A 2776 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 51–52|
26. Dezember 2011ÄRZTE AUF REDAKTIONSBESUCH
Morgens Knut, abends Honorar
„Tagesspiegel“, Radio Berlin-Brandenburg, „Welt“ – mindestens einmal im Jahr lädt der
Fachjournalist Reinhold Schlitt Vertragsärzte und Psychologische Psychotherapeuten zum Redaktionsbesuch bei Journalisten ein – mit Gewinn für beide Seiten.
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anche gute Idee wird in schlechten Zeiten geboren.Abzocke durch Ärzte – das war im Jahr 1998 ein größeres Thema für die „Welt“, erinnert sich Reinhold Schlitt, freier Journalist und Leiten- der Redakteur des Monatsmagazins der Kassenärztlichen Vereinigung
(KV) Berlin. Aber auch in anderen Berliner Medien wurde seinerzeit kritisch über Honorare, Abrech- nungsgepflogenheiten und Rech- nungen für gesetzlich Krankenver- sicherte berichtet.
Viele Ärztinnen und Ärzte fanden ihren Berufsstand damals schlecht dargestellt und warfen den berich - tenden Journalisten vor, unseriös zu sein und Halbwahrheiten zu verbrei- ten. „Ich konnte als KV-Blatt-Redak- teur keine Stellvertreterkriege führen, aber die Ärzte ermuntern, sich mit
denjenigen auseinanderzusetzen, von denen sie sich schlecht behandelt glaubten“, sagt Schlitt. Um solche Gespräche zu fördern, organisierte er damals im Namen der KV-Blatt- Redaktion Berlin einen Medien- Workshop bei der „Welt“. Bis heute sind daraus 15 geworden, in unter- schiedlichen Redaktionen.
Sie bieten Ärzten und Psycho - therapeuten die Gelegenheit, mit
Journalisten über deren Arbeitsall- tag ins Gespräch zu kommen, ihre
Berichte und Kommentare zu dis- kutieren, aber auch, den Medien- leuten über die Arbeit in der Pra- xis zu berichten. „Wir versuchen
den Teilnehmern außerdem klar- zumachen, nach welchen Re- geln Medienarbeit funktioniert“,
erläutert Schlitt. „Über welche Themen Journalisten berichten, wird eben danach ausgesucht, ob es für die Leser interessant
ist – nicht, ob es eine bestimm- te ärztliche Gruppierung für re- levant hält.“ (siehe auch „Sta- tus“ in diesem Heft).
Seiner Erfahrung nach sind die meisten Teilnehmer der
Workshops am Ende zufrie- den. Erstens, weil sie sonst
keine Gelegenheit haben, mit Redakteuren vis à vis zu dis- kutieren. Zweitens, weil sich so Dinge anders klären lassen als durch einen Leserbrief oder ein zor- niges Telefonat.
Schlitt weiß zudem, dass Ärzte es spannend finden, zu erleben, wie Journalisten arbeiten. Häufig schließt sich an die Gespräche ein Rundgang durchs Redaktionsgebäude an. „Zu verstehen, unter welchem zeitlichen und personellen Druck Redaktionen Themen bearbeiten, ist wichtig“, be- tont er. „Es gibt Kollegen, die sich am frühen Morgen noch mit dem Tod von Knut dem Eisbären befassen,
mittags mit einem Brand in Berlin- Spandau und nachmittags mit einem Ärzteskandal. Sie müssen möglicher- weise an verschiedenen Orten prä- sent sein, sich in kürzester Zeit in ein Thema einarbeiten. Es ist wichtig, das den ärztlichen Lesern zu schil- dern. Sie empfinden diese Einblicke als positiv und sagen häufig hinter- her: ,Ah ja, da herrschen ja auch ge- wisse Zwänge.‘“
Haben sich im Lauf der Jahre die Reizthemen geändert? Nein, meint Schlitt, es seien dieselben. Wie über Ärzte und Geld berichtet wird, är- gert demnach immer noch viele Me- diziner. Wobei Geld nicht nur Ho- norarthemen meint, sondern auch Finanzierungsfragen der gesetzli- chen Krankenversicherung und da- mit Streitpunkte wie die Finanzie- rung von ärztlichen und psychothe- rapeutischen Leistungen.
Verschiedene Zuschauergruppen
Wie wird darüber in den Workshops diskutiert? Schlitt erinnert sich gut an einen beim Sender Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) mit der Redaktion der regionalen „Abend- schau“. Dort hakten die Ärzte nach, warum die Redakteure stets derart einseitig über ihre Honorarsitua - tion berichteten. Warum, so der Vor- wurf, könne man Ärzten nicht gön- nen, dass sich ihre Leistung durch ein angemessenes Honorar abbilde, wie bei jedem Handwerker? Dar - aus ergab sich eine längere Diskus- sion. Die RBB-Moderatorin sagte schließlich: „Denken Sie daran, dass Sie in Berlin nicht die einzige Zuschauergruppe sind. Denken Sie daran, wie gewisse Dinge ankom- men, bei denen, über die wir auch berichten – Sozialhilfeempfängern
beispielsweise.“
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Johanna Protschka, Sabine Rieser Berichte über
ärztliche Hono - rare sind für die Betroffenen häufig immer noch ein Ärgernis, weiß Reinhold Schlitt.
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