angelegte gesundheitspolitische Weichenstellung erforderlich, die den Ausgleich zwischen den medizi- nischen Erfordernissen einerseits und dem finanziell Tragbaren ande- rerseits dauerhaft herstelle.
Dr. Klaus Voelker
Scharfe Absage an noch mehr Reglementierung
Für Außenstehende mögen sie kaum mehr als eine schlichte
"Orientierungshilfe" für ärztliche Verordnungen sein, doch die Kas- senärzte sehen den wahren Spreng- satz: Mit den in Paragraph 113 des Referentenentwurfs geforderten Richtwerten wird etwas auf den Weg gebracht, das letztlich Ärzte und Pa- tienten in eine Zwangsjacke steckt.
~ "Wir geraten in unseren me- dizinischen Entscheidungen unter den Druck einer starren ökonomi-
schen Größe, die mit notwendiger
und zweckmäßiger Krankenbehand- lung nichts, aber auch gar nichts zu tun hat", warnte Dr. Klaus Voelker eindringlich vor den Folgen dieser · Bestimmung.
Voelker befaßte sich in seinem Referat vor der Vertreterversamm- lung ausführlich mit der Absicht des Bundesarbeitsministeriums, quar- tals- oder jahresbezogen arztgrup- penspezifische Richtwerte für das Verordnungsvolumen der Ärzte auf- stellen zu lassen. Das alles unter dem Diktat der Beitragssatzstabili- tät. Der entsprechende Paragraph fordert beim Überschreiten der Richtwerte eine unmittelbare Wirt- schaftlichkeitsprüfung - automatisch ausgelöst und ohne Rücksicht auf Faktoren, die der Arzt selbst nicht beeinflussen kann.
~ Wie wirklichkeitsfremd die- se Richtwerte sind, machte Voelker anband einiger Beispiele klar: Wie soll der Arzt wissen, wieviele Patien- ten mit welchen Krankheiten Tag für Tag, Woche für Woche und Quartal für Quartal seiner Hilfe be-
dürfen? Was geschieht bei einer Grippewelle? Wo werden Praxisbe- sonderheiten berücksichtigt? Alles Fragen, auf die der Paragraph 113 keine Antworten gibt.
Die wirtschaftliche Verord- nungsweise könne auch ohne die ebenso bürokratischen wie fragwür- digen Richtwerte überprüft werden.
Dies regele der Paragraph 112 mit dem zusätzlichen Instrument der stichprobenartigen Prüfungen. An- stelle von mehr Bürokratie und Gängelei durch unsinnige Richtwer- te forderte Voelker mehr Informa- tion und Beratung. Das gleiche gelte für die beabsichtigte Bindung des Kassenarztes an eine Krankenhaus- Preisvergleichsliste und die schrift- liche Begründungspflicht für jede einzelne Einweisung.
Voelker monierte an der Rege- lung im Referentenentwurf: , , Wo bleiben da die besonderen Bedürf- nisse des Patienten? Wo bleibt da die Berücksichtigung der individuel- len Qualifikation bestimmter Kran- kenhausärzte für bestimmte Eingrif- fe? Was soll diese geradezu uner- trägliche Belastung des Kassenarz- tes, im Einzelfall die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung jeweils schriftlich begründen zu müssen?''
~ Voelker wandte sich auch gegen die vorgesehenen Verord-
Klaus Voelker
nungsermächtigungen: , ,Entspricht es einer Stärkung der Selbstverwal- tung, wenn ihr das gut funktionie- rende Instrument der Schlichtung in wesentlichen Teilbereichen genom- men wird? Wenn statt dessen der Bundesarbeitsminister in bisher nicht gekanntem Ausmaß ermäch- tigt wird, bei Nichteinigung der Part- ner der Selbstverwaltung unmittel- bar per Rechtsverordnung einzu- greifen?"
Fazit: Die Kassenärzte lehnen eine Überbürokratisierung des Ge- sundheitswesens ab und fordern im Sinne der ärztlichen Entscheidungs- freiheit eine klare Absage an alle Pläne, die kassenärztliche Tätigkeit übermäßig zu reglementieren.
Prof. Dr. E.-E. Weinhold
"Prä und Post"
ist vollkommen überflüssig!
Das Vertrauen der Ärzte in die Gesundheits- und Sozialpolitik der Regierung droht zu schwinden. Zu viele Bestimmungen des Referen- tenentwurfs zielen darauf ab, den Si- cherstellungsauftrag der KVen zu beschneiden- und das alles ohne er- kennbaren Sinn und Nutzen, führte Professor Dr. Ernst-Eberhard Wein- hold aus.
~ Das KBV-Vorstandsmitglied nannte an erster Stelle die vorgese- henen Regelungen zur prästationä- ren Diagnostik und poststationären Behandlung im Krankenhaus. Da- von sei weder ein Bettenabbau noch mehr Humanität zu erwarten.
Aus ärztlicher Sicht seien solche Erwartungen graue Theorie, gerade- zu Augenwischerei. Denn wie sieht es heute aus? Weinhold: "Auch heute schon werden Patienten, deren statio- näre Behandlung noch aufgeschoben werden kann, entweder durch betei- ligte oder ermächtigte Krankenhaus- ärzte oder durch die einweisenden Ärzte ambulant weiterbehandelt, und zwar im Rahmen der kassen- ärztlichen Versorgung. Die dadurch
Dt. Ärztebl. 85, Heft 13, 31. März 1988 (23) A-839
Ernst-Eberhard Weinhold
vorgegebene persönliche Zusam- menarbeit von Ärzten aus Klinik und Praxis sichert klare Verantwort- lichkeiten und persönliche Zuwen- dung. Die Institutionalisierung am- bulanter Krankenhausleistungen, für die es keine Prüfung auf Wirt- schaftlichkeit gibt, würde eine Maxi- malmedizin in Konkurrenz zur kas- senärztlichen Versorgung provozie- ren, und die damit verbundene Anonymisierung würde ein Weniger an Humanität bedeuten.''
Am Ende der Referentenvor- stellungen aus dem Bundesarbeits- ministerium zu Prä/Post stünden volle Betten und vollausgelastete Prä/Post-Abteilungen. Zusätzlich würden die Zusammenarbeit von Ärzten in Klinik und Praxis gestört, der Patient seinem behandelnden Kassenarzt entfremdet und zu allem Überfluß noch erhebliche Mehrko- sten verursacht.
..,.. Auch die Ausgliederung der psychiatrischen Institutsambulanzen und sozialpädiatrischen Zentren aus dem Sicherstellungsauftrag lehnte Weinhold entschieden ab: "Ein dy- namisches Eigenleben mit erheb- lichen finanziellen Auswirkungen ist programmiert.'' Hier gelte das glei- che wie bei Prä/Post: Schon heute bestehen die Möglichkeiten zu einer sinnvollen und ausreichenden Zu-
sammenarbeit auf der Basis des gel- tenden Rechts.
Als völlig unverständlich werte- te das KBV-Vorstandsmitglied den Vorstoß zu gesetzlichen Regelungen über medizinisch-technische Groß- geräte. Der Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen habe erst un- längst zu diesem Bereich eine Rege- lung getroffen, die von Minister Blüm selbst ausdrücklich gelobt worden war.
Professor Weinhold nannte noch weitere Punkte: Die geplante Zwischenschaltung des Krankerr- hausträgers in das Abrechnungsver- hältnis zwischen dem ermächtigten Krankenhausarzt und der Kassen- ärztlichen Vereinigung und den Not- und Bereitschaftsdienst , ,durch das Krankenhaus''.
Die einschlägigen Paragraphen des Referentenentwurfs zeigten der- artige Ungereigltheiten, daß eine grundsätzliche Uberarbeitung unab- dingbar sei. Die Kassenärzte, be- kräftigte Professor Weinhold, wer- den sich mit aller Macht gegen weit- reichende Eingriffe in den Sicher- stellungsauftrag wehren. Es gehe da- bei nicht um die Bewahrung irgend- welcher , ,angestammter Privile- gien'', sondern um die Verteidigung eines Grundpfeilers der kassenärzt- liehen Versorgung.
Dr. Otfrid P. Schaefer
Ernste Warnung vor Gefahren des Datenmißbrauchs
Schwerwiegende Bedenken macht die Kassenärztliche Bundes- vereinigung nach wie vor gegen die im Referentenentwurf geplante übermäßige Datenerfassung gel- tend. Dr. Otfrid P. Schaefer warnte eindringlich vor der drohenden Ge- fährdung des Persönlichkeitsrechtes der vielen Millionen Versicherten durch die vorgesehenen Leistungs- konten.
Bisher sei es allgemeine politi- sche Auffassung gewesen, führte A-840 (24) Dt. Ärztebl. 85, Heft 13, 31. März 1988
Otfrid P. Schaefer
Schaefer aus, daß Gesundheitsdaten als besonders sensibel und schutz- würdig anzusehen seien. Doch im Referentenentwurf finde diese Auf- fassung keinen Niederschlag. Im Gegenteil: Selbst die Diskussion über die Volkszählung und das Ur- teil des Bundesverfassungsgerichts zu dem entsprechenden Gesetz scheinen an den Autoren des Referentenentwurf spurlos vorüber- gegangen zu sein.
Das Vorstandsmitglied der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung zeigte die bedenkliche Dimension der einschlägigen Paragraphen zum Datenaustausch und zur Daten- sammlung insgesamt anhand zahlrei- cher Beispiele auf. Er widerlegte gleichzeitig die Argumente aus dem Hause des Bundesarbeitsministeri- ums, die scheinbar für die umfassen- den Regelungen im Referentenent- wurf sprechen.
Vor allem sei die Behauptung unhaltbar, im Prinzip ändere sich nichts, weil schon heute alle Abrech- nungsbelege bei den Krankenkassen eingingen und dort auch erfaßt wer- den könnten. Schaefer: , ,Eine fatale Fehleinschätzung!''
..,.. Was jetzt vorgesehen sei, so Schaefer weiter, sei eben nicht nur eine bloße technische Umstellung auf moderne maschinelle Verfahren.