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Archiv "Gedenksymposium der Bundesärztekammer: Palliativmedizin heißt zuhören" (09.07.2012)

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A 1412 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 27–28

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9. Juli 2012

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ollen wir Facharbeiter unse- res Fachs sein oder Men- schen?“, fragte Prof. Dr. med. Marina Kojer provokant zu Beginn des Sym- posiums „Evidenz und Versorgung in der Palliativmedizin“ der Bundes - ärztekammer am 20. Juni in Berlin.

Fachkompetenz sei in der Palliativ- medizin zwar die Voraussetzung, aber sie genüge nicht. „Wir brauchen das mitfühlende und beseelte Beob- achten des anderen, um das Anders- sein besser zu verstehen“, sagte die Honorarprofessorin der Abteilung Palliative Care der Alpen-Adria-Uni- versität Klagenfurt, Österreich. Ihr Fazit: „Können und Wissen helfen nicht weiter, solange Schmerzen und Beschwerden, Ängste, Wünsche und Bedürfnisse nicht erkannt werden.

Wir müssen zuhören, zuhören und nochmals zuhören.“

Eine einfühlsame Sterbebeglei- tung und palliativmedizinische Ver- sorgung waren auch zentrale Anlie-

gen des verstorbenen Ehrenpräsiden- ten der Bundesärztekammer (BÄK) und des Deutschen Ärztetages, Prof.

Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe. Sei- nem Andenken war dieses Symposi- um, mit dem gleichzeitig das 60-jäh- rige Bestehen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer ge- würdigt wurde, vorrangig gewidmet.

Hoppe sei ein Vorkämpfer für die Palliativmedizin gewesen, der immer

betont habe, dass sie zu dem Aufga- bengebiet eines jeden Arztes gehöre, bekräftigte BÄK-Präsident Dr. med.

Frank Ulrich Montgomery. Seit 2009 sei die Palliativmedizin auch als Pflichtlehr- und Prüfungsfach in die Approbationsordnung für Ärzte auf- genommen worden.

Für die Vorstandsvorsitzende des Deutschen Hospiz- und Palliativ - verbands ist dies eine Grundvor - aussetzung für die Zukunft: „Die Palliativmedizin ist vielleicht die größte Herausforderung, vor die un- sere Gesellschaft in den nächsten Jahren gestellt wird“, erklärte Dr.

med. Birgit Weihrauch. Es mangele aber immer noch an der Umsetzung von innovativen Versorgungsformen.

Zudem müssten sich Ärzte darauf einstellen, dass sie in Teams mit ver- schiedenen Berufsgruppen zusam- menarbeiten. „Multiprofessionalität muss gelernt werden“, sagte sie. Ent- sprechend der Defi nition der Weltge- sundheitsorganisation (WHO) küm- merten sich nämlich nicht nur Ärzte und Pflegende, sondern auch Sozial- arbeiter, Psychologen, Seelsorger und ehrenamtliche Hospizbegleiter um die Patienten und ihre Familien.

Auf die WHO-Definition wies auch Prof. Dr. med. Gian Domenico Borasio von der Universität Lausan- ne, Schweiz, hin. Diese definiert die Palliativmedizin als „Verbesserung der Lebensqualität“ von Patienten und deren Familien. Sie behandele

„Schmerzen und andere Probleme physischer, psychosozialer und spi- ritueller Natur“. Zum ersten Mal in der Medizingeschichte sei damit der physische, der psychosoziale und der spirituelle Bereich gleichwertig in der Definition eines Fachgebiets erwähnt worden.

„Wir brauchen die Symptomkon- trolle, zu der die Schmerztherapie, die Behandlung internistischer Sym - ptome sowie die Therapie neuro - psychiatrischer Symptome gehören, genauso wie die psychosoziale und spirituelle Begleitung“, hob Borasio hervor. Ziel der Palliativmedizin

müsse es sein, den Patienten ein er- fülltes Leben bis zuletzt am Ort ihrer Wahl zu ermöglichen. Dies steigere sowohl die Lebensqualität als auch die Lebenserwartung. Dabei wies Borasio auf eine kürzlich im „New England Journal of Medicine“ publi- zierte Arbeit hin, der zufolge die früh-

Können und Wissen helfen nicht weiter, solange Beschwerden, Ängste, Wünsche und Bedürfnisse nicht erkannt werden.

Marina Kojer, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt GEDENKSYMPOSIUM DER BUNDESÄRZTEKAMMER

Palliativmedizin heißt zuhören

Das Missverständnis, Palliativmedizin sei nur Schmerztherapie, ist wider- legt, und das junge Fachgebiet entwickelt sich weiter: Die psychosoziale und spirituelle Begleitung der Patienten gewinnt an Bedeutung.

Foto: FotoLia/Pixel Embargo

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9. Juli 2012 A 1413 zeitige Einbindung der Palliativmedi-

zin die Lebenszeit signifikant um drei Monate verlängert hatte. „Der pallia- tive Ansatz ist die Antwort auf die moderne Medizin. Wir müssen den Schwerpunkt auf das Sinnvolle und nicht nur auf das Machbare legen.“

Die Lebensqualität dürfe vor al- lem nicht ausschließlich an den kör- perlichen Symptomen festgemacht werden, sagte der Palliativmedizi- ner. „Lebensqualität ist das, was der Patient sagt, was es ist.“ Oft spiele für Sterbende die Familie eine wesentlich wichtigere Rolle als der eigene Gesundheitszustand. „Wäh- rend die Lebensqualität der Patien- ten oft unterschätzt wird, wird die der Angehörigen häufig über- schätzt“, erläuterte er. Die palliativ- medizinische Versorgung müsse sich daher künftig mehr in Richtung spiritueller und psychosozialer Be- treuung der Patienten und auch deren Angehöriger verschieben.

Das sei vor allem bei Familien mit unheilbar kranken Kindern wichtig, ergänzte Prof. Dr. med. Monika Füh- rer, Leiterin der Koordinationsstelle Kinderpalliativmedizin am Univer - sitätsklinikum München. Eine ent- sprechende Versorgung mit multipro- fessionellen Teams und regionalen Unterstützungsangeboten könne die Eltern erheblich entlasten. Zudem müssten verstärkt auch Geschwister- kinder in die psychosoziale Betreu- ung einbezogen werden. Studien zu- folge wünschten sich fast alle Eltern ein Sterben ihres Kindes zu Hause, doch momentan könne dies nur bei der Hälfte realisiert werden, berichte- te Führer. „Nahezu alle Kinder brau- chen eine spezialisierte ambulante Palliativmedizin“, erklärte die Kin- derärztin. „Die Eltern haben Angst, in Krisen allein zu sein.“ Zentral sei des- halb eine 24-stündige Rufbereitschaft.

Bei den Erwachsenen benötigen nur etwa zehn Prozent der Schwerstkranken und Sterbenden eine spezialisierte ambulante Pallia- tivversorgung (SAPV). Das regio- nale Angebot sei derzeit noch sehr unterschiedlich, erläuterte Prof. Dr.

med. Christof Müller-Busch, ehe- maliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin.

Etwa 7 000 Ärztinnen und Ärzte hätten bereits die Zusatzbezeich-

nung Pal liativ medizin seit ihrer Einführung im Jahr 2004 erworben.

Das Augenmerk sollte jedoch nicht nur auf die SAPV gerichtet sein, sagte Prof. Dr. med. Wilhelm- Bernhard Niebling vom Universi- tätsklinikum Freiburg. „Vor allem die Basis muss gestärkt werden.“

Die allgemeine Palliativversorgung betreffe den Großteil und werde von allen Ärztegruppen, insbeson- dere aber von den Hausärzten, ge- tragen. „Eine flächendeckende qua- litativ hochwertige Palliativversor- gung ist die Voraussetzung für ein Sterben in Würde“, stellte der All- gemeinmediziner fest.

Einen ausgeprägten Todeswunsch beobachtet Dr. Martin Fegg vom Palliativmedizinischen Zentrum der

Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München bei vielen termi- nalen Patienten. Dahinter steckten nicht so sehr die Schmerzen, son- dern der Verlust des Lebenssinns angesichts des Todes. Psychothera- pie in der Palliativbetreuung ziele deshalb darauf ab, die „Sinn - dimension“ zu öffnen. Fegg berich- tete von „signifikanter Verbesse- rung des spirituellen Wohlbefin- dens“ bei den Patienten und Trost für die Familien. In der Literatur werden dazu sogar exakte Prozent- sätze genannt. Etwa: Verbesserung des Lebenssinns bei 67 Prozent.

Selbst Spiritual Care beansprucht, evidenzbasiert zu sein.

Spiritual Care meint nicht unbe- dingt religiöse, gar konfessionell ge- bundene Patientenbetreuung, wenn auch Religious Coping hilfreich sein kann. Gemeint ist damit, dass reli- giöse Bindungen des Patienten und Riten geeignet sind, mit der termina- len Situation fertig zu werden. Das

„New England Journal of Medicine“

fragte deshalb schon vor Jahren pro- vokativ: „Should Physicians Pre - scribe Religious Activities?“

Prof. Dr. med. Eckhard Frick, der dem Jesuitenorden angehört und sich an der LMU München mit ei- nem evangelischen Theologen die

erste deutsche Professur für Spiritu- al Care teilt, riet zwar nicht zur Ver- schreibung, wohl aber ermunterte er die Ärzte, ihre todkranken Patienten auf spirituelle Fragen anzusprechen.

Die Ärzte fühlten sich zwar oft nicht zuständig und die Patienten seien überrascht, wenn ihr Arzt sie an- spreche, doch nach einer palliativ- medizinischen Studie (Hansen et al.

2008) gehe Spiritual Care zu 41 Pro- zent von Familie und Freunden und immerhin zu 29 Prozent von Ärzten aus. Der Anteil der Seelsorger liegt nur bei 17 Prozent.

Das Symposium zu Hoppes Ge- denken endete mit einem Blick auf die ärztliche Mithilfe beim Suizid.

Hoppe selbst hatte 2011 diplomatisch erklärt, diese sei „keine ärztliche

Aufgabe“. Der Deutsche Ärztetag hat sie wenig später eindeutig abgelehnt.

Prof. Dr. med. Urban Wiesing, Tü- bingen, der Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission der Bundesärzte- kammer, sprach jetzt den ärztlich as- sistierten Suizid an und relativierte damit die spirituellen Gedanken sei- ner Vorredner. Maßgeblich für das ärztliche Handeln seien der Wille – auch der mutmaßliche – des Patien- ten und dessen Wohl, dozierte Wie- sing. Die Konsequenz wäre: Pallia- tivmedizinische Versorgung und das dar aus entstandene Vertrauen zwi- schen Arzt und Patient können in den ärztlich assistierten Suizid münden.

Wiesing ergänzte, dass etwa zwei Drittel der Bevölkerung die ärztliche Mithilfe befürworteten. Montgome- ry und Rudolf Henke widersprachen.

Die Ärzteschaft lehne eine solche Rolle ab. Wenn Assistenz beim Sui- zid politisch gewollt sei, möge das Sterbeassistenten übertragen wer- den. Ein Verbot der Mithilfe beim Suizid wäre nach Wiesing nur dann gerechtfertigt, wenn „das Vertrauen in die Profession gefährdet ist“. Da- für aber gebe es keine Hinweise, glaubt (evidenzbasiert?) der Tübin- ger Medizinethiker.

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann, Norbert Jachertz

Während die Lebensqualität der Patienten oft unterschätzt wird, wird die der Angehörigen häufig überschätzt.

Gian Domenico Borasio, Universität Lausanne

P O L I T I K

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