ARZTEBLATT
Heft 26 vom 29. Juni 1978
Tumorfahndung, Therapie- überwachung und Verlaufs- kop"trollen sind die derzeitigen Schwerpunkte der nuklearme- dizinischen Onkologie. Bei der" Metastasensuche kommt d~r" Knochen~zintigraphie ei-
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öesond~re Bedeutung iu.J '
Praxis der
nuklearmedizinischen Tumorfahndung
Ausgewählte Beispiele
Emil Heinz Graul
Aus der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin
(Direktoren: Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Emil Heinz Graul und Professor Dr. med. Friedhelm Hess)
der Philipps-Universität Marburg/Lahn
und der Spezialabteilung für klinische Nuklearmedizin (Konsiliarische Leitung: Professor Dr. Dr. Emil Heinz Graul) im Sanatorium Wicker, Bad Wildungen
Nachfolgend soll versucht werden, den gegenwärtigen Stand der dia- gnostischen Nuklearmedizin in der Onkologie anhand ausgewählter Beispiele aufzuzeigen mit dem Ziel, den praktischen Arzt zu motivieren, die Indikationen zur Durchführung nuklearmedizinischer Verfahren in der Tumordiagnostik zu erkennen und sie entsprechend zu initiieren*).
Die Beispiele sollen zeigen, daß die nuklearmedizinische In-vive-Dia- gnostik ein wertvolles Hilfsmittel für die onkologische Fährtensuche ist.
Es besteht unseres Erachtens kein Zweifel, daß dieses Gebiet noch am Anfang einer vielversprechenden Entwicklung steht, an deren Ende durch Synthese geeigneter Radio- pharmaka das tumor"spezifische"
Radiopharmakon als Diagnostikum und -vielleicht auch- als Therapeu- tikum stehen könnte.
Erwähnt sei noch, daß neben der In- vive-Diagnostik bösartiger Tumoren in Zukunft auch die In-vitra-Diagno- stik eine wichtige Rolle spielen wird.
Mittels entsprechender Radioimmu- noassays wird es nicht nur möglich
sein, wie heute bereits in Ansätzen
erkennbar, den Malignitäts-und Re- zidivverlauf zu überwachen, son- dern mittels spezifischer Reaktionen auch Tumoren "in statu nascendi"
zu diagnostizieren. Den gegenwärti- gen Stand dieser Entwicklung auf- zuzeigen wird Gegenstand eines weiteren Artikels über onkologische Nuklearmedizin sein.
.,. Zu Abbildung 1: Typisches Spei- cherbild bei rechts-temporal gelege- nem Meningeom; scharf abgrenzba- re Aktivitätsanreicherung gegen- über dem gesunden Hirnparenchym.
(99mTc-Pertechnetat i. v. 1 Std. p. i.) Die untere Abbildung zeigt die linke Hirnhälfte ohne pathologischen Be- fund.
.,. Zu Abbildung 2: Liquorraumszin- tigramme 2, 6 und 24 Stunden nach
·) Ein einführender Aufsatz wurde im Rahmen der Karzinomserie in Heft 49/1977, Seite 2903 ff., veröffentlicht.
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Nuklearmedizinische Tumorfahndung
intralumbaler Applikation von 6 mCi
99mTc-DTPA. Bereits im Sechsstun- denbild zeigt sich ein Stop der Akti- vitätsausbreitung im spinalen Li- quorkanal. Im Sektionsbefund zeig- te sich ein Knochensarkom der Brustwirbelsäule.
..,. Zu Abbildung 3: Schilddrüsen- karzinom im rechten Schilddrüsen- lappen bei einer Knotenstruma. Es handelt sich szintigraphisch um ei-
Abbildung 1 (oben)
nen sogenannten kalten Knoten. Ty- pisch für den malignen Befund ist auch die unregelmäßige Abgren- zung von dem Speichermuster des übrigen Schilddrüsenparenchyms.
(Histologisch zeigte sich ein entdif- ferenziertes Malignom, Metastasen konnten nicht nachgewiesen wer- den (1 mCi 99mTc-Pertechnetat) . ..,. Zu Abbildung 4: Metastasieren- des Schilddrüsenkarzinom. Sowohl
Abbildung 2 (rechts von oben nach unten)
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der primäre Tumor in der Schilddrü- se als auch die Metastasen reichern in spezifischer Weise Radiojod an.
Es handelt sich um ein differenzier- tes Schilddrüsenkarzinom, dessen Metastasen Radiojod selektiv anrei- chern. Das obere Bild zeigt die Aus- gangssituation mit positiver Radio- aktivitätsanreicherung im Schild- drüsenbereich. Besonders ausge- prägt ist die Metastase im rechten Oberarm-Schulter-Bereich. Dane-
Abbildung 3 (unten) Abbildung 4 (rechts)
Abbildung 5 (links)
Abbildung 6 (oben)
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Abbildung 7 (linke und mittlere Bildreihe von oben nach unten)
Abbildung 8 (rechte Bildreihe von oben nach unten)
Abbildung 9 (unten links und rechts)
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ben stellen sich intrathorakal weite- re Metastasen mit unterschiedlich starker Speicherung dar. Im Bild darunter sieht man den Szintigraphi- schen Befund nach Therapie. Die Metastasen sind kaum noch zu er- kennen; lediglich im Bereich des Primärtumors ist noch Radioaktivi- tät festzustellen. Die erste Behand- lung erfolgte mit 200 mCi 131J-Jodat.
Zwei Jahre später wurde der Primär- tumor exstirpiert urid nochmals 150 mCi 131J-Jodat nach TSH-Stimu- lierung appliziert. Der Patient ist seit nunmehr 20 Jahren beschwerde- und metastasenfrei.
Heute würde man therapeutisch an- ders vorgehen, indem man den Pri- märtumor total exstirpiert und an- schließend unter TSH-Stimulierung die Metastasen hochdosiert mit Ra- diojod behandelt.
~ Zu Abbildung 5: Lungenszinti- gramm fünf Minuten nach intrave- nöser Applikation von mit 3 mCi
99mTc markiertem makroaggregier- tem Humanalbumin. ln der rechten Lungenhälfte erkennt man nur noch im Unterfeld und im Spitzenbereich geringe Anreicherung der Radioak- tivität, kalte Zone im übrigen Lun- gengewebe. Bronchoskopisch han- delte es sich um eine fast komplette Obstruktion des Stammbronchus.
Die Biopsie ergab ein Plattenepithel- karzinom.
~ Zu Abbildung 6: Multiple Leber- metastasen, nachgewiesen durch Speicherdefekte im Leberparen- chym nach Applikation von 3 mCi
99mTc-Tesuloid (Kolloid). Kamera-
bild, aufgenommen 20 Minuten nach
i. v. Applikation des Tracers.
~ Zu Abbildung 7: Metastasierung in Leber und Nieren eines durch Ob- duktion verifizierten Kolonkarzi- noms. Besonders eindrucksvoll ist der Speicherdefekt in der Leber in der pa (b) und seitlichen Aufnahme (c) zu erkennen. Das Bild d zeigt die Milz in links-seitlicher Aufnahme mit Impression am medialen Rand. Die Abbildung e zeigt beide Nieren, wo- bei die rechte durch Metastasierung fast völlig destruiert ist.
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Nuklearmedizinische Tumorfahndung
Abbildung 10 (linkes und rechtes Bild)
DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 26 vom 29. Juni 1978 1543
Tumorfahndung
..,.. Zu Abbildung 8: Pankreaskarzi- nom vom Kopf nach dem Mittelteil des Organs reichend. Bei diesen Ka- meraaufnahmen handelt es sich um die sogenannte Subtraktionsmetho- de. Bild b stellt Leber und Milz nach Applikation von 0,6 mCi 99mTc-Tesu- loid i. v. dar. Abbildung c zeigt die Kameraaufnahme in gleicher Posi- tion nach Applikation von 250 ~tCi
Se-75-Methionin i. v., das sowohl von Leber als auch von Pankreas gespeichert wird. Auf dem Farbdis- play lassen sich durch elektronische Manipulation der primären Kamera- bilder mittels nachgeordneter Da- tenverarbeitung die einzelnen radio- aktiven Substanzen (Tc-Tesuloid zum Beispiel blau und Se-75-Me- thionin rot) darstellen. Die Überlap- pungsbereiche von Se-75 und 99mTc (rot und blau) erscheinen hier weiß, während Pankreas (rot) und Milz (blau) in ihren Farben klar abgrenz- bar sind.
..,.. Zu Abbildung 9: Hypernephroi- des Nierenkarzinom rechts, im Szin- tigramm kaum noch darstellbares nach links verdrängtes Nierenparen- chym. Relativ gut speichernde linke Niere mit annähernd intakter Funk- tion im Nephrogramm (Kamerabild nach Applikation von 3 mCi 99mTc- Renotec, Nephrogramm mit 250 ~tCi 131J-Hippuran i. v.).
..,.. Zu Abbildung 10: Ganzkörper- knochenszintigramm mit multiplen Metastasen, ausgehend von einem Bronchialkarzinom. Man erkennt deutlich Herde vermehrter Aktivi- tätsanreicherung im Bereich des knöchernen Schädels, der Rippen und beider Oberschenkel (Szintigra- phie drei Stunden p. inj. von 15 mCi
99mTc-MDP).
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med. Dr. rer. nat.
Emil Heinz Graul Direktor der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin Lahnstraße 4a
3550 Marburg/Lahn
FÜR SIE GELESEN
Masernschutzimpfung erst nach dem
fünfzehnten Lebensmonat
Serologische Untersuchungen wur- den bei 34 Kindern durchgeführt, die im Alter von 12 Monaten aktiv gegen Masern immunisiert worden waren.
Dabei zeigte sich, daß 23 der 34 Kin- der zu diesem Zeitpunkt noch Anti- körper der Mutter gegen das Ma- sernvirus hatten. Die Kinder mit ei- nem hohen Antikörpertiter ließen nach der Impfung keine Serokonver- sion erkennen; diejenigen mit einem niedrigen Antikörpertiter serokon- vertierten, die resultierende Titerhö- he war jedoch signifikant niedriger als die bei Kindem ohne Leihtiter zum Zeitpunkt der Impfung. Die Er- gebnisse dieser Studie bieten eine Erklärungsmöglichkeit für das Ver- sagen der Masernimpfung bei Kin- dern im 12. Lebensmonat oder frü- her und unterstreichen die Notwen- digkeit der Empfehlung, die aktive Impfung auf den 15. Lebensmonat
zu verschieben. Göe
Al brecht, P., Ennis, F. A., Saltzman, E. J., and Krug man, S.: Persistence of matemal antibody in infants beyend 12 months: Mechanism of measles vaccine failure, J. Pediat 91 (1977) 715-718
Ovarialkarzinom:
Behandlungsergebnisse im Stadium 111
Die Autoren berichten über 62 Pa- tienten mit Ovarialkarzinom im Sta- dium 111, die postoperativ bestrahlt (ganzes Abdomen 3000 rd/4 Wo- chen, zusätzlich Beckenregion 2000 rd/2 Wochen) oder zytostatisch (teils Monotherapie mit Endoxan oder 5-Fiuorouracil, teils Polyche- motherapie mit Endoxan, 5-FU, Me- thotrexat, Vincristin, Prednison) be- handelt wurden. Nach Ausdehnung der nicht resezierten Tumoren wird das Patientenkollektiv unterteilt in eine prognostisch günstige (a) und eine prognostisch ungünstige (b) Gruppe. ln der Gruppe a waren die Behandlungsergebnisse nach
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Strahlentherapie und Chemothera- pie gleich, in der Gruppe b, also bei Vorliegen ausgedehnter Tumormas- sen, war die Überlebenszeit nach Chemotherapie signifikant höher als nach Strahlenbehandlung. Der Ein- satz der Polychemotherapie ergab keine besseren Ergebnisse als die Monotherapie mit Endoxan oder 5- FU,- die Autoren betonen jedoch die bessere Verträglichkeit der Mono-
therapie. Pr
Buchler, D., Kline, J., Davis, H., Ramirez, G., and Carr, W.: Stage 111 Ovarian Carcinoma:
Treatment and Results, Radiology 122 (1977) 469--472, Dept. of Gynecology and Obstetrics, Univ. of Wisconsin Center for Health Sciences, Madison, Wisc. 53 706
Gutartiger Botulismus
Von sechs bisher bekannten Botu- linum-Toxinen sind nur A, B und E für den Menschen gefährlich. Typ B ist in Deutschland am häufigsten. In- toxikationen können fatal, gutartig oder zumindest ohne Todesfälle ablaufen.
Bei vier Patienten untersuchten die Autoren systematisch elektroenze- phalographisch, pupillegraphisch und elektromyographisch. Sie woll- ten nicht nur über die motorischen, sondern auch über die zentralnervö- sen und die Störungen des vegetati- ven Nervensystems Aufschluß erhal- ten. Bei drei von vier Kranken fan- den sich Steilwellengruppen im EEG, die nur bei zwei innerhalb von drei Monaten verschwanden. Pupil- legraphisch ließen sich Störungen im Vegetativum weit länger nach- weisen, als sie klinisch auffielen.
Elektromyographisch wurde zu Be- ginn der Erkrankung eine tetanische Potenzierung, zwischen der vierten und der siebten Woche eine tetani- sche Reduzierung aufgezeichnet.
Die Autoren folgern, daß entgegen der bisherigen Auffassung Botuli- num-Toxin nicht nur an den peri- pheren Synapsen muskuläre Stö- rungen verursacht, sondern auch auf die zentralen Synapsen wirkt. Egl
Hagenah, R., Müller-Jensen, A.: Botulism: Clin- ical neurophysiological findings; J. Neuro I. 217 (1978) 159-171