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Archiv "KBV/Koalitionsverhandlungen: „Keine Angst vor Wettbewerb“" (04.11.2005)

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ls Horst Seehofer (CSU) nach der dritten Koalitionsrunde die SPD- Zentrale verließ, wollte er keinen Hinweis darauf geben, was Union und SPD an diesem Abend vereinbart hat- ten. „Ich sage nichts“, ließ Seehofer wis- sen und stieg eilig in seinen Wagen.

Wie Seehofer haben sich alle Ver- handlungspartner bis zum geplanten Abschluss der Koalitionsgespräche am 12. November ein Schweigegelübde auferlegt. Möglichst wenig soll aus der Hauptgruppe und den Arbeitsausschüs- sen nach außen dringen. Allzu genau nimmt es Seehofer mit dem Schweige- gelübde allerdings nicht. Denn noch ei- nen Tag vor der Koalitionsrunde gab sich der CSU-Vize redselig. Bei einer Tagung der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung (KBV) am 26. Oktober in Berlin skizzierte er einen ganzen Vor- mittag lang anstehende Reformaufga- ben der Bundesregierung. Dabei be- fasste sich der designierte Verbraucher- schutzminister nicht mit Geflügelhal- tung und Lebensmittelsicherheit. Viel- mehr widmete er sich seinem Leib- und Magenthema, der Gesundheitspolitik.

Die Begründung schickte er gleich vor- weg: Er wolle sich nicht auf „Bananen und Kartoffeln“ beschränken lassen, sagte der ehemalige Gesundheitsmi- nister und kündigte an, auch beim CSU-Parteitag in München die gesund- heitspolitische Marschrichtung der neuen Bundesregierung kommentieren zu wollen.

Für viel Beifall unter den Gästen der KBV-Tagung sorgte Seehofers Appell,

„den Arztberuf endlich wieder zu ei- nem echten freien Beruf“ zu machen.

Damit niedergelassene Ärzte im Wett- bewerb bestehen können, müssten sie Kassenleistungen künftig nach einer Vertragsgebührenordnung mit festen Preisen abrechnen können. Es sei das

gute Recht von Vertragsärzten, dass sie sofort erfahren, was sie verdienen.Auch die Budgets seien keine Dauerlösung und ständen dem Wettbewerb im Ge- sundheitswesen entgegen. Wettbewerb sei aber notwendig, um Qualität und Wirtschaftlichkeit voranzubringen.

Ob bei den Koalitionsverhandlungen tatsächlich derlei Zugeständnisse an die Vertragsärzte erwogen werden, sagte

Seehofer nicht. Er selbst sitzt nicht in der zuständigen „Arbeitsgruppe Ge- sundheit“, die von Bundesgesundheits- ministerin Ulla Schmidt (SPD) und CSU-Fraktionsvize Wolfgang Zöller angeführt wird. Nach Angaben von Teil- nehmern werde über eine Stärkung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen diskutiert. In diesem Zusammenhang verhandele man auch über die künftige Rolle der Kassenärztlichen Vereinigun- gen (KVen), heißt es.

Seehofer forderte bei der KBV-Ver- anstaltung, die Aufgaben der Kas- senärztlichen Vereinigungen neu zu de- finieren. „Oligopole“ wie die der KVen seien nicht mehr zeitgemäß und verhin- derten einen vielfältigen Vertragswett- bewerb zwischen Krankenkassen und

Leistungserbringern. Solange die Kas- senärztliche Bundesvereinigung (KBV) bei alternativen Versorgungsangeboten Rahmenvereinbarungen anstrebe, sei kein echter Wettbewerb möglich. Die Krankenkassen müssten eigenständig Verträge mit den Leistungserbringern abschließen dürfen, forderte Seehofer.

Der Kritik am KV-System wider- sprach der Vorsitzende der Kassenärzt- lichen Bundesvereini- gung, Dr. med. Andreas Köhler. Die Politik dif- famiere die KVen als Oligopol. Gleichzeitig nutze sie das KV-Sy- stem aber, um steuernd in die Gesundheitsver- sorgung einzugreifen.

Würden die KVen abge- schafft, müsste der Staat eine Regulierungsbe- hörde schaffen, an die sich alle Ärzte binden müssten. Im Ergebnis hätte man ein ähnliches System wie heute. Zu- dem betonte Köhler, dass die KVen

„keine Angst vor Wettbewerb“ hätten.

Doch könne es einen fairen Wettbe- werb zwischen den unterschiedlichen Vertrags- und Versorgungsformen nur geben, wenn sich KBV und KVen an Verträgen zur Integrierten Versorgung beteiligen dürfen. Deshalb müsse es den KVen ermöglicht werden, gemein- sam mit Krankenhäusern, Kassenver- bänden und einzelnen Kassen entspre- chende Verträge abzuschließen.

Ob alternative Versorgungsformen die Ausgaben im Gesundheitswesen be- grenzen, ist nach Meinung Köhlers nicht bewiesen. Und auch die künftigen Koalitionäre in Berlin scheinen arge Zweifel zu hegen, ob es mit Strukturre- formen allein getan ist. So war es der P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 44⏐⏐4. November 2005 AA2985

KBV/Koalitionsverhandlungen

„Keine Angst vor Wettbewerb“

Bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin wird auch über die künftige Rolle der Kassenärztlichen Vereinigungen verhandelt.

Diese wollen sich nicht als „Blockierer“ diffamieren lassen.

Der designierte Bundesverbraucherschutzminister Horst See- hofer verweist auf sein Schweigegelübde: „Ich sage nichts.“

Foto:dpa

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CSU-Parteivorsitzende, Edmund Stoi- ber, der Ende Oktober durchblicken ließ, dass jetzt eine Neuauflage der Gesundheitsreform 2003 am wichtig- sten sei, sprich: ein Konsens über kon- krete Maßnahmen zur Kostendämp- fung. Kurz darauf machte schon der Begriff „Vorschaltgesetz“ die Runde.

Geschickt hatten die Spitzenver- bände der Krankenkassen einen an das Verhandlungsgremium adressierten Brief verbreiten lassen. Darin warnen sie vor Beitragssatzerhöhungen 2006, falls es nicht gelinge, die Steigerungen

bei Arzneimittel- und Krankenhausaus- gaben in den Griff zu bekommen. Als Gegenmaßnahmen schlagen sie Malus- regelungen für Ärzte vor, die zu viel verordnen. Zudem plädieren sie dafür, Apothekern den Fixzuschlag für jedes verordnete Medikament von 8,10 auf 6,10 Euro zu kürzen und die Pharmain- dustrie stärker zur Kasse zu bitten.

Wartelisten oder Eigenbeteiligung

Doch für eine langfristige Konsolidie- rung der Kassenfinanzen taugt all dies nicht. So geht die Suche nach neuen Einnahmen weiter. Wieder einmal wird dabei über die Beitragsbemessungs- grenze in der Gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV) nachgedacht.

Würde sie erhöht, müssten Versicherte mit einem Einkommen von mehr als 3 525 Euro pro Monat mehr Geld an ihre Krankenkasse überweisen, ebenso aber auch ihre Arbeitgeber. Erwogen wird zudem eine Heraufsetzung der

Versicherungspflichtgrenze von derzeit 3 900 Euro pro Monat. Diesem Ansatz erteilte Dr. med. Alfred Möhrle eine Absage. Der Vorsitzende des Ausschus- ses Gebührenordnung der Bundesärz- tekammer (BÄK) kritisierte, durch ei- nen kleineren Kreis von Privatversi- cherten als bisher würde nur die hohe Quersubventionierung des unterfinan- zierten GKV-Systems durch die private Krankenversicherung reduziert.

Die BÄK fordert Union und SPD auf einzugestehen, dass nicht alles me- dizinisch Notwendige für alle Bürger fi-

nanzierbar sei. „Wie immer die nächste Gesundheitsreform aussieht und wel- che Wirtschaftlichkeitsreserven auch immer eine große Koalition mobilisie- ren kann – es wird mittel- und langfri- stig nicht ausreichen, um das Gesund- heitswesen zu reformieren“, betonte BÄK-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr.

med. Christoph Fuchs. Jetzt müsse man erörtern, ob man Wartelisten wolle oder höhere Eigenbeteiligung und private Vorsorge.

Die Antwort steht noch aus. Als wei- tere Variante der Einnahmenerhöhung wird derzeit diskutiert, die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der GKV aufzugeben. Dafür würde das Einkommen eines Paares rein rechne- risch auf beide verteilt, und jeder müss- te auf seinen Einkommensteil einen ei- genen GKV-Beitrag bezahlen. Angeb- lich ließen sich so bis zu fünf Milliarden Euro pro Jahr einnehmen. In welchem Umfang die Betroffenen eine derartige Neuregelung umgehen würden, weiß niemand. Dass auf diese Art tatsächlich viel Geld einzunehmen wäre, ist ver-

wunderlich. Denn in der Debatte um die Einführung einer Bürgerversiche- rung hatten SPD-Politiker regelmäßig betont, dieser Posten spiele keine große Rolle. Längst arbeiteten in vielen Fami- lien beide Ehepartner und bezahlten ei- gene Krankenkassenbeiträge.

Eine weitere Reformoption hat das Beratergremiun des Bundesfinanzmini- steriums ins Spiel gebracht. Demnach sollen die Arbeitgeber- und Arbeitneh- merbeiträge nicht mehr unmittelbar an die Krankenkassen, sondern an eine zentrale Inkassostelle überwiesen wer- den. Von dort erhalte jeder Versicherte eine Gutschrift, die dem Durchschnitt aller ge- leisteten Beitragszahlungen entspreche. Diese soll direkt an die jeweils von den Versi- cherten gewählte Krankenkas- se überwiesen werden. Liegt der Beitrag, den der Einzelne zahlen muss, über dem Betrag der Gutschrift, muss der Versi- cherte die Differenz an seine Versicherer zahlen. Liegt der Beitrag hingegen unter der Gutschrift, müsste die Kasse die Differenz an die Versicher- ten erstatten. Im Bundesge- sundheitsministerium lehnt man diese Pläne jedoch ab. Das Modell gehe zu stark in Richtung der Unions-Gesund- heitsprämie und würde mit der Inkasso- stelle zudem ein Bürokratieungetüm schaffen, heißt es in einer internen Stellungnahme.

Bis zum 12. November ist nicht mehr viel Zeit; dann soll der Koalitionsvertrag stehen. Die Verhandlungen werden da- durch erschwert, dass es nicht nur um ei- ne solide Basis für vier Jahre gemeinsa- mer Regierungsarbeit geht. Noch immer wird um Posten und Ämter gepokert.

Zwar haben sowohl SPD wie Union ihre Kandidaten für die Bundesministe- rien benannt. Franz Müntefering konnte eine öffentliche Diskussion um den zu- künftigen SPD-Generalsekretär nicht verhindern. Weil Andrea Nahles gegen den Willen Münteferings nun doch für das Amt der Generalsekretärin nominiert wurde, will der SPD-Parteivorsitzende sein Amt zur Verfügung stellen. Mehr noch: Müntefering ließ ausdrücklich of- fen, ob er ins neue Kabinett eintreten werde. Samir Rabbata, Sabine Rieser, Timo Blöß P O L I T I K

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A2986 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 44⏐⏐4. November 2005

Auf der Suche nach neuen Einnahmemöglichkeiten für die Gesetzliche Krankenversicherung. Die Ver- handlungspartner von Union und SPD bei den Koalitionsgesprächen in Berlin.

Foto:Photothek

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