Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 41|
11. Oktober 2013 A 1883V
or gut einem Jahr verzichtete das Pharmaunter- nehmen Genzyme, eine Tochtergesellschaft von Sanofi-Aventis, freiwillig auf die Zulassung für sein Krebsmedikament Mabcampath (Alemtuzumab). Mit dem Präparat werden seit 2001 Patienten mit chroni- scher lymphatischer Leukämie (CLL) vom B-Zell-Typ behandelt, für die eine Fludarabin-Kombinationsche- motherapie nicht infrage kommt. Um die Versorgung der vergleichsweise überschaubaren Zahl an Patienten sicherzustellen, legte der Hersteller ein Sonderpro- gramm auf, über das die behandelnden Ärzte das Prä- parat weiterhin kostenfrei beziehen können. Der Ein- satz erfolgt dann allerdings außerhalb der zugelassenen Indikation.Was viele Onkologen und Arzneimittelexperten da- mals wie heute empört: Der Zulassungsverzicht hatte nicht etwa medizinische, sondern rein kommerzielle Gründe. Denn für den Wirkstoff Alemtuzumab zeich- nete sich ein Nutzen in der Therapie der Multiplen Sklerose (MS) ab. Bei dieser Indikation lassen sich hö- here Preise erzielen. Außerdem sind die Patientenzah- len größer. Bei Genzyme fürchtete man offenbar, dass es sich negativ auf das Preisniveau auswirken würde, wenn Alemtuzumab zur Therapie der CLL auf dem Markt bliebe.
Seit Mitte September ist das Präparat in der Europäi- schen Union wieder verfügbar. Genzyme vertreibt es unter dem Namen Lemtrada gemeinsam mit Bayer Health Care zur MS-Behandlung. Und während für Mabcampath dereinst je Milligramm 21 Euro gezahlt werden mussten, fallen für ein Milligramm Lemtrada 887 Euro an. Das pharmakritische Arznei-Telegramm kritisiert zudem, Genzyme wolle ein neues Hochpreis- niveau für MS-Mittel etablieren. Denn Lemtrada sei um rund 40 Prozent teurer als ebenfalls hochpreisige MS-Therapeutika wie Fingolimod. Eine Unterneh- menssprecherin von Sanofi-Aventis erklärt dagegen, dieser Vergleich hinke. Die Kritiker vernachlässigten die zeitliche Dimension. Alemtuzumab wirke über drei,
womöglich sogar über fünf Jahre, wohingegen andere Therapeutika regelmäßig gegeben werden müssten.
Das erklärt allerdings nicht, warum ein und derselbe Wirkstoff bei der einen Indikation um ein 40faches teu- rer ist als bei der anderen. Unseriös findet der Vorsit- zende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärz- teschaft (AkdÄ), Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, ein solches Vorgehen. Zwar habe das Pharmaunterneh- men für die Zulassung von Alemtuzumab als MS-The- rapeutikum aufwendige Phase-III-Studien durchführen müssen. Das rechtfertige aber nicht diesen Preis. „Das ist völlig überzogen“, sagte der Onkologe gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.
Ludwig vermutet dahinter Taktik. Zweifellos werde der Gemeinsame Bundesausschuss Lemtrada einen Zu- satznutzen gegenüber den Standardtherapeutika be- scheinigen, meint der AkdÄ-Vorsitzende. Auf die an- schließenden Preisverhandlungen mit den Krankenkas- sen könnte sich ein hohes Ausgangsniveau deshalb günstig auswirken.
Zumindest können die Krankenkassen beim Preis - niveau noch als Korrektiv wirken. Ein solches fehlt allerdings, wenn es um Zulassungsfragen geht. Ob und für welche Indikation ein Präparat auf dem Markt ver- fügbar ist, ist allein Sache des Pharmaunternehmens.
Hier muss die Politik handeln.
PHARMAINDUSTRIE
Fragwürdige Preispolitik
Heike Korzilius
Heike Korzilius Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik