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Lieber die vedischen Accenfe.
Von Dr. fl. Haug.
Da die Accente der Vedas seit der Veröffentlichung der Texte
vielfach Gegenstand gelehrter Forschung geworden sind, obschon
keiner von allen, die bis jetzt darüber schrieben, Gelegenheit hatte,
den Vedavortrag von einem vedaknndigen Brahmanen zu hören, so
denke ich , als der einzige , dem es bisher gelungen ist, den Vortrag vediscber Stücke , wie er seit den ältesten Zeiten sich fortgeerbt hat,
mit anzuhören, im Interesse der Wissenschaft zu handeln, wenn ich
meine Beobachtungen darüber der gelehrten Welt nicht länger vor¬
enthalte. Dass man die vedischen Accente an Ort und Stelle unter¬
suchen müsse , um zu klaren Resultaten zu kommen , war stets meine
Meinung, da sich solche Dinge aus Büchern nicbt erkennen lassen.
Da die Resultate meiner Beobachtungen über den vedischen
Accent mit der in Deutschland theoretisch darüber gebildeten
Ansicht nicht verträglich sind, so muss ich zuerst darlegen, wie ich
zu denselben gekommen bin, da ich die Zähigkeit gelehrter Vorur¬
theile für einmal wrgefasste lilVfeinungen kenne Ich tescbränke
mich diessmal auf den Rigveda' und Atharvaveda. Von diesen bei¬
den Vedas hörte ich vor bald zwei Jahren ungefilhr vierzehn Tage
lang jeden Tag eine Reihe Hymnen, vorgetragen von zwei Priestern
des Atharvaveda, die ich durch Geldgeschenke Ijewogeij hatte, mir
den Veda zu lesen. Es hält nämlich ungemein schwer, einen
Brahmanen, namentlich einen," der es schulgerecht gelernt hat, und
ein berufsmässiger Hersager des Veda ist, zu bewegen, den Veda
vor einem Fremden zu lesen , und ich zweifle ob , es vor mir je
einem Europäer gelungen ist, einen Bhatt (so heissen die gewerbs¬
mässigen Hersager des Veda) zu veranlassen, vor ihm den Veda
zu lesen. Die Brahmanen halten das für eine ganz entsetzliche
Profanation, und weitaus die meisten würden durch nichts in der
Welt zu bewegen sein, es zu thun.
Der Vortrag klang sehr schön und musikalisch, und wnrde von
den Priestern mit der grössten Präcision ausgeführt. Ich gab mir
viele Mühe es ebenfalls kunstgerecht zu lernen, und ich glanbe,
dass es mir im Ganzen gelungen ist, einzelne Stücke gerade so
vorzutragen wie ich sie hörte.
800 Haug, über die veilischen Accente.
Das Grundgesetz des vedischen Accents ist ein Dreiklang. In
weitaus den meisten Fällen beginnt die Stimme mit eineni starken
Ton, dem Tiefton, Anudätta genannt, erhebt sich im Udätta, der
aber gar niclit merklich betont wird, und erreicht seine volle Höhe
) und Stärke erst im Svarita, oder Hochton. Die wahren Haupt-
accente sind nur der Anudätta und Svarita, die auch stets mit ein¬
ander wechseln können, wie eine Vergleichung des Pada oder Wort¬
vortrags mit dem zusammenhängenden oder Sainhitä - Vortrag zur
\ Genüge zeigt. Der Udätta ist nur eine Art Hilfsaccent, und ich
konnte trotz der schärfsten Beobachtung des Vortrags nie merken,
dass die mit dem Udätta versehene Sylbe eine wirkliche Accent-
sylbe ist. Die Herausgeber des Petersburger Sanskrit-Wörterbuchs, sowie Prof. Aufrecht in seiner in lateinische Schrift umschriebenen
Textausgabe des Rigveda haben einen grossen Fehler gemacht, die
einheimische Schreibung der Accente zu verlassen, und nur den
Udätta zu bezeichnen, der mit Recht in den Handschriften nicht
bezeichnet ist. Will man z. B. den Accent des Wortes deva be¬
zeichnen, so darf man nicht devä schreiben, da der Accent nicht
auf dem a ruht, sondern man muss däva schreiben, wenn man die
Accentsylbe markiren will.
Um alles klar zu machen, will ich einen Vers des Atharva¬
veda, den ich mit vollständiger Präcision hersagen gelernt, in Noten¬
schrift umsetzen. Ich wähle den ersten in der Roth'schen Ausgabe,
der indess der zweite in meinen Handschriften ist.
iii-S-w - WT y ~r »
vächäspa-tir ba-lä te-shäm tan - va ad-ya da-dä -tu me
Ich habe hier deu Anudätta gewöhnlich mit in der untern
Linie bezeichnet. Der Svarita klingt, wie auch die Prätigäkhyas
bemerken, nicht immer gleich; er ist fast immer aus zwei Tönen
zusammengesetzt. Ich bezeichne ihn je nachdem ich ihn ausspre-
^
chen hörte bald mit i in der obern Linie, bald mit —J.J,
o <^ 4
oder mit J__J . Der Udätta unterscheidet sich nur unmerklich
I vom Prachaya oder der völlig accentlosen Sylbe. Ein sehr stark
j betonter Anudätta wird Anudättatara genannt.
Im Anudätta erhebt sich die Stimme mit einem leichten Stosse,
im Svarita senkt sie sich entweder mit einem leichten Stosse, oder
Haug, über die vedischen Accente. 801
dem Haupttone geht ein leichter Vorschlag voraus. Das letztere
ist namentlich der Fall im sogenannten jätya wie in tanvo.
schai-f. Die Stimme verweilt etwas im niedern Tone und erhebt
sich wie mit einem Schlage plötzlich zu einem höhern.
Sehr interessant ist die Brechung der Stimme im sogenannten
Kampa. Es giebt zwei , einen Ekakampa , der mit ^ , nnd einen
Trikampa, der mit ^ bezeichnet wird.
Sie werden folgendermaassen ausgesprochen:
Ekakampa: __J _ J___|__, ; Trikampa:
Hier allein fand ich einen kleinen Unterschied zwischen den
Hersagern des Rigveda und des Atharvaveda. Die erstem sprechen
den Anudätta und Svarita , die im Ekakampa verbunden sind , deutlich
und gleichmässig aus, während die Atharvavedis die Stimme etwas
auf dem Anudätta verweilen lassen, und dann wie mit einem plötz¬
lichen .Schlage den Svarita erreichen. Im Trikampa findet ein ähn¬
licher Unterschied Statt. Die Rigvedis sprechen ganz deutlich alle
drei Accente des Trikampa, nämlich: Anudätta, Svarita und noch
einmal Anudätta aus; aber "im Munde der Atharvavedis klingt dieser
Kampa wie ein Triller, ungefähr so: | J | Diese Aussprache
der vedischen Accente, wie ich sie bier kurz beschrieben, stimmt
ganz mit den in den Prätigäkhyas gegebenen Regeln überein ; ja sie
werden erst recht verständlich, wenn man den Vedenvortrag ein¬
mal gehört.
Ueber das Singen des Sämaveda, das ich zu erlernen versucht
habe, und das vom Hersagen des Rik ganz abweicht, will ich später
einmal etwas veröffentlichen.
Der Yajurveda wird fast mit denselben Accenten gesprochen
wie der Rigveda. Einige Qäkhas wie die Mädhyandinis sprechen
die Accente nicht aus, sondern lesen alles ekaijrutyä oder mono¬
ton, gerade wie auch die Mantras des Rigveda gewöhnlich beim
Opfer hergesagt werden müssen, ausgenommen wenn sic zur Abwehr
von etwas Ueblem ((jänti) dienen. Die Mädhyandinis bezeichnen
die Accente durch Handbewegungen, ähnlich wie die Sämavedis
durch Fingerbewegungen.
Eine ausführliche Abhandlung über die vedischen Accente, und
das VL'rhältniss der wirklichen Aussprache derselben zu den Accent-
lehren der grossen Grammatiker Pänini , Kätyäyana und Pa-
Einige Svaritas wie der abhinihita in nS^Tnl klingen sehr
a-psva-ntah yo 'a - smän
802 Haug, über die vedischen Accente.
tai^ali hoffe ich später einmal zu veröffentlichen. Für jetzt möge
die allgemeine Andeutung der richtigen Aussprache der vedischen
Accente genügen, wie sie von der einzig zuverlässigen Quelle,
lebenden Hersagem des Veda, zu erlernen ist. Dass in der
Aussprache dieser Accente im Verlauf der Zeit die geringste Aen¬
derung eingetreten sein könnte, ist bei der grossen Heiligkeit mit
der die Vedenworte noch betrachtet werden, rein undenkbar. Kein
Brahmane konnte es wagen hier Aenderungen einzuführen. Das
Accentsystem wie ich es hier vorgetragen wird indess leicht ver¬
ständlich, wenn man sich den Wechsel von Tiefton und Hochton,
der sich in jeder Sprache findet, vergegenwärtigt.
Poona den 8ten Juli 1863.
8QS
Nachrichten nber Aiigelegenheiteo der D. M. Gesellschaft.
Als ordentliche Mitglieder sind der Gesellschaft beigetreten : 611. Herr Eduard Ritter von Lackenbacher, k. k. Hofrath, in Wien.
612. „ Lic. E. Riehm, a. o. Prof. der Theol. in Halle.
613. „ Dr. Weiss, Prof. der Geschichte an d. Univers. in Gratz.
614. „ Dr. Julius Euting in Babstadt.
615. „ Dr. Dorainicus Comparetti, Prof. d. griech. Sprache an d. Univ.
in Pisa.
Durch den Tod verlor die Gesellschaft die ordentlichen Mitglieder Herm Geh. Kirchenrath Dr. Knobel, Prof. der Theol. in Giessen (gest. d. 25. Mai 1863), Dr. J. F. Böttcher, Conrector emer. an der Kreurschule in Dres¬
den (gest. d. 21. Juni 1863), und das Ehrenmitglied Dr. Edw. Kobinson in New-York.
Veränderungen des Wohnorts , Beförderungen u. s. w. : Herr Biirlh : Professor an der Univers. in Berlin.
- Broch : Lector der semit. Sprachen an der Univers. in Christiania.
Gotche : ordentl. Professor der orienL Sprachen an der Univers. in Halle.
Volck: ordentl. Prof der orient. Sprachen an der Univers. in Dorpat.
- Wieaeler : ordentl. Prof. der Theol. an der Univers. in Greifswald.
Die Königl. Preussisehe Regierung hat derD. M.G. , in Folge einer Eingabe des Vorstandsmitgliedes Dr. Broekhaus, für das Jahr 1863 die Erhöhung der bis¬
herigen jährlichen Unterstützung von 20') ^ auf 300 ^ gnädigst zu be¬
willigen geruht
Die Kaiserl. Russische Akademie in St. Petersburg hat der D. M. G. zur Förderung ihrer Arbeiten , auf Ansuchen des Redacteurs der Zeitschrift , einen Abgnss der Pehlewi-Münzschrift geschenkt.
Verzeichoiss der bis zum 6. August 1863 fflr die Bibliothek
der D. M. G. eingegangenen Schriften u. s. w.').
(Vgl. 8. 429-433).
l. Fortsetzungen.
Von der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft:
1. Zu Nr. 155. Zeitschrift der D. M. G. Siebeuiehnter Band. I. und H. Heft.
Mit 11 KupferUfeln. Leipzig 1863. 8.
1) Die geehrten Zusender, soweit sie Mitglieder der D. M. G. sind, werden ersucht , die Aufführung ihrer Geschenke in diesem fortlaufenden Verieichnisse zugleich als den von der Bibliothek ausgestellten Empfangsschein zu betrachten.
Die Bibliotheksverwaltung der D. U. 6,
Dr. Arnold. Dr. Anger,