lieber die persische Verwaudtenheirath.
Von H. Uübschmann.
Dass Heirathen unter nahen Blutsverwandten, sogar zwischen
Eltern und Kindern, im alten Persien nicht nur häufig vorgekommen,
sondem auch vom Avesta als verdienstlich empfohlen worden seien,
ist bisher wohl von allen europäischen Gelehrten als feststehende
Thatsache angesehen worden Als Beweis für dieselbe galten
ebensowohl die Zeugnisse der griechischen Schriftsteller wie ver¬
schiedene Stellen der in Pehlevi geschriebenen Parsenbücher und
des Avesta selbst. Dem gegenüber hat nuu der Destur Peshotan
Sanjana in seiner soeben erschienenen Schrift: Next-of-kin
marriages in old Irän (London, Trübner & Co. 1888) die Behaup¬
tung aufgestellt, dass jene griechischen Zeugnisse werthlos seien,
und die Verwandtenheirath weder vom Avesta noch den Pehlevi¬
büchern empfohlen werde, da der betreffende Terminus für dieselbe,
zd. ywaetvadad'a , pbl. y(W?tük-das etc. nicht Verwandtenheirath sondern ,gift of communion' bedeute.
Ob der Verfasser in Bezug auf die Pehlevibücher Recht hat,
wage ich nicht zu entscheiden: seiner Ansicht steht diejenige West's
entgegen, der die schwierigen Stellen der Pehlevibücher über ^we-
tük-das zuerst zusammengestellt und besprochen hat "). Dagegen
scheint mir der Verf Eecht zu haben, wenn er nach dem Vorgange
West's (1. 1. p. 391) annimmt, dass das Avesta selbst zu Gunsten
der Verwandtenheirath nichts aussagt. Denn dass unter zd. x^aetva- dad-a die Verwandtenheirath zu verstehen sei, ist bisher wohl voraus¬
gesetzt, aber keineswegs erwiesen worden nnd — soweit wir das
Avesta bis jetzt versteben — nicht einmal wahrscheinlich. Zum
Beweis dessen sei es gestattet, die Stellen, an denen sich das Wort
im Avesta findet, auch hier noch einmal vorzuführen.
1) Vgl. A. V. Gutschmid, Geschichte Irans p. 11, Anm. „Der Häupt¬
ling Sisimithres hatte soino eigene Mutter zum Weibe: diese Ehe wird im Avesta als Gott besonders wohlgefällig empfohlen".
2) „The meaning of KhvetQk-das or KhvctüdSd" in deu ,Sacred books of the east' Vol. XVIII (1882) p. 389 — 430.
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Hübschmann, Ueber die persische Verwandtenheirath. 3Q9
Die älteste Stelle ist ys. 12, 9 am Schlüsse des zoroastrischen
Glaubensbekenntnisses: ästuye daenam mäzdayasnim frcbspäyao-
^e&ram niSä-snai&isem ^waetvadaß-am asaonim. yä käitinamcä büsyeintinamcä maziUtäiä vahistäüä sraestäcä yä ählliris zara&-
ttStriS = „ich bekenne mich zum mazdayasnischen Glauben, der den
Streit (?) beseitigt und die Waffen ruhen lässt, der ^waetvadaö-a
(adj.) und heilig ist; er, der unter den bestehenden und künftigen
der höchste, beste und herrlichste ist, er, der von Ahura und Zara¬
thuStra eingesetzt ist'. Dass die Verwandtenheirath nur gewaltsam
in diese Stelle hinein interpretirt werden kann, sieht man wie aus
allen früheren Uebersetzungen ■), so auch aus der letzten , von
Geldner, Studien zum Avesta p. 134 gegebenen: „ich gelobe
mich dem mazdayasnischen Glauben, der zwar gewappnet die Waffen
ruhen lässt — und zu der üblichen Heirath in der Sippe — welcher
(Glaube) unter allen bestehenden' etc. Geldner selbst bemerkt
dazu p. 137, dass xwaetvada&am „besser als Adjeetiv gefasst
worden wäre", was einzig richtig ist, aber die Bedeutung Verwandten¬
heirath ausschliesst.
Das Wort findet sich ferner an einer eingeschobeneu
Stelle des Vendidad, nämlich 8, 13, wo auf die Frage: mit welchem
Urin sich die Leichenträger waschen sollen, geantwortet wird : „mit
dem Urin von Kleinvieh oder Zugthieren, nicht dem von Männern
oder Weibem'. Diese Bestimmung ist später durch den ein¬
geschobenen Zusatz beschränkt worden: pereget{?) dvaeibya yö
arihat xwaetvada&asüa ^waetvadad'esca : ausgenommen von zweien,
von einem Manne oder von einer Frau, die ^waetvada&a (adj.)
sind'. Muss das heissen: „die in die Verwandtschaft geheiratbet
haben" (Geldner, KZ. 25, 570)?
Drittens kommt das Wort an drei Stellen (Vsp. 3, 3; Gäh 4, 8
und yt. 24, 17) vor, die nur im Casus von einander verschieden
sind, sonst aber gleich lauten. Hier werden aufgezählt: der Jüng¬
ling, der gut denkt, redet und handelt und rechtgläubig ist — der
Jüngling, der die Texte hersagt — der, welcher ^waetvada&a ist
(vsp. 3, 3 acc. ](waeivadadem , yt. 24, 17 gen. ywaetvada&ahe)
— der, welcher danhäurvaesa ((jeldner: „am Orte bleibend") ist
— der, welcher humaya pairijja&an^)(^i) ist — der Hausherr.
Auch hier würde mau durch die Stelle selbst nicht auf den Ge¬
danken kommen, dass ^waetvadaßa bedeuten müsse : der eine Ver¬
wandte geheiratbet hat.
Das Wort ist also im Avesta ein Adjeotiv, resp. substantivirtes
1) cf. z. B. West, 1. 1. p. 387.
2) Geldner, Stndien zum Avesta p. 67: der Jüngling etc. = Jung¬
geselle — der studirende Schüler = Priesterschüler — dor Verheirathete (eig.
der in die Sippe geheirathet hat) — der am Orte bleibende — der herum¬
ziehende Heilkünstler (??) — der Hausherr.
Adj'ectiv von noch nicht ermittelter Bedeutung Sonach hat man
bisher kein Becht zu behaupten, dass das Avesta die Verwandten¬
heirath empfehle.
Stimme ich nun soweit mit dem Destur überein, so theile ich
dagegen seine Ansicht über den Unwerth der griechischen Zeugnisse
nicht, halte dieselben vielmehr in ihrer Gesammtheit (denn über
einzelne Uesse sich vielleicht streiten) für beweisend und wül ihnen
hier nur noch die Zeugnisse zweier armenischer Autoren zufügen
aus einer Zeit, als die Bekehrung der Armenier von der zoroastri¬
schen Eeligion zum Christenthum eben erst und noch keineswegs
allgemein vollzogen war.
Faustus V. Byzanz in seiner „Geschichte Armeniens' (im
4. Jhd.) berichtet (ed. Venez. p. 75—76), dass der hl. Nerses die
Armenier ermahnt habe, an die Wiederkunft Christi, die Auf¬
erstehung und ewige Vergeltung zu glauben , dass er ferner die
Eheleute ermahnt habe, einander nicht zu belügen noch zu betrügen
und (p. 76, Z. 3) i/mi(u^L. uiLt^li [i ifhpXun-nj^ U
jmq_c|.fi*ij inrf^iTuil^^ij [uuin.'uuilj nuß-tul'u uiiTnuu'unLP-b,,;
^Ifli. li i/ui'uuiLui'li(|. 'fj i/tjiAuii-njiuiIjuili '|i 'unuiiij^ li nji t^uiiT r/|i mjuiT 'ui/ui'li j^uij^ I^q ^"u^^vor allem sich zu
enthalten der ehelichen Vermischung mit Verwandten und Ge¬
schlechtsangehörigen , ganz besonders aber vor derjenigen mit ver¬
wandten (?) Schwiegertöchtern , und was auch sonst dem ähnliches
vorgekommen war'. Die Stelle ist nicht frei von grammatischer
Schwierigkeit, doch kann nur dieses der Sinn im Ganzen sein, den
auch Lauer in seiner Uebersetzung des Faustus p. 58 gewinnt,
während Emin (bei Langlois, Collection I, p. 239) eine Ueber¬
setzung giebt, die zwar in der Hauptsache auf dasselbe hinausläuft,
aber zu frei ist und am Schluss zu unserm Text 2) nicht stimmt :
„surtout de ne pas contracter de mariage avec de proches parents,
d'öviter l'inceste , de ne pas avoir de rapports illicites avec les
filles d'une beaute remarquable, comme cela 6tait arrive une fois'.
Aus Faustus bat in später Zeit der Verfasser der „Ge¬
schichte des hl. Nerses des Parthers" (ed. Venez. 1853) geschöpft,
in welcher unsere Stelle folgendermassen wiedergegeben wird :
Ii i|uiu'li q^fi [hll^u^llj^u li tfhjiXuii-n^u ui^tui*li
uii/riLu'liui'lmijfi'u juirjuic^u utu^'^ui[yui'ii uiqiiimnL/3-tiii'u Ii
1) Nach dem Avesta würde ich vermuthen, dass das Wort eine ähnliche Bedeutung habe wie asavan.
2) Patkanean's Ausgabe des Faustus, St. Petersburg 1883, p. 64
weicht von dem venezianischen Text nioht ab.
Hübschmann, Ueber die persische Verwandtenheirath. 311
-^uijpt'utuit^ , \tul\ Jhh-\i *J^tpuI;-u bj^mj^iX t\uijU
■^uijn^ Ii ■^^jiuiiTuijbuiij I/It'll^ ■*>^'l"^ uiiLt^'lJ uitTnuu'uiii'üuij^ (Die Armenier waren noch heidnischen Gebräuchen
ergeben: so geleiteten sie die Gestorbenen, indem sie sich das
Gesicht zerkratzten und mit Blut besudelten, da sie auf kein Leben
nach dem Tode hofften). „Ferner auch da sie mit Angehörigen
und B.lutsverwandten sich verbeiratbeten wegen des angestammten
Adels ' und Erbes '0; aber der grosse Nerses schaffte diese (Sitte)
unter den Armeniern ab. Und er befahl, dass man bis zum
fünften 3) Gliede (aeg = Geschlecht) nicht heirathen solle'.
Diese beiden Stellen beziehen sich zwar nicht auf die Perser
sondem auf die Armenier, aber auf diejenigen, welche heidnischer,
d. h. in diesem Falle persischer oder zoroastriscber Sitte treu ge-i
bheben waren. Die Unsitte der Verwandtenheirath war eben mit
persischer Eeligion imd Sitte nach Armenien gekommen und wurde
dort, wie unsere zweite Stelle andeutet, besonders vom Adel geübt,
der zäher als das Volk am Perserthum hing. Doch muss zugegeben
werden, dass auch hier nicht die Rede von der Heirath unter den
allernächsten Verwandten ist. Wohl aber ist dies der Fall an den
zwei Stellen, wo sich Eznik in seiner „Widerlegung der Ketzer'
über die persische Sittenlosigkeit ausspricht. Um diese zu ver¬
stehen, muss eine andere Stelle vorausgeschickt werden.
p. 138 der Venez. Ausgabe (1826) heisst es:
„Als (Ahriman) sah — so sagen (die Magier) —, dass Ormizd
schöne Geschöpfe geschaffen hatte, (das) Licht aber nicht zu schaffen
verstand, hielt er einen Eatb mit den Devs und sprach: was nützt
es dem Ormizd, dass er so schöne Geschöpfe geschaffen hat, und
sie nun im Finstem sind, da er (das) Licht nicht zu schaffen ge¬
wusst hat. Wenn er klug wäre, würde er sich mit der Mutter
vermischen und die Sonne würde (sein) Sohn werden, und er würde
die Scbwester begatten und der Mond würde entstehen. Und er
befahl, dass Nieraand den Rath offenbare. Als aber der Dev Mahmi
dies gehört hatte, begab er sich eiligst zu Ormizd und offenbarte
ihm den. Rath'. Darauf bezieht sich p. 141:
„Die eine (Darstellung — nämlich die eben hier mitgetheilte)
giebt ein gewisser Zradast (d. i. Zoroaster) als Zugeständniss an
die Unzucht — dass nämhch durch Incest mit Mutter und Schwester
Sonne und Mond geschaffen seien — damit das Volk im Hinblick
1) Var. jk^ßhi .
2) Emin's üebersetznng bei Langlois. Collection II, p. 28: „par
suite de leur impi^te et en vue de propager leur propre race" entspricht dem Texte nicht.
3) Var. „siebenten".
2 1 «
darauf derselben Ausschweifung zügellos sich hingeben könne". Und ebenso p. 122—123:
»Und femer giebt er (der Stifter der pers. Religion) an, dass
durch Incest mit Mutter und Schwester die Gestirne geschaffen
worden seien. Und dies (thut er) nicht aus irgend einem andem
Gmnde, sondem allein der Sinnlichkeit und Wollust zu Liebe.
Denn mit Rücksicht darauf, dass die Perser (azgn ariakan) den
Weibem ergeben waren, ersann er für sie eben dieseu ihren weich¬
lichen Sitten entsprechende Gesetze, damit, wenn sie von ihren
Göttem hörten , dass dieselben auf schmähliche Vermischungen be¬
dacht gewesen wären, auch sie, deren Beispiel folgend, dieselben
Ausschweifungen zügellos begehen könnten".
Diesen Worten des Eznik ist wenig zuzufügen: sie setzen
bei den Persem als Anhängern der zoroastrischen Religion den
Incest als eine bekannte und feststehende Thatsache voraus, die er
nur erwähnt, weil sie ihm zur Erklärung einiger Züge der persischen
Mythologie dient. Nur eins ist hierzu noch zu bemerken. So sehr
die dem Eznik bekannte Porm der persischen Religion von der
des Avesta verschieden ist, so verschieden wird mittelpersiscbe Sitte
von der vom Avesta gelehrten gewesen sein, so dass alle Zeugnisse
über persische Unsitte das Avesta nicht berühren, so lange dieselbe nicht in diesem selbst nachgewiesen wird.
Zum Schluss will ich hier noch eine etwas dunkle SteUe des
EliSe (ed. Venez. 1859) anführen, die auf den Incest Bezug hat
und sich mit Eznik p. 138 berührt. Es heisst dort p. 25: ,und
lächerlicher als dieses ist noch ein anderer (Glaube der Perser):
Gott Mihr (Mithra, der Sonnengott) sei von einem Weibe geboren,
wenn Jemand mit seiner Mutter (Ä*iinq_ Gebärerin) sich vermische".
Hiermit vergleiche man das, was p. 27 über Mithra in ähnlichem
Sinne bemerkt wird: „wie auch ein tüchtiger vou euem (den per¬
sischen) Weisen gesagt hat: der Gott Mihr ist muttergeboren von
(durch) Menschen und ein König von göttlichem Geschlecht und
ein tüchtiger Beistand der sieben Götter".
Wie immer auch diese Stelleu zu verstehen sind: jedenfalls
unterstützen die Zeugnisse des Paustus und Eznik die der
griechischen Schriftsteller (die ZDMG. 20, p. 112 zusammengestellt
sind) gegen die modernen Parsen, die aber doch darin vielleicht
Becht behalten werden, dass ihre hl. Schrift mit der persischen
Unsitte nichts zu thun hatte.
313
Aus der Imprimerie Catholique in Beirüt von Anton
Salhani S. J.
Von K. Tollers.
Vorbemerkung. Als der Herr Pater Louis Cheikho S. J.
vor einigen Wochen die vicekönigliche Bibliothek besuchte, um für
die von der Imprimerie Catbolique geplanten Drucke Abschriften
zu besorgen, forderte ich ihn auf, über die wenig oder gar nicht
bekannten Hss. der Bibliothek der Gesellschaft öffentliche Mit¬
theilungen zu machen. Er hatte die Güte, wegen seiner längeren
Abwesenheit von Beirüt den Herm Pater Ant. Salhani S. J. zu
bitten, mir eine Beschreibung zweier (wie es scheint) Unica zu
schicken, die ich mit der Ermächtigung der genannten Herren
hiermit den Preunden arabischer Litteratur vorlege.
Dr. Völlers.
. . . Le manuscrit d'El-Erbily est sur papier form, petit in 4to
de 516 pages. Chaque page contient 14 lignes avec une marge
large de 0,05 c sans encadrement. L'ecriture sans etre belle est
bien lisible. Les titres sont ä Teuere rouge. Les alineas se distin¬
guent par un trait rouge trac6 audessus du ler mot ou encore le
mot lui-m6me est trace ä Teuere rouge. Les membres de phrases
sont s6par6s par trois points superposes verticalement , les deux
points extremes sont rouges, celui du müieu est noir. Le ms. n'a
pas de pagination; au bas de chaque page ä droite on lit le
premier mot de la page suivante. A la marge se trouvent quel¬
ques notes träs courtes et trfes rares, c'est l'expression de l'im¬
pression produite sur le copiste plutot que des notes.
Le ms. contient l'histoire des Ommiades et des Abbassides.
Aprfes la formule (*a>J! ^ytsf-^] iJÜ! ^.m^ vient le titre de
l'ouvrage, il est ä Teuere rouge uS^^*.^! ^_.*JllXJ! iCo^Ü» ^liS
,yJi«Jt aäJI (euere noire) «5y.Jtj tLJj^t gj,Lj ^^
(euere rouge) ♦ -sO; Jl-^ j-^'j-Ü j-aJ-^I y_ÄAil«i>J! ^Ju.