Tocharisch B äst- „Knochen",
ein sakisches Lehnwort
Von A. J. Van Windekens, Löwen
Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Wortschatz der beiden tocha¬
rischen Dialekte zahlreiche den mitteliranischen Sprachen entnommene
Bestandteile bietet : hier ist an erster Stelle auf den in dieser Zeitschrift
94, 139fF., erschienenen Aufsatz von Olaf Hansen zu verweisen. Aus
seinen sehr interessanten Ergebnissen geht ganz deutlich hervor, daß
man die Herkunft der meisten mitteliranischen Lehnwörter des Tocha¬
rischen im Sakischen und im Sogdischen zu suchen hat. Ich selbst auch
glaube in zwei in Le Alusion 62, 125 ff. u. 261 ff., veröffentlichten Bei¬
trägen die Liste der sakischen Lehnwörter im Tocharischen um einige
Einheiten vermehrt zu haben: vgl. z. B. AB wen- < sak. hvan- ,, sagen,
sprechen" (133ff.), AB kräke < sak. khärgga- ,, Schmutz" (269)i.
Auch für toch. B äst- ,, Knochen" könnte man schon auf den ersten
Anblick einen sakischen Ursprung in Erwägung ziehen : das tocharische
Wort, das nur in den Pluralformen Noin.-Obl. ästa, Gen. ästäntso und
im von der Pluralform (Nom.-Obl.) abgeleiteten Adjektiv astässe ,,aus
Knochen bestehend" belegt ist (vgl. Sieg- f Siegling, Tocharische
Sprachreste. Sprache B I, 94 u. 93 [Übersetzung und Glossar]; Lane,
Studies in Kuchean (hammar I, 17), zeigt ja mit sak. ästaa- ,,bone"
(Konow, Saka Studies 118 u. 4 Medical Text in Khotanese 86) eine auf¬
fallende Ähnlichkeit. Von vornherein muß man m. E. für toch. B äst-
das Sogdische als gebende Sprache ausschließen, weil in diesem mit¬
teliranischen Dialekt av. ast- ,, Knochen" durch 'stk, in dem die für das
gesamte Mitteliranische sehr charakteristische *-(a)Ä;a-Erweiterung mit
unverändertem k vorliegt (Gauthiot-Benveniste, Essai de grammaire
sogdienne I 69; vgl. auch ebd. II 210), vertreten ist. Natürlich beruht
auch sak. ästaa- auf einem älteren *astaka-, zwischen Vokalen aber ist
im Sakischen das k geschwunden (vgl. Konow, Saka Studies 23 f., und
auch Primer of Khotanese Saka 26: sak. rräjsaa- „sharp" < *ricalca-).
Eine Herkunft aus dem weit entfernten und übrigens keine buddhistische
Literatur enthaltenden Pahlavi, in dem für ,, Knochen" das unerweiterte
ast erscheint, ist natürlich abzulehnen. Und schließlich ist doch die
Quantität des anlautenden Vokals der tocharischen Form nicht ohne
1 Zu den mir sehr wahrscheinlichen tocharischen Entlehnungen aus den
iranischen Pamirsprachen, vgl. ebd. 137fif.
Tocharisch B äst- „Knochen", ein sakisches Lehnwort 315
Bedeutung: ä{st)- (das a in ästäntso neben ästäntso und in astässe. läßt
sich ohne Schwierigkeit aus einer im B-Dialekt öfters bezeugten Schwä¬
chung ä > a erklären: vgl. meine Arbeit Morphologie comparie du to¬
kharien 30 ff.) stimmt ganz genau mit sak. ä{staa)- überein, dessen ä- < a-
(vgl. av. ast-, pahi. ast, sogd. 'stk) aus einer Tendenz" to lengthen a
before consonantal compounds" (Konow, Saka Studies 16 f. mit weiteren
guten Beispielen) entstanden ist.
Wenn für toch. B äst- ein (mittel)iranischer Ursprung anzunehmen
ist, so darf man also das Wort nur dem Sakischen entstammen lassen.
Es stellt sich aber die Frage, ob das ä der tocharischen Form — und es
sei notiert, daß nur dieser Vokal für eine iranisch-sakische Herkunft
sprechen könnte — sich mit den Lautgesetzen dieser Sprache nicht ver¬
trägt. Anlautendes idg. *o (av. ast- usw. = gr. cktteov usw.) ergibt toch.
o in B okt, A okät ,,acht" (gr. oxTto, lat. octo, ai. asfd(u), av. aSta usw.) und in B orkmo ,, dunkel, finster; Finsternis", A orkäm ,, Finsternis" (gr.
optpvot; ,, dunkel", opcpvT) ,, Finsternis" ): es handelt sich in diesen tochari¬
schen Wörtern um ein vor einer Konsonantenverbindung anlau¬
tendes idg. *o (in A okät ist ä natürlich sekundär). Dieser Vertretung von
idg. *o steht die in B ek, A ak „Auge" (gr. oaae, Du., lat. oculus, ai.
aksi, av. asi. Du. usw.) gegenüber^: in diesem Fall aber folgt auf den an¬
lautenden Vokal nur ein einziger Konsonant. Und daß auch im In¬
laut ein sich vor mehreren Konsonanten befindendes idg. *o als o erhalten
blieb, läßt sich schon aus dem Vergleich zwischen B soime und A salu
,,ganz, vollständig, insgesamt" (gr. oXo?, ai. särva- usw.) ohne Mühe
nachweisen: vor Z -f m ist idg. *o durch o, vor l durch a vertreten. Wir
verfügen aber auch über A polkärnts ,, Gestirn", das man von lett. bal-
gans ,, weißlich" (idg. *bholg-; oder *pholg- für toch. A polkärnts nach
Scherbe, Gestirnnamen bei den indogermanischen Völkern 38?) nicht
trennen darf (vgl. meine Morphologie comparee du tokharien 55 u. 75), und
in dem idg. *o vor l -\- k ebenfalls toch. o ergeben hat.
Es ist also ohne weiteres klar, daß man nach den oben erwähnten Bei¬
spielen im Tocharischen für ein indogermanisches *ost(h)- (vgl. ai.
ästhi) eine Form *ost- erwartet, in der anlautendes *o vor s -f- i als o
bewahrt wurde. Man könnte aber auch die Frage aufwerfen, ob das ä
von B äst- nicht dem von B ätitse (Du. auch arntsane und abgeleitetes
Adjektiv äntsesse: vgl. Sieg- f Siegling, Tocharische Sprachreste. Spra¬
che B I, 94 [Übersetzung und Glossar]; Lane, Studies in Kuchean Gram¬
mar 19f.), das „Stamm, Ast, Schulter" bedeutet und selbstverständhch ai. drnsa-, arm. us, got. ams usw. < idg. *omso- entspricht, gleichgesetzt
" Falsch ist die Herleitung aus einem idg. *equ- (Van Windekens, Le
Musion öS, 143).
316 A. J. Van Windekbns, Tocharisch B äst- „Knochen", ein Lehnwort
werden muß: eine iranische Herkunft ist für B äntse ausgeschlossen, weil
meines Wissens idg. *omso- im Iranischen nicht vertreten ist. Man könnte
also B äst- mit B äntse vergleichen und, demgemäß, äst- auf idg. *ost{h)-
zurückführen. Es läßt sich jedoch B äntse in ganz merk^vürdiger Weise
aus dem in gr. ü\loc, vorhegenden idg. *ömso- (Dehnstufe) erklären^ : d. h.
ä in äntse setzt normal idg. *ö fort, wie z. B. in B jnvär ,, Feuer" < idg.
*2)(e)aör*. In keiner indogermanischen Sprache gibt es dagegen eine
Spur der Dehnstufe von idg. *ost(h)-.
Ich glaube also, daß der sakische Ursprung von toch. B äst- ,, Knochen"
nicht mehr angezweifelt werden darf.
' Auch arm. ms könnte idg. *ömso- fortsetzen.
* Vgl. meinen Aufsatz ,,Der Typus gr. üSojp im Tooharischen" demnächst
in den Indogermanisclie{n) Forschungen. — Das A-Äquivalent von B äntse
zeigt die Form es, deren e- vor nur einem Konsonanten an das e- von B ek
„Auge" < idg. *oq'if- (vgl. oben) erinnert: für das e- von A es hat man also
von idg. *o- (Vollstufe) auszugehen. Die in meiner Arbeit Morphologie com¬
parie du tokliarien 35f. u. Le Museon 58, 143, für B äntse, A es vorgeschlagene Interpretation ist jetzt überholt.
^TfV:-^:
The Basis of Indian Classical Drama
(as Explained in Ancient Theory)*
By K. M. Vabma, Berhn
A number of speculations have been made about the beginnings of
Indian drama and the opinions of scholars on that question are widely
divergent. In any case, these beginnings cannot be assigned to the
Christian era, because recently discovered fragments of dramas of the
1st century A. D. show a high degree of development. Further we have a
treatise on drama, namely, the Nätyasästra of Bharata, which is generally
accepted to belong to the second or, at the latest, the third century A. D.
It is a monumental work treating all aspects of drama, and it is probably
the biggest of the treatises written on drama in the whole world at that
time. The fact that such a monumental treatise could come into existence
indicates a previous long process of development of the art. Moreover
the Nätyasästra is clearly not in any way the earhest work on drama,
although it is the first of the extant works. A sequence of treatises on
drama can be traced from the Nätyasästra itself in which it is the fourth
in succession^. All these facts are sufficient to prove that the beginnings
of Indian drama go back several centuries before the Christian era.
We have, however, no precise knowledge of the conditions of the
beginnmgs of drama, nor of its development before the Christian era.
Subsequent conditions have, of course, been studied to some extent from
the plays themselves and also from theoretical treatises, but, sofar as
the study of theorj' goes, insufficient attention has been paid to the shift
of emphasis and to the change of conceptions in the works written in
subsequent periods. Not only that, later conceptions have been read
into earlier works. Consequently the real spirit of the early theory of
drama has not been fully understood.
It would therefore be worthwhile to make an attempt to understand
the basis of Indian classical drama as explained in early theory. By
* This paper was written for and read in a conference on Asian Theater,
organized by the Centre National de la Eecherohe Scientifique with tbe col-
labaration of the Theatre des Nations and Le Cercle Culturel do Boyaumont
from 28th May to 1st Jime 1959 at L'abbaye de Boyaumont, near Paris. The
writer is grateful to Dr. A. A. Bake for his kindness in going through the MS.
' The author of this paper himself has discussed this matter at length in
his book, "Seven Words in Bharata: What Do They Signify" which is
entirely devoted to discuss some of the outstanding textual problems of the
NätyaSästra (see the former, p. 84 et Seq.).