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Archiv "NS-Krankenmorde: Konkurrierendes Gedenken" (22.02.2013)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 8

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22. Februar 2013 A 307

KOMMENTAR

Norbert Jachertz, gesundheits- und sozialpolitischer Journalist

D

er Begriff „Aktion T4“ scheint zur Chiffre für den organisier- ten Krankenmord zwischen 1939 und 1945 zu werden. Die Chiffre ist zwar ungenau, denn es gab weitere Phasen und andere Mordmethoden, doch für das Marketing des Gedenkens nützlich, weil kurz und einprägsam. Marketing?

Ja, Opfergedenken pflegt zwar mit ge- dämpfter Stimme und gesenkten Au- gen vollzogen zu werden, doch auch Gedenkkultur bedarf der Organisation und muss beworben werden.

Die Opfer wie auch die Täter und ih- re Methoden rücken neuerdings stärker ins öffentliche Licht. Das ist das Ver- dienst vieler privater Initiativen: von Be- hinderten, von Angehörigen der Opfer, nicht zuletzt von Ärzten in Anstalten, deren Patienten umgebracht wurden.

Schließlich haben sich einzelne wis- senschaftliche Gesellschaften, so die der Psychiater und Kinderärzte, des Themas angenommen – ein schmerzli- ches Unterfangen, geht es doch um Mord an Patienten (auch) durch Ärzte.

Wer wird daran schon gern erinnert?

Auch das geht auf die Initiative einzel- ner Fachvertreter zurück, andere haben immerhin stillgehalten.

Staatliche Stellen verhielten sich sehr lange sehr ruhig. Jetzt tut sich was. An der Tiergartenstraße 4, in Ber- lin, dort wo die „Euthanasie“-Planer sa- ßen, soll ein öffentlicher Gedenk- und Informationsort entstehen. Das Land Berlin hofft, dass er noch in diesem Jahr fertig wird. Die Verantwortung werde dann auf den Bund übergehen, die Sache sei ja jetzt „auf der nationa- len Ebene angekommen“, heißt es da- zu beim Berliner Senat. Der Bund wie- derum will mit seinem Part die Stiftung

„Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ betrauen, die für ihr wir- kungsvolles Gedenkstättenmarketing bekannt ist.

Damit wären alle einschlägigen Ge- denkorte in Berlin organisatorisch unter einem Dach konzentriert: Holocaust- mahnmal, das Denkmal für die verfolg- ten Homosexuellen, die neue Gedenk- stätte für die Sinti und Roma und dem- nächst also – ob noch in diesem Jahr sei dahingestellt – der Gedenkort T4.

Historisch waren Holocaust und „Euthanasie“ eng verknüpft: Bei der

„Aktion T4“ und den darauffolgenden Mordaktionen im besetzten Osten wur- den jene Tötungsmethoden erprobt, die

später auch in den Vernichtungslagern eingesetzt wurden.

Die Stiftung „Topographie des Ter- rors“, die ebenfalls für das T4-Gedenken infrage gekommen wäre, bleibt nach der Benennung der Holocauststiftung zunächst außen vor. Sie ist nämlich beim Land Berlin und nach der Politi- kerlogik damit nicht „auf der nationalen Ebene“ angesiedelt. Was aber nicht hindert, dass die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde bei ihrem ambitio - nierten Ausstellungsprojekt mit der

„Topographie“ zusammenarbeiten will.

Andere sind ebenfalls nicht untätig.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin etwa. Sie hat gera- de eine virtuelle Ausstellung zu Medi- zinverbrechen in der Kinderheilkunde während der NS-Zeit freigeschaltet.

Seit längerem virtuell präsentiert sich der „Gedenkort T4“, getragen von einer privaten Initiative. Die ist nicht nur on- line einfallsreich. Kürzlich richtete sie einen Schülerwettbewerb aus, bei dem 47 Schulen mit 159 Einsendungen teils verblüffende Lösungen für ein T4- Denkmal präsentierten. Nennen wir auch die ungezählten kleinen Initiativen von Rostock bis München, von Pirna bis Hadamar, die mit meist bescheide- nen Mitteln Ausstellungen in ihren Klini- ken, an den Orten der Tat, zusammen-

stellen, Lesungen veranstalten und zu Gedenkstunden einladen. So gerade wieder anlässlich des Gedenktages für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft am 27. Januar, an dem in diesem Jahr häufiger als früher auch der „Euthanasie“-Opfer gedacht wurde. Nicht spektakulär, aber vielfältig.

Das konkurrierende Gedenken zeugt von beträchtlichem ehrenamtlichem Engagement. Es lässt der Fantasie Spielraum, das heikle Thema vielen nahezubringen. Es ermöglicht den

lokalen Bezug, denn T4, um die Chiffre zu nehmen, war nicht fern liegend, sondern ereignete sich vor der Haustür.

Beteiligt waren vielleicht angesehene Kollegen, geliebte Ehegatten und ver- ehrte Väter, unter den Opfern Nichten, Onkel und Tanten.

Ein zentraler Gedenkort kann die vielfältigen lokalen Aktivitäten nicht er- setzen, aber bestärken und ergänzen. Er könnte ein weithin sichtbares Zeichen setzen, wenn seine Gestaltung und die vermittelten Informationen überzeugen und beim Besucher haften bleiben. Um einen solchen „Erkenntnistransfer“

kümmert sich seit kurzem eine Arbeits- gruppe von Medizinhistorikern aus Ber- lin, Heidelberg und München. Sie hat Erfahrung auf dem Gebiet und wird von der Deutschen Forschungsgemein- schaft unterstützt − bis Anfang 2015.

Eine letzte Frage, im kleinen Kreis häufiger, öffentlich selten zu hören:

Muss das sein, diese beständige Erin- nerung? Ja, weil man über die NS-„Eu- thanasie“ außerhalb der Fachkreise im- mer noch so wenig weiß. Ja, weil die NS-„Euthanasie“ zeigt, wie eine wis- senschaftlich daherkommende Ideolo- gie in ein Mordprogramm ausarten kann. Mehr als 300 000 Menschen fie- len ihm zum Opfer. Das darf nicht unter den Teppich des Vergessens gekehrt werden.

NS-KRANKENMORDE

Konkurrierendes Gedenken

P O L I T I K

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