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(58) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 42, 22. Oktober 1999 arodontitis marginalis ist ne-
ben der Karies die häufigste Erkrankung der Mundhöhle.
Parodontitis marginalis ist eine chro- nische entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparates, die durch Blu- tungsneigung des Zahnfleisches, Aus- bildung von Zahnfleischtaschen, Ab- bau von Alveolarknochen und letzt- lich Zahnverlust gekennzeichnet ist.
Nach dem 40. Lebensjahr werden die meisten Zähne wegen Parodontaler- krankungen extrahiert. Parodontitis entsteht auf der Basis einer opportu- nistischen Infektion mit oralen Mi- kroorganismen, die auf der Zahn- oberfläche akkumulieren (dentale Plaque) und dadurch der Wirtsab- wehr weitgehend entzogen sind. Die derzeit als periopathogen diskutier- ten Keime (Porphyromonas gingiva- lis, Actinobacillus actinomycetemco- mitans, Prevotella intermedia und Fusobakterien) sind anaerob und gram-negativ. Es wird heute nicht mehr daran gezweifelt, daß die Lipo- polysaccharide (LPS) dieser Keime wesentlich zu deren Pathogenität bei- tragen (26). Im parodontalen Gewe- be lösen LPS Entzündungsreaktio- nen aus, die mit Bildung pro-inflam- matorischer Zytokine (TNF-a, IL-1a und b) und Prostaglandine (PGE2) sowie der Freisetzung von verschie- denen Enzymen (Metalloproteasen, Kollagenasen, Elastasen) einherge- hen. Die Entzündungsmediatoren und Enzyme bewirken direkt oder über eine Aktivierung von Osteokla-
sten die Zerstörung der parodontalen Strukturen (13).
Als Risikofaktoren der Parodon- titis marginalis sind neben einer man- gelhaften Mundhygiene vor allem Rauchen, Diabetes mellitus, Alter, HIV sowie möglicherweise Streß und bestimmte genetische Polymorphis- men zu nennen (30). Zirka 40 Prozent der Bevölkerung über 20 Jahre weisen eine starke Gingivitis (oberflächliche Zahnfleischentzündung ohne Kno- chenverlust), 30 Prozent eine mäßige Parodontitis mit zirka ein Drittel Ver- lust an Alveolarknochen und 10 bis 15 Prozent eine starke Parodontitis mit mehr als ein Drittel Abbau der Zahnalveole auf (10).
Epidemiologische Übersicht
Erste Daten, die einen möglichen Zusammenhang zwischen Parodontal- erkrankungen und kardiovaskulären Erkrankungen aufzeigten, wurden 1989 von einer finnischen Arbeits- gruppe vorgelegt. Es wurde beobach-
tet, daß der orale Gesundheitszustand bei Patienten mit akutem Myokardin- farkt oder Schlaganfall signifikant schlechter war als in entsprechenden Kontrollgruppen, und daß die bekann- ten Risikofaktoren wie Hyperlipämie, Diabetes mellitus, Hypertonie, Über- gewicht und Alter kein höheres Risi- ko darstellten als der orale Gesund- heitszustand (21, 22, 31) (Tabelle). Auf- grund dieser Berichte wurden ver- schiedene, bereits durchgeführte epi- demiologische Studien zum Gesund- heitszustand der Bevölkerung in den USA erneut ausgewertet. 1993 wurde eine Studie veröffentlicht, in der Da- ten von 9 760 Personen (Alter zu Stu- dienbeginn: 25 bis 75 Jahre) nach ei- nem Beobachtungszeitraum bis zu 14 Jahren ausgewertet und dabei 13 be- kannte Risikofaktoren als Kovariable einbezogen wurden. Personen, bei de- nen zu Studienbeginn eine Parodonti- tis marginalis diagnostiziert wurde, hatten im Vergleich zu parodontal ge- sunden Personen ein 25 Prozent höhe- res Risiko, an koronarer Herzkrank- heit zu erkranken (Ergebnisvariable:
stationäre Behandlung oder Tod in- folge von koronarer Herzkrankheit).
Ein noch engerer Zusammenhang zwischen Parodontopathien und ko- ronarer Herzkrankheit bestand bei Männern, die bei Studieneintritt jün- ger als 50 Jahre alt waren, sie hatten ein 1,72fach höheres Risiko (odds ratio) für eine koronare Herzkrank- heit. Im Gegensatz zur Parodontitis marginalis waren Karies und Gingivi- KURZBERICHT
Parodontitis marginalis und
kardiovaskuläre Erkrankungen
Thomas Kocher
1Bernd Griewing
2Wolfgang Lösche
3Fallkontrollstudien und epidemiologische Untersuchungen haben gezeigt, daß zwischen chronischen parodontalen In- fektionen und kardio- und zerebrovaskulären Erkrankun- gen ein Zusammenhang besteht. Auch wenn der Einfluß von Kovariablen wie Alter, Geschlecht, Raucher, hoher Blutdruck, Blutfettwerte und soziale Stellung in multivaria-
ten Statistiken berücksichtigt wurde, blieb in diesen Studien ein nicht zu
vernachlässigendes Risiko durch dentale Entzündungen für die Atherosklerose bestehen.
Schlüsselwörter: Parodontitis marginalis, kardiovaskuläre Erkrankung, Epidemiologie
ZUSAMMENFASSUNG
Periodontal Infections and Cardiovascular Diseases Case control and epidemiologic studies have shown that chronic periodontal infections are an independent risk fac- tor for cardiovascular and cerebrovascular disease. Multivar- iate analysis shows that even after adjustment for known
covariables such as age, sex, smoking, blood pressure and social class these associations re- main statistically significant.
Key words: Periodontal disease, cardiovascular disease, epidemiology
SUMMARY
P
1 Abteilung Parodontologie (Direktor: Prof.
Dr. med. dent. Georg Meyer), Ernst-Moritz- Arndt-Universität, Greifswald
2Klinik und Poliklinik für Neurologie (Direk- tor: Prof. Dr. med. Christof Kessler), Ernst-Mo- ritz-Arndt-Universität, Greifswald
3Zentrum für Vaskuläre Biologie und Medi- zin, Erfurt (Leiter: Prof. Dr. med. Uwe Till), Kli- nikum der Friedrich-Schiller-Universität, Jena
tis nicht mit einem erhöhten Risiko für koronare Herzkrankheiten ver- bunden (4).
In einer ähnlichen Studie mit ei- nem durchschnittlichen Beobach- tungszeitraum von 18 Jahren wurden Daten von 1 147 Personen analysiert.
Dabei zeigte sich, daß durch eine stark ausgeprägte Parodontopathie das für die bekannten Risikofaktoren adjustierte Risiko für eine koronare Herzkrankheit um den Faktor 1,5 an- stieg. Für eine Herzkrankheit mit töd- lichem Ausgang stieg das Risiko auf 1,9 und für einen Schlaganfall auf 2,8.
Für diese Zielvariablen wurden odds ratios für Probanden mit einem Kno- chenabbau von größer als 20 Prozent mit multipler logischer Regression er- rechnet, in die als Kovariablen Alter, Gewicht, Rauchen, Blutdruck, Chole- sterol, familiäre Veranlagung und Al- koholkonsum eingeschlossen wurden.
Bei Betrachtung des tödlichen Herz- infarkts betrug die odds ratio 1,9 für den parodontalen Knochenverlust und 1,7 für das Rauchen. Beim Apoplex betrug die odds ratio 2,8 für die Paro- dontitis, die nur von der Familien- anamnese mit 3,5 übertroffen wurde (Grafik 1).
Weitere Studien belegen den Zu- sammenhang zwischen einem schlech- ten oralen Gesundheitszustand und koronaren oder zerebralen Gefäßver- änderungen (6, 11, 19). In einer Pilot-
studie an 38 Patienten mit kardiovasku- lären Erkrankungen und Hyperchole- sterinämie wurden wesentlich ausge- prägtere parodontale Destruktionen beobachtet, als es repräsentative Da-
ten zum oralen Gesundheits- zustand der Bevölkerung er- warten lassen. Bei diesen Pa- tienten wurden außerdem sig- nifikante, positive Korrelatio- nen zwischen dem Ausmaß der parodontalen Destruktio- nen und dem Cholesterin- spiegel sowie dem Ausmaß der atherosklerotischen Ge- fäßveränderungen (systoli- scher Blutdruck, Anzahl der stenosierten Koronararteri- en) gefunden (27).
Mögliche
Pathomechanismen
Die kausalen Zusam- menhänge zwischen Paro- dontalerkrankungen und kar- diovaskulären Erkrankungen sind noch nicht eindeutig ge- klärt. Zur Zeit werden fol- gende Möglichkeiten disku- tiert:
c Mit größter Wahr- scheinlichkeit werden ge- meinsame Risikofaktoren eine Rolle spielen. Hier kann man vor allem ein mangelhaf- tes Gesundheitsbewußtsein (Rau- chen, Ernährung, Körperpflege), Hyperlipämie und Diabetes mellitus aufführen. Die Bedeutung eines Dia-
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Tabelle
Publizierte epidemiologische Studien: Assoziation zwischen parodontaler Erkrankung, Zahnverlust und kardiovaskulären Erkrankungen bezie- hungsweise Schlaganfall
Studie Design Assoziation Risiko Anzahl
Matilla et al., 1989 (21) Fall-Kontroll Dentalindex*1und Herzinfarkt OR = 1,3 100/102 Matilla et al., 1993 (22) Fall-Kontroll Dentalindex und schwere koronare Atherosklerose OR = 1,4 100/102 Matilla et al., 1995 (23) Follow up Dentalindex und Inzidenz KHK-Erkrankungen RR = 1,2 214 Grau et al., 1997 (6) Fall-Kontroll Dentalindex und Schlaganfall RR = 2,6 166/166 DeStefano et al., 1993 (4) Kohorte parodontale Destruktion*2und Hospital- RR = 1,2 10 000
einweisung und Tod wegen KHK
Betrachtung nur Männer < 50 Jahre RR = 1,7
Beck et al., 1996 (1) Kohorte parodontale Destruktion*2und neue KHK, OR = 1,5 1 147 Männer
tödliche KHK, Schlaganfall 1,6 2,8
Genco et al., 1998 (5) Kohorte parodontale Destruktion*2und Inzidenz KHK RR = 2,7 1 372 native Americans Joshipura et al., 1996 (11) Kohorte Zahnverlust und Inzidenz KHK RR = 1,7 44 119 Männer
*1Dentalindex = Auswertung von Orthopantomogrammen und Bildung eines Summenindex aus fehlenden und kariösen Zähnen, periapikalen Aufhellungen und parodontalen Veränderungen
*2 Parodontale Destruktion = röntgenologische Auswertung von Orthopantomogrammen und Sondierungstiefe OR = odds ratio; RR = relatives Risiko
50 40 30 20 10
0 keine 0 – 20 % 21 – 40 % > 40 % Initialer, parodontaler Knochenabbau 74
n = 812 199 33
%
Inzidenz von zerebro- kardiovasullären Erkrankungen
Herzinfarkt, Angina pectoris Tödlicher Herzinfarkt Schlaganfall
(Beck et al. 1996)
Beck et al. (1996) werteten eine Kohortenstudie mit 1 147 Män- nern neu aus, die bei Untersuchungsbeginn keine systemische Er- krankung aufwiesen. Als Zielereignis dienten nicht tödlicher Myo- kardinfarkt beziehungsweise Angina pectoris, tödlicher Infarkt und Schlaganfall. Die Grafik zeigt die aufsummierte Inzidenz der koronaren Herzerkrankungen in Abhängigkeit des parodontalen Knochenabbaus. Es ist ein biologischer Gradient zwischen der Inzi- denz der KHK-Erkrankung und der Schwere der Parodontaler- krankung erkennbar.
Inzidenz von zerebro-kardiovaskulären Erkrankungen Grafik 1
betes mellitus für Parodontalerkran- kungen wird vor allem in einer über- schießenden Bildung von pro-in- flammatorischen Prostaglandinen und Zytokinen (zum Beispiel PGE2, IL-1b, TNFa) in Monozyten und Makrophagen gesehen, was maßgeb- lich die Destruktion parodontaler Strukturen fördert (29). Hyperakti- vität von Thrombozyten und Leuko- zyten mit überschießender Bildung von Sauerstoffradikalen als mögli- che Folge einer Hyperlipämie wurde sowohl bei Patienten mit Athero- sklerose als auch bei parodontal er- krankten Patienten beobachtet (2, 8, 14) (Grafik 2).
c Es könnte auch die Möglichkeit bestehen, daß eine Parodontitis mar- ginalis zur Initiation und Progression von atherosklerotischen Gefäßverän- derungen und nachfolgenden throm- bo-embolischen Komplikationen bei- tragen kann. Chronische bakterielle Infektionen werden seit einigen Jah- ren verstärkt als ein zusätzlicher Risi- kofaktor für kardiovaskuläre Erkran- kungen diskutiert, als potentielle
„atherogene Keime“ werden vor allem Chlamydia pneumoniae und Helico- bacter pylori genannt (24, 25). Mögli- che systemische Auswirkungen von Parodontalerkrankungen ergeben sich allein schon aus der Tatsache, daß pe- riopathogene Mikroorganismen in der Zirkulation und auch in atherosklero- tischen Plaque nachgewiesen wurden (3, 32).
c Ein weiteres Bindeglied könn- ten die proinflammatorischen und proatherogenen Entzündungsmedia- toren sowie bakterielle Endotoxine (Lipopolysaccharide) darstellen, die lokal im parodontalen Granulations- gewebe gebildet und in die Blutbahn eingeschwemmt werden können (12, 26). Hier fehlen jedoch noch direkte Nachweise. Indirekte Hinweise erge- ben sich jedoch aus Beobachtungen wie Anstieg des Plasmafibrinogens und der Blutleukozytenzahl im Sinne einer Akute-Phase-Reaktion bei paro- dontal Erkrankten im Vergleich zu Kontrollprobanden (15) oder einer Verbesserung der Blutzuckerregulati- on bei Diabetikern (Abnahme des HbA1c und der therapeutisch not- wendigen Insulinmengen) nach Paro- dontaltherapie (7). Der letztere Be- fund könnte durch eine zytokinver-
mittelte Insulinresistenz erklärt wer- den (18, 28).
c Weiterhin ist nicht auszu- schließen, daß Parodontalerkrankun- gen über endotoxin- und zytokinver- mittelte Reaktionen zu proatheroge- nen Veränderungen in den Plasmali- piden führen könnten. Über erhöhte Plasmaspiegel von LDL-Cholesterol und Triglyceriden bei parodontal er- krankten Patienten im Vergleich zu Kontrollpersonen wurde vor kurzem berichtet (20). Ähnliche Lipidverän- derungen wurden bei Patienten mit Chlamydien- und Helicobacter-Infek- tionen beobachtet (16, 17).
c Neben den zytokinvermittel- ten möglichen systemischen Reaktio-
nen könnten auch Einwirkungen von periopathogenen Keimen auf Throm- bozyten für die Assoziation von Paro- dontitis marginalis mit kardiovasku- lären Erkrankungen, insbesondere mit thrombo-embolischen Komplikatio- nen eine Rolle spielen. Verschiedene orale Keime können in vitro eine Thrombozytenaggregation und im Tierversuch Thromboembolien auslö- sen (9).
Schlußfolgerung
Die Daten der hier aufgeführten epidemiologischen Untersuchungen lassen den Schluß zu, daß Parodontal- erkrankungen einerseits gleiche Risi- kofaktoren haben wie kardiovaskulä- re Erkrankungen, andererseits aber auch einen unabhängigen Risikofak- tor für kardiovaskuläre Erkrankun- gen darzustellen scheinen. Welchen Stellenwert Parodontalerkrankungen als Risikofaktor im Vergleich zu den bekannten Risikofaktoren haben und welche pathogenetischen Mechanis- men eine Rolle spielen, bedarf jedoch noch weiterer Untersuchungen. Zur Zeit wird von der Universität Greifs-
wald eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte epidemiologische Studie in Vorpom- mern an 7 000 Probanden durchge- führt. Dabei wird der Frage nach ei- nem Zusammenhang zwischen kar- diovaskulären Erkrankungen und oralem Gesundheitszustand spezielle Aufmerksamkeit geschenkt. Letzt- endlich können jedoch nur mit In- terventionsstudien, sei es zur Primär- A-2680
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Mangelhaftes Gesundheitsbewußtsein z. B. schlechte Mundhygiene, Überernährung, Rauchen etc.
und erbliche Veranlagung
z. B. überschießende Abwehrreaktionen bei Entzündung, Stoffwechselstörungen
Hyperlipämie, Hyperglykämie Orale Mikroorganismen
Atherosklerose Parodontitis
Stimulation/Hyper-Aktivität von Leuko- und Thrombozyten
Bakterämie Endotoxinämie
Entzündungs- mediatoren Grafik 2
Mögliche gemeinsame Risikofaktoren und Entzündungswege der Parodontitis und Atherosklerose
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Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 42, 22. Oktober 1999 (61) oder Sekundärintervention, gesicher-
te Aussagen zu möglicher Kausalität der Parodontitis marginalis bei kar- diovaskulären Erkrankungen bezie- hungsweise deren Risikominderung durch eine Parodontalbehandlung ge- macht werden. Auf Grund des not- wendigen Probandenumfangs und der komplexen Therapie könnten solche Studien nur multizentrisch und inter- disziplinär durchgeführt werden.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1999; 96: A-2678–2681 [Heft 42]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. dent. Thomas Kocher Abteilung Parodontologie
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Rotgerberstraße 8 17487 Greifswald
KURZBERICHT/FÜR SIE REFERIERT
Literaturverzeichnisse
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Auf Wunsch der Autoren kann ein dem genannten Umfang entspre- chendes Literaturverzeichnis mit dem Zusatz versehen werden „Wei- terführende Literatur beim Ver- fasser“. Umfangreichere Literatur- verzeichnisse sind über den Son- derdruck erhältlich und außerdem im Internet unter der Adresse http://www.aerzteblatt.de abrufbar.
Ins Internet werden Literaturver- zeichnisse mit dem Erscheinungs- tag des Heftes eingestellt.
Die zervikale spondylotische Myelopathie führt unbehandelt zu ei- ner progressiven spastischen Tetrapa- rese, einem Sensibilitätsdefekt sowie zu einer Harninkontinenz. Die derzeit etablierte Behandlung dieses Syn- droms besteht aus einer chirurgischen Dekompression des zervikalen Rük- kenmarks. Laut Ansicht der Autoren werden aufgrund fehlender standardi- sierter Kriterien häufig Patienten unnötigerweise operiert, dagegen un- terbleibt aus Angst vor Komplikatio- nen bei zahlreichen Patienten der Eingriff, bevor bereits irreversible
Schäden aufgetreten sind. Durch ei- nen einfachen Gehtest (Strecke und Geschwindigkeit) ließ sich präope- rativ die Notwendigkeit einer Inter- vention diagnostizieren, als auch post- operativ bei nahezu allen Patienten (n = 41) eine signifikante Verbesse-
rung nachweisen. acc
Singh A, Crockard H: Quantitative as- sessment of cervical spondylotic myelo- pathy by a simple walking test. Lancet 1999; 354: 370–373.
Alan Crockard, Department of Surgical Neurology, The National Hospital for Neurology and Neurosurgery, Queen Square, London WC1N 3BG, England.
Einfacher Gehtest für zervikale spondylotische Myelopathie
Bei der akuten Pseudoobstruktion des Dickdarms kommt es zu einer mas- siven Dilatation des Darmes, ohne daß ein mechanisches Hindernis vorliegt, postoperativ oder als Folge einer schweren Grundkrankheit. Nicht sel- ten muß eine koloskopische Dekom- pression erfolgen, da konservative Maßnahmen beim Ogilvie-Syndrom versagen. Die Autoren berichten über eine plazebokontrollierte Studie an 21 Patienten, die 2 mg Neostigmin i.v. oder eine Kochsalzlösung erhalten hatten, nachdem im Röntgenbild der Kolon- Durchmesser auf über 10 cm ange- wachsen war. Bei zehn der elf Patienten kam es zu einer Kolondekompression,
während unter einer Plazebomedikati- on keine Änderung beobachtet wurde.
Der Effekt des Neostigmins war bereits nach vier Minuten im Durchschnitt zu erreichen. Einige unerwünschte Wir- kungen auf die Gabe des Neostigmins umfaßten Bauchschmerzen, eine Hy- persalivation und Erbrechen; eine sym- ptomatische Bradykardie sprach auf die Gabe von Atropin an. w Ponec RJ, Saunders MD, Kimmey MB:
Neostigmine for the treatment of acute colonic pseudo-obstruction. N Engl J Med 1999; 341: 137–141.
Division of Gastroenterology, University of Washington Medical Center Seattle, WA 98195, USA.
Neostigmin bei Pseudoobstruktion des Kolons
Die normalerweise unbehandelt zum Tode führende obstruktive Uro- pathie konnte in 21 von 34 Fällen nach pränataler Intervention mit Er- folg oder Teilerfolg therapiert werden, 13 Patienten starben trotz der Inter- vention. Dies ergab eine Nachuntersu- chung nach zwei Jahren. Von den 14 untersuchten Patienten, die intraute- rin zunächst nur mit einem tem- porären vesiko-amniotischen Shunt versorgt worden waren, mußten im weiteren Verlauf fünf Patienten wegen einer terminalen Niereninsuffizienz transplantiert werden, drei wiesen ei- ne Niereninsuffizienz im Stadium der
kompensierten Retention auf, sechs hatten eine normale Nierenfunktion.
Die Inkontinenzrate war mit 14 Pro- zent gering. Die Autoren resümieren, daß sich durch die pränatale Interven- tion bei dieser Patientengruppe ähnli- che Erfolge erzielen lassen wie vorher nur in weniger schweren, erst post par- tum diagnostizierten, Fällen. acc Freedman A et al.: Long-term outcome in children after antenatal intervention for obstructive uropathies. Lancet 1999;
354: 374–377.
Dr. A. Freedman, 100 UCLA Medical Plaza, Suite 690, Los Angeles, CA 90095, USA.