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ndlich mal wieder was auf der Ha- ben-Seite verbuchen. Danach sehnt man sich derzeit in der rot-grünen Regierungskoalition in Berlin wie selten zuvor. Einer der wenigen Hoffnungs- schimmer dabei ist das Präventionsge- setz. Eigentlich galt dieses schon als verabschiedet, als der Bundesrat Mitte März routinemäßig über den Entwurf beriet. So trocken wie erhofft waren die Tücher wohl doch nicht. Obwohl die Unionsländer in einer Bund-Länder-Ar- beitsgruppe die Eckpunkte zum Gesetz- entwurf mit ausgehandelt hatten, legten sie überraschend ihr Veto ein: Die mit dem Gesetz geplante Bundesstiftung Prävention sei ein Bürokratiemonster und koste zu viel Geld. Nachdem das Gesetz nun unverändert Ende April in zweiter und dritter Lesung den Bundes- tag passierte, wird es voraussichtlich an den Vermittlungsausschuss überwiesen.Was dort von dem bisherigen Kompro- miss übrig bleiben wird, ist offen.
Einig sind sich die Parteien jedoch, die Prävention als vierte Säule im Ge- sundheitswesen verankern zu wollen.
Insgesamt 250 Millionen Euro sollen die Sozialversicherungsträger dafür jährlich aufbringen. Davon tragen die Kranken- kassen 180 Millionen Euro, den Rest müssen die gesetzliche Renten-, Unfall- und Pflegeversicherung dem gemeinsa- men Präventionstopf beisteuern.
Sollbruchstelle Bundesstiftung
Ziel ist es, die Primärprävention auszu- bauen. 100 Millionen Euro aus der Präventionskasse sollen die Sozialversi- cherungsträger in individuelle Maßnah- men wie Ernährungs- oder Bewegungs- kurse und in die betriebliche Gesund- heitsförderung investieren können.
Weitere 100 Millionen Euro werden für die so genannten Setting-Ansätze zur
Verfügung gestellt. Mit diesen sollen die Präventionsmaßnahmen direkt in den Lebensumwelten vor allem sozial Schwa- cher umgesetzt werden.
Kernstück des Gesetzes ist jedoch die geplante Bundesstiftung Prävention.
Jährlich mit 50 Millionen Euro ausge- stattet, soll sie Präventionsziele formu- lieren und die Kooperation der Sozial- versicherungsträger organisieren. Doch genau an diesem Punkt sperrt sich jetzt die Union: „Die Errichtung der Stiftung steht im Gegensatz zu den Forderungen der Länder, einfache und transparente Organisationsstrukturen zu schaffen und den bürokratischen Aufwand zu verringern“, heißt es in einer Stellung- nahme des Bundesrates, in dem CDU/
CSU über die Mehrheit verfügt.
Zwar wird die Kritik der Union auch von den Kostenträgern und Leistungs- erbringern geteilt. Dennoch meinen Be- obachter, dass es den Unionspolitikern nicht ausschließlich um die Stiftung und die Bürokratievermeidung geht. So glaubt man in Kreisen der SPD-Bun- destagsfraktion, dass die Union „Ver- handlungsmasse“ gewinnen möchte, um über das bisher Erreichte hinaus noch das ein oder andere „Sahnehäubchen“
im Vermittlungsverfahren rausschlagen zu können. Dadurch würden die Uni- onsbundesländer jedoch ihre Verläss- lichkeit als Verhandlungspartner aufs Spiel setzen, wird aus der SPD-Fraktion gewarnt.
Helga Kühn-Mengel (SPD) hinge- gen vermutet wahltaktische Aspekte hinter der Unionshaltung: „Das hat mehr mit anstehenden Wahlen und Blockaden zu tun als mit einer Ände- rung der sachlichen Gegebenheiten“, sagte die Patientenbeauftragte der Bun- desregierung in einer Bundestagsdebat- te zum Präventionsgesetz. Mit dieser Auffassung steht sie in ihrer Fraktion nicht allein. Vor allem aus Hessen kom-
me die Vorgabe, Rot-Grün bis zur NRW-Landtagswahl am 22. Mai dieses Jahres oder gar bis zur Bundestagswahl 2006 jedweden Erfolg zu vermasseln, heißt es hinter den Kulissen.
Ähnlich kritisch wie die Union sieht jedoch auch Prof. Dr. med. Fritz Beske die Stiftung. In Berlin hatte der Gesund- heitsforscher Mitte April ein eigenes Konzept zur Prävention vorgestellt. Auf der Bundesebene gebe es bereits Ein- richtungen – wie etwa die Bundeszen- trale für gesundheitliche Aufklärung oder die Bundesvereinigung für Ge- sundheit e.V. –, die anstelle einer Stif- tung fungieren könnten.Auch deswegen ist Beske grundsätzlich gegen das Ge- setz. Stattdessen müsse einfach Geld für Prävention bereitgestellt werden. Es ge- be zahlreiche Verbände, die seit Jahr- zehnten in der Prävention tätig seien und genug Erfahrungen und Erfolge aufwiesen. „Diese Verbände können ih- re Aktivitäten ausweiten, wenn hierfür mehr Finanzmittel zur Verfügung ste- hen. Die Stärkung des Vorhandenen er- scheint aussichtsreicher, als neue Insti- tutionen zu schaffen.“ Finanzieren ließe sich dieses über zweckgebundene Steu- ern, etwa auf Tabak und Alkohol.
Immer neue Kritiker
Auch die Krankenkassen machen noch einmal gegen das Gesetz mobil. Die Präventionsaktivitäten der Kranken- kassen hätten sich immens gesteigert, wie deren Spitzenverbände vorrechne- ten. 2003 haben sie mehr als 600 Setting- Programme und etwa 2 100 Projekte der betrieblichen Gesundheitsförde- rung finanziert. Nun bestünde die Ge- fahr, dass diese guten Ansätze „einem unklaren Präventionsgesetz geopfert“
werden könnten, so Rolf Stuppardt, Vorsitzender des IKK-Bundesverban- des. Insbesondere in der Anlaufphase gebe es nicht ausreichend Projekte, in denen die 100 Millionen Euro auf Lan- desebene sinnvoll investiert werden könnten. „Im Präventionsgesetz geht es bedauerlicherweise nicht darum, Finan- zen nach Bedarf zu verteilen, sondern darum, Gelder aus den Händen der Sozialversicherung zu lösen, um so neue so genannte Verschiebebahnhöfe einzurichten.“ Timo Blöß P O L I T I K
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A1176 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1729. April 2005