ASYLANTEN
Zu dem Leserbrief „Solidarität mit Grenzen" von Christiane Orgis in Heft 49/1989:
Zu Lasten der Allgemeinheit
Frau Richterin am Sozial- gericht Christiane Orges be- klagt sich über die angeblich schlechte medizinische Be- handlung von Asylanten be- ziehungsweise Asylbewer- bern.
Die Bezahlung der für Asylanten und Asylbewerber erbrachten Leistungen geht zu Lasten der Allgemeinheit, der ungefragt immense Ko- sten für den Unterhalt und die Verpflegung von Asylbe- werbern aus aller Welt aufge- bürdet werden.
Wenn man bedenkt, daß nicht einmal fünf Prozent al- ler Asylbewerber auch als Asylanten anerkannt werden, der Rest aber gleichwohl nicht abgeschoben wird, so liegt es doch wohl an der Poli- tik und nicht zuletzt auch an den Gerichten, daß durch die überwältigend hohe Zahl von Scheinasylanten die Bedürf- nisse der wirklich Asylberech- tigten nicht in ausreichendem Maße gewürdigt werden kön- nen . . .
Dr. med. Oswald Scheibe, Friedrich-Engels-Allee 282, 5600 Wuppertal
Zu dem „seite eins"-Beitrag
„Asylanten-Behandlung: Sturm im Wasserglas" in Heft 42/1989:
Informationen verdrängt
Ihr Kommentar zeigt, daß Sie sich entweder nicht aus- reichend informiert oder aber zur Absicherung Ihrer Vorur- teile gegen Asylbewerber In- formationen „verdrängt" ha- ben. Der Vermerk über die
„unbedingt notwendigen Be- handlungkosten" geht näm- lich weiter: „wenn die Be- handlung zur Behebung eines akuten Krankheitszustandes oder zur Abwehr von Gefah- ren für die Allgemeinheit not- wendig und unaufschiebbar ist".
Als Betreuerin von Flücht- lingen und Asylbewerbern er- lebe ich tagtäglich, wie be- handelnde Arzte durch die- sen Satz verunsichert werden;
> Ist eine nach unserem medizinischen Standard be- handlungsbedürfige Struma als „akutes" Krankheitsbild einzustufen?
I> Darf ich „rheumati- sche" Beschwerden oder ein rezidivierendes Wirbelsäu- lensyndrom behandeln?
1> Wird die Behandlung einer Malaria auch außerhalb der akuten Fieberschübe be- zahlt?
I> Darf ich ein Kind nach einer urologischen Operation noch längere Zeit zu Kon- trolluntersuchungen einbe- stellen?
I> Wie weit darf ich diffe- rentialdiagnostische Untersu- chungen durchführen?
Jede medizinische Fach- richtung könnte sicher viele Beispiele nennen, deren Be- urteilung einen großen Er- messensspielraum läßt. Für den Asylbewerber/die Asyl- bewerberin ist es erniedri- gend, einem nicht-medizi- nisch vorgebildeten Sachbe- arbeiter im Sozialamt seine/
ihre Beschwerden schildern zu müssen; der Sachbearbei- ter entscheidet dann, ob das Krankheitsbild „akut" ist; bei Unsicherheit wird das Ge- sundheitsamt eingeschaltet, es können drei bis vier Wo- chen vergehen, bis der Ver- waltungsakt abgeschlossen ist und die Behandlung begin- nen kann. Glücklich der Asyl- bewerber/die Asylbewerbe- rin, der/die auf die Hilfe sach- kundiger deutscher Freunde zurückgreifen kann; für sie läßt sich das demütigende und zeitraubende Verfahren manchmal beschleunigen.
Aber wie viele sind dem hilfs- los ausgeliefert?
Jetzt zu dem ewig wieder- kehrenden, aber nichtsdesto- weniger unsinnigen Argu- ment der „Gebißsanierung auf Kosten der Solidarge- meinschaft". Jeder weiß, wie streng schon bei Normalversi- cherten die Zahnbehandlung auf Kosten der Krankenkas- sen gehandhabt wird; werden
wie bei Asylbewerbern noch zusätzliche Einschränkungen eingebaut, so ist das mit der ärztlichen Ethik nicht mehr vereinbar -. das Gesetz ver- langt, daß man einen kariösen Zahn so lange faulen läßt, bis er schmerzt — erst dann darf behandelt werden.
Wer behauptet, die mei- sten Asyslbewerber müßten
„kurzfristig" in ihre Heimat zurückgehen, der ist entwe- der falsch informiert oder trägt bewußt tendenziöse Äu- ßerungen der Medien und Politiker weiter. Viele Asyl- bewerber können auch nach ihrer Ablehnung nicht in ih- re Heimat zurückgeschoben werden, weil die Bundesrepu- blik internationale Abkom- men unterzeichnet hat, die dies nicht zulassen (zum Bei-
GANZHEIT
Zu dem Beitrag „Systemwissen- schaft in der Medizin — Wege zum ganzheitlichen Verständnis von Krankheit und Gesundheit" von Dr. phil. Dr. rer. pol. Felix Tretter in Heft 43/1989:
Sachlich gehalten
Ich habe mich gefreut, daß Sie in Ihrer Zeitschrift nun auch der system-orientierten Medizin die Möglichkeit ge- ben, sich zu artikulieren. Der Artikel von Herrn Tretter ist sachlich gehalten. Wer einen Einstieg und einen Überblick über die Quellen und Facet- ten der sich in allen Berei- chen der Medizin ausdeh- nenden Systemwissenschaft sucht, wird hier fündig wer- den und mit der Begriffsbil- dung vertraut gemacht.
Ich möchte hierzu noch folgendes anmerken:
Aschby hat ein Verhalten- produzierendes System als ei- ne Maschine definiert. H. von Förster unterscheidet zwi- schen trivialen und nichttri- vialen Maschinen. Eine trivia- le Maschine ist im Verhalten vorhersehbar, von der Ge- schichte unabhängig, synthe- tisch deterministisch und ana- lytisch determinierbar. Dies gilt vor allem für technische und nichtbiologische Syste-
spiel Genfer Flüchtlingskon- vention). Außerdem dauern Asylverfahren bis zu zehn Jahren, wahrlich kein vor- übergehender Aufenthalt (bei uns hat jeder Kranken- versicherte für seinen dreiwö- chigen Urlaub einen Über- weisungsschein „Arzt am Ur- laubsort" im Gepäck).
Ich warte auf den Zeit- punkt, an dem Asylbewerber nur mit einem Judenst . . . — oh, Verzeihung, ich meine mit irgendeinem Kennzei- chen versehen auf die Straße gehen dürfen. In Lagern kon- zentriert, in ihrer Bewegungs- freiheit eingeschränkt und je- der sinnvollen Tätigkeit be- raubt sind sie ja schon.
Lisa Blumentrath-Esch- weiler, Ernst-Reuter-Straße 26, 6508 Alzey
me. Ein biologisches System, auch der Mensch, läßt sich als eine nichttriviale Maschine beschreiben, die von der Ver- gangenheit abhängig, analy- tisch unbestimmbar, analy- tisch nicht vorhersagbar und synthetisch deterministisch ist.
Wenn ein Arzt einen Pa- tienten körperlich untersucht, anschließend eine Röntgen- aufnahme anfertigen läßt, dann führt er gewissermaßen das durch, was Bateson, einer der Protagonisten der Sy- stemtheorie in der Biologie, sinngemäß als eine Dop- pelbeschreibung bezeichnet.
Durch eine solche mehr- schichtige Betrachtungsweise wird der untersuchte Mensch immer „durchsichtiger". Für Ärzte ist das nicht neu. Wäh- rend die Behandlung eines Patienten schon immer Pro- zeß-orientiert ist, ist die Dia- gnose eher statisch und zeit- unabhängig. Man denke zum Beispiel an den Diabetes mel- litus oder die Herzinsuffi- zienz und deren Behandlung.
Ich hoffe, daß Sie in Zu- kunft auch den „System- orientierten" Ärzten und/
oder Wissenschaftlern Raum zu Ihrer Darstellung geben.
Michael Krahl, Feldberg- klinik Dr. Asdonk, Todtmoo- ser Straße 48, 7822 St. Blasien A-3918 (10) Dt. Ärztebl. 86, Heft 51/52, 25. Dezember 1989