Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 33⏐⏐19. August 2005 AA2197
S E I T E E I N S
Prozess um Sterbebegleitung
Ärztin muss vor Gericht A
ls „Todesengel“ machte sie be-reits im Herbst 2003 Schlag- zeilen. Über die Handlungsweise der Internistin Dr. med. Mechthild Bach hat sich die Staatsanwaltschaft Han- nover jedoch erst jetzt ihre Meinung gebildet: Bach habe sich zur Herrin über Leben und Tod aufgeschwun- gen, konstatiert sie und erhob am 11. August vor der 13. Großen Straf- kammer des Landgerichts Hannover Anklage wegen Totschlags in acht Fällen.
Bach wird vorgeworfen, als Be- legärztin der Paracelsus-Klinik in Langenhagen ihren Patienten ohne deren Einverständnis unangemes- sen hohe Morphin- und Diazepam- dosen verabreicht zu haben, die zum Tod der zwischen 52 und 96 Jahre alten Patienten führten. Nicht alle seien final krank gewesen: nur vier
litten an metastasierenden Karzino- men, andere an Herz- oder Lungen- erkrankungen. Grundlage der An- klage ist ein Gutachten des Bochu- mer Anästhesisten und Schmerz- therapeuten Prof. Dr. med. Michael Zenz. Er stellte nach Durchsicht der Patientenakten und Exhumierung mehrerer Leichen schwere Behand- lungsfehler fest. In sechs Fällen sei der Einsatz von Morphin medizinisch nicht notwendig gewesen.
Bach beteuerte nach Bekanntwer- den der Vorwürfe mehrfach ihre Un- schuld. Sie habe lediglich Sterbebe- gleitung, keine aktive Sterbehilfe be- trieben. „Was für eine Intention sollte ich haben, Patienten zu töten?“ fragte sie im November 2003 im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ, Heft 45/2003). Ihre Patienten seien immer ihre Familie, ihre Kinder gewe-
sen. Auf eine eigene habe sie bewusst verzichtet. Mehrere Hundert Men- schen demonstrierten denn auch ge- gen die Verhaftung der 55-Jährigen.
Sie sei Ärztin aus Berufung und im- mer erreichbar gewesen.
Mit dem Fall Dr. Bach wird jetzt wieder ein Thema öffentlich behan- delt, das viele Ärztinnen und Ärzte beschäftigt: die Grauzone zwischen Palliativmedizin, aktiver Sterbehilfe und Tötung. Die hoch dosierte Gabe von Morphin ist für sich noch kein Indiz. Nach den Grundsätzen der Bundesärztekammer darf der Über- gang von kurativer zu palliativer Medizin jedoch nur zur Leidensver- kürzung und vom Willen des Ster- benden bestimmt geschehen.
Der Hauptverhandlungstermin im Fall Bach wird Anfang 2006 er- wartet. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
D
ass Deutschland kein dynami- sches Land ist, kann mit Blick auf den Wahlkampf keiner behaupten.Bundeskanzler Gerhard Schröder ist vormittags in Kassel und abends in Magedeburg – „Kundgebung“, heißt es nun täglich. Die Grünen sind nicht weniger rührig, aber aus- kunftsfreudiger. Jürgen Trittin hat sich Mitte August unter anderem ins Goldene Buch der Stadt Hatters- heim eingetragen, Katrin Göring- Eckardt lud zu „Kommt lasst uns übers Wasser gehen – Religionen in Berlin“.Auch die Union rastet nicht:
Ihre Wahlkampfzentrale hat sie
„arena 05“ getauft.
Was die Politiker wollen, ist klar:
Wählerstimmen.Was sie konkret da- mit anstellen wollen, bleibt teilweise nebulös. Noch schwerer zu enträt- seln ist, was die Wähler wünschen.
Nur ein Beispiel: Dieser Tage hat die Bertelsmann Stiftung durch eine Befragung herausgefunden, dass an- geblich zwei Drittel der Bundesbür- ger für die Bürgerversicherung sind, also für den Einbezug Selbstständi- ger, Beamter und Besserverdiener in eine Gesetzliche Krankenversiche- rung (GKV). Immerhin die Hälfte hielte es für gerecht, Einkommen aus Mieten, Zinsen oder Aktienge- winnen zur Beitragsberechnung her- anzuziehen. Eine Gesundheitsprä- mie hat weniger Anhänger. „Bei ei- ner realistischen Höhe von 170 Euro sehen diese Reformalternative nur etwa 30 Prozent als gerecht an. Die Zustimmung steigt allerdings mit sinkender Prämienhöhe“, fasst Ber- telsmann zusammen.
Hat etwa die Bürgerversicherung mehr Anhänger, weil viele sich ein-
reden, dann müssten in Zukunft nur die anderen mehr zahlen? Würden sich tatsächlich mehr Menschen in Deutschland für das kühle Prinzip Prämie erwärmen, wenn nur die Summe niedrig genug wäre? Und wieso halten zwei Drittel der Be- fragten 170 Euro monatlich für viel Geld – obwohl Arbeitnehmer der- zeit in der GKV rund 270 Euro zah- len, wenn sie die Beitragsbemes- sungsgrenze erreicht haben?
Bei aller Zurückhaltung ange- sichts von Umfragen: Wer bislang fest davon überzeugt war, dass die Mehrheit der Bevölkerung sehr gern viel mehr Geld für die Gesundheit ausgäbe, wenn man sie nur ließe, kommt sicher ins Grübeln. Denn eines steht fest: Fragen beantworten und den Geldbeutel öffnen war und ist zweierlei. Sabine Rieser