden in der Tat klinisch beobachtet (24) —, die- darauf beruhen, daß schon initial, vor jeder Behandlung, ein erhebli- cher Anteil der Viruspopulation pharmakonresistent ist.

• Resistente Virusstämme sind in Abwesenheit des antiviralen Phar- makons den sensitiven in der Ver- mehrungsfähigkeit oft (aber nicht immer!) unterlegen, häufig auch we- niger virulent. Auf einer Station mit Immunsupprimierten aber, auf der Antiherpesmittel wie ACV breit An- wendung finden, werden resistente Herpesstämme überwiegen, und da- mit wächst auch die Gefahr, daß sol- che Stämme auf andere Patienten

„horizontal" übertragen werden.

Bis auf seltene Situationen (Herpesenzephalitis, Neugebore- nen-Herpessepsis) wird der Immun- gesunde mit der Herpesinfektion fer- tig, mit dem immer wieder auftreten- den Herpes („Rekrudeszenz") allzu- mal. Nicht so der Immunsupprimier- te: Die Haut- oder Schleimhautläsio- nen (analoges gilt übrigens auch für den Zoster) heilen nicht, das Virus vermehrt sich ungehemmt, eine Analog ist die Situation beim

Ganciclovir (GV), einem chemi- schen Verwandten des ACV, das mit Erfolg bei schweren Zytomega- lie(CMV)-Allgemeininfektionen und der rasch zur Blindheit führenden CMV-Retinitis von Immundefizien- ten eingesetzt wird. Auch hier wur- den GV-resistente CMV-Stämme von Patienten (Leukämie, AIDS) mit progressivem Krankheitsverlauf und letalem Ausgang isoliert (24).

Welche allgemeineren Gesichts- punkte sind bedeutsam?

(j) Mit zunehmender Anwen- dung antiviraler Substanzen, zur Zeit vorwiegend gegen Viren der Herpes- gruppe (HSV, CMV, Varizella-Zo- ster-Virus) und gegen das „AIDS- Virus" (HIV), wird es immer häufi- ger zu Pharmakon-Resistenzen und entsprechendem Therapieversagen kommen.

• Resistente Virusmutanten treten „spontan" auf, ohne daß sie je

dem entsprechenden Pharmakon ex- poniert waren. Unter einer antivira- len Therapie haben sie Selektions- vorteile, sie „wachsen aus". Daraus folgt, daß Resistenz zumeist erst un- ter der Behandlung manifest wird,

Chance natürlich, daß zunehmend mehr resistente Mutanten im peri- pheren Herd auftreten.

• Herpes-simplex- und Vari- zella-Zoster-Viren „überwintern"

bekanntlich in den Gangliennerven- A-2796 (48) Dt. Ärztebl. 88, Heft 34/35, 26. August 1991

(4)

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Canyon Floor

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Y199

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- - - - Position von WIN 52084 im sensitiven Wildtyp ... sensitiver Wildtyp

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resistente Mutante: die klobige Seitenkette des Tyrosins (Y199) blockiert den

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Eingang

Abbildung 3 (oben): Bindung der antiviralen Substanz WIN 52084 an das Polypeptid VPI des Virusproteinmantels (Kapsid) von Rhinovirus (Schnupfenvirus) Typ 14. Durch die "Ver- steifung" des Kapsids gelangt die RNS (RNA) nicht aus dem stabilisierten Virus partikel her- aus, das Uncoating wird gehemmt (52) (unten): Eine Mutation in Position 199 des Polypep- tids VPI von Rhinovirus Typ 14 mit dem Austausch der Aminosäure Cystein (C 199) durch Tyrosin Cf 199) führt zu einer Blockade des Eingangs in die" Tasche" unter dem Canyonboden (siehe 3a). Die Aminosäurekette von Position 197 bis 201 ist im Detail wiedergegeben (33).

zellen (latente Infektion), von wo aus nach "Aktivierung" die rekurrie- renden Infektionen ausgehen (wie Lippenherpes, Zoster) (54). Sind die Viren im Latenzzustand pharmakon- sensitiv, so wird mit großer Wahr- scheinlichkeit bei jeder Rekrudes- zenz auch wieder sensitives, gut be- handelbares Virus auftreten (42,55).

Damit taucht die Frage auf, ob pharmakonresistente Stämme, mit denen wir zunehmend konfrontiert

sein werden, latente Infektionen in den GanglienzeIlen etablieren kön- nen. Aufgrund von experimentellen Untersuchungen ist diese Frage zu bejahen, bislang aber scheint es wahrscheinlich, daß die meisten ACV-resistenten Herpesviren da- nach nicht mehr reaktiviert werden und so nicht mehr in die Peripherie gelangen können (10,25,50). Dieses Problem wird jedoch im Auge zu be- halten sein (37).

"

• Resistenz einer Virusmutan- te gegenüber einer antiviralen Su b- stanz wird bei gleichem molekularen Wirkungsmechanismus zur Resi- stenz gegenüber der zweiten Sub- stanz führen (Kreuzresistenz) (13, 25, 56). Dies betrifft zum Beispiel ACV und GV. Ein Therapieerfolg ist dann aber zu erzielen, wenn Sub- stanzen mit anderem Wirkungsprin- zip zur Verfügung stehen (9,44, 51, 56).

e

Wie bei bakterielIen Infek- tionen wird in Zukunft auch die Sen- sitivität der Virusstämme gegenüber antiviralen Substanzen zu überwa- chen sein (19, 23, 50, 55). Die Me- thoden hierfür sind schon lange eta- bliert (13, 16, 23, 35, 36, 53). Eine Strategie, die Chancen der Ausbrei- tung von resistenten Virusmutanten gering zu halten, ist dringend vonnö- ten (1, 34).

Von beträchtlichem aktuellen Interesse ist die Frage nach Azido- thymidin-resisten ten HIV -Stämmen.

Angriffspunkt von Azidothymidin (AZT, Retrovir) ist das Enzym re- verse Transkriptase, ein Virusenzym, das für die Vermehrung von Retrovi- ren und damit von HIV essentiell ist.

Das Auftreten von AZT-resistenten HIV -Stämmen - wie es auch beob- achtet wurde (2, 6, 38, 40, 48, 49) - war nicht unerwartet: Es handelt sich bei AIDS um eine chronische Erkrankung, die das Auftreten von Mutanten aller Art favorisiert, da über sehr lange Zeit eine Virusver- mehrung abläuft ("Lentivirus"-In- fektion, Immundefizienz).

Die klinischen Auswirkungen der AZT-Resistenz sind aber allein schon wegen der langen Verläufe nicht so direkt zu beurteilen, wie dies etwa bei Herpes- oder Zostererkran- kungen mit ACV-resistenten Virus- mutanten möglich ist. Bei der kom- plexen Pathogenese von AIDS gibt es viele Ursachen für ein Fortschrei- ten des Leidens (8, 22, 27, 29).

Trotz dieser Einschränkungen besteht für mich kaum noch ein Zweifel daran, daß die Progression von AIDS trotz AZT-Behandlung mit dem Auftreten von AZT-resi- stenten HIV-Mutanten korreliert ist (6).

Molekularbiologische Untersu- chungen zur AZT-Resistenz zeigen

(5)

erwartungsgemäß definierte Punkt- mutationen in dem für die Wirksam- keit von AZT wesentlichen Schlüs- selenzym, nämlich der reversen Transkriptase der resistenten HIV- Stämme (41). Der Grad der Pharma- kon-Resistenz hängt auch von meh- reren Mutationen in der reversen Transkriptase ab, deren Effekte sich addieren.

Eine Schlüsselstellung nimmt of- fenbar eine Aminosäuresubstitution in Position 215 der reversen Trans- kriptase ein (6). Dies könnte von mehr als akademischer Bedeutung sein, indem man frühzeitig mit der Methode der Polymerase-Kettenre- aktion (18) bei den betroffenen Pa- tienten auf diese Mutation hin testen könnte (6). Konventionelle biologi- sche Resistenzteste bergen nicht un- beträchtliche technische Schwierig- keiten (39).

Letztlich muß angemerkt wer- den, daß trotz aller bisher vorliegen- den molekularbiologischen Untersu- chungen zur Pharmakon-Resistenz von HIV-Stämmen die präzise bio- chemische Basis des Phänomens noch nicht aufgeklärt ist (6, 41).

Von medizinischer Bedeutung ist der Befund, daß AZT-resistente HIV-Stämme nur ein ganz geringes Spektrum von Kreuzresistenz mit an- deren Substanzen zeigen, darunter eben nicht nur Interferone und Phosphonoameisensäure (Foscar- net), sondern auch viele Nukleosida- naloge, solange sie in Position 3 des Zuckerrings keine Azidogruppe tra- gen (39, 47). So sind zum Beispiel 2',3Dideoxyzytidin (ddC) und 2',3Dideoxyinosin (ddI), die schon im klinischen Test sind (7, 26), ge- genüber AZT-resistenten Stämmen in vitro voll aktiv. Für Alternativthe- rapien bei Vorliegen von AZT-Resi- stenz ist dies von offensichtlicher Be- deutung (3).

Amantadin (Symmetrel®) und das besser verträgliche Rimantadin (noch nicht im Handel) sind zur Chemoprophylaxe und Chemothera- pie der Influenza A sehr geeignet (werden aber leider nur selten ange- wendet) (Tabelle 2) (14, 19). Seit Jahren ist bekannt, daß Amantadin/

Rimantadin-resistente Influenza-A- Viren experimentell leicht zu gewin- nen sind. Die klinische Bedeutung

der Resistenzentwicklung bei der Prophylaxe mit dieser Substanzgrup- pe ist aber erst in jüngerer Zeit be- kannt geworden (32). Es wurde die beunruhigende Beobachtung ge- macht, daß in diesem Falle die Resi- stenzentwicklung sehr schnell, inner- halb von nur wenigen Tagen Medi- kamentengabe, auftreten kann und ganz offenbar nicht zu einer Ab- schwächung der Virulenz des Influ- enzavirus führt. Zum nützlichen Ein- satz der primär gut wirksamen Influ- enza-Chemotherapeutika müssen neue Strategien ausgearbeitet wer- den.

Inhibitoren des Uncoating

Wenn auch in vielen Fällen die Wirkungsweise einer antiviralen Substanz noch nicht präzise bekannt ist und damit auch die Basis der Re- sistenz im molekularen Bereich noch nicht im letzten Detail verstanden werden kann, so sind doch in den letzten Jahren Fortschritte erzielt worden.

1985 gelang durch Röntgen- strukturanalyse die Aufklärung der detaillierten Struktur von Poliovirus Typ 1 und des Rhinovirus (Schnup- fenvirus) Typ 14 (17). Seit Jahren sind sogenannte Winthrop-Verbin- dungen bekannt, die — wie das oben- genannte Rhodanin (Abbildung 2)

—die Eigenschaft haben, sich an defi- nierte Stellen der Virusproteinhülle anzulagern und damit das Viruspar- tikel so zu stabilisieren, daß das Erb- material, die Virusnukleinsäure, in der infizierten Zelle nicht freigesetzt werden kann. Das heißt, das Uncoat- ing des Virus wird blockiert und da- mit die Virusvermehrung. Die ge- nauen Bindungsstellen von Win- throp-Verbindungen an das Virus- partikel wurden bestimmt. Dabei er- gab sich, daß virusinhibitorisch wirk- same Substanzen genau in eine „Ta- sche" unterhalb des sogenannten Canyonplateaus hineinpassen und damit das Viruskapsid „versteifen"

(Abbildung 3a) (52).

Inzwischen sind Virusmutanten isoliert worden, die im Vergleich zu den beim Wildtyp wirksamen Win- throp-Verbindungen resistent sind.

Gentechnische Analysen ergaben,

daß die resistenten Mutanten zum Teil im Bereich der „Tasche" unter dem Canyonplateau Aminosäure- substitutionen haben, die den Zu- gang zu ihr blockieren (Abbildung 3b): Nunmehr kann die entscheiden- de Bindung von antiviraler Substanz an das Viruskapsid nicht mehr zu- stande kommen, die Mutante ist pharmakonresistent, sie kann sich trotz der Gegenwart des Inhibitors ungehindert vermehren (33).

Im Falle dieser Uncoating-Inhi- bitoren scheinen also sowohl der Wirkungsmechanismus als auch die Ursache der Resistenz exakt zu defi- nieren zu sein, eine — wie wir gese- hen haben — heute noch seltene Si- tuation. Dessen ungeachtet: Die hier vorgestellten Inhibitoren der Virus- vermehrung interagieren mit virus- spezifischen Makromolekülen, was die Virusselektivität der Substanzen erklärt, auch wenn wir die Natur der Interaktion zur Zeit noch nicht im letzten Detail kennen.

Design von neuen antiviralen Substanzen

Damit sind wir bei dem schwieri- gen Problem der gezielten Suche nach neuen Chemotherapeutika von Virusinfektionen angelangt. In der Vergangenheit hat hier der Zufall die entscheidende Rolle gespielt, von gezieltem Design konnte keine Rede sein. Auch das ACV macht da keine Ausnahme (57), auch wenn dies in nicht wenigen Publikationen immer wieder behauptet wird. So ist es unbekannt, warum gerade ACV (ein Purinderivat) von der Virus- Thymidinkinase (eine Deoxypyrimi- dinkinase!) präferentiell phosphory- liert wird (ein Grund für die Virusse- lektivität der Substanz [Abbildung 1] ), Hunderte andere Nukleosidana- loge aber nicht. Das gleiche Argu- ment gilt natürlich auch für die In- teraktion von ACV-Triphosphat mit der Herpesvirus-DNA-Polymerase (Abbildung 1). Wie bei den Uncoat- ing-Inhibitoren wäre die Kenntnis der Struktur mit einem Auflösungs- vermögen im atomaren Bereich eine Voraussetzung des Verständnisses, doch sind wir zur Zeit noch weit von diesem Ziel entfernt.

A-2800 (54) Dt. Ärztebl. 88, Heft 34/35, 26. August 1991

(6)

Heute aber bieten sich viel bes- sere Chancen als noch vor zehn Jah- ren. So ist zumindest schon ein geziel- tes „Screening" möglich, insofern zum Beispiel über die Störung der Funktion eines für die Vermehrung essentiellen Virusenzyms nachge- dacht und experimentiert wird, wie etwa im Fall der reversen Transkrip- tase von HIV (31).

Gleiches gilt für Proteinase- Inhibitoren: Eine Virus-Proteinase muß im Vermehrungszyklus von HIV (und dem vieler anderer Viren) Virusproteine an definierten Stellen spalten, damit der Vermehrungspro- zeß geordnet ablaufen kann (31). So versucht man denn, gezielt Hemm- stoffe zu entwickeln, zumal eine ge- nauere Kenntnis der Struktur dieser Proteinase vorliegt (46).

Wieviel Polypen werden bei der

Koloskopie übersehen?

Man geht im allgemeinen davon aus, daß 10 Prozent aller kolorekta- ler Polypen im Rahmen einer Kolo- skopie übersehen werden und erst bei einer Kontrolluntersuchung nach ein bis zwei Jahren entdeckt werden.

Die Autoren wollten dieser Frage noch einmal nachgehen, indem sie 90 Patienten zweimal durch zwei un- terschiedliche Untersucher kolosko- pierten (Tandemkoloskopie). Bei 69 Patienten (76,7 Prozent) konnten 221 neoplastische Läsionen histolo- gisch dokumentiert werden. Von ins- gesamt 58 Läsionen, die bei 31 Pa- tienten gefunden wurden, wurde kei- ne neoplastische Läsion mit einem Durchmesser von über 10 mm über- sehen. 16 Prozent der Polypen mit einem Durchmesser unter 5 mm und 12,3 Prozent der Polypen mit einem Durchmesser von 6 bis 9 mm waren bei der Erstuntersuchung übersehen worden. Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß ein erfahrener Un- tersucher etwa 15 Prozent der kolo- rektalen neoplastischen Polypen mit einem Durchmesser von unter 10 mm übersieht, auch wenn der

Wir können hoffen, daß mit zu- nehmendem Wissen in der Moleku- larbiologie langgehegte Erwartungen eines zielgerichteten Designs antivi- riler Substanzen mehr und mehr realisiert werden können.

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordem über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Hans J. Eggers Insitut für Virologie

der Universität zu Köln Fürst-Pückler-Straße 56 W-5000 Köln 41

FOR SIE REFERIERT

Darm ideal sauber ist. Größere Poly- pen werden offensichtlich immer entdeckt. Bei der in dieser Studie ge- fundenen „Fehlerquote" von 0 ist mit einem 95prozentigen Confidence limit von 4,64 Prozent zu rechnen:

Die Rate der übersehenen klinisch signifikanten Polypen liegt somit un- ter 5 Prozent.

Hixson, L. J., M. B. Fennerty, R. E. Samp- liner, D. McGee, H. Garewal: Prospec- tive Study of the Frequency and Size Dist- ribution of Polyps Missed by Colonoscopy.

J. Nat. Cancer Institute 82: 1769-1772, 1990.

Section of Gastroenterology 3-G, Tucson VA Medical Center 3601 S., 6th Avenue, Tucson, AZ 85724, USA.

Autoimmune

Polyendokrinopathie

Zirkulierende organspezifische Autoantikörper zeigen Schädigun- gen an wichtigen endokrinen Gewe- bezellen auf und können auch ohne klinische Zeichen einer Krankheit von abnormen Hormonspiegeln be- gleitet sein. Nachdem beim Herzen endokrine Funktionen gefunden

werden konnten, wie zum Beispiel die Sekretion von ANP (Atriales na- triuretisches Peptid), wurden in ei- ner Studie Seren von 166 Patienten mit autoimmuner Polyendokrinopa- thie, von 80 Patienten mit Erkran- kung eines endokrinen Organs sowie von 200 gesunden Blutspendern auf Herzantikörper und auf basale und stimulierte ANP-Werte mittels Im- munofluoreszenz untersucht und verglichen. Von den Patienten mit Polyendokrinopathie waren 23 Pro- zent symptomfrei.

In der Patientengruppe mit Po- lyendokrinopathie wurden signifi- kant häufiger Herz-Antikörper fest- gestellt, wie sie bei dilatierter Kardiomyopathie auftreten, als in der Gruppe der Patienten mit Mono- Endokrinopathie (17 gegenüber ei- nem Prozent) und als in der Kon- trollgruppe (3,5 Prozent). Das Auf- treten der Antikörper war jedoch un- abhängig vom Alter, vom Vorhan- densein einer bestimmten Autoim- munerkrankung oder spezifischen Autoantikörpern. Unter den Patien- ten mit Polyendokrinopathie und Herz-Autoantikörpern war der An- teil von Hypertonikern mit 18 Pro- zent signifikant höher als in der Gruppe ohne Autoantikörper (drei Prozent), unabhängig von speziellen Autoimmunerkrankungen. Das glei- che gilt bei einer positiven Familien- anamnese für Bluthochdruck (42 ge- genüber sieben Prozent) oder KHK (31 gegenüber neun Prozent). Dage- gen zeigten sich zwischen den Grup- pen keine Unterschiede bei den Werten für basales und stimuliertes ANP. Es gab auch keinen Zusam- menhang zwischen dem Vorhanden- sein von abnormen ANP-Werten und Kardiopathieen oder essentiel- lem Hypertonus.

Die Autoren vermuten, daß das Vorhandensein organspezifischer Herz-Antikörper bei Polyendokrino- pathie-Patienten auf eine autoimmu- ne Form des essentiellen Bluthoch- drucks hinweist. slü

Caforio, A. L. P. et al.: Organspecific car- diac antibodies: serological markers for systemic hypertension in autoimmune polyendocrinopathy. Lancet 337 (1991) 1111-1115.

Prof. G. F. Bottazzo, London Hospital Me- dical College, Department of Immunology, 56 Ashfield Street, London El 2AD, UK.

A-2802 (56) Dt. Ärztebl. 88, Heft 34/35, 26. August 1991

Referenzen

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