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Archiv "„Beitragsstabilität ist kein Wert an sich“" (06.01.1992)

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„Beitragsstabilität ist kein Wert an sich"

Interview mit Dieter-Julius Cronenberg, Bundestagsvizepräsident, Vor- sitzender des Arbeitskreises lII "Arbeit und Soziales" der F.D.P-Bun- destagsfraktion, MdB aus Arnsberg

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

AS INTERVIEW

Frage: Herr Cronenberg, in dem am 1. Januar 1989 in Kraft getrete- nen Sozialgesetzbuch V (§§ 71; 141) ist die Norm der Beitragssatzstabili- tät in der gesetzlichen Krankenversi- cherung (GKV) festgeschrieben wor- den. Nun werden Papiere im Bun- desgesundheitsministerium gehan- delt, die dieses Postulat mit einer Beitragsfestschreibung und einer Deckelung der Arzthonorare erfül- len wollen. Wie steht es mit der im gleichen Paragraphen des SBG V verankerten Klausel, wonach von der absoluten Beitragssatzstabilität ab- gewichen werden kann, soweit die medizinisch notwendige wirtschaftli- che Versorgung nur mit einem davon abweichenden Beitragssatz finan- ziert werden kann?

Dieter-Julius Cronenberg: Bei- tragsstabilität ist kein Wert an sich, sondern ein politisches Ziel, um das sich alle Beteiligten redlich bemühen sollten, und zwar im Interesse der gesamten Volkswirtschaft, aber auch der Einkommen aller abhängig Be- schäftigten. Wir wissen, daß die Dis- kussion um die Lohnnebenkosten, um die Personalzusatzkosten also, die die Effektivität unserer Wirt- schaft belasten, sehr ernst genom- men werden muß. Auch die individu- ellen Belastungen der Arbeitnehmer sind bei einem Punkt angelangt, an welchem sich die Frage ergibt, ob wir nicht indirekt Schwarzarbeit fördern.

Eine Arzthelferin, die 2000 bis 2500 DM im Monat (brutto) verdient, ko- stet die Arztpraxis insgesamt 3500 bis 4500 DM. Die Helferin muß für diesen Betrag auch Arbeitsleistung in der Praxis erbringen. Ausgezahlt bekommt sie 1400 bis 1700 DM je nach Steuerklasse und Familien- stand. Weitere Erhöhungen der Lohnzusatzkosten würden das Net- toeinkommen noch weiter senken und die Personalkosten in der Praxis erhöhen.

Allerdings muß der Gesetzgeber

erkennen, daß infolge der demogra- phischen Entwicklung und des medi- zinischen Fortschritts ein Anstieg der Krankenversicherungsbeiträge nicht in jedem Fall zu vermeiden ist.

Deswegen müssen unvermeidliche Beitragssatzsteigerungen akzeptiert werden.

Was das Verhältnis der Ausga- ben für Gesundheit im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt anbelangt:

Dieter-Julius Cronenberg Foto: Archiv/Neuschl

Mit Statistiken versucht man vieles zu beweisen. Ich bestreite nicht, daß die Kosten des Gesundheitswesens im Verhältnis zum Bruttosozialpro- dukt seit 1975 mehr oder weniger konstant bei knapp über neun Pro- zent geblieben sind. Die Dinge stel- len sich jedoch anders dar, wenn als Basisjahr 1970 gewählt wird: Dann ist ein Anstieg von 6,4 Prozent des Bruttosozialproduktes auf rund neun Prozent zu verzeichnen. Außerdem ist bei der Beurteilung der Gesamtsi- tuation auch zu berücksichtigen, daß die Ausgaben in Relation zum Brut- tosozialprodukt nicht der einzige Pa- rameter sind. Es gibt auch andere Bezugsgrößen, die man berücksichti- gen muß. Nehmen wir zum Beispiel

den Nettolohn oder das Nettogehalt von 1970 gleich 100 und die GKV- Ausgaben ebenfalls gleich 100, dann haben sich die Dinge wie folgt ent- wickelt: 1975: Gehälter 150; GKV- Ausgaben 242. 1980: Gehälter 198, GKV-Ausgaben 356, und 1989: Ge- hälter 253; GKV-Ausgaben 516. Aus wirtschafts- und verteilungspoliti- schen Gründen ist die Beitragsstabi- lität zwar ein erstrebenswertes Ziel.

Wir müssen alle gesundheitspolitisch zu verantwortenden Instrumente einsetzen, um dieses Ziel zu errei- chen. Aber wir dürfen Beitragssatz- erhöhungen nicht für tabu erklären.

Frage: Herr Cronenberg, in der Fragestunde des Deutschen Bundes- tages wurden wiederholt Statistiken zu Ärzteeinkommen zitiert und stati- stische Vergleiche mit den Verdien- sten von Arbeitern und Angestellten angestellt. Zugleich wurde der Ein- druck erweckt, als seien die Ärzte- einkommen beziehungsweise die Kassenarztumsätze Hauptursache für die Kostenexpansion im Gesund- heitswesen. Der Bundestagsabgeord- nete Klaus Kirschner von der SPD hat die Parlamentarische Staatsse- kretärin des Bundesgesundheitsmi- nisteriums, Dr. med. Sabine Berg- mann-Pohl, sogar aufgefordert, die Bundesaufsicht gegenüber den Kas- senärzten und Kassenzahnärzten im Hinblick auf die Einhaltung des Sta- bilitätsgrundsatzes einzuschalten.

Wie akut und wie realistisch sind sol- che Forderungen aus Ihrer Sicht?

Cronenberg: Zunächst muß man feststellen, daß in dieser Diskussion sehr häufig Einkommen und Umsatz durcheinandergeworfen werden. Für eine ordentliche Versorgung unserer Bevölkerung mit Gesundheitslei- stungen ist auch ein ordentliches Einkommen der im Gesundheitswe- sen Tätigen, das heißt selbstver- ständlich auch der Ärzte, erforder- lich. Die Einkommenssituation der niedergelassenen Ärzte ist nicht so rosig, wie sie häufig geschildert wird.

Insbesondere bei den Allgemeinärz- ten/praktischen Ärzten und Kinder- ärzten ergeben sich bescheidende Stundenverdienste für 1989 zum Bei- spiel zwischen 55 und 65 DM. In den letzten Tagen hat die Kassenärztli- che Vereinigung Nordrhein (Düssel- dorf) Statistiken für 1990 veröffent- Dt. Ärztebl. 89, Heft 1/2, 6. Januar 1992 (23) A1-23

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licht, woraus hervorgeht, daß das durchschnittlich zu versteuernde Einkommen der Allgemeinärzte und Praktischen Ärzte bei 131 000 DM liegt, das heißt aber auch, nicht weni- ge Arzte liegen in diesem Bereich unter 100 000 DM zu versteuerndes Jahreseinkommen Dabei wird nicht bestritten, daß es Facharztgruppen mit relativ hohem Einkommen gibt.

Bei der Einkommenssituation der freiberuflich tätigen Ärzte muß man berücksichtigen, daß sie die notwen- digen Ausgaben für Kranken- und Unfallversicherung und vor allen Dingen Aufwendungen für die Al- terssicherung in erheblichem Um- fang aus versteuertem Einkommen aufzubringen haben. Wer den Ein- druck erweckt, bei den Kassenarzt- einkommen gebe es Einsparmöglich- keiten, gaukelt sich oder anderen et- was vor und kennt entweder die Rea- lität nicht oder will unberechtigte Neidgefühle wecken. Beides ist kein sinnvoller Beitrag zur Konsolidie- rung des Gesundheitswesens. Au- ßerdem muß in dem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, daß die Praxen auch Rücklagen bilden müs- sen, um immer auf dem bestmögli- chen technischen Stand verbleiben zu können. Über die Formulierung, die die Staatssekretärin Dr. Berg- mann-Pohl in der Fragestunde des Deutschen Bundestages gefunden hat, bin ich alles andere als glücklich.

Wenn Kollege Klaus Kirschner auffordert, die Rechtsaufsicht einzu- schalten, so wird es wohl bei der Aufforderung bleiben müssen, denn das Ergebnis kann sicher nicht sein, daß die ärztlichen Einkommen wei- ter gekürzt werden. Ich darf auch in dem Zusammenhang daran erin- nern, daß Prokuristen mittelstän- discher Unternehmen inzwischen deutlich höhere Einkommen haben als niedergelassene Praktiker, Allge- meinärzte und Kinderärzte.

Frage: Die Aufforderung der Oppositionspolitiker geht sogar so weit, nach der Rechtsaufsicht gegen- über der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung (KBV) und den Spitzen- verbänden der Krankenkassen zu ru- fen und möglicherweise in vorberei- tete Honorarverträge der KBV mit den Ersatzkassen einzugreifen bezie- hungsweise diese zu beanstanden.

Wie steht es nach Ihrer Auffassung mit den Gelüsten, im Zuge der Ko- stendämpfungspolitik die Arzthono- rare einzufrieren, den Beitragssatz zu deckeln und die Leistungsanbie- ter in einer verschärften, rigideren Form in die Pflicht zu rufen?

Cronenberg: Zunächst möchte ich auf das Recht der Selbstverwal- tung, Honorarverträge abzuschlie- ßen, hinweisen; ich möchte dieses Recht nicht eingeschränkt sehen. So sehr ich überall für Mäßigung bei solchen Honorarverträgen eintrete, so sehr muß man auch darauf hin- weisen, daß sich Punktwerte, die

1988 bei zirka 9,2 Pfennig lagen, 1990 auf rund neun Pfennig ermäßigt haben. Wenn trotzdem das Gesamt- honorar gestiegen ist, so ist dies auch auf den Anstieg der Menge der er- brachten ärztlichen Leistungen zu- rückzuführen. Wenn man diesen Zu- sammenhang sieht, muß man sich entschieden gegen Honorardecke- lungen aussprechen. Sie sind kon- traproduktiv. Preisstopp und Decke- lung haben immer und überall zu Gegenreaktionen, zum Beispiel zu Mengenausweitungen, geführt und sind deswegen falsch.

• Meines Erachtens ist es für die Beitragsstabilität, aber auch für die Ärzte unerläßlich, daß man so schnell wie nur möglich zur Einzel- leistungsvergütung zurückkehrt. Die Krankenkassen sollten dies, gerade um das Ziel der Beitragsstabilität zu erreichen, auch fördern, denn nur so bekommen Wirtschaftlichkeitsprü- fungen einen Sinn. Wenn die Ge- samthonorarsumme festliegt und durch Prüfungsergebnisse praktisch nicht beeinflußt werden kann, er- scheint das ganze Prüfungssystem wenig sinnvoll. Es darf auch nicht übersehen werden, daß die beachtli- che Zunahme der Zahl der niederge- lassenen Ärzte für die individuellen Einkommen nicht unerhebliche Aus- wirkungen gehabt hat. Wenn die Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen sichergestellt ist, frage ich mich, ob denn mit der Niederlassungsfreiheit, die ja vom Verfassungsgericht garantiert ist, au- tomatisch auch die Zulassung zu den Krankenkassen verbunden sein muß.

Frage: Herr Cronenberg, das Elf-Punkte-Papier aus dem Bundes-

gesundheitsministerium steht immer noch im Raum, wiewohl es von der Ministerin inzwischen als inoffiziell zurückgepfiffen wurde. Dennoch, wie sind Ihre Vorstellungen zur Kor- rektur beziehungsweise Weiterent- wicklung der „Gesundheitsreform"

in dieser Legislaturperiode?

Cronenberg: Wie dargelegt, ist es notwendig, sich immer wieder um die Beitragsstabilität im Rahmen des Möglichen zu bemühen. Ich meine, daß weitere Maßnahmen, die über das Gesundheits-Reformgesetz hin- ausgehen, sehr gründlich überlegt und vorbereitet werden sollten; ich warne alle Beteiligten vor Schnell- schüssen. Wie bekannt, halten wir es für erforderlich, die aufgeschobene Reform im Bereich Krankenhaus voranzutreiben. In diesem Zusam- menhang möchte ich nur das Stich- wort „dreigeteilter Pflegesatz" und Abkehr von dem unglücklichen Selbstkostendeckungsprinzip erwäh- nen. Die ebenfalls aufgeschobene Organisationsstrukturreform kann einige Elemente enthalten, die sich positiv für die Beitragsstabilität aus- wirken. Ich denke insbesondere an den Wettbewerb der Krankenkassen untereinander.

Besonders möchte ich auf die Selbstbeteiligung hinweisen. Der ge- spaltene Arzneimittelmarkt wäre vermieden worden, wenn unser Vor- schlag „Selbstbeteiligung im Arznei- mittelbereich" in Höhe von zehn Prozent auf alle Medikamente — ma- ximal 10 DM — in der Koalition ak- zeptiert worden wäre.

Außerdem stelle ich mit großer Freude fest, daß die Bereitschaft, in wichtigen Teilbereichen das Prinzip Kostenerstattung zu akzeptieren, wächst. Nicht ein Instrument allein hilft, das Gesundheitssystem finan- zierbar zu erhalten. Patentrezepte sehe ich nicht. Wir müssen die Sum- me miteinander abgestimmter Ein- zelmaßnahmen einsetzen und diese gründlich vorbereiten. Dabei ist mir sehr an einer kooperativen Zusam- menarbeit mit der Arzteschaft, ohne die kein Gesundheitssystem effekt- voll arbeiten kann, gelegen.

Die Fragen stellte Dr. Harald Clade, Redaktion „DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT". ❑

AI-24 (24) Dt. Ärztebl. 89, Heft 1/2, 6. Januar 1992

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