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Orale Gesundheit und systemische Erkrankungen: Parodontitis und kardiovaskuläre Erkrankungen

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Orale Gesundheit und systemische Erkrankungen: Parodontitis und

kardiovaskuläre Erkrankungen

Korrespondenzadresse:

J. D. Beck, PhD, Kenan Professor of Dental Ecology, Dept. of Dental Ecology, University of North Carolina, 383 Dental Office Bldg., Chapel Hill, NC 27599-7450, USA Tel. 001 919 966 2788, Fax 001 919 966 6761

E-Mail: Jim-Beck@dentistry.unc.edu

Zusammenfassung

Koronare Herzerkrankungen sind in den meisten Ländern die häufigste Krankheits- und Todesursache. Diese Arbeit be- fasst sich mit den vorliegenden Hinweisen auf eine mögliche Beteiligung oraler Krankheiten (insbesondere Parodontitis) an der Entstehung koronarer Erkrankungen. Sie stützt sich dabei auf Forschungsresultate, welche Entzündung als eine Ursache für Atherosklerose und koronare Herzerkrankungen sehen, sowie auf den Befund, dass parodontale Erkrankun- gen eine starke systemische Belastung durch Mikroorganis- men und Entzündungsfaktoren zur Folge haben. Die Studien über die Beziehung zwischen Zahngesundheit und Atheros- klerose werden auf die Stärke, Wiederholbarkeit und Spezifi- zität der Assoziationen, auf die zeitliche Abfolge zwischen Beginn der parodontalen Erkrankung und dem Beginn der Herzkrankheit sowie auf Dosis-Wirkungs-Effekte hin unter- sucht. Es werden ausserdem Ergebnisse vorgestellt, die da- rauf hinweisen, dass das Ausmass der parodontalen Infektion (d.h. Ausdehnung der Entzündung und der allfälligen mikro- biellen Belastung) ebenfalls mit dem Beginn neu auftreten- der koronarer Herzerkrankungen in Zusammenhang steht.

Die verfügbaren Daten deuten Parodontitis als möglichen Risikofaktor für Atherosklerose und koronare Herzkrankhei- ten, es ist jedoch noch unklar, ob die Parodontitis ein Glied in der Kausalkette dieser Erkrankungen ist. Die möglichen Konsequenzen dieser Assoziation werden diskutiert.

Acta Med Dent Helv 5: 56–68 (2000)

Schlüsselwörter: Parodontitis, koronare Herzerkrankungen, Infektionen, Entzündungen, Risikofaktoren

* Vortrag gehalten anlässlich der Jahrestagung der Schwei- zerischen Vereinigung für Präventive und Restaurative Zahn- medizin (SVPR) vom 13.11.1999 Zürich

Einleitung

Atherosklerose wurde als progressiver Krankheitsprozess der mittelgrossen bis grossen muskulären und der grossen elasti- schen Arterien beschrieben. Sie kann zu koronaren Herzerkran- kungen und Herz- und Hirninfarkten führen. Parodontitis ist eine entzündliche Reaktion (auf Infektionen durch gramnegati- ve, anaerobe Bakterien) des die Zähne verankernden Stützge- webes einschliesslich des parodontalen Ligaments, des Ze- ments und des alveolären Knochens.

Die Statistik der Weltgesundheitsorganisation zeigt, dass 1995 weltweit 20% aller Todesfälle, insgesamt also etwa 14 Millionen, durch kardiovaskuläre Erkrankungen verursacht wurden. In den industrialisierten Ländern beträgt die Todesfallrate auf- grund kardiovaskulärer Erkrankungen 50% (vgl. Tab I: USA),

J

AMES

D. B

ECK1

* und S

TEVEN

O

FFENBACHER2

1 Department of Dental Ecology

2 Department of Periodontology, Center for Oral and Systemic Disease, School of Dentistry, University of North Carolina

Tab. I Rang nach Häufigkeit, Anzahl Todesfälle und Todes- fallraten durch Herzerkrankungen, nach Altersgruppen (1995)

Altersgruppe Rang Anzahl Rate pro 100 000

alle 1 2 312 203 880,0

1–4 5 256 1,6

5–14 6 269 0,7

15–24 5 964 2,7

25–44 4 16 719 20,1

45–64 2 101 975 199,3

über 65 1 617 844 1842,5

Quelle:National Center for Health Statistics

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womit diese die häufigste Todesursache darstellen; in den Ent- wicklungsländern stehen sie mit 16% aller Todesfälle an dritter Stelle (WHO 1995). Insgesamt waren Herzkrankheiten 1995 in den USA die häufigste Todesursache. Mit einer Rate von 880 Todesfällen pro 100 000 Einwohner verursachten sie den Tod von mehr als 2 Millionen Menschen. Die Todesfälle aufgrund von Herzkrankheiten nehmen mit dem Alter zu und steigen in der Gruppe der über 65jährigen auf über 1800 Fälle pro 100 000 Einwohner (ROSENBERGet al. 1996).

Parodontitis und Herzkrankheiten scheinen eine ganze Anzahl gemeinsamer Charakteristiken zu haben, da beide bei älteren, männlichen, weniger gebildeten, finanziell schlechter gestell- ten, rauchenden, an Bluthochdruck und Stress leidenden und sozial isolierten Menschen häufiger auftreten. Diese Gemein- samkeiten lassen vermuten, dass die Ätiologie von Parodontitis und Herzkrankheiten ähnlich sein könnte.

Hintergrund

Infektionen gelten als Risikofaktor für Atherogenese und thromboembolische Ereignisse (SYRAJANENet al. 1989, MACKEN-

ZIE& MILLARD1963, NERYet al. 1987). Tatsächlich erkannte man diese Möglichkeit schon vor Jahrzehnten (OSLER1908, FORD&

SCHAFFER1917). Systemische Belastungen durch gramnegative Bakterien oder die assoziierten Lipopolysaccharide (LPS) kön- nen in Tierversuchen eine Infiltration von Entzündungszellen in grössere Blutgefässe, Proliferation der glatten Gefässmuskula- tur, fettbedingte Gefässdegeneration und intravasale Gerin- nung verursachen (SYRAJANENet al. 1989, MARCUS& HAIJAR, 1993). Die bemerkenswerten Ähnlichkeiten zwischen bakteriell hervorgerufenen krankhaften Veränderungen der Blutgefässe und der natürlichen Verlaufsgeschichte der Atherogenese liess die Vermutung aufkommen, dass neben genetischen und ernährungsbedingten Einflüssen auch Infektionen unbekann- ten Ursprungs zur Entstehung der beobachteten kardiovas- kulären Erkrankungen beitragen könnten (SYRAJANEN et al.

1989, UMINO& NAGAO1993).

Eine ganze Anzahl von Studien stützen die Hypothese, dass ausser den bekannten Risikofaktoren auch Infektionen mit Atherogenese und thromboembolischen Ereignissen verbun- den sein könnten. Zum Beispiel:

– Vorausgehende grippeähnliche Symptome kommen bei Herzinfarktpatienten häufiger vor als in entsprechenden Kontrollgruppen (MATTILAet al. 1989, SPODICK1995).

– Höhere Zytomegalievirus-Antikörpertiter waren assoziiert mit erhöhter intimaler und medialer Wanddicke der Karotis nach 18 Jahren (NIETOet al. 1996).

– Eine vorgängige Infektion mit dem Zytomegalievirus ist ein starker, unabhängiger Risikofaktor für Restenose nach einer koronaren Arteriothomie (ZHOUet al. 1996).

– Infektionen im Zahnbereich waren bei Hirnschlagpatienten weiter verbreitet als in einer nach Alter und Geschlecht gleich zusammengesetzten Kontrollgruppe (SYRAJANENet al. 1989).

– Der Gingiva-Index stand in signifikantem Zusammenhang mit Fibrinogen und der Anzahl weisser Blutkörperchen bei Parodontitispatienten und einer nach Alter, Rauchgewohn- heiten und sozialer Schicht gleich zusammengesetzten Kon- trollgruppe (KWEIDERet al. 1993).

– Die im Plasma gefundenen Mengen an Cholesterin, LDL- Cholesterin und Triglyzeriden waren bei 46 50–60-jährigen Parodontitis-Patienten signifikant höher als bei einer nach Al- ter und Geschlecht gleich zusammengesetzten Kontrollgrup- pe. Ausserdem führte eine Parodontitis-Therapie bei Perso- nen mit niedrigeren Lipidwerten häufiger zum Erfolg

(LOSCHEW, POHLA, KARAPETOWF. Plasma lipids and blood glucose in patients with marginal periodontitis. J Dent Res 76 (Special Issue): 408 (1997).

In dieser Arbeit sollen vorhandene Hinweise gezeigt und der Status parodontaler Erkrankungen als Risikofaktor für Athero- sklerose und koronare Herzerkrankungen evaluiert werden.

Dies ist kein einfaches Unterfangen, da der Begriff Risikofaktor in unterschiedlichen Bedeutungen benutzt wird und die Bedin- gungen, unter denen eine Exposition als Risikofaktor deklariert werden kann, nicht formalisiert sind. Da unser primäres Ziel aber darin besteht, eine kausale Verbindung zwischen den bei- den Erkrankungen herzustellen, werden wir auch den Status von parodontalen Krankheiten als kausalen Faktor für Atheros- klerose und koronare Herzerkrankungen bewerten.

Kriterien für Risikofaktoren und Kausalfaktoren

Kausalität kann beim Menschen nur durch Experimente nach- gewiesen werden, d.h. durch kontrollierte Doppelblindstudien (BECK1992). In dieser Studienanlage werden die potenziellen kausalen Faktoren von den Forschern kontrolliert und die zufäl- lige Zuweisung der Personen zu den Versuchs- und Kontroll- gruppen führt gewöhnlich dazu, dass die übrigen Faktoren sich in den zwei Gruppen etwa die Waage halten.

Da die Bestimmungen über den «informed consent», die sich auf ethische und Risiko-Nutzen-Abwägungen stützen, Expe- rimente am Menschen einschränken, kann meist nicht experi- mentell nachgewiesen werden, dass ein bestimmter Faktor ei- ne Krankheit auslöst. Experimentelle Beweise stammen daher vor allem aus Interventionsstudien, in denen es gelang, die Anzahl an Krankheitsfällen zu senken oder die Krankheits- ausprägung zu mildern. Aus diesen Gründen haben Epide- miologen formalisierte Kriterien darüber aufgestellt, wann Hinweise aus einer Beobachtungsstudie eine kausale Ver- knüpfung bestätigen. Diese ursprünglich von Bradford Hill formulierten und dann von LILIENFELD(1967) diskutierten Kri- terien lauten wie folgt:

– Wiederholt nachgewiesene Assoziation. Ein Faktor ist eher kausal, wenn alle Studien über dieselbe Beziehung zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn die Studien unterschiedliche Populationen, Methoden oder Zeiträume umfassen.

– Stärke der Assoziationen.Eine stichhaltige Studie ist eine irrtumsfreie Studie. Je stärker die Assoziation, desto kleiner die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Ergebnis verzerrender Fehler ist.

– Korrekte Zeitfolge.Der potenziell ursächliche Faktor muss dem Auftreten der Krankheit vorangehen. Bei Querschnitts- Untersuchungen kann nicht festgestellt werden, ob der Fak- tor schon vor dem Ausbruch der Krankheit vorhanden war.

Dies ist für die Bestimmung von Kausalität und daher auch für die Feststellung, ob es sich um einen echten Risikofaktor handelt, ein grosses Problem.

– Spezifizität der Assoziationen.Steht ein potenziell ursäch- licher Faktor mit mehreren Krankheiten in Verbindung, gilt eine Kausalität der Assoziation mit der untersuchten Krank- heit als weniger wahrscheinlich. Während also bei einer spe- zifischen Assoziation die Kausalität wahrscheinlicher ist, kann eine kausale Verbindung nicht nur aufgrund mangeln- der Spezifizität verworfen werden: viele Krankheiten haben mehrere Auslöser und ein einzelner Faktor kann sowohl ver- schiedene Krankheiten auslösen als auch andere Faktoren fördern. Ausserdem gibt es keinen Grund anzunehmen, dass die Beziehung zwischen einem ursächlichen Faktor und allen

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mit ihm verbundenen Krankheiten auf ähnliche Weise erklärt werden kann.

– Grad der Exposition (Dosis-Wirkungs-Effekt).Wenn ein Faktor von kausaler Bedeutung ist, muss das Risiko, die Krankheit zu entwickeln, mit dem Grad der Exposition korre- liert sein.

– Biologische Plausibilität.Die Assoziation muss im Lichte des heutigen Wissensstandes plausibel sein. Dieses Kriterium muss aber nicht unbedingt erfüllt sein, wenn über eine Krankheit noch wenig Information vorliegt.

Durch Experimente bestätigt.Dieser Punkt stand zwar nicht auf der ursprünglichen Liste, die sich ausschliesslich auf Beob- achtungsstudien bezog, doch ist es besser, wenn Assoziatio- nen durch Laborversuche bestätigt werden. Die Krankheit sollte sich bei Tieren (Menschen wenn möglich), die dem Ri- sikofaktor ausgesetzt waren, häufig experimentell reprodu- zieren lassen. Kontrollierte Doppelblindstudien, die Interven- tionen zur Verhinderung der Krankheit testen, gelten als starke Hinweise.

Epidemiologen benutzen gewöhnlich den Terminus Risikofak- tor (statt Ursache) für eine Exposition, von der angenommen wird, dass sie mit der Wahrscheinlichkeit für den Ausbruch einer bestimmten Krankheit zusammenhängt (KLEINBAUMet al.

1982). Der Ausdruck «Risikofaktor» bezieht sich auf einen

«Aspekt des persönlichen Verhaltens oder Lebensstils, einen Umwelteinfluss oder eine angeborene oder vererbte Charakte- ristik, die aufgrund epidemiologischer Erkenntnisse mit einem gesundheitlichen Zustand zusammenhängt» (LAST1988). Diese sehr allgemein formulierte Definition ist jedoch oft nicht sehr hilfreich. Der World Workshop of Periodontology (American Academy of Periodontology 1996) hat eine genauere Definition veröffentlicht, die als Grundlage für unsere Erwägungen dienen soll. Diese Definition lautet zusammengefasst:

Ein Risikofaktor ist ein umwelt- bzw. verhaltensbedingter oder biologischer, anhand von Longitudinalstudien in der zeitlichen Abfolge bestätigter Faktor, der durch sein Vorhandensein die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Krankheit direkt er- höht, und durch seine Abwesenheit oder Entfernung diese Wahrscheinlichkeit verringert. Die Definition besagt weiter, dass Risikofaktoren entweder selbst Teil der Kausalkette sind, oder aber ihren Träger dieser kausalen Kette aussetzen.

Traditionell kam die Identifikation möglicher Risikofaktoren von Klinikern, die feststellten, dass Personen mit einer be- stimmten Krankheit oder einem bestimmten Zustand andere Charakteristiken, andere Expositionen an schädlichen Einflüs- sen aus der Umwelt hatten als solche, die nicht an dieser Krank- heit litten. Zum Beispiel berichten zwei Studien anhand von Daten aus der parodontologischen Praxis, dass Herzkrankhei- ten bei Parodontitispatienten weit verbreitet sind (NERYet al.

1987, UMINO& NAGAO1993).

Wie gesagt sind Experimente und kontrollierte Doppelblindstu- dien der strengste Test für einen vermuteten Risikofaktor, aber aus den oben beschriebenen Gründen wurden drei minimale, allge- meine Kriterien entwickelt, aufgrund deren eine Exposition zum Risikofaktor erklärt werden kann (KLEINBAUMet al. 1982, S. 30).

1. Der ursächliche Faktor muss mit der Krankheit kovariant sein, d.h., er muss statistisch mit der Entwicklung der Krank- heit verbunden sein, oder aber die Häufigkeit der Krankheit muss sich mit der Kategorie oder dem Wert des Faktors ver- ändern.

2. Das Auftreten des Risikofaktors (oder eine relevante Verände- rung im Risikofaktor) muss dem Auftreten der Krankheit vor- angehen.

3. Die beobachtete Assoziation darf nicht gänzlich auf irgendei- ner Fehlerquelle beruhen können, einschliesslich Zufall oder falscher Probandenwahl, die Beteiligung anderer (äusserer) Risikofaktoren oder Probleme mit der Anlage der Studie oder der Datenanalyse.

Die ersten zwei Kriterien entsprechen weitgehend den ersten zwei Kriterien für einen kausalen Faktor, während das dritte Kriterium allgemein gültig ist, da Studien immer so anzulegen sind, dass keine schweren Fehler auftreten können.

Im Folgenden sollen die aus der Literatur oder aus neueren Stu- dien der Autoren gewonnenen Hinweise zur Beantwortung fol- gender zwei Fragen vorgestellt werden:

– Ist Parodontitis ein Risikofaktorfür kardiovaskuläre Erkran- kungen?

– Ist Parodontitis eine Ursachefür kardiovaskuläre Erkrankun- gen?

Die Hinweise sind gemäss den ausführlicheren Kriterien geord- net, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Kriterien für Risikofaktoren diesen untergeordnet sind.

Hinweise aus der Literatur

Obwohl es Hinweise aus kontrollierten Fallstudien und Kohor- tenstudien gibt, werden wir nur diejenigen aus Longitudinal- studien berücksichtigen, denn diese Studienanlage kann besser zeigen, dass die Exposition vor dem Ausbruch der Krankheit stattfand.

Wie konsistent und stark sind die Assoziationen?

DESTEFANOet al. (1993) untersuchten Krankheits- und Todes- fallraten koronarer Herzerkrankungen anhand einer Folgestu- die 14 Jahre nach der National Health and Nutrition Examinati- on Survey I an denselben Probanden. Diese Studie untersuchte mehrere potenziell verfälschende Variablen wie Alter, Ge- schlecht, Rasse, Bildung, Zivilstand, systolischer Blutdruck, Gesamt-Cholesterin-Spiegel, Body-Mass-Index, Diabetes, kör- perliche Aktivität, Alkoholkonsum, Armutsindex und Rauchen.

Die Autoren zeigten, dass von den nahezu 10 000 untersuchten Probanden, unter Berücksichtigung obiger Kovariablen, diejeni- gen mit Parodontitis ein gegenüber den parodontal Gesunden um 25% erhöhtes Risiko hatten, eine koronare Herzkrankheit zu bekommen. Bei Männern unter 50 wirkten sich paro- donta- le Erkrankungen auf das Auftreten von koronaren Herzkrank- heiten mit einem relativen Risiko von 1,72 aus. Diese Studie lie- ferte Hinweise auf eine Assoziation zwischen parodontalen Erkrankungen und koronaren Herzerkrankungen und bestätig- te die Ergebnisse früherer kontrollierter Fallstudien von MATTI-

LAet al. (1989, 1993), die eine Assoziation zwischen Parodontitis und akutem Herzinfarkt sowie Atherosklerose zeigten.

Die neuste Arbeit von MATTILAet al. (1995) ist eine Folgestudie nach 7 Jahren an den Probanden aus der früheren Untersu- chung. Es wurden 182 Männer und 32 Frauen untersucht, die schon einen Herzinfarkt erlitten hatten, um erneutes Auftreten von tödlich und nicht tödlich verlaufenen koronaren Erkran- kungen sowie die gesamte Sterblichkeitsrate festzustellen. Zu Studienbeginn wurden folgende dentale Indizes erhoben: 1. der Gesamt-Dental-Index (GDI = Karies, Parodontitis, periapikale Läsionen, Perikoronitis) und 2. der Pantomographie-Index (An- zahl vertikaler Knochentaschen, Furkationen und periapikaler Läsionen sowie Läsionen durch Karies vierten Grades oder Pe- rikoronitis im OPI). Diese Indizes wurden schon für die frühe- ren Studien von MATTILAet al. (1993, 1989) benutzt. Die ersten Untersuchungen fanden bei der ersten Hospitalisierung infolge

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Herzinfarkts statt. Cox’sche Proportionsmodelle wurden für die 52 Patienten entwickelt, die den Kriterien entsprachen. Der GDI (Koeffizient = 0,18, SE = 0,06) war signifikant in einem Modell, das den Pantomographie-Index, die Anzahl früherer Infarkte, Diabetes, Body-Mass-Index, Bluthochdruck, Rauchen, Gesamt- Cholesterinspiegel, Triglyzeride, sozioökonomischen Status, Geschlecht und Alter mit einbezog. Unsere Konversion der Cox-Koeffizienten aus den Hazard-Modellen ergab für den GDI ein relatives Risiko von 1,2. Das bedeutet, dass mit jedem Punkt Zunahme des Indexes (Range 0–10) das relative Risiko für erneute Ereignisse um einen Faktor 1,2 zunahm. Ein kürz- lich erschienener Artikel von GRAUet al. (1997) befasste sich mit der Beziehung zwischen Infektionen und Schlaganfall. Diese Studie war nicht longitudinal angelegt, lieferte aber Einsichten zu einigen der Komponenten des von Mattila benutzten GDI.

GRAUet al. (1997) fanden heraus, dass der GDI mit zerebraler Ischämie unabhängig assoziiert war (Quotenverhältnis 2,6; 95%

Vertrauensintervall 1,18 bis 5,7), dass jedoch die parodontalen Komponenten des GDI allein für diese Assoziation verantwort- lich waren.

JOSHIPURA et al. (1996) beobachteten während sechs Jahren 44 119 Männer aus Berufen des Gesundheitssektors, die zu Be- ginn der Studie keine Symptome koronarer Herzkrankheiten aufwiesen, plausible Ernährungsgewohnheiten hatten und für die alle Informationen über Alter oder Anzahl Zähne vorlagen.

Alle Informationen wurden mittels versandten Fragebogen ein- geholt. Die Auswertung wurde für alle Studienteilnehmer und für Zahnärzte (58% der Probanden) separat durchgeführt. Die Ergebnisse waren vergleichbar. Die Autoren fanden keine Asso- ziation zwischen parodontalen Erkrankungen und koronaren Herzerkrankungen bei einem relativen Risiko von 1,04 (95%

VI = 0,86 bis 1,25) wenn Alter, BMI, körperliche Aktivität, Rauchgewohnheiten, Alkoholkonsum, Herzinfarkte bei unter 60-Jährigen in der Familie und Vitamin E kontrolliert wurden.

Männer mit 0-10 Zähnen hatten aber ein relatives Risiko von 1,40 (95% VI = 1,04 bis 1,87) verglichen mit solchen, die 25 oder mehr Zähne besassen. Wenn der Zahnverlust infolge parodon- taler Erkrankungen von anderen Ursachen getrennt beobachtet wurde, zeigte sich, dass diese Assoziation nur auf Männer mit parodontaler Erkrankung zutraf. Bei 6619 Männern mit paro- dontalen Erkrankungen betrug das multivariate relative Risiko für Männer mit höchstens 10 verbleibenden Zähnen 1,67 (95%

VI = 1,03 bis 2,71).

GENCOet al. (GENCOR, CHADDAS, GROSSIS. Periodontal disea- se is a predictor of cardiovascular disease in a Native American population. J Dent Res 76 [Special Issue]: 408 [1997]) unter- suchten die Verbindung zwischen parodontalen Infektionen und dem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen an 1372 amerikanischen Ureinwohnern der Gila River Indian Commu- nity, einer Gruppe mit hoher Prävalenz von Diabetes mellitus.

Zu Beginn der Studie wurde das Niveau des Alveolarknochens festgestellt und der kardiovaskuläre Zustand während bis zu zehn Jahren mit Hilfe von Elektrokardiogrammen überwacht.

Neue kardiovaskuläre Erkrankungen traten bei 68 Probanden auf. In allen Altersgruppen erwies sich das Knochenniveau als Prädiktor für kardiovaskuläre Erkrankungen, erreichte aber in einer Multivarianzanalyse keine Signifikanz. Bei Personen unter 60 jedoch liess das Knochenniveau auf kardiovaskuläre Erkran- kungen schliessen, und zwar mit einem nach Geschlecht und Dauer des Diabetes (10 Jahre) berichtigten Quotenverhältnis von 2,68, (95% VI = 1,30 bis 5,5).

BECKet al. (1996) analysierten Daten aus einer Kohortenstudie, die kombinierte Daten aus der Normative Aging Study (NAS)

und der Dental Longitudinal Study (DLS) benutzte und vom Department of Veteran Affairs unterstützt wurde. Die NAS (1966) ist eine Longitudinalstudie an männlichen Veteranen der Gegend von Boston, die in der Gemeinde gesundheitlich be- treut werden und nicht in Einrichtungen des Dep. of Veteran Af- fairs. Die DLS (1972) war eine Unterstudie der NAS, die sieben Jahre später gestartet wurde und nur solche Männer einschloss, die zur Zeit der Zahnuntersuchungen systemisch gesund wa- ren. Der mittlere Knochenverlust sowie die tiefsten Taschen pro Zahn wurden bei 1147 Männer zwischen 1968 und 1971 ge- messen sowie in einer Follow-up-Untersuchung 18 Jahre spä- ter. Im Verlauf dieser 18 Jahre hatten 207 Männer eine koronare Herzkrankheit entwickelt, 59 waren daran gestorben, und 40 hatten Schlaganfälle erlitten. Wie in Tabelle II ersichtlich, waren die Quotenverhältnisse, berichtigt nach Alter und bekannten kardiovaskulären Risikofaktoren, 1,5 für Knochenverlust und koronare Herzkrankheiten insgesamt, 1,9 für tödlich verlaufene Herzkrankheiten und 2,8 für Schlaganfall. Abb. 1 zeigt diese Quotenverhältnisse für Schlaganfall, tödlich verlaufene Herz- krankheiten und koronare Herzkrankheiten insgesamt zusam- men mit den vergleichbaren Werten für die relevanten bekann- ten Risikofaktoren für jeden Zustand. Bei Schlaganfällen ist nur eine familiäre Neigung zu Atherosklerose ein stärkerer Risiko- faktor. Für tödlich verlaufene koronare Herzkrankheiten war Knochenverlust der stärkste Risikofaktor, dicht gefolgt von Rau- chen. Für koronare Herzkrankheiten allgemein war der Body- Mass-Index der stärkste Faktor (pro 10 Einheiten Zunahme des BMI stieg die Wahrscheinlichkeit neu entstehender koronarer Herzerkrankungen um 1,9). In diesem Modell war Knochenver- lust mit 1,5 der zweitstärkste Risikofaktor. Die Stärke der Asso- ziation zwischen Knochenverlust und kardiovaskulären Ereig- nissen war also vergleichbar mit denjenigen der besser anerkannten Risikofaktoren.

Weitere Ergebnisse aus dieser Studie zur Beziehung zwischen Sondierungstiefen zu Beginn der Studie und folgender korona- rer Herzerkrankung, tödlicher koronarer Herzerkrankung und Schlaganfall sind in Tabelle III dargestellt. Sondierungstiefen über 3 mm schienen mit der Inzidenz von koronaren Herzer- krankungen insgesamt assoziiert; bei Berichtigung nach Alter ergab sich ein Quotenverhältnis von 3,6 und bei Berichtigung nach anderen Risikofaktoren ein Quotenverhältnis von 3,1. Die Befunde für Sondierungstiefe und tödliche koronare Herzer- krankungen oder Schlaganfall sind ähnlich, aber nicht signifi- kant, was an der geringen Anzahl gefundener Beispiele liegen könnte.

Tab. II Multivariate Inzidenz-Quotenverhältnisse für koro- nare Herzerkrankungen insgesamt, tödliche koronare Herzer- krankungen und Schlaganfall nach hohem bis tiefem Kno- chenverlust bei Studienbeginn

gesamte koronare tödliche koronare Schlaganfall Herzerkrankungen Herzerkrankungen

Anzahl Fälle 203 58 40

Anzahl

Kontrollen 891 891 911

Quoten-

verhältnis 1,51 1,92 2,83

(95% VI) (1,04; 2,14) (1,10; 3,43) (1,45; 5,48)

1 berichtigt nach Alter, BMI (kg/m2), systolischem Blutdruck in mm Hg, Cholesterin (mg/dl)

2 berichtigt nach Alter, Rauchen (1=Raucher, 2=früherer Raucher, 3=Nichtraucher), systolischem Blutdruck

3 berichtigt nach Alter, Rauchen, diastolischem Blutdruck (mm Hg), Familiengeschichte (0=nein, 1=ja), Bildung (0=Grundschule bis 7=Hochschulabschluss)

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Tab. IV summiert Stärke und Wiederholbarkeit der Assoziatio- nen, die darauf hinweisen, dass orale Erkrankungen Risikofak- toren für Herzkrankheiten sein können. Die Konsistenz der As- soziationen in verschiedensten Studien, die unterschiedliche Methoden der Erfassung sowohl für die Exposition als auch das Ergebnis verwendeten, ist eindrücklich. Es muss auch betont werden, dass alle diese Studien bezüglich relevanter, bekannter Risikofaktoren kontrolliert waren. Die Assoziationsstärke ist mit Werten von 1,2 bis 1,5 mässig. Nur die berichtigten Inzidenz- Quotenverhältnisse für tödliche Herzkrankheiten und Schlag- anfälle der Studie BECKet al. (1996) betrugen um 2,0, die Inzi- denz-Quotenverhältnisse für Sondierungstiefen über 40% und

gesamte koronare Herzerkrankungen fast 3,0. Jedoch wäre auch ein Faktor mit einem nur 20%igen Risiko für koronare Herzer- krankungen mit einer sehr grossen Anzahl Fällen assoziiert und somit der Aufmerksamkeit wert.

Stimmt die zeitliche Abfolge?

Die fünf berücksichtigten Longitudinalstudien sind in Tabelle V dargestellt. Die Studie von MATTILAet al. (1995) er- folgte an Patienten, die schon mit einem Herzinfarkt hospita- lisiert gewesen waren, sodass nicht festgestellt werden kann, ob die parodontale Erkrankung schon vor dem ersten Infarkt bestand. Sie bestand jedoch vor den darauffolgenden kardio- vaskulären Ereignissen. Die Studie von DESTEFANO et al.

(1993) war eine Kohortenstudie. Es wird folglich angenom- men, dass alle Teilnehmer an der NHANES-I-Studie, die zu Studienbeginn herzkrank waren, von der Analyse ausge- schlossen wurden; das Manuskript gibt darüber aber keinen Aufschluss. Die Studie von BECKet al. (1996) wurde nur an systemisch gesunden Probanden durchgeführt, sodass die zu Studienbeginn vorhandenen parodontalen Erkrankungen vor später auftretenden Herzerkrankungen bestanden. Die Ergeb- nis-Variable in der Studie von GENCO et al. (1997) war neue kardiovaskuläre Erkrankungen; der Knochenverlust wurde al- so bis zu zehn Jahren vor diesen Ereignissen festgestellt. Die Ergebnis-Variable in der Studie von JOSHIPURAet al. (1996) war neue koronare Herzerkrankungen; Patienten mit bekannten koronaren Herzerkrankungen oder entsprechenden Symp- tomen wurden von der Studie ausgeschlossen. Es liegen also vier Studien vor, die das Kriterium der zeitlichen Abfolge er- füllen, und die Studie von MATTILAet al. (1995) erfüllt dieses Kriterium zumindest für nach Studienbeginn neu aufgetrete- ne Herzerkrankungen.

Abb. 1 Berichtigte Inzidenz-Quotenverhältnisse für Knochenverlust und bekannte Risikofaktoren

Tab. III Multivariates Inzidenz-Quotenverhältnis für gesam- te koronare Herzerkrankungen, tödliche koronare Herzer- krankungen und Schlaganfall nach mehr oder weniger als 40% Stellen mit Sondierungstiefen >3 mm zu Studienbeginn gesamte koronare tödliche koronare Schlaganfall Herzerkrankungen Herzerkrankungen

Anzahl

Erkrankungen 194 55 36

Anzahl Nicht-

erkrankungen 861 862 856

Quoten-

verhältnis 3,11 2,82 1,93

(95% VI) (1,3; 7,4) (0,6; 11,7) (0,3; 13,9)

1 berichtigt nach Alter, BMI (kg/m2), systolischem Blutdruck in mm Hg, Cholesterin (mg/dl)

2 berichtigt nach Alter, Rauchen (1=Raucher, 2=früherer Raucher, 3=Nichtraucher), systolischem Blutdruck

3 berichtigt nach Alter, Rauchen, diastolischem Blutdruck (mm Hg), Familiengeschichte (0=nein, 1=ja), Bildung (0=Grundschule bis 7=Hochschulabschluss)

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Wie spezifisch sind die Assoziationen?

Die Spezifizität der Assoziationen zwischen oralen Befunden und Herzerkrankungen ist zurzeit noch unklar. Die in Tab. VI gezeigten Assoziationen wurden nach bekannten Risikofakto- ren für Atherosklerose und koronare Herzerkrankungen berich- tigt; die gefundenen Assoziationen werden also von diesen Fak- toren nicht beeinflusst. Eine Variable gilt jedoch eher als Risikofaktor, wenn sie mit einer einzigen Krankheit in Zusam- menhang steht und nicht mit mehreren. Die Studie von DESTE-

FANOet al. (1993) ergab, dass orale Krankheiten mit Sterblich- keit jeder Ursache zusammenhing; GARCIA& VOKANAS(GARCIA

R,VOKONASP. Periodontal disease and all-cause mortality in the VA Dental Longitudinal study. J Dent Res 75 (Special Issue): 48 (1996) kamen zum selben Ergebnis. OFFENBACHER(1996) zeigte in seiner Studie, dass Parodontitis bei Schwangeren stark mit untergewichtigen Frühgeborenen assoziiert ist. Parodontitis er- füllt also das Kriterium der Spezifizität nicht ganz. Die Hinwei- se insgesamt sind jedoch so gewichtig, dass dieses eine, zurzeit nicht erfüllte Kriterium Parodontitis als Risikofaktor nicht gene- rell ausschliesst. Wie die Beispiele Rauchen und Alkoholkon- sum zeigen, kann eine Exposition ein Risikofaktor für mehrere Krankheiten sein.

Gibt es einen Dosis-Wirkungs-Effekt?

Wenn der Grad oder die Schwere einer Exposition mit der Inzi- denz einer Kankheit zusammenhängt, ist dies ein wichtiger Hinweis auf Ursächlichkeit dieser Exposition. Bei einem Faktor mit kausaler Bedeutung muss das Ausmass der Exposition mit dem Risiko der Erkrankung korrelieren (biologischer Gradient).

Abb. 2–4 stammen aus der Studie BECKet al. (1996). Abb. 2 zeigt das Niveau des Knochenverlusts in Beziehung zur kumulativen Inzidenz von koronaren Herzerkankungen, tödlichen korona- ren Herzerkrankungen und Schlaganfall. Die Punktprognosen und Standardfehler darin zeigen, dass stärkerer Knochenverlust mit einer höheren kumulativen Frequenz von koronaren Herz- erkrankungen zusammenfällt, was auf einen biologischen Gra- dienten zwischen Exposition und dem Auftreten der Krankheit hinweist. Dasselbe gilt auch für tödlich verlaufende koronare Herzerkrankungen (Abb. 3). Es ist interessant festzustellen, wie hoch das Risiko für fatale koronare Herzerkrankungen bei Pro- banden mit mittleren Knochenverlustwerten von 3 ist (mittle- rer Knochenverlust >40%). Die Beziehung für Schlaganfälle (Abb. 4) zeigte dasselbe Muster bis zu einer Rate von 40% Kno- chenverlust, doch nahm das Risiko nach Überschreiten dieser Marke nicht weiter zu. Das Ausmass an Knochenverlust und die kumulative Inzidenz von koronaren Herzerkrankungen insge- samt und mit tödlichem Verlauf wiesen auf einen biologischen Gradienten zwischen der Schwere der Exposition und dem Auf- treten der Krankheit hin.

Tab. IV Stärke und Konsistenz der Assoziationen zwischen oraler Gesundheit und Atherosklerose/koronarer Herzerkrankung in Longitudinalstudien

Studie Exposition Ergebnis Mass

Mattila et al. 1995, Finnland Gesamtdental-Index neuer Herzinfarkt oder Tod HR=1,2 De Stefano et al. 1993, USA Parodontal-Index Hospitalisierungen/Todesfälle bei koronarer

Herzerkrankung (Männer über 50) RR=1,2 Joshipura et al. 1996, USA Zahnverlust bei Männern mit Neue koronare Herzerkrankungen

Parodontitis RR=1,7

Genco et al. 1997, USA Knochenniveau Neue koronare Herzerkrankungen OR=2,7

Beck et al. 1996, USA Kohorte Parodontitis, Knochenniveau und neue

koronare Herzerkrankung und Schlaganfall OR=1,5, 1,9, 2,8

Tab. V Spezifizität der Assoziationen zwischen oraler Ge- sundheit und Atherosklerose/koronarer Herzerkrankung in Longitudinalstudien

Studie Berichtigt nach:

Mattila et al. 1995, Finnland Rauchen, Bluthochdruck, Alter, Geschlecht, Triglyzeride, sozialer Klasse, Diabetes, Serumlipiden, BMI, früheren Herzinfarkten De Stefano et al. 1993, USA Alter, Geschlecht, Rasse, Bildung,

Armut, Familienstand, systolischem Bluthochdruck, Cholesterin, Diabetes, BMI, körperliche Aktivi- tät, Alkohol- und Nikotinkonsum Beck et al. 1996, USA Alter, BMI, Gesamtcholesterin,

systolischem Blutdruck, diastoli- schem Blutdruck, LDL-Cholesterin, Rauchen

Joshipura et al. 1996, USA Alter, BMI, körperlicher Aktivität, Alkohol- und Nikotinkonsum, Vitamin E, Familiengeschichte von Herzinfarkten bei unter 60-Jährigen.

Genco et al. 1997, USA Geschlecht, Dauer des Diabetes (10 Jahre)

Tab. VI Zeitliche Abfolge für Assoziationen zwischen oraler Gesundheit und Atherosklerose/koronarer Herzerkrankung

Studie Abfolge

Mattila et al. 1995, Finnland Orale Gesundheit vor dem 7-Jahres- Follow-up von Herzinfarkt-Patienten De Stefano et al. 1993, USA Oraler Gesundheitszustand vor dem

14-Jahres-Follow-up. Ausschluss von bei Studienbeginn Herzkranken wird angenommen.

Beck et al. 1996, USA Parodontitis und Knochenniveau vor dem 18-Jahres-Follow-up bei syste- misch gesunden Männern

Joshipura et al. 1996, USA Männer, die zu Studienbeginn über Anzeichen und Symptome einer koronaren Herzerkrankung berich- teten, wurden von der Studie aus- geschlossen

Genco et al. 1997, USA Knochenverlust vor dem 10-Jahres- Follow-up

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Abb. 5 zeigt neuste Erkenntnisse aus der Studie von BECKet al.

(1996), die das Ausmass der Exposition an parodontaler Infek- tion genauer untersuchte. Darin werden die Anzahl Sondie- rungsstellen mit >20% Knochenverlust berichtigt nach allen

relevanten Risikofaktoren dargestellt, um einen allfälligen Zu- sammenhang zwischen Ausmass der Infektion und koronaren Herzerkrankungen insgesamt zu beschreiben. Die Linie stellt die vom logistischen Regressionsmodell prognostizierten Werte Abb. 2 Knochenverlustniveau und kumulative Inzidenz koronarer Herzerkrankungen, berichtigt nach Alter

Abb. 3 Knochenverlustniveau und kumulative Inzidenz tödlicher koronarer Herzerkrankungen, berichtigt nach Alter

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dar, wenn eine lineare Dosis-Wirkungs-Relation zwischen zu- nehmender Anzahl Stellen mit Knochenverlust >20% und koronaren Herzerkrankungen insgesamt angenommen und nach Alter berichtigt wird. Das Modell ist signifikant mit einem

p-Wert von 0,01 und zeigt, dass die prognostizierten Quoten- verhältnisse von 1,04 für eine oder zwei Stellen bis zu 2,9 für 11 bis 20 Stellen reichen. Die Balken zeigen die beobachteten Quotenverhältnisse für diese Werte, die leicht von den prognos- Abb. 4 Knochenverlustniveau und kumulative Inzidenz von Schlaganfällen, berichtigt nach Alter

Abb. 5 Quotenverhältnis und 95%-Vertrauensintervall für Anzahl Stellen mit >20% Knochenverlust und koronare Herz- erkrankungen insgesamt, berichtigt nach Alter und anderen relevanten Risikofaktoren

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tizierten abweichen, wobei die am stärksten überschätzte Ratio am Ende der Verteilung liegt (11 bis 20 Stellen). Diese Ergebnis- se zeigen, dass mit dem Ausmass der Infektion das Risiko für koronare Herzerkrankung unabhängig von den anderen Risko- faktoren zunimmt, und bestätigt die These eines biologischen Gradienten zwischen Ausdehnung des parodontalen Knochen- verlusts und koronaren Herzerkrankungen.

Sind die Assoziationen biologisch plausibel?

Infektionen stehen unter dem Verdacht, ein Risikofaktor für Atherogenese und thromboembolische Ereignisse zu sein (Eu- ropean Society of Cardiology, 1993). Die chronische Entzün- dungsbelastung, die von parodontalen Infektionen ausgeht, lie- fert zusammen mit der Reaktion des Patienten darauf die Basis für unser hypothetisches Modell einer Assoziation zwischen parodontaler Erkrankung und Atherosklerose, koronaren Herz- erkrankungen und Schlaganfall. Dieses Modell ist in Abb. 6 dar- gestellt und wurde an anderer Stelle ausführlich beschrieben (BECKet al. 1996).

Neuere Daten zeigen immer deutlicher, dass es grosse Unter- schiede in der Reaktion verschiedener Patienten auf bakterielle Infekte gibt (OFFENBACHERet al. 1994, HERNICHEL-GORBACHet al.

1994). Diese Differenzen werden den interindividuellen Unter- schieden im T-Zell-Repertoire und der sekretorischen Kapazität von Monozyten zugeschrieben. So können gewisse Individuen eine anormal heftige entzündliche Reaktion auf bestimmte mi- krobielle Erreger oder LPS entwickeln, die sich in der Freiset- zung hoher Mengen an Entzündungsmediatoren wie PGE2, IL- 1 und TNF zeigt. Es ist typisch für Individuen dieses hyperinflammatorischen Phänotyps (MØ+),dass ihre periphe- ren Monozyten 3–10-mal mehr Mediatoren absondern, als dies bei Individuen des normalen Monozyten-Phänotyps der Fall ist (OFFENBACHERet al. 1994, HERNICHEL-GORBACHet al. 1994). Die- se grossen interindividuellen Unterschiede in der Entzün-

dungsantwort auf eine bestimmte bakterielle Belastung be- trachten verschiedene Forscher als direkte Konsequenz zweier Faktoren: einerseits Gene, die die Reaktion der T-Zellen auf Monozyten regulieren, und andererseits das körpereigene mi- krobielle Milieu, das diese Reaktion fördern oder dämpfen kann.

Daten aus unseren (OFFENBACHERet al. 1994, SHAPIRAet al. 1994) und anderen (HERNICHEL-GORBACHet al. 1994) Labors haben ergeben, dass Patienten mit bestimmten Formen parodontaler Erkrankungen einen hyperinflammatorischen Monozyten- Phänotyp (MØ+)aufweisen. Einerseits handelt es sich dabei um Patienten mit früh auftretender Parodontitis oder mit Rückfällen und andererseits um Patienten mit insulinabhängigem Diabetes mellitus (IDDM). Die von uns vorgeschlagene Assoziation des +-Phänotyps mit parodontaler Infektion und Atherosklerose stützt sich auf die folgenden übereinstimmenden Beobachtun- gen: 1. Zellen der monozytischen Linie und die dazugehörigen Zytokine spielen eine kritische Rolle sowohl in der Initiation und Ausbreitung der Atherombildung als auch bei parodonta- len Erkrankungen (MARCUS& HAIJAR1993, OFFENBACHERet al.

1993), 2. scheint MØ+sowohl genetischen als auch milieube- dingten Einflüssen unterworfen zu sein. Die monozytische Hyperreaktivität auf LPS wurde genetisch versuchsweise der Region HLA-DR3/4oder -DQzugeordnet, derselben Region al- so, in der man auch die höhere Anfälligkeit für IDDM vermutet (TODD1990, LESLIEet al. 1989). Ausserdem konnte nachgewie- sen werden, dass mit einer diätinduzierten Erhöhung des LDL- Spiegels im Serum monozytische Reaktionen auf LPS reguliert werden konnten, was einer verhaltens- oder milieuabhängigen Beeinflussung des MØ+-Phänotyps entspricht. Bekannte Risi- kofaktoren für koronare Herzerkrankungen wie hoher Fettkon- sum könnten folglich die Monozyten-Sekretion von inflamma- torischen und gewebedestruktiven Zytokinen fördern, und dieser Mechanismus könnte dann sowohl die Erkrankungen

Abb. 6 Vorgeschlagenes Modell

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des Herzens als auch des Parodonts verschlimmern.

Die kritische regulierende Rolle des Aktivierungswegs von LPSMediatoren wurde in der Pathogenese parodonta- ler Erkrankungen häufig beobachtet. Diese Mediatoren neh- men im parodontalen Gewebe und in der gingivalen Sulkus- flüssigkeit mit zunehmender Schwere der Erkrankung sowie während aktiven Schüben des Krankheitsverlaufs dramatisch zu. Es mehren sich die Hinweise, dass der Aktivierungsweg der LPSMediatoren auch in infektionsassoziierter Atheroge- nese und Thromboembolie eine kritische Rolle spielen könnte.

Unsere Hypothese lautet also, dass der MØ+-Phänotyp gewisse Individuen einem verstärkten Risiko für Atherosklerose/koro- nare Herzerkrankungen und Parodontitis aussetzt. Ausserdem stellen wir die Behauptung auf, dass bestimmte Faktoren wie z.B. Ernährungsgewohnheiten den MØ+-Phänotyp fördern und dadurch eventuell zum Auftreten von Atherosklerose und Paro- dontitis beitragen. Schliesslich können parodontale Infektionen direkt zur Pathogenese von Atherosklerose und thromboembo- lischen Ereignissen beitragen, indem sie wiederholte vaskuläre Schübe von LPS und entzündungsfördernden Zytokinen verur- sachen.

Weitere Daten weisen darauf hin, dass die parodontalen Patho- gene selbst eine ätiologische Rolle spielen könnten. HERZBERGet al. (1992) wiesen nach, dass Infektionen mit S. sanguis,einem su- pragingivalen Plaque-Organismus, die Plättchen-Aggregation verstärkt. Sie berichteten über ähnliche Ergebnisse bei P. gingi- valis(1994), einem parodontalen Pathogen. Ihr Forschungsziel war es, die Bedeutung oraler grampositiver Bakterien, einsch- liesslich Streptokokken-Arten wie S. sanguisund parodontaler Pathogene wie P. gingivalis,für die Entstehung thromboemboli- scher Ereignisse abzuschätzen. Dies hängt auch mit unserer primären Hypothese zusammen. Ausserdem stützt die Identifi- zierung von Parodontitis-Pathogenen in Atheromen Herzbergs Ergebnisse (HARASHTYV I, ZAMBONJ J, TREVISANM, SHAHR, ZEID

M, GENCOR J. Identification of pathogens in atheromatous pla- ques. J Dent Res, 1998; 77 [IADR Abstracts]: 666). In 19 von 27 durch Endarteriektomie gewonnenen Atheromen wurden bak- terielle DNA parodontaler Pathogene nachgewiesen.Von diesen neunzehn konnten in sechs A. actinomycetemcomitans,in sechs P. gingivalisund in sieben P. intermedianachgewiesen werden.

Es zeigte sich auch eine Tendenz dieser parodontalen Pathoge- ne, zusammen aufzutreten, da sieben Patienten zwei oder mehr Organismen aufwiesen.

Ein kürzlich erschienener Artikel von RIDKERet al. (1997) ergab weitere Hinweise darauf, dass Entzündung eine Ursache für Atherosklerose und koronare Herzkrankheit sein kann. In einer Studie an 1043 scheinbar gesunden Männern konnte anhand der Konzentration von C-reaktivem Protein im Plasma (ein In- dikator für Entzündungen) ein zukünftiges Risiko für Herzin- farkt und Schlaganfall prognostiziert werden. Aspirin-Therapie führte zur Reduktion kardiovaskulärer Erkrankungen einerseits und des Gehalts an C-reaktiven Proteinen andererseits. Diese Ergebnisse zeigen, dass entzündungshemmende Wirkstoffe be- züglich kardiovaskulärer Erkrankungen präventiv wirken kön- nen. Ein weiterer, neuerer Artikel verbindet Ridkers Ergebnisse mit Parodontitis. EBERSOLEet al. (1997) fanden bei erwachsenen Parodontitis-Patienten höhere Werte an C-reaktivem Protein (CRP) und Haptoglobin (Hp) als bei parodontal gesunden Pro- banden. Sowohl die CRP- als auch die Hp-Werte nahmen nach der parodontalen Therapie signifikant ab. Schliesslich beschrei- ben Loos et al. eine Studie an 153 systemisch gesunden Pro- banden, darunter 108 Patienten mit unbehandelter Parodontitis und 45 Kontrollpersonen (LOOS B, HUTTER J, VAROUFKAKI H,

BULTHUISJ, CRAADJIKJ, HUFFELSRAM, HOEKF K,VAN DERVELDEN U. Levels of C-reactive in periodontitis patients and healthy controls. J Dent Res, 1998; 77 [IADR Abstracts]: 666). Die mitt- leren CRP-Werte im Plasma waren bei den Parodontitis-Pa- tienten höher (2,5 mg/L gegen 1,2 in der Kontrollgruppe, p = 0.001). Ausserdem hatten Patienten mit schwerer Parodon- titis (SP) signifikant höhere CRP-Werte als Patienten mit leich- ter Parodontitis (LP), und bei beiden waren die Werte signifi- kant höher als in der Kontrollgruppe. Ausserdem war der Prozentsatz von Patienten mit hohen CRP-Werten (CRP 3 mg/L) in der SP-Gruppe höher (35%) als in der LP-Gruppe (23%) und der Kontrollgruppe (10%).

Existieren experimentelle Hinweise aus Interventions- studien an Tieren oder Menschen?

Obwohl Experimente in den ursprünglichen Bradford-Hill-Kri- terien für Kausalität nicht vorgesehen sind, werden Assoziatio- nen, die nicht nur letztere erfüllen, sondern auch in gut kontrol- lierten Experimenten bestätigt werden, ernster genommen.

Experimentelle Hinweise stammen meistens aus Tierversuchen, doch wurden auch einige Versuche, meist Interventionsstudien, an Menschen durchgeführt.

Zurzeit haben nur die im vorhergehenden Abschnitt beschrie- benen Tierversuche von HERZBERGet al. (1992, 1994) Beziehun- gen zwischen Infektionen mit oralen Organismen und kardio- vaskulären Folgen aufgezeigt. Auch sind keine Studien an Menschen bekannt, in denen versucht worden wäre, die Inzi- denz von koronaren Herzerkrankungen durch orale Behand- lungen zu verringern.

Diskussion

Es wurden zwei Arten epidemiologischer Kriterien diskutiert, eine zur Bestimmung eines Risikofaktors und eine andere zur Bestimmung der Kausalität. Unser primäres Ziel war es, Unter- suchungen zu bewerten, gemäss denen die orale Gesundheit, spezifisch Parodontitis, einen Risikofaktor für Atherosklerose/

koronare Herzerkrankungen darstellt. Diese Arbeit wurde je- doch nach den Kriterien für Kausalität strukturiert, da diese strenger sind und unser sekundäres Ziel darin bestand, den Sta- tus der oralen Gesundheit als kausalen Faktor für Atheros- klerose/koronare Herzerkrankungen zu bewerten.

Die fünf beschriebenen Longitudinalstudien zeigten, dass die Assoziationen zwischen oralem Gesundheitszustand und koro- naren Herzerkrankungen bei verschiedenen Populationen und verschiedenen Beurteilungskriterien für Parodontitis (Knochen- verlust und Sondierungstiefe) bemerkenswert konsistent sind.

Ausserdem zeigten diese Studien, dass die orale Krankheit der Herzkrankheit vorausging, was auch diejenige Studie bestätig- te, die die oralen Bedingungen mit neuen Ereignissen nach ei- nem ersten Herzinfarkt verknüpfte.

Weisen die Hinweise Parodontitis als Risikofaktor aus?

Wenn nicht: welche zusätzlichen Beweise würden benötigt?

Wenn die Kriterien auch nur knapp erfüllt werden, halten wir die vorliegenden Hinweise doch für ausreichend, um Parodon- titis als Risikofaktor für Atherosklerose/koronare Herzerkran- kungen zu interpretieren. Einige Vorbehalte bleiben jedoch be- stehen. Während die in einem breiten Spektrum von Proban- den gefundenen und bemerkenswert konsistenten Assoziatio- nen darauf hinweisen, dass Parodontitis der koronaren Herzer- krankung vorausgeht, stellen sich diese Assoziationen weitge-

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hend durch Quotenverhältnisse und Risikoraten zwischen 1,2 und 2,8 dar. Dieses Niveau der Assoziation bestätigt zwar, dass orale Erkrankungen an einer grossen Anzahl von Fällen koro- narer Herzerkrankungen beteiligt sein könnten, doch könnten Assoziationen mit so kleinen Werten möglicherweise auch auf verschiedenen Verzerrungen beruhen. Hinzu kommt, dass alle berücksichtigten Longitudinalstudien Sekundäranalysen von nicht speziell zu diesem Zweck gesammelten Daten waren. Da- her wäre es beruhigend, wenn diese Resultate durch speziell zu diesem Zweck durchgeführte Studien bestätigt werden könn- ten. Besonders nützlich wären Bestätigungen aus Interven- tionsstudien.

Zeigen die Hinweise, dass Parodontitis kausal sein könnte?

Wenn nicht, welche zusätzlichen Hinweise würden benötigt?

Die Frage nach der Spezifizität der gefundenen Assoziation zeigt, dass die Assoziationen zwischen oraler Krankheit und Atherosklerose bzw. koronaren Herzerkrankungen auch dann signifikant bleiben, wenn relevante, etablierte Risikofaktoren mit einberechnet werden. Einige Studien berichten jedoch, dass Parodontitis mit der Sterblichkeit insgesamt sowie mit Unterge- wicht bei Neugeborenen assoziiert ist. Diese multiplen Assozia- tionen schmälern die Glaubwürdigkeit von Parodontitis als kausalem Faktor, da spezifische Assoziationen häufiger kausal sind. Andererseits dürfte die Gesamt-Sterblichkeitsrate stark von kardiovaskulären Krankheiten abhängen, da diese bei älte- ren Erwachsenen die wichtigste Todesursache sind. Ausserdem liegen oft auch Todesfällen, die anderen Ursachen zugeschrie- ben werden, Herzerkrankungen zu Grunde. Deshalb ist es wichtig, bei Interventionsstudien mit «sekundärer Prävention»

von kardiovaskulären Erkrankungen die Gesamtsterblichkeit als Ergebnis mit einzubeziehen. Des Weiteren haben sich ge- wisse Expositionen, wie z. B. das Rauchen, als Risikofaktor für verschiedene Krankheiten – Herzerkrankungen, Krebs und Par- odontitis – erwiesen. Schliesslich besteht immer noch die Mög- lichkeit, dass ein bisher nicht erfasster, noch unbekannter Ein- fluss Grund für die gefundene Assoziation ist. Wir schliessen daher, dass mehr überzeugende Daten benötigt werden, um die vorliegenden Ergebnisse zu diesem Kriterium zu bestätigen.

Bis jetzt hat eine Studie (BECK et al. 1996) Ergebnisse über einen Dosis-Wirkungs-Effekt zwischen Knochenverlust und Inzidenz koronarer Herzerkrankungen, tödlich verlaufenen koronaren Herzerkrankungen und Schlaganfällen vorgestellt.

Darin wurde ein Zusammenhang zwischen der Anzahl betrof- fener Stellen (ein Mass für die Ausdehnung der oralen Erkran- kung) und der Inzidenz von koronaren Herzerkrankungen nachgewiesen. Wir sind der Meinung, dass Hinweise aus vie- len Studien benötigt werden, um die Gültigkeit dieser Ergeb- nisse zu bestätigen.

Schliesslich haben wir in einer früheren Arbeit (BECKet al. 1996) ein Arbeitsmodell vorgeschlagen (im vorliegenden Artikel zu- sammengefasst dargestellt), das mit der Literatur über Infektio- nen und Entzündungen als ätiologischem Faktor für Atheros- klerose und koronaren Herzerkrankungen übereinstimmt.

Andere Studien zeigten eine direktere Rolle von oralen Patho- genen in der Bildung von Atheromatose. Diese Ergebnisse zei- gen, dass die Assoziation zwischen Parodontitis und Herzer- krankungen biologisch plausibel ist, und unterstützen das vor- geschlagene Modell, das die Entzündungsreaktion als Schlüs- seldeterminante des Risikos sowohl für parodontale Erkran- kungen als auch für Atherosklerose und koronare Herzerkran- kungen zeigt. Es müssen jedoch noch weitere Studien über

andere Aspekte des vorgeschlagenen Modells durchgeführt werden.

Die vorliegenden Hinweise auf eine kausale Rolle von Paro- dontitis bei der Entstehung von Herzerkrankungen genügen nicht als Beweise. Sie lassen aber eine solche kausale Rolle ver- muten und es könnte sein, dass die Kriterien für Kausalität in nicht allzu ferner Zukunft erfüllt werden könnten.

Konsequenzen für den praktizierenden Zahnarzt

Wenn die zukünftige Forschung beweisen sollte, dass Parodon- titis ein Risikofaktor für Herzerkrankungen und Schlaganfälle ist und dass das Risiko, diese Krankheiten zu entwickeln, durch Behandlung der parodontalen Erkrankungen verringert werden kann, wird dies bedeutende Folgen für die zahnärztliche Praxis haben. Je nach Perspektive werden einige der Veränderungen recht positiv, andere eher negativ sein. Nachfolgend eine Liste unserer diesbezüglichen Spekulationen:

Wichtigkeit. Wenn den Menschen die systemischen Konse- quenzen von parodontalen Erkrankungen bewusst werden, wird diese Krankheit im öffentlichen Gesundheitssystem mehr Gewicht bekommen. Die Menschen werden ihrer ora- len Gesundheit mehr Aufmerksamkeit widmen und sich eher bewusst sein, dass eine Beeinträchtigung der parodontalen Gesundheit ernst zu nehmen ist. Daraus dürfte eine gestei- gerte Nachfrage nach parodontalen Behandlungen durch Parodontologen, allgemeine Zahnärzte und Dentalhygieni- kerinnen entstehen.

Wahrnehmung des Risikos.Früher war die unerwünschte Kon- sequenz von Parodontitis der Zahnverlust. Diese Wahrneh- mung des Risikos könnte sich dramatisch verändern. Das Be- halten der eigenen Zähne könnte als ernsthaftes Risiko empfunden werden und Zahnverlust als ein Weg, dieses Risi- ko zu vermindern. Diese neue Perspektive bedeutet, dass es für praktizierende Zahnärzte schwieriger wird, ihre Patienten entsprechend zu informieren und dass der Berufsstand insge- samt für eine angemessene Information von Praktikern und Öffentlichkeit über diese Themen sensibilisiert werden muss.

Herdinfektion.Die Theorie der Herdinfektion war im frühen 20. Jahrhundert in Mode und führte häufig zu Zahnextraktio- nen und Zahnlosigkeit. Die Assoziationen parodontaler und systemischer Erkrankungen unterstützen diese Vorstellung der Herdinfektion. Wir verstehen heute jedoch, dass die mei- sten Krankheiten multikausal sind, und haben eine genauere Vorstellung über das Mass des zusätzlichen Risikos, das jede Komponente mit sich bringt. Ausserdem sind wir heute für die Prävention und Behandlung parodontaler Erkrankungen besser gerüstet. Diese Assoziationen bedeuten jedoch, dass Berufsstand und Öffentlichkeit sich der potenziell ernsthaf- ten Folgen zahnärztlicher Behandlungsentscheide stärker be- wusst werden.

Verhalten der Ärzte.Wenn Ärzte mit diesen Assoziationen ver- trauter werden, ist anzunehmen, dass sich der Pflegestandard verändern wird. Parodontale Erkrankungen könnten auf die Checkliste zur Erstellung des Risikoprofils eines Patienten für koronare Herzerkrankungen und Schlaganfall gesetzt wer- den. Ausserdem sollte die Untersuchung des oralen Gesund- heitszustandes und die Behandlung von parodontalen Er- krankungen Teil der Standardbehandlung für Patienten mit dem entsprechenden Risikoprofil werden. Daraus wird eine Zunahme der Nachfrage nach parodontalen Behandlungen entstehen.

Krankenversicherung.Versicherer, insbesondere solche, die auch Versicherungen für Zahnbehandlungen anbieten, werden eher

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präventive zahnärztliche Massnahmen fördern. Ausserdem werden sie eher geneigt sein, für Parodontitis-Behandlungen aufzukommen, um so das Risiko für viel teurere Ansprüche in- folge kardiovaskulärer Erkrankungen zu senken.

Parodontale Medizin.Alle diese Veränderungen werden es er- forderlich machen, dass Zahnärzte gute Kenntnisse über die Zusammenhänge zwischen oralen und systemischen Erkran- kungen haben. Ein grösseres oral- und allgemeinmedizini- sches Wissen wird nötig sein, um Risiken besser einschätzen, geeignete Behandlungsentscheidungen treffen, richtig be- handeln und den Erfolg messen zu können.

Summary

BECKJ, OFFENBACHERS:Oral health and systemic disease:

Periodontitis and cardiovascular disease(in German). Acta Med Dent Helv 5: 56–68 (2000)

In most countries, coronary heart disease is one of the leading causes of morbidity and death. This presentation will review the current evidence indicating that oral conditions (specifically pe- riodontitis) may be a risk factor for coronary heart disease. This review is done in the context of the research indicating that in- flammation may be one cause of atherosclerosis/CHD and that there is a substantial systemic microbial and inflammatory bur- den associated with periodontal disease. Studies investigating the relationship between dental conditions and atherosclerosis/

CHD are reviewed in terms of the strength, consistency, and specificity of the associations; the time sequence between onset of periodontal disease and onset of heart disease; and dose- response effects. Findings also are presented indicating that the extent of the periodontal infection (a measure reflecting extent of inflammation and possibly, microbial burden) also is related to onset of new CHD events.

We conclude that the available evidence may allow an interpre- tation of periodontitis being a risk factor for atherosclerosis/

CHD, but that there is not yet enough evidence to determine if periodontitis is part of the causal chain. Finally, the potential implications of this association are discussed.

Résumé

Dans la plupart des pays, les maladies cardiovasculaires sont une des causes majeures de maladies et de décès. Ce travail a pour but de mettre en évidence la participation possible des maladies de la cavité buccale (en particulier la parodontite) dans le développement des maladies cardiovasculaires. Cet article se base sur les résultats d’études qui indiquent que des facteurs de l’inflammation pourraient représenter une cause d’athérosclé- rose et de problèmes cardiovasculaires et que la parodontite provoquerait une forte surcharge systémique inflammatoire et microbienne. Les études sur la relation entre santé bucco-den- taire et athérosclérose ont été examinées selon la force, la repro- ductibilité et la spécificité des associations entre le début de la parodontite et la survenue de la maladie cardiovasculaire, ainsi que par rapport à la relation dose-effet. De plus, des résultats qui montrent que l’étendue de la parodontite (extension de l’in- flammation et de la charge microbienne) est en relation avec la survenue de nouveaux problèmes cardiovasculaires, sont aussi présentés.

Les données qui sont actuellement à disposition montrent que la parodontite est un facteur de risque pour l’athérosclérose et les maladies cardiovasculaires. Par contre, sa participation dans la chaîne de réaction de ces maladies n’a pas encore été claire-

ment démontrée.

Finalement, les conséquences potentielles de cette association sont discutées.

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Referenzen

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