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Nach dem Spiel

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Academic year: 2022

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Allenfalls für Fussballer und ihre Trainer gilt: «Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.» Wir anderen haben jetzt zwei Jahre lang Ruhe. Müssen nicht mehr pünktlich vor dem TV sitzen. Nicht mehr für ausreichende Bier- und Chips- vorräte sorgen und den korrekten Fahnenschmuck.

Uns nicht mehr über parteiische Schiedsrichter und doofe Kommentatoren ärgern. Oder über die jungen Millionäre, die nicht so spielen, nicht die Fitness zeigen, wie wir es aus dem Fauteuil heraus fordern. Die Kick- hierarchie – um nicht zu sagen die Hackordnung – unter unseren Gastarbeitern ist auch wieder klar. Die Tschingge, so tönt es aus meinem Wartezimmer, die haben es den Schwoben gezeigt, aber die Spaniockel sind besser. Die Jugos sind tapfer kämpfend raus - geflogen. Türken (und Schweizer) waren gar nicht erst qualifiziert. Die Iberer sind auf ihren Hattrick stolz wie die Spanier. Die Italiener nehmen es locker und beto- nen im Sprechzimmer, wie gut Abate gestürmt, Buffon gerettet, Pirlo dirigiert und Prandelli die Mannschaft geführt habe. Die Deutschen knurren, dass es den Süd- ländern ja zu gönnen sei, so ein paar Fussballerfolge angesichts ihrer miesen Wirtschaftslage, und das eigene Team sei ja noch jung, aber in zwei Jahren … Alle meine Patienten regen sich darüber auf, dass einige der Gladiatoren nicht gelernt haben, mit Würde zu verlieren, sondern von den Kameras schmollend, wütend oder weinend gezeigt wurden. Doch langsam ebbt das Fussballfieber ab, und wir können uns wieder den Hämorrhoiden, den Rückenschmerzen und den Infekten der Luftwege widmen. Mir ist rätselhaft, warum ausgerechnet dieser Sport auf so viele Men- schen eine so grosse Faszination ausübt. Tennis in Wimbledon und Leichtathletik in Helsinki waren unter

«ferner liefen», während die EM über Wochen ein beherrschendes Gesprächsthema blieb. Ist es die Tat- sache, dass Erfolge nur möglich sind, wenn das Team gut miteinander funktioniert, welche die Menschen mehr fasziniert als die Höchstleistungen von Einzel- kämpfern? Das Mitschauen, wenn neun Leute sich ver- aus gaben, um einem Stürmerstar gute Vorlagen zu er arbeiten? Die Spannung, wenn ein elfmeterhalten- der Torwart sich ohne Rücksicht auf seinen Bewe- gungs apparat in den Ball wirft und so den Sieg rettet?

Alle für einen, einer für alle – das wird von der Fussbal- lelf vorgelebt. Wie produktiv und effizient wäre das Be- rufs- und Privatleben, wenn Arbeitsequipen, Nachbarn und Familien auch so «zusammenspielen» würden … Oder gibt es einen Soap-Opera-Effekt, dass die Zu- schauer die Kicker quasi in ihre Familie aufnehmen?

Man kennt die dramatischen Hintergründe der Adop- tionen von Boateng und Ballotelli, die Frauenaffären von Ronaldo, freut sich über die niedlichen Kinder von Torres und leidet mit dem verletzungsgeplagten Schweinsteiger mit. Fussballspiele sind Inszenierun- gen. Die Sportreporter erzählen genüsslich die aber- gläubischen Macken – wer welchen Talismann trägt, welcher Trenchcoat von Hitzfeld auf dem Feld Glück bringt – und dramatisieren statistische Fakten zu Orakeln, wie «nie haben die Deutschen die Italiener besiegt» und «England verliert nie im Elfmeter», die nicht immer zutreffen. Es gibt geliebte Rituale: die Wie- derholung der Tore in Zeitlupe, die völlig sinnlosen Interviews nach dem Spiel von schwitzenden, ausge- pumpten Beinarbeitern, die ihre Schädel samt Inhalt durch Köpfler gefährdet haben. Was sollen sie denn anderes sagen, als dass sie ihr Bestes gegeben haben, aber die anderen halt stärker waren? Aber irgendwie hört man es immer wieder gerne. Oder ist es die Mög- lichkeit, sich als Experte zu zeigen, die alle so fasziniert?

Fachmännisch diskutieren Leute, die als Teenager mal getschuttet haben, welche Weltstars etwas können, schliessen Wetten ab und geben Prophezeiungen ab.

Und sind auch ein bisschen Europameister, wenn es ihre Nationalmannschaft wird.

Nach dem Spiel

ARSENICUM

MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

648

ARS MEDICI 13 2012

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