Arztpraxis und Digitalisierungsbrett
Das Digitalisierbrett wird jetzt seit mehr als zehn Jahren, in größerem Ausmaß seit drei Jahren, als Eingabemedium zur elektronischen Karteikarte in der ärztlichen Praxis verwendet: Anlaß für eine Bestandsaufnahme, auch der aktuellen Weiter- entwicklungen auf diesem Gebiet.
Seit einigen Jahren wird über das Digitalisierbrett als Eingabemedium zur elektro- nischen Karteikarte in der Arztpraxis diskutiert. Wenn das Brett auf Kongressen de- monstriert wurde, waren die meisten Ärzte begeistert, weil sie sahen, daß die Eingabe der täglich anfallenden Daten über das Digitalisierbrett tat- sächlich erheblich komfortab- ler und rascher erfolgt als über die Tastatur. Trotzdem hat sich dieses Medium bis- her nicht so durchsetzen kön- nen, wie das von vielen erwar- tet worden war.
Der größte Unterschied zum Standard ist wohl der, daß die Tastatur seit Erfin- dung der Schreibmaschine — mit Ausnahme einiger Funk- tionstasten — nicht verändert wurde. Das Digitalisierbrett dagegen und seine techni- schen Möglichkeiten wurden in den letzten drei Jahren so erheblich verbessert, daß die Unterschiede zwischen veral- teten und weiterentwickelten
„Digitizern" in der Praxis heute schon fast so gravie- rend sind wie die Unterschie- de zur Tastatur. Durch diese Flexibilität kann das Digitali- sierbrett auch in Zukunft Weiterentwicklungen auf dem EDV-Sektor problemlos in das System übernehmen, die Tastatur hingegen nicht.
Hohe Flexibilität
Die Flexibilität des Digita- lisierbretts zeigt sich auch darin, daß die Eingabe der Daten nicht linear erfolgt, daß man also nicht wie bei ei- nem Befundungsbaum eine bestimmte Reihenfolge der Eingaben einhalten muß. Au- ßerdem ist der Inhalt eines guten und weiterentwickelten Digitalisierbrettes sehr rasch und einfach zu verändern, so daß jeder Arzt so individuell weiterarbeiten kann wie bis- her. Das wird in der Praxis dadurch bestätigt, daß bereits zahlreiche Kollegen nach ei- ner Einarbeitungszeit von et-
wa vier Wochen — die man aber unbedingt benötigt — problemlos, rasch und trotz- dem bequem mit einem Digi- talisierbrett arbeiten.
Auch andere Resultate schon früher durchgeführter Studien über das Arbeiten mit dem Digitalisierbrett wur- den in der Praxis inzwischen vielfältig bestätigt.
1. Beim Arbeiten mit ei- nem Digitalisierbrett muß man sich wesentlich weniger auf das Eingabemedium kon- zentrieren als bei einer Tasta- tur. Man kann also seine Auf- merksamkeit fast ungeteilt dem Patienten widmen.
2. Die Eingabe von Ana- mnesen, Befunden, Diagno- sen und Therapiemaßnah-
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men erfolgt wesentlich ra- scher als mit der Hand, auch wenn man dabei eigene Kür- zel verwendet, und eindeutig rascher als bei jedem Kürzel- system.
3. Selbst beim Diktieren ist man nicht schneller als mit dem Digitalisierbrett. Des- halb kann der Arzt die not-
wendigen Daten selbst einge- ben und braucht keine Helfe- rin im Sprechzimmer.
4. Dadurch entfällt auch weitgehend die abendliche Kontrolle der Karteikarten sowohl auf Richtigkeit als auch auf orthographische Fehler.
5. Insgesamt kann man bei guter Ausnützung der vor- handenen Möglichkeiten auf dem Digitalisierbrett etwa 40 Prozent Personal — und damit erhebliche Kosten — und rund 40 Prozent Zeit einsparen.
Neue Entwicklungen
Inzwischen bieten viele Softwarehäuser ein Digitali- sierbrett an. Bei einer Analy- se der Bretter stellt man aller- dings fest, daß das Angebot zu einem erheblichen Teil aus Fehl- oder rasch auf den Markt geworfenen Schnell- entwicklungen besteht. Um die genannten Effekte und Einsparungen zu realisieren, muß ein Digitalisierbrett von der Firma konsequent weiter- entwickelt werden und heute folgende Kriterien erfüllen:
1. Der Stift des Brettes muß auch als „Maus" einzu- setzen sein. Dadurch werden neben einem frei verschiebli- chen Cursor und einer Lösch- funktion, die wie ein Radier- gummi arbeitet, vor allem
„Scrollfelder" möglich, die das rasche Eintragen von fast beliebig vielen Begriffen er- lauben. Diese Scrollfunktion ist eine echte Revolution auf dem Digitalisierbrett und hat die Möglichkeiten damit ganz enorm gesteigert. Sie darf nicht verwechselt werden mit der Fenster- oder window- Technik, die manche Firmen
propagieren, die aber sehr viel langsamer und umständli- cher funktioniert als eine
„Scroll"-Technik. Leider wird eine gute Scroll-Funktion, die den Bildschirm quasi gra- phisch macht, nur von einer Firma angeboten.
2. Die Oberfläche des Di- gitalisierbretts muß vom An- wender völlig frei gestaltet werden können (drei Fir- men).
3. Das Digitalisierbrett muß von der Firma gewartet werden; diese Tatsache muß in einem Wartungsvertrag festgeschrieben sein; die up- dates müssen alle technischen Weiterentwicklungen auch Alt-Anwendern zugänglich machen, dürfen aber die indi- viduellen Veränderungen der Oberfläche nicht löschen (ei- ne Firma).
4. Die einzelnen Seiten müssen nach der Anwahl so- fort zur Verfügung stehen, nicht erst geladen werden (vier Firmen).
5. Im Mehrplatzbereich sollten die einzelnen Seiten auch einzeln geeicht sein, um Verschiebungen der Seiten untereinander zu eliminieren (von den beiden Firmen, die das betrifft, bietet das nur ei- ne an).
6. Die Firma muß Vorla- gen für möglichst viele Fach- gruppen anbieten und nach Möglichkeit sogar verschiede- ne Versionen davon, um je- dem Einsteiger die Plattform anzubieten, die für ihn ad- äquat ist. (Darum bemühen sich viele Firmen; das Ergeb- nis ist aber fast durchweg dürftig).
Akzeptanz- Schwierigkeiten
Zwei Gründe erklären jetzt, weshalb die Akzeptanz des Digitalisierbretts bei Ärz- ten langsamer stieg als erwar- tet:
Es gibt zwar viele Digitali- sierbretter auf dem Markt, aber wenig gute. Nur ein ein- ziges Produkt ist so ausge- reift, daß es vorbehaltlos wei- terempfohlen werden kann.
Außerdem sind die anbieten- A1-3944 (116) Dt. Ärztebl. 89, Heft 46, 13. November 1992
UND ',NENN SIE ALLE IHRE SÜNDEN HIER EINGEGEBEN HABEN, DANN RUFEN SIE
MICH WIEDER !
Zeichnung:
Reinhold LEMer
den Firmen entweder zu groß und unbeweglich und dazu auch zu wenig innovativ, oder sie sind zu klein und zu unbe- deutend, um sich bei den Ärz- ten entsprechendes Gehör zu verschaffen. Vermutlich wird das auch so bleiben, so daß es weiterhin zahlreiche Anbieter eines Digitalisierbrettes ge- ben wird, die aber wegen der fehlenden Ausstrahlung eher eine Negativwerbung für die- ses Eingabemedium machen.
Der zweite Grund für die langsame Entwicklung des Digitalisierbretts ist ein psy- chologischer, nämlich die durchaus menschliche Träg- heit. Einen Kollegen, der sich ein Kürzelsystem mit der Ta- statur geschaffen hat, kann man kaum davon überzeugen, daß es vielleicht Systeme gibt, die noch besser sind als das, was er sich in mühevoller Kleinarbeit ausgedacht hat.
Deshalb werden es vor al- lem drei Gruppen von Ärzten sein, die in der Praxis ein Di- gitalisierbrett einsetzen:
1. Kollegin- nen und Kolle- gen, die mit ih- rem System und den damit er- reichten Mög- lichkeiten unzu- frieden sind; das wird aber in aller Regel nur dann der Fall sein, wenn das System oder die Betreu- ung wirklich schlecht sind.
2. Junge Kol- leginnen und Kollegen, die al- lein oder in Ge-
meinschaftspraxis neu begin- nen. Sie werden sich objektiv informieren und das für sie günstigste System auswählen, unbelastet durch frühere Ent- scheidungen und inzwischen angenommene Gewohnhei- ten.
3. Die Vielzahl der Kolle- gen, die bisher mit der Pa- pierkarteikarte gearbeitet ha- ben. Wenn man dieser großen
Zahl von Ärzten ein System anbieten kann, das ihnen die Arbeit in der Praxis erleich- tert und das sie ohne Tastatur bedienen können, wenn sie ein System bekommen, mit dem sie die Kosten in der Praxis und ihre tägliche Ar- beitszeit reduzieren können, dann wird die EDV auch in der Ärzteschaft einen ähnli- chen Verbreitungsgrad fin-
den wie in anderen Berufs- zweigen. Da die genannten Effekte nur mit der elektroni- schen Karteikarte und einem Digitalisierbrett zu realisie- ren sind, kann man davon ausgehen, daß dieses Instru- ment in absehbarer Zeit zur Standardausrüstung gehören wird.
Allerdings ist klar, daß man den Umgang mit dem Computer, ähnlich wie mit dem Röntgengerät oder dem Ultraschall, erst lernen muß.
Die EDV-Firmen werden deshalb in steigendem Maß Einführungs- und Weiterbil- dungskurse anbieten müssen, auch für das Digitalisierbrett.
Andererseits sollten die Ärzte auch bereit sein, in ihre eigene Zukunft zu investie- ren, indem sie die EDV als echte Chance erkennen, ihre aktuellen Probleme besser zu bewältigen.
Dr. med. Burkhart Veigel Kirchheimer Straße 69 W-7000 Stuttgart 75