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Archiv "„Zwischen Angst und Geborgenheit — der Mensch“" (10.10.1974)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FEUILLETON

„Es war die Tagung mit dem bisher höchsten Niveau", sagte confräre Bolte aus Hamburg. Gemeint war die Jahresversammlung 1974 des Bundesverbandes Deutscher Schriftsteller-Ärzte im Mai in Göttin- gen. Und da er an allen Tagungen seit dem Gründungsjahr des deut- schen Verbandes teilgenommen, auch selbst eine Tagung aus- gerichtet hat, kann er ein Urteil hierüber abgeben. Gastgeber war Professor Jörgensen, ein Mann, der zu organisieren versteht, der die richtigen Räume wählte, der

„eine Diskussion fest im Griff hat"

(Bolte), der — gestützt auf seine Helfer Molz, Vescovi, Biberger, Hauschka, die die undankbare Auf- gabe des Auswählens übten — für Niveau bei den Lesungen gesorgt und selbst Geistreich-Ironisches beizusteuern hatte.

Das Thema der Tagung, ebenso aktuell wie zeitlos: „Zwischen Angst und Geborgenheit — der Mensch": Am ersten Abend dieses Mai-Wochenendes lasen die Ernst- haften Lyrisches und Episches, am Sonntag die nicht minder Ernsthaf- ten Heiter-Satirisches, und zwar unter Augen und Ohren einer ge- strengen Presse. Dazwischen la- gen, am Samstag, die Angelegen- heiten des Verbandes, abends gab es eine Fahrt zum Schloß Ber- lepsch, Besichtigung des Brotmu- seums und abermals Lesungen, nun aber in privatem Kreis.

Für die Klangfarbe des ersten Abends war entscheidend „verant-

wortlich" das Trio Lichdi, Sielaff, Kinkel, alle aus Heilbronn, das Beethoven und Mozart spielte, und zwar meisterlich. Danach übte der Moderator sein Amt aus, confröre Molz. (Was heißt Moderator? Im Lexikon steht: „moderate: Musik:

mäßig. Moderator: Bremsvorrich- tung in Kernreaktoren".) Er sagte u. a.:

„In einer süddeutschen Universi- tätsstadt wurden Studenten aller Fakultäten einem projektiven psy- chologischen Test unterzogen. Da- bei waren Satzergänzungen vorge- geben wie ,Ich bin`, Ich kann`, Ich habe'. 37 Prozent der Probanden ergänzten ,Ich habe' mit dem Wort

‚Angst! Bei der Befragung einer Repräsentativgruppe von 18 bis 26jährigen weiblichen Angestellten in Norddeutschland wurde die Fra- ge nach der für sie wichtigsten Le- bensqualität in der Ehe gestellt. 42 Prozent von ihnen antworteten ‚Ge- borgenheit'. ,Zwischen Angst und Geborgenheit — der Mensch' ist das Rahmenthema der Lesung des heutigen Abends ...

Das Schreiben ist für den Schrei- benden das Agens, durch das sich exakt naturwissenschaftliches Den- ken und Handeln . und krea- tiv-musisches Menschsein im Gleichgewicht halten. Das Wort, wesentlicher Bestandteil ärztlicher Aktivität, verdichtet sich für den Schreibenden ebenso zu verbaler Transzendenz wie zum Mittel ge-

lassen lächelnder Mitteilung des als Mensch unter Menschen Erleb-

ten. Denn ,das Schreiben ist', so Henry Miller„wie das Leben, Zwie- sprache mit sich und der Um- weh'."

Aus den Gedichten des Kollegen Molz: „Sie haben nicht alle getra- gen/ die Brücken, die ich schlug,/

nun muß ich mich fragen" Baute ich Brücken genug?" Ihm folgte Alfred Rottier > verdient als Sekretär des Verbandes, bekannt durch zahlreiche Reiseschilderungen aus anderen Erdteilen. Er las in seiner am Fernöstlichen geschulten Lyrik- sprache: „Heimlich male ich mit spitzem Pinsel/ zierliche Zeichen auf ein Bambusblatt/ die erzählen von der Liebe zu allem Leben."

Der zu schriftstellerischem Ruhm gelangte Achim Anderer (Michael Soeder) las „Das Gehirn des Gro- ßen Tieres" — sein Grundton:

„Was ist der Mensch?" —: Sie se- zieren das Hirn ihres noch vorge- stern so verehrten Chefs kaum an- ders als das eines Versuchshun- des. Danach sprach er das „ge- dicht": „geh dicht, ganz dicht/ an die dinge heran,/ sag es sehr schlicht,/ was man sagen kann." — Edith Engelke, trug u. a. vor: „Ihr habt mich gekennzeichnet als et- was, das ich nicht bin./ Aber wie?/

Aber als was?// Ihr habt mich be- straft für etwas, das ich nicht getan habe./ Aber wer?/ Aber warum?"

Rochus Turmann folgte u. a. mit

„Der Clown": „Grimassen und Ge- sten/ Ein roter Mund und brennen- de Augen — / Unsichtbares wird sichtbar,/ Und das Erkennen reift."

— Confröre Bolte mit seiner be- kannten epischen Fähigkeit entwik- kelte das Thema „Angst" an der des Toreros bis zum Sieg über den Stier. Und es boten sich zahlrei- che Möglichkeiten hintergründiger Deutung dieser vordergründigen Darstellung.

Ursula Waldeyer trug ungebroche- ne Weiblichkeit und weibliche Emotion vor, die sie in künstleri- sche Sprache zu transponieren wußte. — Eine humoristische Kom- ponente brachte die Amtsärztin

„Zwischen Angst und

Geborgenheit — der Mensch"

Bei der Jahresversammlung der Schriftsteller-Ärzte in Göttingen:

Lesungen von höchstem Niveau

Edith Engelke

2976 Heft 41 vom 10. Oktober 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Sch riftste I ler-Ärzte

Lore Kippenberger mit ihrem Pro- sastück „Pappa doof": Ist er denn so doof, dieser Pappa, der seine dreizehn kleinen Italianos beauf- sichtigt, während er Mamma auf Brotverdienst schickt? — Der Alt- präsident, jetzt Ehrenpräsident Heinz Schauwecker, mit seinem Sinn für dramatische Wirkung, las

„Der Schwur des Ali Ben Hisar":

wie Ali eine symbolische Handlung blitzschnell und unvermutet in ei- nen Totschlag verwandelt um des Schwures willen, den er getan hat.

Auch dies voller hintergründiger Deutungsmöglichkeiten. — Anne- liese Leugermann, nachdenklich und tiefsinnig, mit „Fragen":

„Willst du etwa die Wahrheit su- chen?! Finden?! Selbst sein?// Das hast du dir noch nie zuge- traut! ...Schleppst ja doch der Ge- nerationen Genenschmuggel/ mit dir herum —/ Hast genug zu tun, daraus ein Gesicht zu machen!"

Zuletzt der Stuttgarter Kollege Christoph Lippelt, „besonders ly- risch" (Bolte) mit „Versöhnung":

„wenn das widerstrebende Lied/

die Hingabe nicht mehr verwei- gert ... Dann wird die Frage/ nach der Wunde/ aussprechbar"// „Ge- krümmt über den Schierlingsbe- cher": „Das Siebensiegel sprang über uns/ Das Losungswort fiel".//

„Oktober": „Was hilft's/ Wenn die Diele nicht trägt/ und die Stiege endet/ kurz vor dem Stern/ ein bes- seres Haus/ wirst du nicht finden".

Außerdem liest man in der Informa- tionszeitschrift „göttingen im mai 74": „Am Sonntagvormittag führt ,Der fröhliche Hainberg' Ärzte, un- ter ihnen Helmut Jebens, Hamburg;

Gerhard Jörgensen, Göttingen;

Günter Neumann, Böblingen; Willy E. Pfeiffer, Rangendingen; Walter Picard, Rodenbach; Karl Schwie- tert, Hamburg; Michael Soeder, Reutlingen; Gerhard Vescovi, Böb- lingen, sowie die Göttinger Schriftsteller Adolf Grieser und Wilhelm Kutschbach zu einer hei- ter-satirischen Matinee zusammen.

Moderatoren dieser Gemein- schaftsveranstaltung sind Adolf Grieser und Gerhard Jörgensen, beide Göttingen. Ein Sketch aus

der Feder von Gerhard Vescovi mit dem Titel ,Die Verleihung der

Karl-Friedrich-Fürchtegott-Wilhelm- Bunz-Medaille an den Praktiker Dr. Schneuzle` als Persiflage der herkömmlichen Laudationes in Ärztekreisen wird u. a. zei- gen, daß sich Ärzte keineswegs schämen, sich als ,Spötter in Weiß' selbst zu karikieren. Das las- sen auch andere Persiflagen, An- eck-Doten`„Biedermannsmienen`

usw. erkennen wie etwa die nach- folgende ,Spruchbeißheit: „Pro me ipso" von Gerhard Jörgensen:

,Manche Ärzte singen, schreiben, dichten./ Warum auch nicht?/ Wer wollte sie darob richten?! Insge- heim aber lob ich mir doch,/ ja preis ich hoch/die ärztliche Schwei- gepflicht!' — ‚Ärzte und Autoren müssen mehr können als Kranken- geschichten schreiben. Es bleibt die Frage, ob sie den Menschen besser kennen als ihre nichtärztli- chen Schriftstellerkollegen. Sehen

Arzt — und Poet dazu

Heinz Schauwecker, Berching in der Oberpfalz, im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT in Heft 41/1969 („Nir- gends schmecken die Wasser so gut wie aus den Brunnen der Hei- mat") eingehend gewürdigt zu sei- nem 75. Geburtstag, vollendet am 11. Oktober das 80. Lebensjahr.

Das Erstaunliche ist, wie er noch neuen sprachlichen Ausdruck fin- det. Und immer ist er der nachdenk- liche Nach-Denkliche.

Edith Engelke

die dritte seite

jedes ding hat,

je nachdem man es betrachtet, seine andre seite —

ob's der große mond nun ist, fern und hoch am himmel, oder nur ein kleines blatt, das der wind vom baum in den schoß geweht dir hat.

sie ihn nackter oder nüchterner?

Wissen sie mehr von seiner Not?

Wahrscheinlich nicht. Sie leisten ihren Beitrag wie jeder andere, der versucht, das Unbeschreibliche zu beschreiben.' (Michael Soeder 1972)"

Zum Schluß sei noch der Wechsel im Präsidentenamt des Bundesver- verbandes Deutscher Schriftstel- ler-Ärzte berichtet: Der verdiente Heinz Schauwecker, der am 11.

Oktober 1974 sein achtzigstes Le- bensjahr vollendet, stellte das Amt des Präsidenten aus Altersgründen zur Verfügung. Sein Nachfolger wurde Professor Gerhard Jörgen- sen, der sich mit der Ausrichtung dieser Tagung so vorteilhaft ein- führte.

Anschrift der Verfasserin:

Dr. med. Edith Engelke 23 Kiel

Reventlouallee 25 b

aber weißt du, ob es nicht noch eine weitere — eine dritte hat — dir wie mir

nicht bewußt samt unsrer zeit — die aus Gottes sicht und seiner ewigkeit?

zerbrochener spiegel

in einem spiegel sah ich mich als bestimmten einzigen menschen.

Irgendwer warf einen stein

und aus hundert splittern sahen mit hundert spiegelbilder von mir an.

und nicht eines war wie das andere — gänzlich gleich

keines. heinz schauwecker

Heinz Schauwecker zum Achtzigsten

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 41 vom 10. Oktober 1974 2977

Referenzen

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