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Academic year: 2022

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Veröffentlichungsreihe der Abteilung "Organisation und Technikgenese"

des Forschungsschwerpunktes Technik-Arbeit-Umwelt am WZB

FS II 95-107

Erosionen des Automobil-Leitbildes:

Auflösungserscheinungen, Beharrungstendenzen, neue technische Optionen und Aushandlungsprozesse

einer zukünftigen Mobilitätspolitik - Begründung eines Forschungsvorhabens - Meinolf Dierkes, Regina Buhr, Weert Canzler

und Andreas Knie

Projektgruppe Mobilität

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB) Reichpietschufer 50, 10785 Berlin

Telefon (030) 25491-0, Fax (030) 25491-684

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Zusammenfassung

Das Automobil ist in den hochentwickelten Industrienationen das dominante Verkehrsmittel mit hoher Ausstrahlungskraft auf die Regionen "nachholender" Modernisierung. Zur Sicherung von Funktion und Attraktivität müssen diese Fahrzeuge in ein entsprechendes Geräteumfeld eingebettet sein. Die weltweit hohe Übereinkunft von Herstellern, Nutzern und staatlichen Akteuren, Mobilität als Automobilität zu verstehen und das Automobil als eine Rennreiselimousine technisch zu interpretieren und zu funktionalisieren, kann mit der Verwendung des Leitbild-Begriffs konzeptuell erfaßt werden. Es gibt aber Indizien dafür, daß gerade der langanhaltende Erfolg dieses Leitbildes die Funktionsbedingungen des Automobils zu untergraben beginnt. Bei den drei wichtigsten Trägern dieser Verständigung, den Her- stellern, den Nutzern sowie den staatlichen Akteuren, können in den hochentwickelten Industrieländern Ablösungstendenzen vom bisherigen Leitbild ausgemacht werden, die zumindest ein bloßes Fortschreiben als nicht mehr wahrscheinlich erscheinen lassen.

Das hier begründete Forschungsprojekt geht davon aus, daß die Automobilindustrie bei der Gestaltung der zukünftigen Mobilitätspolitik eine zentrale Rolle einnimmt. Hierbei entwickeln die Hersteller ihre Produktpolitik in Abhängigkeit von gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, sie wirken mit ihren Strategieentwürfen aber auch auf diese zurück.

Das Forschungsprojekt geht dabei der Frage nach, ob der Automobilindustrie durch techni- sche und politische Modernisierungsleistungen die ReStabilisierung des traditionellen Automobil-Leitbildes gelingt oder ob im Kontext neuer politischer Bedingungen und ver- änderter Nutzungspraktiken die Zerfallsprozesse des bisherigen Leitbildes die Automobil- unternehmen in einen grundlegenden Transformationsprozeß eintreten und sich so vom Fahr- zeughersteller zu einem Anbieter von Mobilitätsdiensten wandeln.

Mit dieser Fragestellung wird an die sozialwissenschaftliche Technikgenese-Forschung ange- knüpft und die bislang dominierende Forschungsorientierung auf die Genese von Leitbildern und ihre Wirkungen im Prozeß der Technikentwicklung um die Frage nach den Zerfalls- bzw.

Modernisierungspotentialen und den hieran beteiligten Akteuren erweitert.

Abstract

The automobile in highly industrialized countries is the predominant mode of transportation with great impact on world regions of "catching up" modernization. A worldwide consensus among manufacturers, users and government is to understand "mobility" as "automobility"

and to interpret the automobile as "Rennreiselimousine". However, there are indications that precisely the longstanding success of this vision is beginning to undermine the conditions of the success. Hints for backing off from this vision can be found among manufacturers, users and government which seem to make a mere perpetuation unlikely.

The presented research project is based on the assumption that the car industry will play a central role in the shaping of the mobility policies in the future. The development of new pro- ducts by car manufacturers is dependent on the political frame, but strategy designs of the car manufacturers have also an impact on the framework. The central question of the research project is twofold:

1. Will auto manufacturers manage to restabilize the traditional guiding vision by means of technical and political modernization or

2. will the process of disintegration of the current vision - in light of changing political con- ditions and consumer preferences - lead to a transformation with car manufacturers con- verting into suppliers of mobility services.

These questions are part of a new research program of understanding not only the shaping but also the stabilization and the modernization of technology.

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Inhalt

Seite Zusammenfassung

1. Das Automobil: hohe Attraktivität, gefährdeter Nutzen und verkehrspolitische Unsicherheiten

2. Fragestellungen und Erwartungen des Forschungs-projektes 5

3. Begründungen und Hypothesen 7

3.1 Anhaltspunkte für Erosions-, Umbau- und

Restabilisierungsprozesse im Leitbild der Automobilität 3.2 Zur Entwicklung untersuchungsleitender Hypothesen:

Suchprozesse in unterschiedlichen Theoriefeldern und Disziplinen

4. Zum Untersuchungsdesign 18

5. Ausblick 22 Literatur 25

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1 1. Das Automobil: hohe Attraktivität, gefährdeter Nutzen und verkehrspolitische

Unsicherheiten

Es ist wohl kaum strittig, daß die Lösung der Verkehrsprobleme zu den herausragenden Aufgaben aller hochentwickelten Industrieländer gehört (so auch: Commission of the European Communities 1993). Die Schwierigkeit liegt hier u.a. darin, daß Mobilität ganz allgemein als positiv besetzter Wert gilt, während um seine technische Realisierung und Gewährleistung heftig gestritten wird. Schon seit den 20er Jahren kann, ausgehend von den USA, in den Industriestaaten eine allmähliche Gleichsetzung von Mobilität mit Automobi- lität beobachtet werden, die vielschichtige technische, politische und kulturelle Implikatio- nen aufweist. Der gerätetechnische Ausdruck dieser Automobilität kann als das Beispiel einer besonders erfolgreich verlaufenden Leitbild-Genese gelten. Alle führenden Auto- mobilhersteller haben sich auf eine Art Standardbauweise ausgerichtet, einer auf vier Rädern montierten Fahrgastzelle, angetrieben von einem Verbrennungsmotor diesel- oder ottomotorischer Bauart. Dabei wurde in den Lasten- und Pflichtenheften - ob in Japan, Deutschland oder Amerika - ein nahezu einheitliches Nutzungskonzept "eingeschrieben", das eine Schnittmenge aus verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten darstellt und daher sinnbildlich als "Rennreiselimousine" beschrieben werden kann: Platz für mindestens vier Personen plus Zuladungsmöglichkeiten, einer Reichweite von mindestens 500 Kilometern sowie hohen Endgeschwindigkeiten und Beschleunigungswerten, die für den Spurt von 0 bis 100/km unter 15 Sekunden liegen (Canzler/Knie 1994a). Hersteller, Nutzer und poli- tisch-administrative Akteure haben auf diese Weise eine Interessenallianz gebildet, die eine weitgehend auf das Automobil und seine spezifischen Bedürfnisse abgestellte Verkehrsinfrastruktur entstehen ließ (Wolf 1986). Die hohe Attraktivität des Automobils ist dabei an eine "gesellschaftspolitische Funktionsgewähr" gebunden, denn nur durch die entsprechenden verkehrspolitischen Grundsatzentscheidungen sind die finanziellen und strukturpolitischen Bedingungen zur Entfaltung der Attraktivität dieses Verkehrsmittel garantiert (vgl. Klenke 1993). Schon in der 1929 von Architekten und Stadtplanern verabschiedeten "Charta von Athen" wurden beispielsweise für die funktionale Ausdifferenzierung der Stadtlandschaft in separate Wohn- und Arbeitsbereiche program- matische Grundlagen erarbeitet, die in den folgenden Jahrzehnten als Grundlage einer autozentrierten Raum- und Stadtplanung dienten (die "autogerechte Stadt") (vgl. Knof- lacher 1991, S. 46ff.).

Die internationale Ausbreitung und Festigung dieser "Verständigung" auf eine weitgehend gemeinsame technische Interpretation und Nutzungsform von Automobilität als "Renn- reiselimousine" geschah weltweit nicht zur gleichen Zeit. Während in den USA dieses Leitbild die Verkehrs- und Raumpolitik bereits in den 20er Jahren dominierte, begann in Europa die Verbreitung und Durchsetzung zunächst mit zeitlicher Verzögerung. Als

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Gradmesser für die gesellschaftspolitische Bedeutung des Leitbildes kann dabei der Motorisierungsgrad gelten, also die Verbreitung von Automobilen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. In den USA kamen im Jahre 1931 auf einen Kraftwagen statistisch gesehen 4,6 Einwohner, in Frankreich 27, in Kanada und in Großbritannien 31, während im Deutschen Reich 94 Einwohner pro Kraftwagen gezählt wurden (Knie 1991, S. 263).

Doch spätestens Ende der 50er Jahre herrschte auch in Deutschland ein weitgehender Konsens darüber, die Zahl der Neuzulassungen von Personenkraftwagen als gesamtgesell- schaftlichen Wohlstandsindikator zu definieren und in einer breiten Übereinstimmung die dafür notwendige verkehrliche Infrastruktur bereitzustellen. Die Folgen dieser Politik sind heute allseits sichtbar. In Deutschland sind seit 1994 über 40 Millionen Personenkraft- wagen zugelassen. In den alten Bundesländern hat dabei die Autodichte die Zahl von 500 Pkws pro 1000 Einwohnern überschritten - hier könnte die gesamte Bevölkerung gleichzeitig in die Autoflotte einsteigen, und keiner müßte auf den Hintersitzen Platz neh- men.

Obwohl weltweit betrachtet auch heute noch sehr unterschiedliche Motorisierungsgrade und Dominanzen des Leitbildes vorhanden sind, ist die quantitative Dimension der Bedeutung des Automobils enorm. Zur Zeit wird insgesamt ein Bestand von über 500 Mil- lionen Fahrzeugen gezählt (Automotive News 1994, S. 3f.). In mittlerweile fast 30 Staaten der Erde lag der Motorisierungsgrad Anfang der 90er Jahre unter 10 Personen pro zugelas- senem Kraftfahrzeug - ein deutlicher Beleg für die große Verbreitung des Leitbildes der Automobilität (VDA 1992, S. 448). Während sich die Steigerungsraten der Produktion wie auch der Zulassung von Fahrzeugen in den hochentwickelten Industriestaaten mittlerweile allerdings in moderatere Dimensionen zu bewegen scheinen (für die EU wird mit einer Steigerung des Fahrzeugbestandes zwischen 1990 und 2000 um 16% gerechnet), sind die Wachstumsraten auf anderen Weltmärkten geradezu atemberaubend. In der Volksrepublik China stiegen die Verkaufszahlen von Pkws von 95.300 im Jahre 1991 auf über 220.000 Einheiten im Jahre 1992 an. Zur Jahrtausendwende sollen bereits 4,2 Millionen chinesische Familien im Besitz eines Kraftfahrzeuges sein (Blüthmann 1994, S. 36). In Argentinien vermehrten sich zwischen 1991 und 1992 die Zulassungen von neuen Pkws von 131.900 auf 218.000 Fahrzeuge, in Indonesion von 215.000 auf 300.000 (Automobile News 1994, S.4; Canzler/ Knie 1994a, S.28). Angesichts dieser Zuwächse auf eine unge- brochene Wachstumsdynamik bei der Verbreitung von Rennreiselimousinen zu schließen, wäre allerdings voreilig. Denn global gesehen gingen die Zuwachsraten Anfang der. 90er Jahre deutlich zurück, und 1993 wurden mit 33,9 Millionen Personenkraftwagen deutlich weniger produziert als im Jahre 1992 (35,3 Millionen) (VDA 1993, S.317).

Bei der Betonung der Internationalität des Leitbildes Automobil, konstruktiv und von den Nutzungspraktiken her als Rennreiselimousine definiert, darf allerdings nicht übersehen

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3 werden, daß die gebräuchliche Formel "Mobilität gleich Aulomobilität" die Realität selbst in den hochentwickelten Industrieländern nicht vollends abdeckt. Obwohl das Automobil in diesen Ländern sehr stark das Denken und Handeln in vielen Lebensbereichen prägt, ist es für eine Klärung der Frage nach den Mobilisierungsmöglichkeiten sozialer Innovationen nicht unerheblich, Bewegungsformen auch ohne Nutzung des Automobils zu identifizieren. In der Tat entfallen beispielsweise in Deutschland (alte Bundesländer) über 80% der Personenkilometer-Leistungen auf den individuellen Pkw, jedoch nur ca. 50% der Wege. Gleichwohl ist nicht umstandslos von einer gesellschaftlichen Vollmotorisierung auszugehen. Im Flächenland Niedersachen leben beispielsweise 28% aller Haushalte ohne Auto, in Bremen 30%, in Berlin besitzen mehr als 40% der Haushalte kein eigenes Auto (Wolf 1994, S. 7).

Die Attraktivität des Automobils ist sicherlich nicht auf seine Transportfunktion begrenzt.

Die Nutzung von Automobilen unterliegt - wie eine Fülle von Untersuchungen zeigen - mehrschichtigen Motiven wie Status, Prestige oder dem Bedürfnis nach geschützter Privat- sphäre individueller Mobilität. Ob das Automobil dabei als das "technische Zentralobjekt der Moderne" (Slotterdijk 1992) gelten und die Anziehungskraft des Automobils durch Kompensationsleistungen im Prozeß der Domestizierung des Menschen erklärt werden muß, mag einstweilen dahingestellt sein. Daß den Problemen des Automobilismus aber nicht allein verkehrswissenschaftlich, sondern auch "drogentheoretisch und religionswis- senschaftlich" begegnet werden muß, scheint mit Blick auf die automobile Alltagskultur durchaus plausibel.

Die Erfolgsgeschichte des Automobils hat aber - so scheint es jedenfalls - auch dazu geführt, daß neben den attraktiven Nutzungsmöglichkeiten mit seiner massenhaften Verwendung Konsequenzen verbunden sind, die möglicherweise die Sicherung der

"gesellschaftspolitischen Funktionsgewähr" untergraben können (Tengström 1993). Die Verkehrsprobleme in den Ballungszentren der Welt, vor allem in den Megastädten Asiens und Lateinamerikas, sind offensichtlich. Die natürliche Umwelt und die menschliche Gesundheit sind bedroht, Funktiönseinbußen im öffentlichen und privaten Verkehr werden immer deutlicher, die Städte ersticken im Blech. Stadtluft macht nicht mehr nur frei, sondern auch krank. Nach Berechnungen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit verursacht der Verkehr in Deutschland 70% der gesam- ten Stickoxide, 50% der flüchtigen Kohlenwasserstoffe und 20% des Treibhausgases Koh- lendioxid. In Ballungszentren verschärft sich diese Situation noch. In Südkalifornien beträgt der Anteil der Abgase des Straßenfahrzeugverkehrs an den smogbildenden Luftschadstoffen etwa 90% (Rand- Research Review 1994, S.7). Es wundert daher nie- manden, daß in jüngsten Untersuchungen Ergebnisse präsentiert werden, wonach 70% der Befragten in Stadtgebieten den Automobilverkehr als Hauptursache für die Beein-

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trächtigung der Lebensbedingungen durch Luftschadstoffe, Lärmemissionen und Sicher- heitsrisiken bezeichnen (Umweltbundesamt 1993).

Der über Jahrzehnte in Nordamerika und Europa herrschende automobilfixierte Konsens in der Verkehrspolitik scheint dort in der gewohnten Form nicht mehr gegeben zu sein. Die objektiven und subjektiven Probleme, die bei der massenhaften Nutzung des Automobils auftreten, zwingen zu einer Neujustierung der Verkehrslandschaft (vgl. Nadis/ McKanzie 1992). Dies gilt grundsätzlich auch - und vielleicht noch stärker - für die Ballungszentren Asiens und Lateinamerikas, die oftmals im Autoverkehr versinken, gleichwohl aber aufgrund mangelnder planerischer, finanzieller und verkehrstechnischer Ressourcen viel weniger Ansatzpunkte für eine Umorientierung haben als die Metropolen in den hochentwickelten Industrieländern.

Für die Automobilindustrie, die als zentraler Träger des bisherigen Leitbildes einen kapitalintensiven Produktionsapparat aufgebaut hat, scheint die Dynamik dieser möglichen Ablösungstendenzen noch unberechenbar (vgl. Teltschik 1994). Aus Interesse einer unternehmerischen Politik der Vorsorge müssen verschiedene Optionen ins Auge gefaßt werden:

- Im Entwicklungsbereich der Unternehmen wird weiter an der Optimierung der bisherigen Antriebs- und Fahrzeugkonzepte gearbeitet, neue Werkstoffe werden gete- stet, elektronische Meß- und Regelungstechniken eingeführt, die Mehrventiltechnik wird optimiert und die katalytische Abgasnachbehandlung verbessert (Seiffert/ Walzer

1989; Förster 1991; Krämer et al. 1993; Theissen et al. 1993).

- In den Forschungslabors arbeitet man - darüber hinausgehend - an alternativen Antriebs- und Fahrzeugkonzepten. Stadtfahrzeuge, die mit elektrischen Antriebs- komponenten ausgerüstet sind, werden erprobt, der Einsatz des einzig bekannten kohlenstoffreien Energieträgers Wasserstoff steht hoch im Kurs, ebenso wie die Arbei- ten an der Brennstoffzelle zur Energieversorgung an Bord der Fahrzeuge.

Versuchsfahrten mit erdgasbetriebenen Autos gehören zum Testprogramm wie die Erprobung von Kraftstoffen auf der Basis nachwachsender Rohstoffe.

- In neu aufgebauten Abteilungen lassen zudem nahezu alle großen Hersteller komplette Verkehrskonzepte entwickeln, die insbesondere für Ballungsgebiete eine neue Gewichtung und eine bessere Koordination der verschiedenen Verkehrssysteme vorsehen (vgl. Seiffert/Walzer 1989; Canzler 1993; Aachener Kolloquium LAT/IKA

1993).

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5 Eine Bündelung oder gar "Schließung" dieser verschiedenen Entwicklungspfade ist zur Zeit noch nicht zu erkennen, zumal die gesellschaftspolitischen Randbedingungen als unsicher gelten. Es kommt daher nicht von ungefähr, daß gerade der Verband der Automo- bilindustrie (VDA) in den letzten Jahren zur Neufassung und konsensualen Absicherung der verkehrspolitischen Grundlagen aktiv geworden ist. Mit der neuerlich gestarteten

"Initiative Mobilität" war ursprünglich daran gedacht, alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen sowie die Vertreter der verschiedenen Verkehrsträger zur Wiedererlangung sta- biler Eckwerte zusammenzubringen. Zur Zeit nehmen allerdings nur Vertreter des ADAC, des DIHT und der Lufthansa daran teil (AMS 20/1994, S.20). Als weiterer Versuch der mobilitätspolitischen Konsenssicherung ist der sogenannte Aulogipfel vom Sommer 1995 zu bewerten, auf dem die Unternehmensspitzen von vier deutschen Autohersteilern und die Ministerpräsidenten von drei "Heimatländern" der Autoindustrie überein gekommen sind, sowohl auf politischer Ebene die infrastrukturellen und steuerlichen Randbedingungen stabil autofreundlich halten zu wollen, als auch auf Seiten der Autoindustrie die Entwicklung eines serienreifen sparsamen Autoangebotes, des "Drei-Liter-Autos", bis zum Jahr 2000 zu befördern.

2. Fragestellungen und Erwartungen des Forschungsprojektes

Der über viele Jahre gültige hohe Konsens zwischen Herstellern, Nutzern und staatlichen Akteuren über die Interpretation von Mobilität als Automobilität einschließlich ihrer technischen Umsetzung in Form der "Rennreiselimousine" und die raumordnungs- und verkehrspolitische Absicherung im Rahmen einer gesellschaftspolitischen Funktionsge- währ dieses Verkehrsmittels läßt sich mit dem Begriff des Leitbildes konzeptuell erfassen.

Leitbilder sind "Sinngemeinschaften" und drücken Übereinkünfte mit hoher Verbindlichkeit, Erwartungssicherheit und kollektiver Projektionskraft aus, sie üben eine Koordinations- und Ordnungsfunktion für Anbieter wie Nutzer aus und werden durch eine Art kognitive Einlagerung im Denken und Handeln der Akteure stabilisiert (vgl. Dier- kes/Marz/Hoffmann 1992; Knie/Helmers 1992).

Die Erforschung von Leitbildern der Mobilität und Automobilität steht weitgehend aus.

Neuere Studien zur Mobilität bzw. ihrer automobilen Realisierung in einer explizit sozialwissenschaftlichen Perspektive finden sich zwar unter anderem in Koolmann (Koolmann 1992) und Prätorius (Prätorius 1993); sie behandeln jedoch eher Randaspekte.

Das hier vorzustellende Forschungsprojekt will diese Lücke füllen und den möglichen Zerfalls- bzw. Transformationsprozeß des Leitbildes unter einer doppelten Fragestellung untersuchen: (1) Wissenschaftsbezogen soll gefragt werden, wie ein solcher Prozeß inhalt- lich-argumentativ und akteursbezogen abläuft. (2) Industriepolitisch steht hingegen die

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Frage im Mittelpunkt, ob es der Automobilindustrie gelingt, ähnlich wie Anfang der 70er Jahre durch technische Innovationen eine Re-Stabilisierung des Leitbildes der Automobilität zu erreichen, oder ob sich die Industrie von einem Produkthersteller zu einem Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen wandelt, die Ablösungsprozesse als unum- kehrbar ansieht und tatsächlich in die Definition neuer verkehrspolitischer Realitäten eintritt (Berger/Servatius 1994; Bender/Graßl 1994). Für solche weitgehenden Änderungen sprechen eine Reihe von Indizien, wie beispielsweise die, daß schienengebundene Verkehrssysteme und stadtverträgliche Kleinwagen für die urbane Mobilität der Zukunft verstärkt an die Stelle des Pkw-Universalfahrzeugs treten könnten. Ein darüber hinaus- gehender ökologisch, sozial- und stadtverträglicher Verkehr würde allerdings einen Schub technischer und sozialer Innovationen erfordern und auf eine Auffächerung und Differenzierung von Mobilitätsformen und Verkehrsträgern abzielen, die zugespitzt als

"Multimobilität" bezeichnet werden kann (Canzler/Knie 1994b). Das Forschungsprojekt will daher sowohl einen Beitrag zum besseren Verständnis von Leitbildern, ihrer Genese, Entwicklungsbedingungen und Zerfallsprozesse als auch zur Klärung der Modernisie- rungsfragen im Rahmen der Standortdebatte leisten. Die Untersuchung wird sich dabei auf die Bearbeitung des Personenkraftwagenverkehrs konzentrieren.

Theoretisch-konzeptionell ist die vorgesehene Untersuchung zur Organisation von Innova- tionen bei veränderten Umfeldbedingungen der sozialwissenschaftlichen Technikgenese- Forschung zuzuordnen (Dierkes 1993). Die Entstehung neuer Techniken wird hierbei als

"Schließungs- und Konsolidierungsprozeß" generierter Erfahrungs- und Wissensbestände aufgefaßt, deren Genese dann ihren Abschluß gefunden hat, wenn die neue technische Lösung als allgemeiner Standard etabliert ist. Damit bilden die Ergebnisse dieser Schließungs- und Konsolidierungsprozesse als Resultate von Abstimmungs- und Verständigungsprozessen den Kristallisationspunkt für eine sinnstiftende Verständigung zwischen Herstellern, Nutzern und Staat. Allerdings waren die bisherigen Untersuchungen sehr stark technik- bzw. produktbezogen. Sie konzentrierten sich auf die Frage, wie bestimmte Technikprojekte in Sinngemeinschaften eingelagert, stabilisiert und über eine entsprechend ausgebaute Trägerkoalition in ihrer Funktionsfähigkeit extern abgesichert werden (Dierkes/Knie 1994). Während es in der Technikgenese-Forschung damit bislang darum ging, die Überschreibung sozialer Vorstellungen in technische Systeme zu erfassen, muß dies nun um den Aspekt ergänzt werden, inwieweit die in technischen Lösungen geronnenen Handlungsmuster wieder repolitisiert, quasi verflüssigt, disponibel und zu neuen sozialen Arrangements verknüpft werden können. Denn die Frage ist, was passiert, wenn die in den Artefakten "eingeschriebenen" Nutzungsmöglichkeiten nicht mehr mit tatsächlichen Praxisformen übereinstimmen, die Synchronisation zwischen Produktangeboten und Nutzungswünschen nicht mehr gewährleistet ist. Für Massenhersteller, die oftmals in Abschreibungszeiträumen von über 15 Jahren kalkulieren,

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7 ist diese Frage einer stabilen "Passung" von Produkt und Nutzung von existentieller Bedeutung. Diese Erweiterung der bisherigen Leitbild-Forschung soll dadurch erreicht werden, daß den Optionen zum Um- und Rückbau von bereits etablierten Leitbildern in möglichen neuen Konsens- und Verständigungsmodellen mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht wird.

Industriepolitisch betrachtet heißt dies, daß es bei den Standortqualitäten von hochindu- strialisierten Gesellschaften nicht allein um die Frage gehen kann, wie schnell neue Tech- nologien als Produkte für Zukunftsmärkte erschlossen bzw. umgesetzt werden. Es geht vielmehr auch darum zu erkunden, in welcher Weise diese Produkte mit der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung kompatibel sind, inwieweit technische Verfahren oder Gerätetypen zur Lösung' gesellschaftlicher Problemfelder wie "soziale Sicherung/neue Armut", "Altern", "Migration" oder "Umweltschutz" beitragen. Eine "nachhaltige", im Sin- ne stabiler, die gesellschaftliche Reproduktionsfähigkeit sichernde Entwicklungsdynamik als kennzeichnendes Element einer "innovativen Gesellschaft" läßt sich nur erreichen, wenn innovative Projekte ökonomische und ökologische Lösungskapazitäten gleicher- maßen aufweisen (Weltkommission für Umwelt und Entwicklung 1987; vgl. Blum 1993;

Schumann et al. 1994). Für die Einlösung der zukünftigen Mobilitätsansprüche dürfte dabei die Frage nach den Notwendigkeiten und Chancen eines Umbaus der Autogeseil- schaft im Vordergrund stehen, die - wenn als Ziel definiert - mit konkreten strukturpoliti- schen Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung sowie einer generellen Neubewertung, Integration und Optimierung anderer Verkehrsträger verbunden werden muß. Bislang sind die verschiedenen Verkehrsmittel weitgehend in in Konkurrenz zueinander stehenden Systemen aufgebaut und entwickelt worden, Verbundlösungen mit aufeinander abge- stimmten funktionalen Ergänzungen blieben bis auf wenige konzeptionelle Vorschläge und vereinzelte Projekte aus. Die implizite Annahme des Forschungsprojektes ist dabei, daß diejenigen Unternehmen Vorteile auf dem künftigen Mobilitätsmarkt erlangen können, die schnelle, bezahlbare und ökologisch verü'ägliche Mobilitätslösungen in einem interaktiven Aushandlungsprozeß zur Festlegung neuer verkehrspolitischer Rahmenbedingungen entwickeln und vermarkten.

3. Begründungen und Hypothesen

3.1 Anhaltspunkte für Erosions-, Umbau- und Restabilisierungsprozesse im Leitbild der Automobilität

Die Fragestellung des Projektes konzentriert sich auf die potentielle Veränderung des bisherigen Leitbildes, auf die Durchsetzungschancen und Beharrungstendenzen einer

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möglichen Neuausrichtung des Mobilitätsleitbildes und schließlich auf die in diesem Rahmen erforderlichen bzw. zu erwartenden Modernisierungsleistungen der Automobil- industrie. Ob das bisherige Fahrzeugkonzept weiter optimiert werden kann oder ob die Erarbeitung von integrierten Verkehrskonzepten notwendig wird, hängt davon ab, welche Stabilität das bisherige Leitbild Automobil auch in Zukunft noch hat. Das Forschungspro- jekt geht hierbei davon aus, daß zur Zeit bei den drei wichtigsten Säulen des Leitbildes Tendenzen zur DeStabilisierung erkennbar sind.

1) Die Fahrzeughersteller selbst haben zur Aufweichung des bisherigen Automobil-Leitbil- des beigetragen, in dem das dominante Entwicklungsmuster "schneller-schwerer-stärker- teurer" - mit einer kurzen Unterbrechung infolge des Ölpreis-Schocks der Jahre 1973 und

1974 - überreizt wurde. Mit großem technischem Aufwand sind Maß und Ziel der Modell- entwicklung an einer vorherrschenden Optimierungs-, Hochmotorisierungs- und Aufrü- stungsphilosophie orientiert gewesen. So stieg der Anteil der neuzugelassenen Fahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von mehr als 150 km/h in den alten Bundesländern bei- spielsweise von 72,9% im Jahre 1986 auf über 84% im Jahre 1992. Die durchschnittliche Motorenleistung kletterte zwischen 1975 und 1992 von 62 PS auf 84 PS, was nicht zuletzt der Hauptgrund dafür ist, daß der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch von Pkw und Kombi in der Bundesrepublik im gleichen Zeitraum trotz erheblicher Verbesserungen in der Motortechnik lediglich von 10,7 Liter je 100 Kilometer auf 9,9 Liter gesunken ist (BMV 1993). Im gleichen Zeitraum wuchs der Anteil der zugelassenen Fahrzeuge mit mehr als 2000 ccm Hubraum von 7,8% auf 15,4%. Als der VW-Golf 1974 auf den Markt kamen, konnten die Käufer zwischen 50 PS als unterster Grenze sowie 75 PS als oberster Grenze der motorischen Leistungsfähigkeit wählen. Beim 1991 erschienenen Golf III lei- stet der schwächste Motor bereits 60 PS, das stärkste Triebwerk im Angebot dagegen 174 PS. Noch deutlicher zeigte sich der Trend zur Hochmotorisierung an der S-Klasse der Mercedes-Benz AG. Noch 1972 bot sich den Kunden hier eine Spannbreite der Motoren- palette von 160 PS bis zu 224 PS. Seit 1991 liegen die Eckwerte des Antriebsprogramms bei 231 PS bzw. knapp unter 400 PS.

Ähnliche Ergebnisse gilt es beim Gewicht der Fahrzeuge zu vermelden. Der Golf brachte beim Serienstart 1974, in seiner stärksten Motorausstattung und maximal beladen, 1210 kg auf die Waage, während der 1991 eingeführte Golf III in der vergleichbaren Kategorie und ebenfalls voll beladen 1680 kg wiegt (Canzler/Knie/Berthold 1993). Diese Tendenz hatte seine Auswirkungen auf die Anschaffungskosten. Zwischen 1981 und 199List der durchschnittliche Neupreis eines Pkw in der Bundesrepublik von 16.800 DM auf 31.610 DM, d. h. um 88% gestiegen. Im selben Zeitraum erhöhte sich das durchschnittlich verfügbare Einkommen aber nur um knapp 50%. Die angegebenen Daten beziehen sich

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9 zwar nur auf die deutschen Hersteller, sie dürften aber in der Tendenz zumindest auch für die übrigen europäischen Anbieter Gültigkeit haben (Canzler/Knie 1994a).

2) Im Nutzungsverhalten verliert das bislang dominante Konzept des Universalfahrzeugs meßbar an Bedeutung. Die technischen Möglichkeiten einer "Rennreiselimousine" mit einer minimalen Reichweite von über 500 km stehen in keinem vernünftigen Verhältnis zum tatsächlichen Fahrverhalten der Bevölkerung. Im Durchschnitt sind 70% aller Fahrten mit dem Auto täglich nicht länger als 10 Kilometer, 98% der Fahrten überschreiten die 50 Kilometer-Grenze nicht (Kutter 1994). Der Anteil der klassischen Limousine an den gesamten Neuzulassungen ist in Deutschland innerhalb von 10 Jahren von 86% (1982) auf 74% (1992) gesunken. Die Kunden greifen in immer stärkerem Maße - soweit dies mög- lich ist - auf Spezialfahrzeuge wie MiniVans, Kombis oder Cabrios zurück, die freilich noch auf der technischen Basis der "Rennreiselimousine" entwickelt werden (Diez 1993).

Soweit sich dies mit den Methoden der empirischen Sozialforschung erschließen läßt, zeigen sich Autofahrer in den letzten Jahren in ihren subjektiven Präferenzen erheblich sensibler gegenüber den Umweltschäden des Massenautomobilismus und unterstützen - jedenfalls verbal - mit sehr großer Mehrheit Forderungen nach der Entwicklung neuer Antriebs- und Fahrzeugkonzepte. Die bekannt gewordenen Untersuchungsergebnisse zeigen in der Tendenz ein durchaus beachtliches Kritikpotential am herrschenden Stand der Technik (SPIEGEL-Verlag 1993). Es sind auch erste Anzeichen erkennbar, daß die Nutzungsintensität der Automobile eher zurückgeht. Das IfoTnstitut errechnete jüngst im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, daß 1994 etwa 240 Millionen Fahrten weniger als im Jahre 1993 unternommen wurden. Die eingesparten Fahrten wurden jedoch kaum auf andere Verkehrsmittel verlagert, sondern schlicht eingespart (FR, 30.9.1994, S.13).

3) Angesichts der weltweit zugespitzten Umwelt- und Gesundheitsprobleme in Bal- lungszentren wird der Druck auf das organisierte Gemeinwesen als zuständiger Instanz zur Schadensabwehr größer werden. Der US-Bundesstaat Kalifornien, bedeutendster Regionalmarkt für den Weltautomobilbau, hat mit den 1990 verabschiedeten "Low Emission Vehicle and Clean Fuel Regulations" wieder einmal Maßstäbe gesetzt. Im Rahmen der Festlegung bestimmter Fahrzeugkategorien sollen die "klassischen"

Schadstoffe Kohlenwasserstoff (HC), Kohlenmonoxid (CO) sowie Stickoxid (NOx) in einem Stufenplan bis 1998 drastisch reduziert werden. Die dafür notwendige Einführung einer neuen Katalysatorengeneration wird mit einem Haltbarkeitsnachweis belegt, damit diese "end-of-pipe"-Technik auch noch nach einer Laufleistung von 100.000 Meilen die volle Funktionstüchtigkeit erfüllt. Erstmals werden auch Grenzwerte für Formaldehyd fest- gelegt und die bislang tolerante Haltung gegenüber dem Ausstoß von Partikeln, die soge- nannte "Diesel- Option", aufgegeben. Dies heißt nach heutigem Stand der Dinge nichts

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anderes, als daß in Kalifornien nach diesen Vorschriften zur Jahrtausendwende keine Personenkraftfahrzeuge mehr mit Dieselmotoren zugelassen werden dürften (Berg 1991).

Damit aber nicht genug. Die großen Mineralölkonzerne sind seit Beginn des Jahres 1994 nicht nur verpflichtet, besonders "saubere" Benzinsorten zu verkaufen, sondern darüber hinaus einen bestimmten Anteil alternativer Kraftstoffe wie Ethanol, Methanol und Erdgas bereitzustellen. Dies gilt zunächst nur für Südkalifornien, später müssen diese Kraftstoffe aber auch in den übrigen Landesteilen angeboten werden. Das 1993 von der US-Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) genehmigte umfangreiche Regelwerk dürfte aber darüber hinaus eine kleine automobiltechnische Revolution ent- fachen. Denn erstmals in der Geschichte des Automobils schreibt eine Gebietskörperschaft die verbindliche Einführung einer genau bestimmten Quote von sogenannten

"Null-Emissions-Fahrzeugen" vor. Während weltweit alle Automobilhersteller auch in Zukunft Automobile mit konventionellen Otto- oder Diesel-Verbrennungsmotoren antrei- ben wollen, verlangt Kalifornien ab 1998 von Herstellern, die mehr als 35.000 Autos in diesem Bundesstaat pro Jahr absetzen, daß 2% der verkauften Fahrzeuge Elektrofahrzeuge sein müssen, denn es wird derzeit keine andere "Null-Emissions"-Antriebslösung als reali- stisch angesehen. Diese Quote steigt im Jahre 2003 auf 5% an und soll im Jahre 2005 auf 10% festgelegt werden und dann auch für alle anderen Hersteller verbindlich sein. Nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse handelt es sich dabei jährlich um etwa 27.000 Fahrzeuge, deren wesentliche technische Beschaffenheit vom kalifornischen Staat fest- gelegt wird (Brown et al. 1994). Die Erfahrungen in der Geschichte der politischen Regulierung des Kraftfahrzeugverkehrs zeigen, daß mit einer gewissen Zeitverzögerung die Kernbestandteile der kalifornischen Initiativen auch für andere Regionalmärkte Bedeu- tung erlangen (Petersen 1993).

Ähnlich scharfe Regelungen zur Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs sind auch von Hongkong, Singapur und Oslo bekannt bzw. angekündigt, die faktisch auf ein teilweises Nutzungsverbot von Automobilen hinauslaufen dürften. In Deutschland werden ähnlich drastische Einschränkungen beispielsweise vom Deutschen Städtetag im Rahmen einer neuen Verkehrspolitik gefordert (Fiedler/ Thiesies 1994). Mit der 23. Verordnung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG), die allerdings noch nicht rechtskräftig ist, erhalten die lokalstaatlichen Akteure neue Kompetenzen zur Abwehr gesundheitsbedro- hender Gefahren im Verkehrsbereich. Bei Überschreitung von bestimmten Konzentrationswerten ausgewählter Schadstoffe kann die Stadt- bzw. Gemeinderegierung weitreichende Einschränkungen des Straßenverkehrs anordnen. In verschiedenen Stadt- regionen sind bereits eine Reihe solcher Einschränkungen des motorisierten Individualver- kehrs geplant bzw. bereits in der Umsetzung (VDI-Gesellschaft für Fahrzeug- und Ver- kehrstechnik 1994). Die neue - allerdings entschärfte - "Sommer-Smog"-Verordnung kann schließlich bei erhöhten Ozonwerten zu einem Fahrverbot für über 26 Millionen Kraftfahr-

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11 zeugen führen, denn so groß ist die Zahl derjenigen Fahrzeuge, die weder mit einem G-Kat ausgerüstet sind noch die Zulassung als schadstoffarmer Diesel besitzen (ams, 25/1994, S.

7). Darüber hinaus sind Steigerungen der Mineralölsteuer sowie die Einführung anderer Abgaben wie beispielsweise eine C02-Abgabe, eine Entsorgungsgebühr und eine Nah- verkehrsabgabe zu erwarten, die eine deutlich höhere Kostenbelastung des Autofahrens nach sich ziehen und damit die bisher garantierte gesellschaftspolitische Funktionsgewähr weiter einschränken werden (vgl. auch Hesse 1994).

Als maßgeblichem Träger des Automobil-Leitbildes dürfte der Fahrzeugindustrie, ins- besondere durch ihre volkswirtschaftliche Schlüsselposition, eine entscheidende Rolle bei der Konzeption und Realisierung neuer Mobilitätskonzepte zukommen. Bei der bisherigen Konzentration dieser Branche auf den Kernbestand der Automobilproduktion scheinen aber die Umbaupotentiale von der Automobilität zur Multimobilität, also ein Wechsel vom Produkt- zum Funktionsanbieter, als eine mögliche, vielleicht die zentrale Option der Zukunft noch wenig ausgeprägt zu sein. Obwohl schon jetzt die meisten Automobilunter- nehmen der Welt auf diesem Weg des Funktions- und Strukturwandels weiter vorange- schriiten sind als in der Außendarstellung und auch in der unternehmensinternen Wahrneh- mung realisiert wird. Produktionsferne Unternehmensaktivitäten wie Leasing- und sonstige Finanzierungsgeschäfte machen bereits einen beachtlichen Anteil am Umsatz fast aller Automobilhersteller aus und weisen im Unterschied zum klassischen operativen Geschäftsbereich zweistellige Wachstumszahlen aus. Im für die Autoindustrie schwierigen Jahr 1993 konnte BMW beispielsweise die Vermögensgegenstände aus Absatz- finanzierung um 21% auf 11,8 Milliarden DM steigern, was einer Steigerung des Anteils an der gesamten Konzernbilanzsumme von 35,5% auf 38,8% bedeutete (BMW- Geschäftsbericht 1993; Brief an die Aktionäre der BMW AG, München 1995). Im Jahre 1994 erreichten die Finanzdienstleistungen mit 17,1 Milliarden DM bereits mehr als 50%

vom Gesamtumsatz des Unternehmens, der ohne Rover 31,9 Milliarden DM betrug. 1994 begann BMW mit eigenen Spar- und Anlageangeboten. Ähnliche Geschäftsfeldentwick- lungen sind bei nahezu allen Automobilunternehmen zu konstatieren. Allerdings dominiert zur Zeit offiziell noch das Bemühen, primär an signifikanten Problemen der bisherigen Fahrzeugtechnik wie Verbrauch, Sicherheit und Verkehrsführung anzusetzen, um die Akzeptanzfähigkeit des Autos in gewohnter Weise wieder herzustellen und damit weiteren Erosionen im Geräteumfeld entgegenzuarbeiten (Weise 1993). Die zu konstatierenden internen Verschiebungen zwischen den Geschäftsfeldern zugunsten von produktionsfernen Dienstleistungsanteilen, insbesondere im Finanzierungs- und Servicebereich, sind vor allem deshalb bedeutsam, weil dadurch in den Automobilunternehmen Know how und ent- sprechende dienstleistungsbezogene Qualifikationen akkumuliert werden, die für potentielle weiterreichende Diversifikationen in Zukunft wertvoll sein können (vgl. insbe- sondere Vester 1990).

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Insbesondere durch den Einsatz der Mikrosystemtechnik sollen der Fahrzeugtechnik neue technische Qualitäten abgerungen werden. So lassen sich mit Hilfe sogenannter Piezoaktoren die Einspritzsysteme der Hubkolben-Verbrennungsmotoren dahingehend optimieren, nicht nur das Motorengeräusch abzusenken, sondern auch den Verbrauch drastisch zu reduzieren. Mit neuartigen Sensoren an Rad und Achse können mit einer Art

"intelligentem Stoßdämpfer" neue Sicherheitskonzepte entwickelt werden. Weil das bundesdeutsche Straßennetz seit 1960 (alte Länder) zwar um 35%, die Verkehrsleistung im Individual- und im Straßengüterverkehr allerdings um 370% und die Zahl der Autos sogar um 620% zugenommen haben, verfolgen die Hersteller darüber hinaus Konzepte zur Opti- mierung des Verkehrsflusses (vgl. König 1994). Mittels Abstandsradar und Infrarotkame- ras werden Informationen als "head-up-displays" in das unmittelbare Sichtfeld des Fahrers eingeblendet. Diese Unterstützungsfunktionen sollen aber zukünftig mehr und mehr die Steuerung des Fahrzeugs in kritischen Situationen übernehmen. Auch hier werden insbe- sondere durch den vermehrten Einsatz von Komponenten der Mikrosystemtechnik neue Konzepte des kooperativen Verkehrsmanagements zur Optimierung des konventionellen Automobilsystems eingesetzt. Allgemein kann mit "einer Verringerung des Unfallgesche- hens und der Umweltbelastungen als auch mit einer veränderten Verkehrsmittelaufteilung und einem verbesserten Verkehrsablauf sowie mit einer erhöhten Leistungsfähigkeit gerechnet werden" (Interdisziplinärer Forschungsverbund Lebensraum Stadt 1993, S.84).

Die zur Zeit in Mode befindlichen Konzepte der Telematik, die auf eine mögliche Substitution räumlicher Mobilität durch intelligente Datenübertragungs- und Telekom- munikationssysteme setzen, finden sich ebenfalls in diesem Kontext. Wenn auch derzeit neue Bündniskonstellationen zwischen der Telekommunikationsindustrie und den klassi- schen Automobilherstellern erst in Ansätzen erkennbar werden, sind die Verbindungslinien auf metaphorischer Ebene, wie es zum Beispiel der Begriff der "Datenautobahn" zeigt, verblüffend (Müller/Hummel 1994 sowie Canzler/Helmers/Hoffmann 1995).

Offensichtlich haben die großen Automobilkonzerne den wachsenden gesellschaftlichen Druck erkannt und sind zumindest auf rhetorischer Ebene bereit, grundlegende Veränderungen der bisherigen Verkehrspolitik zu akzeptieren. Im jüngsten Geschäftsbericht der BMW AG heißt es hierzu, daß die Unternehmen "ihre Aufgaben in Zukunft nur dann erfüllen, wenn die einzelnen Verkehrsmittel so miteinander vernetzt werden, daß sie ökonomisch und ökologisch den größtmöglichen Vorteil erzielen. Solche Mobilität, Sustainable Mobility genannt, beinhaltet die Chance, Produkte und Dienst- leistungen anzubieten, die ein gesellschaftlicher Konsens gut heißt" (BMW-Geschäftsbe- richt 1993, S. 64). "Die gesamte Branche hat schon lange erkannt", so auch der Daimler- Benz-Sprecher Matthias Kleinen, "daß die Integration des Automobils in ein intelligent vcrnctztes, leistungsfähiges Gesamtverkehrssystem umweltgerecht und effizient gelingen muß. In diesem Gesamtsystem müssen alle Verkehrsträger, zum Beispiel der öffentliche

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13 Nahverkehr, die Eisenbahn, das Binnenschiff, das Flugzeug, ihren Stärken entsprechend zusammenwirken. Dies gelingt dann, wenn alle Teilsysteme nicht gegeneinander arbeiten, sondern sich zu attraktiven Mobilitätsanbietern entwickeln" (Kleinen 1994). In diesem Zusammenhang sollen sich auch die Verwendungsstile von Automobilen generell wandeln und zukünftig mehr der Leitformel "nutzen statt besitzen" unterliegen.

Wie labil diese Neuakzentuierung der Produktpolitik und wie offen der Prozeß der Stra- tegieauslegung dabei allerdings noch ist, offenbart eine Aussage Kleinerts, die im selben Text zu Finden ist und die dem alten Leitbild noch sehr viel Modernisierungspotential zugesteht: "Das Automobil wird also eine große Zukunft haben. Neue Fahrzeugkonzepte, klein und leicht, werden schon bald attraktive Marktpositionen besetzen, ohne allerdings die komfortable Reiselimousine zu verdrängen. Neue Antriebskonzepte, in Forschung und Technik vielversprechend vorangebracht, bieten die Option auf weitere Entlastung der Umwelt" (Kleinen 1994, S.26).

Die Automobilhersteller sind bereits seit mehreren Jahren dabei, über den Verkauf von Automobilen hinaus umfassende Verkehrskonzepte zu entwickeln. Dies geschieht offensichtlich bereits in einem erheblichen und zugleich nicht unproblematischen Ausmaß.

"Es ist doch die groteske Situation eingetreten", so ein ehemaliger Forschungschef von Volkswagen, "daß die Automobilhersteller maßgeblich die Verkehrsplanung für die Städte beeinflussen. Wir sind hier mit unserem Fachwissen eingesprungen und versuchen, die Aufgaben der Politik mitzulösen" (zit. nach Knie 1994, S.237). Für den konkreten Fall Berlin hat bereits unmittelbar nach Öffnung der Mauer die Daimler-Benz AG ein enormes stadtplanerisches Engagement entwickelt. "Das Haus Daimler-Benz besitzt das Know- how, die Ressourcen und die Technologie, um als Produktlieferant, als Systemlieferant, als Generalunternehmen und als Systemführer zu der künftigen Gestaltung Berlins - einer Stadt im Aufbruch - beizutragen" (Daimler-Benz 1990). Inwieweit dieser Gestaltungspro- zeß mehr den genuinen Interessen der Autoindustrie folgt, mehr Fahrzeuge verkaufen zu können, oder ob sich die Mitwirkung an allgemeinen verkehrspolitischen Zielen orientiert, muß erst noch untersucht werden.

Die in diesem Kontext bislang fortgeschrittensten Projekte sind das 1985 auf Initiative und unter maßgeblicher Beteiligung der Automobilindustrie gestartete europäische Verbund- vorhaben "Program for a European Traffic System with Highest Efficiency and Unprecedented Safety" (PROMETHEUS) sowie das "Dedicaled Road Infrastructure for Vehicle safety in Europe" (DRIVE). In den USA haben sich Ende 1990 die großen Automobilhersteller General Motors, Chrysler und Ford mit Unternehmen der Elektronikindustrie wie AT & T und Texas Instruments zur "Intelligent Vehicle Highway Society of America" (IVHS) zusammengeschlossen. Mit den Projekten START und

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SMART werden zur Zeit in Los Angeles mit großem finanziellen Aufwand Verkehrs- leitsysteme installiert. Darüber hinaus betreut das California Dept. of Transportation unter dem Dach des "Narrow Lane Vehicle Project" (NVLP) die Entwicklung von spezifischen Stadtautomobilen, die sich insbesondere durch einen sehr geringen Flächenverbrauch und geringen Schadstoffausstoß auszeichnen. Im Rahmen des "Program of Advanced Techno- logy for the Highway" (PATH) wird schon seit Mitte der 80er Jahre ein Projekt für Road- way-Powered Electric Vehicle (RPEV) betrieben, um zu zeigen, daß elektrisch betriebene Fahrzeuge während des Betriebes mittels über die Fahrbahn verlegter Induktionsschleifen ihre Batterien aufladen können (Allan 1992, S.290; AXIS 1993, S.41; Voß 1994, S.12). In Deutschland sind unter der Federführung der Automobilhersteller verschiedene städtische Verkehrskonzepte entwickelt worden. Bei allen Projekten dieses "kooperativen Verkehrs- managements" stehen das Schnittstellenmanagement zwischen dem motorisierten Indivi- dualverkehr (MIV) und den Systemen des öffentlichen Personen- Nahverkehrs (ÖPNV) sowie der Aufbau und die Verbesserung von Informations- und Verkehrsleitsystemen im Vordergrund. Bei dem von VW initiierten Konzept "move - Kooperatives Verkehrsma- nagement Hannover" (move = Mobilität und Verantwortung) ist die stufenweise Etablie- rung von neuen Diensten, angefangen von Parkplatz- und P & R-Vorbuchungen über eine computergestützte individuelle Fahrplanerstellung bis zur verkehrsabhängigen Disposition des städtischen Güterverkehrsmanagements sowie der Einsatz von ÖPNV- Ergänzungsdiensten von Kleinbussen vorgesehen. Das mit Unterstützung der Merce- des-Benz AG zur Zeit entwickelte Konzept "Regionales Verkehrsmanagement Stuttgart - STORM" (STORM = Stuttgart Transportation Operation by Regional Management) zielt auf die Optimierung des Informationsflusses mit Hilfe von Wechselwegweisung, kapazi- tätsorientierter Ampelschaltung sowie Parkleitsystemen. Das "City-Konzept Blaue Zone München" der BMW AG sieht demgegenüber sogar generelle Zugangsbeschränkungen für einen bestimmten Innenstadtbereich von München vor. Hier soll in erster Linie ein City-Ring-Bus-Verkehr die schnelle Erreichbarkeit der Ziele gewährleisten (Frank 1994).

Alle diese Konzepte zeigen allerdings bislang noch deutlich die Handschrift der "alten", konventionell operierenden Automobilindustrie. "Die Mehrzahl dieser Dienste befaßt sich mit einer Optimierung bereits vorhandener und geplanter Infrastrukturausbauten und begleitender verkehrspolitischer Maßnahmen" und ist offenkundig sehr darauf bedacht, die

"Identität des IndividualVerkehrs" zu erhalten (Thomas/Riemann 1993, S.25; vgl. auch Fischer 1993, S.3-39; Prätorius 1993, S.95). Insbesondere scheinen die im Rahmen von PROMETHEUS entwickelten Ansätze stark ingenieurlastig entwickelt zu sein. "Die starke Technologieorientierung von Prometheus steht heute einer raschen Umsetzung im Wege", heißt es hierzu aus dem Umkreis der Autoindustrie (AMS 22/1994, S.206). Der Informati- ker Klaus Haefner, der schon 1985 das vollautomatisierte Automobil als einen Beitrag zum

"öffentlichen Individual- Verkehr" forderte, kritisiert, daß es den Unternehmen primär dar-

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15 um gehe, "Umsätze zu steigern". Von der "Kfz-Industrie (werden) immer neue Karosserien gebaut, immer mehr Elektronik ins Fahrzeug gepreßt etc. Unter staatlichem Druck entstehen sogar Katalysatoren, verbesserte Knautschzonen und Airbags. Aber das alte Kfz wird immer nur verfeinert, nicht aber umstrukturiert". Aus übergeordneter Sicht fehle es an

"klaren verkehrspolitischen Zielen" sowie an Vorgaben zur Standardisierung der unter- schiedlichen Systeme (AMS 19/1994, S.209; Haefner 1991; Haefner/Marte 1994).

3.2 Zur Entwicklung untersuchungsleitender Hypothesen: Suchprozesse in unterschiedlichen Theoriefeldern und Disziplinen

Im Rahmen des vorgeschlagenen Forschungsprojektes soll aus bereits vorliegenden Ergeb- nissen verschiedener Disziplinen in Konfrontation mit den erhobenen Daten die Theorie des Leitbildes weiterentwickelt werden. Diese - in Teilen - inkrementale und eklektizistische Vorgehensweise erklärt sich aus der Besonderheit des Technikfeldes, in erster Linie aus der noch unzureichenden theoretischen und empirischen Durchdringung der "späten" oder "reifen" Stadien von Leitbildkarrieren. Das heutige Leitbild der Automobilität wird - losgelöst von der Einschätzung seiner weiteren Zukunft - allgemein als in einem späten Stadium seiner Karriere sich befindlich angesehen (Berger/Servatius

1994). "Diese Stufe zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß das Leitbild weniger neue Entwicklungsprozesse initiiert, sondern zunehmend bewährte Konstruktions- bzw. For- schungsroutinen konserviert und institutionelle Verfahrensprozeduren kodifiziert. Die technikanstoßende Wirkung des Leitbildes tritt im wachsenden Maße hinter einer technik- legitimierenden zurück." (Dierkes/Hoffmann/Marz 1992, S. 114) Die frühe "Schließung"

der dominierenden antriebs- und fahrzeugseitigen Techniklinien zu Beginn dieses Jahr- hunderts hat zu einer für die Ausreifung des Standes der Technik überaus günstigen Kon- stellation geführt. Über Jahrzehnte konnte das Automobil unter dem Dach eines an sich unangefochtenen Leitbildes eine einzigartige technische Optimierungs- und Reifungsent- wicklung nehmen. Bisher wurden diese frühen Stadien der Entwicklung und Durchsetzung automobiler Techniken ausführlich erforscht; zur Kennzeichnung der konstitutiven Ele- mente der Automobilindustrie scheint der sozialwissenschaftliche Technikgenese-Ansatz sehr geeignet zu sein. Die Prägung der technischen Konfiguration in Verbindung mit dem Prozeß der gesellschaftlichen Aneignung und Bedeutungszuschreibung um die Jahrhundertwende konnte rekonstruiert und die damals gültigen und bestimmenden Umstände herausgearbeitet werden. Zudem war es möglich, die Durchsetzung einer bestimmten technischen Linie als ein Produkt baldiger Verständigungen mit weit verzweigten und politisch breit angelegten Allianzen zu beschreiben. Bei diesem Punkt kann die sozialwissenschaftliche Technikforschung jedoch nicht stehen bleiben. "Technik- geneseforschung muß sich in diesen Fällen viel stärker auf umfassendere

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Technisierungsprozesse beziehen, und zwar unter Einschluß der (engeren) Technikgenese (einschließlich der Nutzenerwartungen und der absehbaren bzw. vermuteten Technikfol- gen), der Technikdiffusion sowie der Nutzung und Aneignung von Technik."

(Kubicek/Seeger 1994, S. 16)

Die oben skizzierten Anhaltspunkte sowohl für Erosions-, Transformations- als auch für Restabilisierungstendenzen des Leitbildes der Automobilität unterstützen und illustrieren die zentrale Prämisse, daß Verunsicherungen und Turbulenzen eines über lange Zeit stabilen Leitbildes zu konstatieren sind. Welche Entwicklungsrichtung und Verlaufsmuster den Umbau des Leitbildes der Automobilität auszeichnen, ist dagegen das zentrale Erkenntnisinteresse des Projektes. Dennoch ist es derzeit noch höchst spekulativ, einen überzeugenden Hypothesenrahmen für die Gründe und möglichen Verlaufsformen der Leitbildveränderungen aufzustellen. Auf der theoretisch-konzeptionellen Ebene ist die potentielle Auflösung stabiler und die Entstehung neuer Leitbilder noch nicht hinreichend erfaßt. Auch analogisierende Versuche, den Karriereverlauf von Leitbildern mit Modellen des Lebenszyklus von Produkten in der Wirtschaftswissenschaft oder Ideen (resp.

Ideologien) in der Soziologie und der Politikwissenschaft zu erklären, bleiben unbefriedigend. Der Vergleich mit gängigen Lebenszyklus-Modellen scheint deshalb untauglich, weil in der Leitbildentwicklung kaum von einem zyklischen Verlauf, der meta- phorisch mit den jahreszeitlichen Attributen vom Produkt-Frühling und -Herbst zum Aus- druck gebracht wird, ausgegangen werden kann. Ein Leitbild muß sich in seinem Reife- Stadium nicht zwangsläufig seinem Ende oder der Bedeutungslosigkeit nähern. "Eine andere Möglichkeit besteht schließlich darin, daß Umorientierungsprozesse anlaufen, die eine Metamorphose des Leitbildes in Gang setzen." (Dierkes/Hoffmann/Marz 1992, S.

114) Eine solche Metamorphose des Leitbildes der Automobilität, die präziser auch als Umbau bezeichnet werden kann, ist im vorliegenden Fall angesichts der Vielzahl der Such- und Umorientierungsprozesse zentraler Akteure durchaus möglich. Überhaupt hat gerade die Genese des Automobilitäts-Leitbildes gezeigt, in welcher Weise Entstehung, Stabilisierung und Absicherung als eminent politische Prozesse aufzufassen sind. Die Sicherung des Geräteumfeldes, die im Leitbild eingeschlossene gesellschaftspolitische Funktionsgewähr muß von den Trägern des Leitbildes aktiv eingefordert werden. Anleihen an einfache evolutionstheoretische Erklärungen zum Technikverlauf scheinen daher für das Automobil wenig fruchtbar zu sein, da diese Arbeiten den machtpolitischen Faktor nicht adäquat berücksichtigen.

Fußend auf den bisherigen Arbeiten der Technikgenese bietet daher der Forschungsgegenstand Automobilindustrie die Möglichkeit, den Prozeß der Leitbild-Ent- wicklung über die Entstehung hinaus in die Phase der "Reifung" zu verfolgen. Es muß sich dann zeigen, ob auch die bisher identifizierten Akteure, Dynamiken und Handlungsmuster von Relevanz sind, oder ob im Prozeß von Sicherung, Verteidigung, Umbau oder gar

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17 Auflösung ganz andere Konstellationen und Fragen wichtig werden. Aus dem bisher Ausgeführten und auf der Basis der beschriebenen Erosionserscheinungen des Leitbildes scheinen drei mögliche alternative Entwicklungspfade in der weiteren Karriere des Auto- mobil-Leitbildes denkbar:

1. Fortschreibung: Das bisherige Verständnis von Automobil als einer Rennreiselimou- sine bleibt in der Substanz weiter bestehen. Weder kommt es zu einem Wechsel der gesellschaftlichen Bedeutungszuschreibung, noch werden neue, alternative Technikentwürfe von Mobilität vorgestellt. Die zu beobachtenden Ablösungsprozesse können zurückgedrängt werden, die erneute Passung von Nutzungswünschen und Pro- dukteigenschaften läßt sich in einem stabilen Maße wiederherstellen. Die Trägerkoalition bleibt ebenfalls bestehen, die politischen Ordnungsmächte garantieren auch in Zukunft eine gesellschaftspolitische Funktionsgewähr im Geräteumfeld. Es herrscht weitgehender Konsens darüber, daß die ökologischen und ökonomischen Fol- gekosten des Automobilverkehrs auch weiterhin externalisiert werden können. Die Rennreiselimousine präsentiert - mit wenigen technischen Modifikationen - so auch zukünftig den Kristallisationspunkt des "Verständigungsraumes".

2. Modernisierung: Die bisherige Trägerkoalition bleibt bestehen. Die Ablösungsprozes- se sind aber so stark, daß die sinn- und strukturstiftenden Funktionen des Leitbildes nur durch erhebliche technische Modernisierungsleistungen unter Rückgriff auf neue Technologie- und Technikfelder sowie durch veränderte Nutzungspraktiken bei erheblich restriktiveren Rahmenbedingungen erhalten bleiben. Die für die zukünftige Stabilität notwendige Synchronisation von Nutzungsformen und Gerätefunktionen läßt sich nur stabil halten, wenn die bisherige Interpretation von Automobilität als einer

"Rennreiselimousine" zurückgedrängt wird und substantielle neue gerätetechnische Veränderungen realisiert werden. Neben der Einführung von stadttauglichen Fahrzeu- gen werden vornehmlich fahrzeugkonstruktive und antriebstechnische Modifikationen vorgenommen sowie eine bessere Organisation des Verkehrsflusses und der Ver- kehrsbewirtschaftung vorgenommen.

3. Auflösung: Der mit der technischen Interpretation als Rennreiselimousine für viele Jahre ausgedrückte Konsens im Verständnis von Automobilität löst sich langsam auf.

Die Verständigung von Herstellern und Kunden über die Konfiguration und Nutzungsart von Automobilität zerbricht. Die Industrie sucht neue Wege in der techni- schen Gewährleistung von Mobilität, neue Allianzen und Strategien. Die politische Ordnungsmacht löst die automobilfixierte Verkehrspolitik auf und öffnet somit Räume für neue Mobilitätsformen. Im Ergebnis entsteht ein neues Leitbild der Multimobilität,

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innerhalb dessen sich Hersteller, Nutzer und staatliche Akteure auf verschiedene, mit- einander kooperierende und vernetzte Verkehrsträger verständigen.

Inwieweit im reiferen Stadium eines Leitbildes sich die Bild- und Leitfunktionen selbst langsam transformieren, und diese Funktionen in festgefügte, vielfach gesicherte institutio- nelle Arrangements überführt werden und damit unabhängig von der Trägerkoalition einen gewissen Selbstlauf erfahren (Knie 1994, S.253ff.), oder ob die substantiellen Leitbild- Funktionen ständig aktiv bleiben, immer wieder politisch gesichert, neu eingeklagt und verteidigt werden und daher potentiell auch immer wieder auflösbar sind, ist noch empi- risch zu prüfen. Jedenfalls kann eine Leitbild-Theorie wohl nur dann sinnvoll entwickelt werden und eine forschungspolitische Relevanz erhalten, wenn über den Prozeß der Gene- se hinaus auch Anstrengungen zur Revitalisierung und Stabilisierung mit in den Blick genommen werden. Schließlich bedürfen umfassende Aussagen über die tatsächliche Bedeutung von Leitbildern in ihren sinn- und strukturbildenden Potentialen auch der dar- über hinausgehenden Analyse von Auflösungsprozessen.

4. Zum Untersuchungsdesign

Die dargelegte Projektskizze legt eine dreigliedrige Vorgehensweise nahe, die im folgenden beschrieben wird.

1) Eine Aufarbeitung und Bewertung der allgemeinen Auf- und Ablösungstendenzen vom Leitbild der Automobilität und ihrer besonderen Ausprägung in Form der Rennreiselimousine: Die drei wichtigsten Träger des bisherigen Leitbildes sollen dahin- gehend untersucht werden, inwiefern die unter ihnen gehandelten Visionen der Zukunft wie auch ihre konkreten Planungen vom bisherigen Konsens abweichen:

- Die politisch-administrativen Akteure sind daraufhin zu beobachten, inwiefern bei der Definition der verkehrspolitischen Rahmenbedingungen weiterhin eine "gesellschafts- politische Funktionsgewähr" des Automobils angestrebt wird, oder ob im Rahmen einer Neugewichtung der Verkehrssysteme auch das Geräteumfeld des Automobils tangiert wird. Die Untersuchung soll sich in diesem Schritt auf die USA, Europa sowie Japan konzentrieren und hierbei die supra- sowie die nationalstaatliche Entscheidungsebene behandeln, da in diesen Weltregionen die stärkste Definitionsmacht zukünftiger Mobili- tätspolitik vermutet wird. Darüber hinaus sind die verkehrspolitischen Impulse von besonderem Interesse, die von der Landes-, Regionen- oder kommunalen Ebene ausgehen wie insbesondere vom kalifornischen "California Low Emission Vehicle and Clean Fuels Program".

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19 - Die Modellpolitik ausgewählter Automobilunternehmen in den USA, Japan und Europa

soll für die letzten 25 Jahre rekonstruiert und bei ausgewählten Typen untersucht werden.

Von besonderem Interesse sind hierbei die für die konstruktive Ausgestaltung zentralen Parameter Preis, Hubraum, Zylinderzahl, Verbrauch, Leistung, Gewicht und Höchst- geschwindigkeit, die danach geprüft werden sollen, inwiefern über einen längeren Zeitraum tatsächlich ein "schwerer - schneller - teurer" -Entwicklungsmuster gegeben war. Schließlich soll eine Untersuchung der Definition von Entwicklungsaufträgen sowie der Serienfreigabe zeigen, ob und inwieweit die Hersteller tatsächlich von diesen vermuteten Trends abweichen und alternative Antriebs- und Fahrzeugsysteme vorange- trieben haben. Hierbei sind "komplementäre Fahrzeuge" wie Compactcars und Cityfahrzeuge von besonderem Interesse.

- Das Verhalten der Automobilnutzer ist zu untersuchen, ob tatsächlich objektiv meßbare und subjektiv abfragbare Ablösungserscheinungen vom Konzept der Rennreiselimousine zu beobachten sind. Es existieren in den USA, Europa und Japan eine Reihe von Untersu- chungen zum konkreten Fahrverhalten sowie zur subjektiven Bewertung des Automobils.

Diese Arbeiten beziehen sich allerdings meistens auf einen sehr begrenzten räumlichen Bereich und halten häufig wissenschaftlichen Standards nicht stand. In der Tendenz dürfte aus vielen bereits vorliegenden Forschungsarbeiten durch Sekundäranalysen aber dennoch eine solide Aussage über die Präferenzen der Kunden herausdestilliert werden können.

2) Der zweite Erhebungsschritt konzentriert sich auf die Identifizierung, Beschreibung und Bewertung der "Umbaupotentiale" einerseits und des "Beharrungsvermögens" der Auto- mobilhersteller andererseits. Neben einigen wenigen "Insider- Berichten" wie von DeLorean für General Motors (DeLorean et al. 1979) und Müller (1991) für Daimler-Benz existieren kaum brauchbare Vorlagen (vgl. Lötz 1978; Junginger 1991; Eglau 1992;

Mönnich 1989). Angesichts des komplexen Gegenstandes scheint es daher erforderlich, für die drei großen Märkte in den USA, Japan und Europa jeweils ein oder zwei der bedeu- tendsten Unternehmen auszuwählen. Die Untersuchung soll sich nach unserer derzeitigen Vorstellung auf Toyota, General Motors und Daimler-Benz oder Volkswagen kon- zentrieren. Diese Unternehmen gehören zu den jeweils größten nationalen Industrie- unternehmen, verfügen über eine breit ausgebaute und vielfach diversifizierte eigene Forschung und sind auch bereits mit umfassenden Verkehrskonzepten an die Öffentlichkeit getreten. Neben einer Bewertung der unternehmerischen Aktivitäten anhand von Firmendokumenten steht hierbei die Befragung von Schlüsselpersonen im Mittelpunkt, die sich aus dem Bereich der zentralen Planung sowie den Funktionsbereichen Forschung, Entwicklung, Produktion und Vertrieb rekrutieren sollen. Wichtig hierbei ist, daß alle

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relevanten Bereiche erfaßt werden, da bei der Betrachtung zukünftiger Notwendigkeiten und Handlungsoptionen die Perzeptionsmuster in verschiedenen Unternehmenseinheiten stark voneinander abweichen können. Von besonderer Relevanz ist daneben die Analyse von Projekten des kooperativen Verkehrsmanagements, an denen die Unternehmen in neuen Konstellationen mit lokalen bzw. regionalen Akteuren beteiligt sind. Schließlich sollen auch technikorientierte Feldversuche und Pilotstudien daraufhin untersucht werden, ob und inwieweit daraus Potentiale für die Lösung von Verkehrs- und Mobilitätsproblemen erwachsen.

3) In einem dritten Untersuchungsschwerpunkt wird ein für diesen Kontext wichtiger Politikbereich auf die konkreten Handlungsformen hin untersucht, um zu ermessen, in welcher Weise die strategischen Planungen der Konzernzentralen tatsächlich in eine konkrete Produktpolitik und in Geschäftsfelddiversifikationen umgesetzt werden. In Ballungszentren spitzen sich die funktionalen und ökologischen Probleme des Verkehrs besonders zu, hier zeigen sich die Ablösungserscheinungen vom Leitbild Automobil am deutlichsten, hier sind auch die Potentiale zum Umbau des Leitbildes stärker akzentuiert.

Der besondere Problemdruck hat einmal zu einer Aktivierung der lokal- und regionalstaatlichen Akteure geführt und zum anderen die großen Automobilhersteller zu einem vielbeachteten Engagement geführt, bei dem der geschäftliche Kernbereich verlassen und das Geräteumfeld in die unternehmerischen Planungen aufgenommen wird.

Es kann daher vermutet werden, daß sich die großstädtische Verkehrsplanung zu einem interessanten Aushandlungsfeld zur Definition neuer Verkehrskonzepte entwickelt. Von einer Reihe von Stadtregionen, insbesondere in weniger hoch industrialisierten Gesell- schaften, beispielsweise von Mexico City, Kalkutta oder Shanghai, sind dramatische Pro- blemlagen bekannt. Andere Ballungszentren wie Oslo, Singapur oder Bologna stehen wiederum wegen einer engagierten Verkehrspolitik in der fachöffentlichen Diskussion.

Wir werden uns auf die Regionen Los Angeles, Berlin und Tokyo konzentrieren, weil u.a.

zu vermuten ist, daß die im zweiten Untersuchungsabschnitt ausgewählten Hersteller gerade in diesen Ballungszentren besonders aktiv sind und damit eine enge Verzahnung der beiden Empirieschritte zu erwarten ist. Es wird davon ausgegangen, daß bei allen drei Städten das Automobil bei der Bewerkstelligung der Verkehrsleistungen bislang von zentraler Bedeutung ist, die vorfindbaren Nutzungspraktiken allerdings voneinander abweichen, der Problemdruck und das Problem- bzw. Umweltbewußtsein der Bevölkerung in allen drei Metropolen groß ist, die eingeschlagenen Regulierungsversuche wiederum sehr unterschiedlich ausfallen und sich insbesondere in der Frage nach einer modifizierten Fortsetzung des Automobilleitbildes oder eines Umbaus in Richtung von neuen Multimobilitätsangeboten unterscheiden werden. Von allen drei Regionen kann darüber hinaus eine große Ausstrahlungskraft für die jeweiligen nationalen verkehrspolitischen Konzepte erwartet werden. Während die Möglichkeiten zu einer eigenständigen

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21 städtischen Verkehrspolitik in Berlin und Tokyo stark von nationalen und supranationalen Politikarenen bestimmt werden, scheinen die Möglichkeiten von Los Angeles im Rahmen der traditionell starken Position des kalifornischen Bundesstaates in der Luftrein- haltepolitik größer zu sein. Zwar existieren insbesondere für das südliche Kalifornien auf der Basis der 1990 verabschiedeten "Low Emission Vehicle and Clean Fuel Regulations"

strenge Grenzwerte für Schadstoffe, ingesamt scheint aber die Orientierung am Leitbild Automobil noch ungebrochen, denn der Neu-Aufbau - Los Angeles war einmal ein Stadt- gebiet mit vorbildlich ausgebautem öffentlichen Personennahverkehr - von funktionalen Äquivalenten ist bislang kaum erkennbar. Für die Zukunft zeichnet sich für diese Stadtregion daher insbesondere der Einsatz von Elektro-Fahrzeugen als eine Modernisierungsstrategie im Rahmen des Automobil-Leitbildes ab.

Berlin und Tokyo stellen dementsprechend urbane Zentren mit vergleichsweise schwachen Stadt- und Regionalregierungen dar. Berlin ist aber in den letzten Jahrzehnten zu einem Zentrum der neuen sozialen Bewegungen geworden, die insbesondere auch im Verkehrsbereich ein hohes Potential und eine starke Bereitschaft zur Entwicklung sozialer Innovationen erwarten lassen. In keiner anderen deutschen Stadt sind in der jüngsten Ver- gangenheit so viele zum Teil sehr detaillierten Verkehrsstudien entstanden wie in Berlin.

Der Vereinigungsprozeß der beiden Stadthälften hat insbesondere zwischen den Jahren 1990 und 1992 Initiativen bei Industrie, Behörden und Umweltverbänden aktiviert, die an alte Traditionen der Berliner Verkehrs politik anzuknüpfen versuchten und als grundlegende Entwürfe zur künftigen Mobilität in der Stadt und Region Berlin beitragen wollten (vgl. Heinze/Kill 1991; Wolf 1994, S. 245 ff.) Zudem werden durch die geplante 23. Verordnung des Bundesimmissionsschutzgesetzes den Städten und Kommunen neue Instrumente und Kompetenzen zur Gestaltung des innerstädtischen Verkehrs bereitgestellt.

Nach dramatischen Entwicklungen in den 60er Jahren, in denen Japan mit seiner nachholenden Industrialisierung als erste "Schaubühne der Umweltzerstörung" galt, hat in den 70er Jahren hier eine konsequent technokratische Umweltpolitik eingesetzt, die erst in jüngster Vergangenheit um Elemente einer vorsorgenden Politik mit sozialen Innovationen ergänzt wird. Zwar sind die japanischen Kommunalbehörden in der horizontalen Politik- verflechtung vergleichsweise schwache Akteure, dennoch gelang es in den 70er und 80er Jahren gerade den großen Städten, durch gezielte Informations- und Aufklärungskampag- nen auf lokaler Ebene öffentlichen Druck auf die nationale Regierung zu mobilisieren.

Dieser Untersuchungsschwerpunkt soll schließlich auch zur Klärung beitragen, inwieweit sich die Automobilindustrie tatsächlich auf neue kooperative Konzepte einläßt, die vor dem Hintergrund einer angestrebten Veränderung des Modal-Splits auch dem Automobil eine neue Funktion im Rahmen eines veränderten Leitbildes zuordnen. Oder aber ob sich

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die Autoindustrie nur soweit bei den Planungen engagiert, wie es der Optimierung des Verkehrsflusses zur Absicherung des bestehenden Automobil-Leitbildes dient. Die überaus kritische Haushaltssituation der Mehrzahl der Stadtregierungen und die zur Zeit sehr populären Konzepte des new public management lassen zudem die Vermutung zu, daß im Rahmen von "out-sourcing"-Strategien die Kommunen mehr und mehr dazu übergehen, die Planungsarbeiten für die Verkehrsregelung direkt an die "kompetente" Autoindustrie zu vergeben (vgl. Naschold et al. 1994).

Alle drei Untersuchungsschritte basieren zunächst einmal auf einem sekundäranalytischen Vorgehen. Die Sichtung, Bündelung und Auswertung bereits erstellter empirischer Studien und von Verkehrs-Konzepten wird insbesondere im ersten und dritten Unter- suchungsschritt dominieren. Zur Modellpolitik der Automobilindustrie liegen die Informationen nicht in der gewünschten Form vor, so daß hier eigene Erhebungen auf der Grundlage der amtlichen Zulassungsstatistiken erforderlich werden. Zur Beschaffung der Daten zu möglichen Präferenzverschiebungen bei den Automobilnutzern ist darüber hinaus zu klären, inwieweit sich Teilfragen im Rahmen des nächsten "Wohlfahrtssurveys" bear- beiten lassen (vgl. Spellerberg 1994). In einem zweiten Untersuchungsgang wird sich die Erhebung in allen drei Untersuchungsschritten auf die Befragung von Experten - möglicherweise auch in Form von Gruppendiskussionen - stützen und dazu eine Primär- datengrundlage erstellt werden.

5. Ausblick

Neben den erwarteten Beiträgen zur weiteren Konsolidierung der sozialwissenschaftlichen Technikforschung werden von der Untersuchung wichtige Erkenntnisse zur Organisation von Innovationen in der Automobilindustrie erwartet. Diese Industrie gehört, insbesondere in Deutschland, zu den volkswirtschaftlichen Schlüsselbranchen.

Für die Unternehmenspraxis dürften sich konkrete Informationen darüber ergeben, in welcher Phase des Erosions- bzw. Umbauprozesses das Automobilitäts-Leitbild sich befindet und wie die wahrscheinliche Weiterentwicklung aussehen könnte. Eine solche Verbesserung der Informationslage dürfte hinsichtlich der Strategiefindung der Unternehmen, insbesondere in der Produkt- und Diversifizierungspolitik, wichtig sein. Abgesicherte Informationen und der Nachweis ihrer empirischen Fundierung über mögliche Entwicklungstrends produktsensibler Faktoren spielen schließlich in der internen Durchsetzung und Organisation von Innovationen eine wichtige Rolle.

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