Das Wesen der semitischen Tempora.
Von Pontus Leander.
Ich werde mich auf die Frage nach der Genesis der semi¬
tischen Tempora nicht einlassen, denn dafür müßte man viel
weiter ausholen, als ich es hier zu tun beabsichtige. Einige
in den letzten Jahren vorgebrachte Versuche, das Problem zu
lösen, und vor allem der letzte, der von Viktor Christian in
dieser Zeitschrift, Bd. VI, S. 232 ff., veranlassen mich aber, an
ein Erfordernis zu erinnern, ohne das jeder Vorschlag unbe¬
dingt verworfen werden muß : die Erklärung muß mit den uns
bekannten lautgeschichtlichen Tatsachen im Einklang stehen.
Das tut nun die Darstellung Christian's wenigstens in
einem sehr gewichtigen Punkte entschieden nicht. Er hält
nämlich an der Verwandtschaft des akkadischen Permansivs
mit dem westsemitischen Perfekt fest; das eine ähnelt, meint
er, „wie ein Ei dem anderen" (S. 234). Er untersucht nicht
diese vermutete Verwandtschaft aus lautgeschichtlichem Ge¬
sichtspunkt; die beiden Formensysteme ähneln einander, und
das ist ihm genug.
Wenige sprachhistorische Fragen .sind aber einfacher als
diese. Der akkadische Permansiv und das westsemitische Per¬
fekt sind nachweislich zwei verschiedene Systeme. Ich darf
wohl annehmen, daß alle, die sich mit linguistischen Studien
beschäftigen, Nöldeke in seiner einleuchtenden Erklärung der
Geschichte des westsemitischen Perfekts beistimmen (Beiträge,
S. 15 ff.). In diesem System lautete die 1. Person des Singularis
— um nur diese herauszugreifen — ursemitisch also ""qatalkü
(bzw. *qatilkü, *qatulkü). Aus *qatdlkü wird aber nie und
nimmer *qatläkü. Aus *qatläkü wird ebensowenig *qatalkü.
Und es läßt sich keine Urform finden, aus der beide stammen
könnten.
p. Leander, Das Wesen der semitischeu Tempora 143
Die „Ähnlichkeit" erklärt sich daraus, daß die Bildungs¬
elemente verwandt sind. Das erstere Element ist ja das Ver¬
balnomen *qatal (bzw. *qaül, *qatul), das letztere die Personal¬
pronomina, die in beiden Fällen in etwas verschiedenen Formen
auftreten: westsemitisch lautet „ich" in dieser Zusammen¬
setzung kü, akkadisch äkü. Wir erkennen hinter beiden das
bekannte Pers.-Pron. der L Sg. 'anäkü und müssen annehmen,
daß das -ä- in den Permansivformen qatlätä, qatläti usw. auf
analogischer Verbreitung des ä der l. Sg. beruht.
Bei seiner Kritik der BAUER'schen These von dem akka¬
dischen Präsens als dem Gegenstück des westsemitischen Per¬
fekts behauptet Christian (S. 234), daß „für die Ungeheuer¬
lichkeit des Überganges von der Suffix- zur Präfixkonjugation
ein halbwegs einleuchtender Grund" nicht angegeben worden
ist. Er übersieht hierbei, daß Bauer in seiner Arbeit über
„Die Tempora im Semitischen", S. 20, lautgeschichtliche Tat¬
sachen angibt, die die Möglichkeit dieses Überganges zeigen.
Auf verwickeitere Fragen , wie z. B. die nach der Ge¬
schichte des äthiopischen Imperf. Ind., gehe ich hier nicht
ein. Meine kurzen Bemerkungen bezwecken nur, auf die Not¬
wendigkeit hinzuweisen, bei Untersuchungen wie dieser laut¬
geschichtliche Tatsachen immer scharf ins Auge zu fassen.
Weniger Spekulation, mehr Lautlehre!
Bücherbesprechungen.
Legeain, Leo: 1. The Culture of the Babylonians from
their Seals in the Collections of the Museum. Phila¬
delphia, published by the University Museum, 1925.
[= University of Pennsylvania; The University Museum.
Publications of the Babylonian Section Vol. XIV.]
(2 Bände: 1. Band = Texts, 367 SS.; 2. Band = LXIV
Plates.) 4«.
2. Royal Inscriptions and Fragments from Nippur and
Babylon. Philadelphia, published by the Museum of the
University of Pennsylvania, 1926. [= The Museum of
the University of Pennsylvania. Publication of the Baby¬
lonian Section, Vol. XV.] 50 SS., XXXVI Plates. 4«.
Trotz des etwas abweichenden Obertitels gehören beide
Publikationen der von uns UMBS abgekürzten Reihe der Ver¬
öffentlichungen des Philadelphiaer Universitäts-Museums an,
dessen babylonische Abteilung Legkain als Curator leitet.
Sein zuerst genanntes Werk ist eine mustergültige Publikation
von fast 1100 Siegeln, Siegelabdrücken u. ä. aller Zeiten; die
meisten sind mechanisch in technisch hervorragender Weise
wiedergegeben, ein kleinerer Teil ist gezeichnet, und zwar
recht gut, soweit sich das ohne Vergleichung der Vorlagen
sagen läßt. Jedenfalls wird die Siegelforschung durch L.'s
Werk wesentlich gefördert.
Der Textband beschäftigt sich zuerst mit der zeitlichen
Einordnung des Materials, das L. in 19 Gruppen zerlegt; bis
No. 1031 gibt er in 14^) Teilen die eigentlichen Vorderasiati-
1) AbgeseheD vou Abt. 10 (Seal with a Sabseau Inscription).