A 546 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 11|
16. März 2012ORALE THERAPIE DER MULTIPLEN SKLEROSE
Hinweise zur Überwachung
Bei Patienten mit gleichzeitigem Diabetes mellitus und/oder kardialen Problemen sollte die Therapie mit Fingolimod in Kooperation mit Fachkollegen erfolgen.
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ie multiple Sklerose (MS) ist eine ambulante Erkrankung geworden, in gut versorgten Gebie- ten sind stationäre Fälle inzwischen selten“, so Prof. Dr. med. Volker Limmroth, Köln. Mittlerweile sind mehr als 6 300 Patienten mit dem Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor- Modulator Fingolimod (Gilenya®) in Studien behandelt worden. Etwa 130 Patienten mit hochaktiver, schub- förmiger MS sind bereits im siebten Jahr der Therapie.Nach den Daten aus vier Phase- III- und zwei Phase-II-Studien ist in der zugelassenen Dosierung von 0,5 mg täglich eine Senkung der Schubrate um 52 Prozent im Ver- gleich zu Interferon beta-1a i.m. do- kumentiert sowie eine um 37 Pro- zent verminderte Behinderungspro- gression im Vergleich zu Placebo (NEJM 2010; 362: 387 respektive 402). Steroidpflichtige Schübe und solche mit Hospitalisierung waren signifikant seltener.
Neben den aus Phase-II-Studien bekannten unerwünschten Wirkun- gen wurden bradykarde Herzrhyth- mus-Störungen und Makulaödeme sowie zwei letale Herpesvirus-In- fektionen dokumentiert – allerdings bei der höheren Dosierung von 1,25 mg Fingolimod. Die klinische Anwendung und das Sicherheits-Mo- nitoring (Registerstudie PANGAEA) werden eine endgültige Risikoein- schätzung erlauben.
Experten zeigten sich jedoch zu- versichtlich: Dr. med. Ralf De- chend, Berlin, erläuterte als Kardio- loge, der negative chronotrope Ef- fekt der Substanz werde über die Öffnung von Kaliumkanälen nur am Sinusknoten und den oberen Fa- sern des AV-Knotens bewirkt. Die dosisabhängige Verringerung der Herzfrequenz trete nur nach der Erstgabe auf, bei der zugelassenen Dosierung sind transiente sympto- matische Bradykardien mit einem
Abfall um sieben bis acht Schläge pro Minute möglich. Als transient und selten stufte der Referent auch AV-Blockierungen 1. und 2. Grades (Typ Mobitz I) ein. Eine Beobach- tungszeit von sechs Stunden nach Erstapplikation mittels EKG, wie sie in einem Rote-Hand-Brief vom 25. Januar 2012 für das selekti- ve Immunsuppressivum empfohlen wird, hält er aber für sinnvoll. Bei Risikopatienten mit kardialen Be- gleiterkrankungen empfahl er die Vorstellung bei Fachkollegen vor Therapiebeginn.
Bei Diabetikern sei eine Fundos- kopie im Vorfeld notwendig, er- gänzte Dr. med. Uwe Meier, Gre- venbroich, als Vorsitzender des Be- rufsverbandes der Neurologen. Die- se Untersuchung wird nach drei bis vier Monaten generell empfohlen, da in einer Studie mit 429 Patienten zwei Fälle von Makulaödem doku- mentiert wurden. Nach den Erfah- rungen von Meier lassen sich die
Voruntersuchungen und die thera- piebegleitenden Maßnahmen sowie die Überwachungszeit bei Erstgabe gut in den Praxisalltag integrieren.
Insgesamt bescheinigten die Re- ferenten dem Wirkstoff eine hohe Therapiesicherheit bei Beachtung der Kontraindikationen und des er- forderlichen Monitoring bei Erstga- be. Nach Prof. Dr. med. Bernd Kie- seier, Düsseldorf, ist keine erhöh- te Rate von Malignomen beobach- tet worden. Infektionen der unteren Atemwege sind etwas häufiger (9,6 versus 6,0 Prozent) als unter Place- bo. Speziell bei höherer Dosierung kann es zur einer Erhöhung der Transaminasen kommen (acht Pro- zent ALT mehr als dreifach über oberen Normwerten), eine Reexpo- sition nach einem Auslassversuch sei gerechtfertigt.
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Dr. rer. nat. Renate Leinmüller
Änderung der Fachinformati- on zu Repevax® – Die Ständi- ge Impfkommission empfiehlt, Erwachsene bei der nächsten fälligen Tetanus-Impfung ein- malig mit einem Tdap-Kombi- nationsimpfstoff (gegen Teta- nus, Diphtherie und Pertussis) und bei entsprechender Indika- tion mit einem Tdap-IPV-Kom- binationsimpfstoff (zusätzlich gegen Polio) zu impfen. Gerade bei Erwachsenen weist der Per- tussis- und Polioimpfschutz große Lücken auf. Jetzt kann der Arzt auch bei einer Verlet- zung Repevax (Sanofi Pasteur), einen Vierfach-Kombinations-
impfstoff (Tdap-IPV) zur Teta- nus-Immunprophylaxe verabrei- chen − gemäß den offiziellen Impfempfehlungen zeitgleich mit Tetanus-Immunglobulin oder auch allein. Die Fachinfor- mation von Repevax wurde ent- sprechend erweitert.
Rote-Hand-Brief zu Benlysta® (Belimumab) – Glaxosmithkline macht in einem Rote-Hand-Brief darauf aufmerksam, dass die Gabe des humanen monoklona- len Antikörpers Belimumab (Benlysta®) zu schweren oder lebensbedrohlichen Überemp- findlichkeits- und Infusionsreak-
tionen führen kann. Da auch das verzögerte Einsetzen sol- cher Reaktionen beobachtet wurde, sollen die Patienten zu- mindest nach den ersten beiden Infusionen für einen längeren Zeitraum (einige Stunden) unter klinischer Aufsicht bleiben. Beli- mumab ist zugelassen als Zu- satztherapie bei erwachsenen Patienten mit aktivem, Autoanti- körper positivem systemischem Lupus erythematodes (SLE), die trotz Standardtherapie eine ho- he Krankheitsaktivität aufweisen (zum Beispiel positiver Test auf Anti-dsDNA-Antikörper und niedriges Komplement). EB
KURZ INFORMIERT
Pressegespräch „Gilenya® – Erfahrungen, Ein - blicke und Erwartungen: Orale MS-Therapie in der Praxis“, Wiesbaden, Veranstalter: Novartis