DER SEMITISCHEN SPRACHEN MIT HILFE DES
COMPUTER IBM 1410
Von Stanislav Segert, Prag
Die vergleichende semitische Lexikographie befindet sich in einer ganz
einzigartigen Lage. Das letzte zusammenfassende Werk, das Lexicon Hepta¬
glotton von Edmund Castell erschien vor dreihundert Jahren, im Jahre
1669. Damit kam der Aufschwung dieser Disziphn, die sich mit dem Lexicon
Pentaglotton von Valentin Schindler im Jahre 1612 eröffnet hat, und
mit dem Etymologicon orientate von Johannes Hottinger von 1654 ein
weiteres wichtiges Werk brachte, zum vorläufigen Abschluß.
Die Arbeit an Einzelproblemen ging freilich sehr intensiv weiter. In vielen
speziellen Monographien, in Kommentaren und Artikeln sowie in Wörter¬
büchern der Einzelspraehen, wmde eine ungeheure Menge von wertvollen
oder wenigstens nützhchen Materialien vorgelegt. Doch scheint es, daß
eben dieses riesige Material, das auch durch Auffinden neuer Texte, ja ganz
neuer Sprachen sich beträchthch vermehrte, eher von einer Synthese ab¬
stoßen könnte.
Die Kritik, die den Stand und die Methoden der semitischen Sprach¬
wissenschaft besonders mit Rücksicht auf die komparativistische Arbeit im
Bereich der indogermanischen Sprachen vergleicht, hat hier einen Grund
zum abwägenden Urteil. Obwohl die Indogermanistik die vergleichende
Lexikographie um mehr als zweihundert Jahre nach dem Erscheinen des
ersten vergleichenden Wörterbuchs der semitischen Sprachen begonnen hat,
kann sie sich mit einer Reihe von vergleichenden Wörterbüchern rühmen,
die mit dem von Julius Pokorny ihren vorläufigen Gipfel erreicht hat.
Carl Brockelmann, der dmch seinen Orundriß der vergleichenden Gram¬
matik der semitischen Sprachen den Vorsprung der Indogermanistik recht
bedeutend nachgeholt hatte, begann nach dessen Beendigung auch am ver¬
gleichenden Wörterbuch der semitischen Sprachen zu arbeiten, und zwar
in Zusammenarbeit mit Fachkennem, wie Ignazio Guidi und Carlo Nal¬
lino. Leider wurde das Werk nicht beendet.
Ein ähnhches Werk, das etymologische Wörterbuch der semitischen Spra¬
chen von Jean Cantineau, wurde zu Lebzeiten des Verfassers nicht be¬
endet. Seine Veröffentlichung soll jetzt aber trotzdem beginnen, da David
Cohen die nachgelassenen Zettel bearbeitet und ergänzt hat.
Die Arbeit am vergleichenden Wörterbuch der semitischen Sprachen 715
Wenn man sich eine Auskunft über das lexikalische Material mehrerer
semitischer Sprachen verschaffen wiU, kaim man die reichen Angaben in
den hebräischen und bibhsch-aramäischen Wörterbüchern von GasENros
und Buhl sowie von Koehler und Baumgartner benützen. Auch das
schon erwähnte syrische Lexikon von Brockelmann, von Sodens akkadi¬
sches Wörterbuch vmd das Glossar zm altsüdarabischen Chrestomathie von
Conti Rossini enthalten nützhches Material. Für mehrere semitische Wur¬
zeln, Wörter und Bedeutungsgruppen wmde das Material in Monographien
und Studien bearbeitet, doch diese an sich wichtigen und nützhchen Arbeiten
sind immer nur auf einen Ausschnitt beschränkt, tmd können nicht ein voll¬
ständiges vergleichendes Wörterbuch aller semitischen Sprachen ersetzen.
Andererseits erlaubt der jetzige Zustand der Lexikographie der einzelnen
semitischen Sprachen noch nicht, ein umfassendes vergleichendes Wörter¬
buch dieser ganzen Sprachgruppe auszuarbeiten.
Es bleibt nur die nordwestliche Gruppe der semitischen Sprachen übrig,
für deren Sprachen verläßhche, moderne Wörterbücher zur Verfügung
stehen. Die bibhschen Sprachen, Hebräisch und Aramäisch, wurden seit
Jahrhunderten eifrig bearbeitet, auch in lexikalischer Hinsicht. Der ver¬
hältnismäßig kleine Umfang des epigraphischen Materials in phönizischer,
aramäischer und hebräischer Sprache ermöghchte deren voUständige lexi¬
kahsche Erfassung. Die erst seit 1929 bekannte ugaritische Sprache bietet
noch immer eine Anzahl ofFener Probleme, doch ihr lexikahsches Material
wmde sachgemäß bearbeitet. Die späteren hebräischen tmd aramäischen
Dialekte der Juden sind in Wörterbüchern imd auch Konkordanzen erfaßt.
Für die hebräische und aramäische Sprache der Samaritaner sowie für das
Christhch-palästinische stehen wenigstens Glossare zm Verfügung, die dann
später durch umfassende Wörterbücher ersetzt werden sollen. Das syrische
Material ist in sehr guten Wörterbüchern zugänghch. Eine große Lücke
wurde durch die Herausgabe des mandäischen Wörterbuchs ausgefüllt. Das
amoritische Material, das bekannthch nur aus den Personennamen besteht,
wird jetzt in Chicago bearbeitet.
Diese verhältnismäßig günstige Lage auf dem Gebiet der nordwestsemiti¬
schen Lexikographie hat zu der Arbeit am vergleichenden Wörterbuch
dieser Sprachen Anlaß gegeben. Bereits im Jahre 1959 wmden die Möghch¬
keiten dieser Arbeit mit den Professoren Kahle, de Langhe und Albright
diskutiert, bereits im folgenden Jahr wurde dem Orientahschen Institut
der tschechoslowakischen Akademie in Prag der Plan eines vergleichenden
Wörterbuchs der semitischen Sprachen vorgelegt.
Es erwies sich als zweckmäßig, das hebräische Material nur bis zm Sprache
der Mischna und der ihr gleichzeitigen Literatur aufzunehmen, und die
jüngeren, nicht mehr so organisch sich entwickelnden Sprachphasen aus¬
zuschheßen. Es erwies sich als praktisch unmöghch, die modernen neuara-
maischen und neusyrischen Dialekte ins vergleichende Wörterbuch einzu¬
beziehen, da diese Sprachen sich schon sehr stark von der gemeinsemitischen Grundlage entfernt haben.
Das Material für das vergleichende Wörterbuch wird grundsätzlich den
bestehenden Wörterbüchern der einzelnen Sprachen entnommen, nur ge¬
legenthch werden neue bedeutendere Texte exzerptiert. Die semitischen
Wörter sind von lateinischen Äquivalenten begleitet, da diese Sprache den
Verhältnissen des Altertums und des Frühmittelalters besser entspricht,
und die lateinischen Formen eindeutig sind.
Um die Arbeit zu erleichtern und um sie innerhalb einer begrenzten Zeit
dmchzuführen, wurde die elektronische Rechenmaschine IBM 1410 ange¬
wandt. Das Werk wird im Auftrag des Orientalischen Instituts in Prag vom
Rechenzentrum INORGA in Prag durchgeführt, der Programmierer Leo§
Capka hat das Programm besorgt.
Die Wörter werden samt den Äquivalenten und Sigla über die Sprache
bzw. den Dialekt auf Lochkarten gesehrieben. Die als solche durch Sigla
bezeichneten Pronomina, Numeraha und Partikeln, die Lehnwörter und
die nicht aus dreiradikaligen Wurzeln gebildeten Nomina und Verba
werden vorläufig nicht weiterbearbeitet; sie werden nur verzeichnet,
um dann später gesondert zusammengefaßt zu werden. Nach einem Sub-
programm werden durch die Maschine die hypothetischen protosemitischen
Formen der dreiradikaligen Nomina und Verba rekonstruiert.
Die nicht vokalisierten Formen werden vorläufig als solche belassen, erst
im weiteren Verlauf der Arbeit könnte eventueh die hypothetische Rekon¬
struktion der Vokale unter Heranziehung der entsprechenden Formen aus
den Sprachen ergänzt werden, deren Vokale in alter Tradition belegt sind.
Da die Maschine nicht solche ursprüngliche Phoneme rekonstruieren kann,
die auf zwei oder mehrere protosemitische Phoneme zurückgehen, müssen
in diesen Fällen zusätzliche Instruktionen gegeben werden, und zwar auf
Grund der verwandten Sprachen, wo die alten Phoneme besser erhalten
sind, am meisten des Arabischen und des Ugaritischen.
Diese Rekonstruktion ist nicht Selbstzweck, es ist nicht beabsichtigt,
eine hypothetische protosemitische Sprachphase zu rekonstruieren, sondern
es soUen vergleichbare Werte ermittelt werden, nach denen die weitere
Sichtung des Materials durchgeführt wird.
Diese richtet sich nach den beiden für den semitischen Wortbau relevan¬
ten Komponenten, der Wurzel und dem nominalen bzw. verbalen Schema.
Durch die Anwendung eines Anordnungsprogramms werden alle von
einer protosemitischen Wurzel ableitbaren Wörter zusammengebracht.
Die Klassifizierung nach den Schemata wird auch durch entsprechende
Verfahren durchgeführt, doch dafür muß vorher ein Schlüssel geschaffen
werden, der dann die Klassifikation nach den einzelnen Nominal- und
Die Arbeit am vergleichenden Wörterbuch der semitischen Sprachen 717
Verbalgruppen ermöglicht. Der Schlüssel für die Nominaltypen besteht aus
drei Zeichen, von denen die ersten zwei die Vokale zwischen den Wurzel¬
konsonanten und die Präfixe berücksichtigen, während das dritte Zeichen
die Affixe ausdrückt. Auf diese Weise werden alle Nominal- und Verbal¬
typen erfaßt; es ist sofort zu ersehen, in welchen Sprachen sie für welche
Wurzeln ausgenützt wurden. Das Material ist so angeordnet, daß den un¬
vokalisierten Typen diejenigen vokalisierten Typen folgen, deren konsonan¬
tische Orthographie in der semitischen Originalschrift den nicht vokalisierten entspricht.
Für das dritte Klassifikationskriterium, die Bedeutung, dienen vorläufig
nur die lateinischen Äquivalente als Grundlage. Da aber diese auf verschie¬
dene Weise ermittelt und verschiedenen Quellen entnommen wurden, sind
die bedeutungsmäßig entsprechenden bzw. nahestehenden Wörter nicht
immer zusammen angeführt. Dieser Nachteil soll jedoch in weiteren Etap¬
pen der Arbeit ausgeghchen werden: Für die Bedeutungen soU eine sach¬
hche Klassifikation angewandt werden, wie etwa in dem deutschen Wörter¬
buch von Dobnseiff und in dem Vorschlag, den Hallig imd von Wabt-
BURG für eine solche sachliche Klassifikation vorgelegt haben. Auch die
Analysen der Bedeutungsgruppen in den semitischen Sprachen von Pelio
Fbonzaroli soUen herangezogen werden.
Die angewandte Methode hat gewisse Vorteile: Die Maschine arbeitet
präziser als ein Mensch, das Material kann durch Zusätze und Verbesserun¬
gen immer auf dem laufenden gehalten werden, aus dem gesammelten Ma¬
terial können noch weitere Informationen, besonders statistischer Art,
ohne Schwierigkeiten gewonnen werden. Andererseits sollen auch die Nach¬
teile nicht verschwiegen werden: Es ist nicht möglich - wenigstens in der
ersten Etappe - mehrere Bedeutungen für ein Wort anzugeben ; es ist dann
schwierig zu entscheiden, ob die am meisten vorkommende oder die wohl
ursprünghche Bedeutung angewandt werden soll.
Dieses vergleichende Wörterbuch der semitischen Sprachen soll nicht als
abgeschlossenes Buch vorgelegt werden, sondern es soU ein „offenes System"
bleiben, das je nach Bedarf ergänzt und erneuert werden kann. Obwohl jetzt
die Arbeit von einem Semitisten und einem Programmierer vorgenommen
wird, wird damit gerechnet, daß bei der Revision und Ergänzung sowie bei
der vielseitigen Ausnützung des gesammelten Materials sich eine breite
internationale Zusammenarbeit entfalten wird.