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Archiv "Bitte um Verzeihung an NS-Opfer" (04.06.2012)

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A 1134 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 22–23

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4. Juni 2012

1 1 5 . D E U T S C H E R Ä R Z T E T A G

Bitte um Verzeihung an NS-Opfer

Eine Ausstellung erinnert in Nürnberg an das Schicksal jüdischer Ärztinnen und Ärzte in Bayern nach 1933.

M

it einer Nürnberger Erklä- rung hat sich der 115. Deut- sche Ärztetag zur wesentlichen Mit- verantwortung von Ärzten an den Unrechtstaten der NS-Medizin be- kannt. „Wir bekunden unser tiefstes Bedauern darüber, dass Ärzte sich entgegen ihrem Heilauftrag durch vielfache Menschenrechtsverlet- zungen schuldig gemacht haben, gedenken der noch lebenden und der bereits verstorbenen Opfer so- wie ihrer Nachkommen und bitten sie um Verzeihung“, heißt es in der einstimmig und ohne Diskussion angenommenen Entschließung.

Die Ärztetags-Delegierten folg- ten damit einem auch von namhaf-

ten Medizinhistorikern unterzeich- neten Appell, die Gelegenheit in Nürnberg, dem Ort des Ärztepro- zesses 1946/47, zu nutzen, zur his- torischen Verantwortung und schuld- haften Verstrickung der Ärzteschaft in das nationalsozialistische Un- rechtssystem offiziell Stellung zu beziehen.

Präzisiert wird in dem Appell und in der Entschließung, dass ge- rade bei den gravierendsten Men- schenrechtsverletzungen – den Ver- suchen an Menschen, der Tötung psychisch kranker und behinderter Menschen und den Zwangssterili- sationen – die Initiative von den Ärzten selbst ausging. Ärzte hätten

sich entgegen ihrem Heilauftrag durch vielfache Menschenrechts- verletzungen schuldig gemacht.

Bereits in seiner Eröffnungsan- sprache zum 115. Deutschen Ärzte- tag hatte sich der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. med.

Frank Ulrich Montgomery, zur Ver- antwortung der Ärzteschaft be- kannt: „Die Wahrheit ist: Ärzte ha- ben in der Zeit des Nationalsozialis- mus Tod und Leiden von Menschen herbeigeführt, angeordnet und gna-

Der Tagungsort Nürnberg markiert gleicherma- ßen Anfang und Ende der gleichgeschalteten Ärzteschaft in der NS-Zeit. Nach der Reichs- tagswahl am 5. März 1933 und zeitgleich mit der Verabschiedung des Ermächtigungsgeset- zes am 23. März erzwangen die Vertreter des NS-Ärztebundes bei einem Treffen mit den Spit- zen von Ärztevereinsbund und Hartmannbund in Nürnberg die Gleichschaltung der ärztlichen Organisationen. Zum „Kommissar der beiden Spitzenverbände“ wurde Gerhard Wagner, der Leiter des NS-Ärztebundes, bestimmt.

Viel Zwang war allerdings nicht nötig gewe- sen. Bereits am 22. März gab es vom Vorsit- zenden des Ärztevereins- und Hartmannbun- des, Alfons Stauder, der in Nürnberg lebte, ein Ergebenheitstelegramm an Adolf Hitler. Das Treffen in Nürnberg am 23. und 24. März fand statt im Lehrerhaus, Teil des Hotels „Deutscher Hof“, wo Hitler gerne residierte. Ein Teilnehmer erinnerte sich später: „Man begab sich in einen Sitzungssaal, in dem Geheimrat Stauder . . . der Dinge harrte, die da kommen sollten. Von einer aufgeregten Auseinandersetzung oder auch nur von unfreundlichen Worten war gar nichts zu

hören, und Geheimrat Stauder zeigte sich ohne weiteres bereit, die Führung in die neuen politisch beauftragten Hände zu geben.“

Andererseits gingen die Natio- nalsozialisten auf Nummer sicher.

SA-Einheiten standen vor dem Lehrerhaus bereit, um gegebe- nenfalls den Druck auf die alte Führung der Ärzteschaft erhöhen zu können. Denn auch „der revo- lutionäre Weg der Niederreißung der alten ärztlichen Organisatio- nen“ sei nach Hitlers Machtergrei- fung eine Option gewesen, fasste

der neue Reichsärzteführer Wagner Anfang April 1933 die Ereignisse zusammen. Man habe sich aber für den Weg, „sich kollegialiter zu einigen“, entschieden. Die Geschlossenheit und Einheit des Standes hätten nicht ohne Not preisgege- ben werden dürfen.

Preisgegeben wurden jedoch diejenigen Ärz- te, die der neuen Führung nicht genehm waren.

Auf Grundlage der Nürnberger Vereinbarung er- ging die Aufforderung an die Ärztevereine, „jü-

dische und solche Kollegen, die sich der neuen Ordnung innerlich nicht anschließen könnten, zur Niederlegung ih- rer Ämter in Vorständen und Ausschüssen zu veranlassen“

– der erste Schritt auf dem Weg zur Ausgrenzung bis hin zur physischen Vernichtung der ehemaligen Kollegen.

Der Nürnberger Ärztepro- zess, der in der Zeit vom 9.

Dezember 1946 bis zum 20.

August 1947 stattfand, war als Abrechnung mit führenden Vertretern der nationalsozialistischen Ärzte- schaft gedacht. Als erster der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse gegen NS-Verantwortliche fand der Prozess im Nürnberger Justizpalast vor einem amerikanischen Militärgericht statt.

Die Auswahl der Angeklagten war in gewisser Weise willkürlich, waren doch einige verant- wortliche Ärzte bereits in Prozessen zuvor ver- urteilt worden oder hatten Suizid begangen. So hatte sich Reichsärzteführer Leonardo Conti,

GLEICHSCHALTUNG UND ÄRZTEPROZESS IN NÜRNBERG

In Szene gesetzt:

Reichsärzteführer Wagner Eröffnung der Wanderausstel- lung zum Schicksal jüdischer Ärzte durch den Präsi- denten der Bundes- ärztekammer, Frank Ulrich Montgomery

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denlos verwaltet. Wo man Gesche- henes nicht begreifen kann, wollen wir wenigstens dokumentieren, da- mit wir nie vergessen; damit wir und zukünftige Generationen ler- nen, dass so etwas nie wieder ge- schehen darf.“

Diesem Zweck sollte auch die Ausstellung „Zum Entzug der Ap- probation jüdischer Ärztinnen und Ärzte“ dienen, die im Foyer der Nürnberger Meistersingerhalle prä- sentiert wurde und zum Abschluss

des ersten Sitzungstages vom Präsi- denten der Bundesärztekammer er- öffnet wurde. Anhand von Einzel- schicksalen jüdischer Ärzte aus Bayern wird in der Ausstellung do- kumentiert, wie diese mit Hilfe von nationalsozialistischen Verordnun- gen und Gesetzen diskriminiert und systematisch aus der Gesellschaft ausgegrenzt wurden – bis hin zur physischen Vernichtung.

Der Initiator der Ausstellung, Dr.

Hansjörg Ebell, gehört zu den Preis- trägern des gemeinsam vom Bun- desministerium für Gesundheit, Bundesärztekammer und Kassen- ärztlicher Bundesvereinigung aus- geschriebenen Forschungspreises

„Rolle der Ärzteschaft in der Zeit des Nationalsozialismus“.

Tief bewegt von der Ausstellung zeigte sich Leah Wapner, Generalse- kretärin der Israeli Medical Associa- tion, im Gespräch mit dem Deut-

schen Ärzteblatt. In den Jahren seit 1933 habe man versucht, die jüdi- schen Ärzte zu entmenschlichen.

„Hier hat man nun das Gegenteil ge- macht, nämlich die Opfer personali- siert, ihnen ein Gesicht gegeben.“ Es sei keine einfache Angelegenheit, dass sich eine Organisation in dieser Weise der furchtbaren Vergangenheit stellt. Allein diese Tatsache sei schon äußerst beeindruckend gewesen.

Die nun vorgetragene Bitte um Verzeihung sei etwas gewesen, was die deutschen Ärzte unter sich hät- ten ausmachen müssen, und nichts, was von außen hätte eingefordert werden müssen. „It has to be some- thing that the organization feels“, sagte Wapner. Und natürlich werde innerhalb der israelischen Ärzte- schaft aufmerksam verfolgt, was in Sachen Vergangenheitsbewältigung in Deutschland geschehe.

Thomas Gerst

Nachfolger von Gerhard Wagner, am 6. Oktober 1945 in seiner Gefängnis- zelle in Nürnberg erhängt. Als sein Stellvertreter in der Führung der Reichsärztekammer wurde Kurt Blome in Nürnberg angeklagt. Als führender Vertreter des NS-Gesundheitswesens stand der Arzt Karl Brandt vor dem Nürnberger Tribunal. Brandt war von Hitler mit Erlass vom 5. September 1943 zum Leiter des gesamten medi- zinischen Vorrats- und Versorgungs- wesens und Koordinator der medizini- schen Forschung ernannt worden. Auf der Anklagebank in Nürnberg saßen insgesamt 20 Ärzte sowie ein Jurist und zwei Verwaltungsfachleute als Or- ganisatoren von Medizinverbrechen.

Beispielhaft für die Medizinverbrechen des Nationalsozialismus wurden im Nürnberger Ärzteprozess unfreiwillige Menschenversuche, die Tötung von Häftlingen für die Anlage einer Skelettsammlung (August Hirt) und die Kran- kenmorde der Aktion T4 behandelt. Von den 23 Angeklagten wurden am 20. August 1947

sieben zum Tode verurteilt, fünf zu lebenslan- gen Haftstrafen und vier zu Haftstrafen zwi- schen zehn und 20 Jahren. Sieben Angeklagte wurden freigesprochen.

Die Urteilsbegründung präzisierte, unter welchen Voraussetzungen medizinische Versu- che an Menschen zulässig sind. Dieser Nürn-

berger Kodex wirkt mit seinen zehn Grundsätzen für „Permissible Medical Experiments“ bis heute nach – die Deklaration von Helsinki aus dem Jahr 1964 stimmt mit dem Nürnberger Ko- dex weitgehend überein. Dessen be- herrschende Grundsätze sind: Maß- geblich für die medizinische For- schung ist der Nutzen für den Patien- ten. Jeder Patient/Proband muss vom beteiligten Arzt umfassend aufgeklärt werden. Es darf keine unnötige oder gar willkürliche Forschung am Men- schen geben.

In seiner Eröffnungsrede zum 115.

Deutschen Ärztetag hatte Montgom - ery darauf hingewiesen, dass die aktu- elle Fassung der „Deklaration von Hel- sinki“ überarbeitet werden soll. „Ich bin stolz darauf, Ihnen heute mitteilen zu können, dass die Generalversammlung des Weltärztebundes in Montevideo die Bundesärztekammer beauf- tragt hat, die Überarbeitung dieser Deklaration zum 2014 anstehenden 50-jährigen Jubiläum

zu leiten.“ Thomas Gerst

Nürnberger Justizpalast: Im Ärzteprozess 1946/47 sitzen führende Vertreter des NS-Gesundheitswesens auf der Anklagebank.

TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik FAZIT

Nürnberger Erklärung: Bekenntnis zu Unrechtstaten der NS-Medizin

Ausstellung über die Vertreibung jüdischer Ärzte

Fotos: ullstein Bild

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