P O L I T I K
A
A544 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 927. Februar 2004
der 9. RSA-Änderungsverordnung kön- nen nicht darüber hinwegtäuschen, dass weitere Defizite bei der Implementie- rung, Dokumentation und Evaluation beim RSA-DMP Diabetes mellitus Typ 2 bestehen. Der bürokratische Aufwand wird nicht auf ein sinnvolles Maß herun- tergefahren. So bestehen weiterhin hin- derliche, zum Teil kontraproduktive or- ganisatorische Zwänge bei den Über- mittlungs- und Korrekturfristen sowie negative Konsequenzen für Patienten bei begründeter Nichteinhaltung der Do- kumentationsintervalle. Ebenso wie bei der noch aktuellen Dokumentation liegt auch dem Entwurf zur 9. RSA-ÄndV kein Evaluationskonzept zugrunde, was drastische Einschränkungen bei der ge- meinsamen Bewertung bisheriger und künftiger Daten nach sich ziehen kann – bis zur Nicht-Evaluierbarkeit (etwa bei konzeptlos geänderten Items).
Trotz des nun vorliegenden Entwur- fes des DMP Koronare Herzkrankheit (KHK) werden keinerlei Ansätze sicht- bar, die häufig miteinander verbunde- nen Erkrankungen KHK und Diabetes übergreifend zu dokumentieren, was zwangsläufig zu Doppeldokumentation und isolierter Sichtweise bezüglich Eva- luation und Qualitätssicherung führt.
Einschätzung der Therapievorgaben im Hinblick auf Praxisrelevanz/Umsetzbarkeit
Grafik 3 100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0% Hausarzt Diabetologische
Schwerpunktpraxis
33,6%
7,6%
58,8%
63,0%
27,2%
9,8%
niedrig 697 58 755
mittel 399 25 424
hoch 90 9 99
Gesamt 1 186 92 1 278
Einschätzung Summe
Nach wie vor besteht die Forderung nach Einbeziehung bewährter Leitlinien als fachlicher Basis regionaler Program- me. Damit wird auch sichergestellt, dass bereits positiv evaluierte Versorgungs- strukturen erhalten bleiben. Für nicht eingeschriebene Patienten darf die bestehende Versorgung nicht infrage gestellt werden. Die Lösung der aufge-
zeigten Probleme ist Voraussetzung dafür, dass das positive Konzept von Disease Management und integrierter Versorgung weiterhin Bestand hat. Ziel sollte es sein, die Versorgung tatsächlich zu verbessern, aber nicht zu gefährden.
Prof. Dr. med. habil. Jan Schulze für die Fachkommissionen Diabetes Sachsen,
Sachsen-Anhalt und Thüringen
D
iese Geschichte ist ausnahmsweise vollständig wahr, ich schwöre: nichts als reine und unzensierte Wahrheit. Ich erhielt ein Zertifikat meiner Fachgesellschaft, weil ich mich kürzlich einer Qualitätskontrolle ein- schließlich Audit unterwarf: Ich habe nun Qualität. Einige Monate und etwa genauso viel Hundert Euro später erhielt ich ein DIN-A3-Plakat, das mir all dieses mit der Weihe kryptischer Kürzel meiner Fachgesellschaft eindrucks- voll bescheinigte. Stolz wie Theophrastus Bombastus platzierte ich nun die- ses Aushängeschild meiner Fachkunst unmittelbar an der Wand gegenüber dem Eingang meiner Praxis, auf dass jedem Eintretenden vor Ehrfurcht die Augen aus deren Höhlen quellen mögen. Aber: Nichts geschah. Jeden Tag quetschte ich meine armen Helferinnen aus, ob nicht vielleicht doch ein win- zig kleiner Augenblinzler an meinen Großtaten haften blieb. Aber sie schüt- telten betrübt, die Depression ihres Chefs grauenvoll vor Augen, die Köpfe:Keiner interessierte sich dafür. Zernagendes Misstrauen ergriff meine Seele.
Wer betrog mich: meine Patienten oder meine Helferinnen?! Kraft meiner
wissenschaftlichen Intelligenz beschloss ich den Einfach-Blind-Versuch. Ich befahl meiner Helferin, meinen Namen in „Dr. Silvia Böhmeke“ zu ändern.
Tage und Wochen vergingen, nichts geschah. Nach hundert teilnahmslosen Patienten amüsierte sich eine ältere Dame: „Hihi, ich wusste gar nicht, dass Sie sich haben umwandeln lassen! Ist aber nicht gelungen!“ Völlig erbost be- schloss ich nun, die Namensrechte meines mittelalterlichen Kollegen zu bemühen. Aber niemand wollte etwas von Theophrastus Bombastus wissen.
Nach erneutem hundertfachen hartnäckigen Ignorieren bahnte sich nun- mehr die Erkenntnis, dass dieses Papier eigentlich niemanden interessiert.
Jeden Morgen, wenn ich meine Praxis betrete, gehe ich nun an diesem Zerti- fikat vorbei, und ich werde das Gefühl nicht los, ein alter blutgetränkter Tup- fer hätte an gleicher Stelle wesentlich mehr Aufmerksamkeit erregt.
Da flattert eine Pressemitteilung an meinem Sehnerv vorbei: Man wolle nun die Zertifizierer zertifizieren.
Leider habe man festgestellt, dass nicht überall Qualität drin sei, wo Qualität draufsteht. Aha. Ich wusste es:
Schwarze Schafe gibt es auch in der Qualität. Machen Sie sich aber deswegen bitte keine Sorgen: Das deutsche Gesundheitswesen wird keinesfalls an minderwertigen Zertifizierern zugrunde gehen. Es interessiert sich ja glücklicherweise kaum einer dafür.Dr. med. Thomas Böhmeke