Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 28–2912. Juli 2004 AA2005
S E I T E E I N S
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it finanziellen Anreizen lassen sich mitunter Entscheidungen beeinflussen. So auch die, an der hausarztzentrierten Versorgung teil- zunehmen. Patienten werden Entla- stungen bei der Praxisgebühr in Aus- sicht gestellt und Ärzten zusätzli- ches Geld. So sieht es das erste lan- desweite Hausarztmodell vor, das die AOK Sachsen-Anhalt mit dem ansässigen Hausärzteverband und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Sachsen-Anhalt mit Wirkung zum 1. Juli erarbeitet hat.Im Zuge der Gesundheitsreform müssen Krankenkassen ihren Versi- cherten Hausarztmodelle anbieten (Paragraph 73 b SGB V). Weil finan- zielle Anreize auch bei Krankenkas- sen wirken, verbinden diese ihre Pflicht in Sachen Hausarztmodell gern mit der finanziell lukrativen Kür der Integrationsversorgung. So
geschehen bei der im April be- kannt gewordenen Absichtserklä- rung nach Paragraph 140 SGB V zwischen Barmer-Ersatzkasse und dem Hausärzteverband oder eben nun bei dem Kontrakt in Sachsen- Anhalt. Dieser sei, so der Vorsitzen- de des Hausärzteverbandes Sach- sen-Anhalt, Dipl.-Med. Holger Fi- scher, eine „Mischung“ aus Haus- arztmodell und Integrierter Versor- gung. Zudem müssen teilnehmende Ärzte bereit sein, in Disease-Man- agement-Programmen (DMP) mit- zuarbeiten. Wegen der Koppelung der DMP an den Risikostrukturaus- gleich (RSA) winkt der AOK so zu- sätzliches Geld aus dem RSA-Topf.
Dies sei nach Auskunft Fischers eine Grundvoraussetzung der Kasse für Verhandlungen gewesen. Die AOK erhoffe sich wohl auf diesem Weg, die DMP zu „pushen“. Der
Vertrag sei insgesamt jedoch ge- eignet, die medizinische Versor- gung zu optimieren. Sachsen-Anhalts KV-Chef, Dr. med. Burkhard John, sprach gar von einem „Meilenstein“
in den jahrelangen Bemühungen der KV, die ambulante Versorgung der Patienten sinnvoll zu strukturieren.
Teilnehmende Ärzte können sich entscheiden, ob sie zunächst für eine Verwaltungspauschale (drei Euro) die Basisversorgung anbieten oder gleich mit der ansonsten erst nach zweieinhalb Jahren verbindlichen zweiten Ebene beginnen. Diese sieht unter anderem konkrete Anforde- rungen bei der Fortbildung vor. Der Vorteil: Den Ärzten winkt eine Be- teiligung an den durch das Hausarzt- system erwirtschafteten Einsparun- gen. Dies wäre vielleicht auch für Ärzte ein finanzieller Anreiz, der ziehen könnte. Samir Rabbata
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icht, dass der Schachzug neu wä- re. Einen Vorschlag „hinaushau- en“ zu lassen, um dann in sicherer Deckung die Reaktionen abzuwar- ten, wird von Politikern gern und häufig angewandt. Jüngst von Phi- lippe Busquin.Der EU-Forschungskommissar hatte über eine von der Europäi- schen Kommission eingesetzte Ex- pertengruppe verlauten lassen, Neu- geborene im ersten Lebensmonat generell auf solche Erbkrankheiten screenen zu wollen, für die es bereits Therapien gibt. Als heftige Kritik an diesem „Baby-TÜV“ laut wurde, ru- derte Busquin schnell zurück. Kei- neswegs befürworte er obligatori- sche Gentests für alle neugeborenen Kinder in Europa. Diagnostische Gentests seien eine freiwillige Ent- scheidung, erklärte der Kommissar.
Dieser Ansicht sei auch die Exper-
tengruppe, die nach einjähriger Be- ratung „25 Empfehlungen zu den ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen von Gentests“ vorlegte.
Tatsächlich betonen darin die Wissenschaftler, Patientenorganisa- tionen und Vertreter der pharma- zeutischen Industrie die Freiwillig- keit und Vertraulichkeit von Gen- tests. Das Recht auf Nichtwissen sei in gleichem Maße zu respektieren wie das Recht auf Wissen. Gleich- wohl sehen die Experten die Tests als „integralen Bestandteil des Ge- sundheitswesens“ an und empfehlen – mit Rückendeckung Busquins und am EU-Parlament vorbei –, für schwere und behandelbare Krank- heiten „vorrangig Maßnahmen zu einem universellen Neugeborenen- Screening“ zu ergreifen. Ein euro- päisches Netzwerk soll dazu künftig Qualitätsstandards erarbeiten.
Kritikbedürftig ist nicht das An- liegen der Experten, Babys unter präventiven Gesichtspunkten auf schwerwiegende Krankheiten zu te- sten – wenn es dabei bleibt. Doch wohl kaum ein Mensch ist derzeit in der Lage, die Folgen von Gentests gänzlich zu überblicken. So muss man befürchten, dass die vorgeschla- genen Neugeborenen-Tests früher oder später auf ungeborene Kinder ausgedehnt werden könnten. Pro- blematisch bleibt auch, dass geneti- sche Tests, die mitunter die Grundla- ge für Lebensentscheidungen bil- den, immer nur ein statistisches Risi- ko abschätzen. Langfristige Aussa- gen über die phänotypische Ausprä- gung lassen sich nicht treffen. Statt Schnellschüssen sind deshalb eine intensive Debatte sowie eine gesetz- liche Regelung auf EU-Ebene von- nöten. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann