A 426 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 9|
2. März 2012STUDIEN IM FOKUS
Die Gefährdung durch kardiovas- kuläre Risikofaktoren wird übli- cherweise für 10 Jahre prognosti- ziert. Wie sich das individuelle Le- benszeitrisiko abschätzen lasst, hat eine Metaanalyse für Männer und Frauen unterschiedlicher Alters- klassen (45, 55, 65 und 75 Jahre) untersucht. In die Erhebung gingen 18 Kohortenstudien mit 257 384 Teilnehmern ein, darunter die MRFIT-Studie (Multiple Risk Fac - tor Intervention Trial) mit 189 494 Probanden. In allen Studien war die Beobachtungszeit länger als 10 Jah- re. Als Risikoparameter zur Ab- schätzung der kardiovaskulären Gefährdung in der verbleibenden Lebenszeit galten Blutdruck, Cho- lesterinwerte, Raucherstatus und Vorliegen eines Diabetes.
Das Lebenszeitrisiko eines 55-jährigen Mannes mit optimalem Risikoprofil (Gesamtcholesterin unter 180 mg/dl, Blutdruck unter 120 mmHg systolisch und unter 80 mmHg diastolisch, Nichtraucher und Nichtdiabetiker), bis zum 80. Lebensjahr an einer kardio - vaskulären Erkrankung zu sterben, liegt demnach bei 4,7 % (Frauen:
6,4 %). Es steigt beim Vorliegen von 2 und mehr Risikofaktoren auf 29,6 % (Frauen: 20,5 %). Das Le- benszeitrisiko für die Entwicklung einer fatalen KHK oder eines nicht- tödlichen Herzinfarktes erhöht sich gegenüber Männern mit optimalem Risikoprofil von 3,6 % auf 37,5 % (Frauen: von unter 1 % auf 18,3 %), und das Schlaganfallrisiko steigt von 2,3 % auf 8,3 % (Frauen 5,3 %
auf 10,7 %), und zwar in allen Al- tersklassen.
Fazit: Die Studie bestätigt die Be- deutung der klassischen Risikofak- toren für kardiovaskuläre Ereignis- se. Für 45-Jährige zum Beispiel heißt dies: Bei mindestens 2 Risiko- faktoren erhöht sich das Risiko im Vergleich zu Personen ohne Risiken um den Faktor 30. „Angesichts der demografischen Entwicklung ist daher bereits bei jüngeren Patienten eine Aufklärung über die Bedeu- tung der Risikofaktoren sowie eine frühzeitige Diagnose und konse- quente Therapie essenziell, um eine dramatische Zunahme der kardio- vaskulären Erkrankungen in den nächsten Jahren einzudämmen“, kommentiert Prof. Dr. med. Chris - tian Schneider, Kardiologe an der Pan-Klinik Köln. Christine Vetter Berry JD, et al.: Lifetime Risk of Cardiovascu- lar Disease. NEJM 2012, 366: 321–9.
KARDIOVASKULÄRE MORBIDITÄT UND MORTALITÄT
Lebenszeitrisiko steigt mit den Risikofaktoren
Bis zu 20 Prozent der Empfänger einer fremden Leber entwickeln gegenüber dem Organ eine Immun- toleranz, so dass die Funktion des Transplantats auch nach Absetzen der medikamentösen Immunsup- pression erhalten bleibt. Für Kinder wäre die erfolgreiche Induktion der Immuntoleranz von besonde- rem Wert. Bislang aber gibt es kaum prospektiv geprüfte Protokol- le zum Ausschleichen der Immun- suppression.
In einer Pilotstudie mit 20 Kin- dern ist ein solches Regime unter- sucht worden. Die Kinder hatten ei- ne Teilleber von Vater oder Mutter mindestens 4 Jahre vor Aufnahme in die Studie erhalten, und sie mussten seit mindestens 6 Monaten eine stabile Organfunktion unter Monoerhaltungstherapie haben (n = 13 Tacrolimus; n = 7 Cyclosporin).
Zum Zeitpunkt der Operation wa-
ren die Kinder durchschnittlich 6,9 Monate alt gewesen, bei Auf- nahme in die Studie 8,5 Jahre.
Die Immunsuppression sollte über mindestens 36 Wochen durch stufenweise Reduktion auf jeweils drei Viertel der bestehenden Dosie- rung ausgeschlichen werden: Bei Patienten unter hochdosierter Er- haltungstherapie wurde diese Re- duktion für initial acht Wochen er- probt. Gab es keine Abstoßungen, erfolgten weitere Dosisreduktionen im Abstand von 4 Wochen. Patien- ten unter niedrigdosierter Erhal- tungstherapie begannen mit dem 4-Wochen-Abstand-Schema.
12 Patienten (60 %) erreichten den primären Endpunkt: Normale Allograftfunktion für mindestens ein Jahr nach Beendigung der Er- haltungstherapie, diese Zeitspanne betrug bereits durchschnittlich 3 Jahre. Bei 7 Patienten traten Re-
jektionen auf, bei keinem aber sank die Transplantatfunktion während der nachfolgenden Immunsuppres- sion unter das Ausgangsniveau.
Fazit: Bei einer Mehrzahl vorselek- tionierter pädiatrischer Empfänger einer Leber ließ sich die Immun- suppression ausschleichen, ohne Abstoßungen und Vernarbungen.
Die Organfunktion blieb für durch- schnittlich 3 Jahre erhalten. Prof.
Dr. med. Ulrich Baumann, Medi - zinische Hochschule Hannover, kommentiert: „Die ‚operational toler ance‘, die hier induziert wurde, ist ein dynamischer Zustand, der lebenslang kritisch monitoriert wer- den muss, es ist also keine endgül - tige Toleranz. Unklar ist allerdings, wie diese Patienten prospektiv identifiziert werden könnten.“
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
Feng S, Ekong U, Lobritto St, Demetris A, et al.: Complete Immunsuppression withdrawal and subsequent allograft function among pe- diatric recipients of parental liver donor liver transplant. JAMA 2012. 307: 283–93.
LEBERTRANSPLANTATION BEI KINDERN