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Archiv "Behandlung der Multiplen Sklerose mit IFN-ß" (08.04.1994)

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(1)

Behandlung der

Multiplen Sklerose mit IFN-ß

Hans-Peter Hartung, Klaus V. Toyka', Reinhard Hohlfeld'

Vor dem Hintergrund der am 23. Juli 1993 erfolgten Zu- lassung eines gentechnisch hergestellten, modifizierten In- terferon-(3 (IFN-(3) durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) zur Behandlung der schubför- mig verlaufenden multiplen Sklerose bei noch gehfähigen Patienten soll im folgenden die bisher vorliegende Erfah-

rung aus dem Einsatz von IFN-ß zusammengefaßt wer- den. Die im April vergangenen Jahres in der Zeitschrift

„Neurology" (30, 32)* veröffentlichten Ergebnisse einer großen klinischen Untersuchung mit dem modifizierten IFN-ß (= Interferon-(3-ser-17 = IFN-beta-1 b) werden im nun Folgenden einzeln diskutiert.

D

er Einsatz von Interferonen bei der Multiplen Sklerose (MS) erfolgte 1979, weil man vermutete, daß eine Störung des Immunsystems durch eine persi- stierende vorausgehende oder eine akute Virusinfektion für die MS mit ursächlich sein könnten. Die bekann- te antivirale Wirkung von natürli- chem Interferon-ß und die sich ab- zeichnenden immunmodulatorischen Wirkungen machten diese Substanz für einen therapeutischen Einsatz bei der MS interessant.

Therapeutisches Potential von Interferon-(3

bei Multipler Sklerose

Im Jahre 1979 führten Jacobs und Mitarbeiter eine Pilotstudie mit intrathekalen Applikationen von hu- manem Fibroblasten-Interferon-ß bei Patienten mit klinisch gesicherter schubförmiger MS durch. Der intra- thekale Applikationsweg wurde ge- wählt, da bekannt war, daß syste- misch zugeführtes Interferon-ß nicht oder nur unwesentlich die Blut-Hirn- Schranke passieren kann und davon

1) Neurologische Klinik und Poliklinik im Kopfklinikum (Direktor: Prof. Dr. med.

Klaus Toyka), Bayerische Julius-Maximili- ans-Universität Würzburg

2) Neurologische Klinik und Poliklinik (Di- rektor: Prof. Dr. med. Thomas Brandt), Kli- nikum Großhadern der Ludwig-Maximili- ans-Universität München

ausgegangen wurde, daß eine lokale Verfügbarkeit Voraussetzung für die Wirkung sei. In dieser randomisier- ten, aber nicht „blinden" Pilotstudie erhielten zehn Patienten über ein halbes Jahr 13 intrathekale Injektio- nen in der Dosis von 1 Mio. IU (In- ternational Units); zehn Patienten bildeten die Kontrollgruppe, die kei- ne Behandlung erhielt. In dieser Un- tersuchung konnte eine Verminde- rung der Schubrate bei den Interfe- ron-ß-behandelten Patienten gezeigt werden (14, 15).

Die gleiche Arbeitsgruppe führ- te eine randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte multizentrische Zwei-Jahresstudie an 69 Patienten mit schubförmiger MS durch, bei der wiederum humanes Interferon-ß in einer Dosis von 1 Mio. IU neun- bis zehnmal intrathekal über sechs Mo- nate verabreicht wurde und die Pa- tienten insgesamt zwei Jahre klinisch beobachtet wurden. Um die Verblin- dung so weit wie möglich sicherzu- stellen, erhielten die mit Verum be- handelten Patienten 100 bis 200 mg Indomethazin nach jeder Behand- lung, womit typische Nebenwirkun- gen der Therapie kupiert werden sollten. Bei den mit Interferon-ß be- handelten Patienten wurde eine si- gnifikante Reduktion (p 5_ 0,001) der Schübe im Vergleich zum Krank- heitsverlauf vor Therapiebeginn von 57 Prozent erzielt, verglichen mit der Schubrate bei den Patienten unter Plazebo-Behandlung, die um 26 Pro- zent sank.

Für den Behinderungsgrad (kli- nischer Score nach Kurtzke) ergab sich hingegen kein statistisch signifi- kanter Unterschied zwischen den Be- handlungsgruppen über die zweijäh- rige Studienperiode (16, 17).

Milanese und Kollegen führten in Italien eine plazebokontrollierte, randomisierte, doppelblinde Studie an 16 Patienten mit schubförmiger oder chronisch progredienter Ver- laufsform der MS durch, die entwe- der humanes Fibroblasten-Interfe- ron-ß oder Plazebo erhielten. Im Ge- gensatz zur US-amerikanischen Stu- die fand diese Arbeitsgruppe wäh- rend einer sechsmonatigen Behand- lung mit intrathekaler Applikation eine Zunahme der Schubfrequenz und der Progression unter der Be- handlung mit Verum, nicht jedoch der der Plazebogruppe (fünf Schübe vs. 1,5 Schübe/Jahr) (21). Diese Er- gebnisse und die fehlende Praktika- bilität einer längerfristigen intrathe- kalen Arzneimittelgabe verhinder- ten, daß dies eine etablierte Thera- pieform der MS wurde.

Auch andere Interferone wur- den bezüglich einer Wirksamkeit bei

* 30. Paty, D. W.; Li, D. K. B.: The UBC MS/

MRI Study Group: The IFNB Multiple Sclero- sis Study Group: Interferon beta-ib is effective in relapsing-remitting multiple sclerosis. Neu- rology 43 (1993) 662-667

32. The IFNB Multiple Sclerosis Study Group: Interferon beta-ib is effective in relapsing remitting multiple sclerosis: Clinical results of a multicenter, randomized, double- blind, placebo-controlled trial. Neurology 43 (1993) 655-661

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 14, 8. April 1994 (37) A-965

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MS untersucht: Die Mehrzahl der Studien mit lnterferon-a konnten keinen positiven Effekt belegen (29)**. Die Gabe von lnterferon-y führte gar zu einer erhöhten Schub- rate (28).

Klinische Studie

mit Interferon-beta- 1 b Eine Reihe von Hinweisen deu- ten darauf hin, daß im Blut MS- Erkrankter autoreaktive T-Lympho- zyten mit Spezifität gegen Bestandtei- le des zentralnervösen Myelins zirku- lieren, die im akuten Schub bei erhöh- ter Durchlässigkeit der Bluthirn- schranke ins Hirngewebe einwandern.

Hierauf gründete der Versuch, die Wirkung von Interferon-ß auch nach systemischer Gabe zu untersuchen.

1988 begann in den USA und in Kanada die Rekrutierung von Pa- tienten mit schubförmiger MS, die zu Studienbeginn noch gehfähig waren und die folgenden Eingangskriterien erfüllten: Kurtzke-Score (EDSS

=

Expanded Disability Status Scale) von 0 bis 5,5, das Vorliegen von min- destens zwei Schüben in den voraus- gehenden zwei Jahren, Alter zwi- schen 18 und 50 Jahren, klinisch sta- biler Verlauf innerhalb der letzten 30 Tage, keine Therapie mit ACTH oder Kortikosteroiden während der letzten 30 Tage, keine vorausgehen- de immunsuppressive Therapie mit Azathioprin oder Cyclophosphamid.

Insgesamt wurden 372 Patienten in dieser randomisierten, doppelblin- den, plazebokontrollierten klinischen Studie einem von drei Therapiear- men zugeordnet: Plazebo, 1,6 Mio.

IU oder 8 Mio. lU des modifizierten IFN-beta-1b (9, 27, 34) (Tabelle). Die Applikation der Substanz erfolgte durch subkutane Injektionen jeden zweiten Tag, die die Patienten nach einer kurzen Einweisungsphase selbst vornahmen. Als primäre End- punkte der Studie wurden die Schub- rate pro Jahr sowie der Anteil schub- freier Patienten definiert. Weitere Endpunkte waren der Zeitraum bis zum Auftreten des ersten Schubs un- ter Therapie, die Schwere der Schü-

** Panitch, H. S.: Interferons in Multiple Sclerosis. Drugs 44 No. 6 (1992) 946-962

DIE ÜBERSICHT

Tabelle: Charakteristika der rekombinonten ß-lnterferone _. IFN-~-lb*

-in E. coli produziertes rekombinantes IFN-~

-165 Aminosäuren

- Molekulargewicht 18 500 dalton - nicht glykosyliert

- Serin statt Zystein an Position 17 - N-terminales Methionin fehlt

_. CHO-IFN-~**

- in chinesischen Hamster-Ovarzellen produziertes rekombinantes IFN-~

-166 Aminosäuren

- Molekulargewicht 20 000 dalton - glykosyliert

-Sequenz identisch zum natürlichen IFN-~

NB: Eine Wirkung bei MS ist bislang nur für IFN-~-1b nachgewiesen.

* Berlex, USA bzw. Sehering AG.

**Biogen, USA; Rentschler, Deutschland; Serono, Schweiz

be, Veränderungen im EDSS und das Auftreten und die Entwicklung von Läsionen im Kernspintorno- gramm (magnetische Resonanztomo- graphie, MRT). Verträglichkeit und Sicherheit wurden durch engmaschi- ge Laboruntersuchungen und weitere Sicherheitsparameter gewährleistet.

Während die Mehrzahl der Pa- tienten einmal jährlich kernspinto- mographisch untersucht wurde, er- hielt eine Untergruppe von 52 Pa- tienten MRT-Untersuchungen alle sechs Wochen über zwei Jahre (30).

Die Behandlung wurde zunächst über zwei Jahre durchgeführt, die Studie dann um ein weiteres Jahr verlängert, als eine Zwischenanalyse deutliche Hinweise auf ein therapeu- tisches Potential des modifizierten IFN-beta-1b ergab.

Die Ergebnisse aller Studienpa- tienten nach zwei und nach drei Jah- ren Behandlungsdauer lassen sich wie folgt zusammmenfassen:

0

Die jährliche Schubrate der mit 8 Mio. IUIFN-beta-1b-behandel- ten Patienten lag mit 0,84 Schüben pro Jahr signifikant (p < 0,001) unter der der Plazebo-Kontrollen (Abbil- dung 1). Der Anteil der Patienten oh- ne Schub während der ersten zwei Jahre der Behandlung war in der Gruppe mit der höheren Dosis von IFN-beta-1b mit 31 Prozent signifi- kant höher als der in der Plazebo- Gruppe mit 16 Prozent. Für die Do-

sis von 1,6 Mio. lU zeigten sich gerin- gere Unterschiede zur Plazebo-Kon- trolle, die nicht signifikant waren.

Nach drei Jahren Behandlung erga- ben sich für die jährliche Schubrate vergleichbar deutliche Ergebnisse, und die Zahl schubfreier Patienten betrug 22 Prozent unter der höheren Dosis des Verums und 14 Prozent unter Plazebo-Behandlung.

f) Mit der hohen Dosis behan- delte Patienten hatten, wenn sie Schübe erlitten, weniger mittel- schwere oder schwere Schübe als in der Plazebo-Gruppe.

E) Unter der Dosis 8 Mio. IU IFN-beta-1b wurde die Zeitdauer bis zum Auftreten des nächsten Schubes und darauffolgender Schübe deutlich gegenüber der Plazebo-Behandlung hinausgeschoben (Abbildung 2).

0

Die kernspintomographi- schen Untersuchungen zeigten eine signifikant geringere Krankheitsakti- vität, sowohl bezüglich der lnzidenz neuer Läsionen, wiederkehrender Läsionen und sich vergrößernder Lä- sionen als auch hinsichtlich der Ge- samtfläche aller Läsionen für beide mit Verum behandelten Patienten- gruppen, wobei keine deutliche Dosisabhängigkeit für diesen Effekt zu zeigen war (Abbildung 3).

0

Das Ausmaß der Behinde- rung wurde durch EDSS und NRS (Scripps Neurologie Rating Scale) Scores erfaßt. Es ergaben sich nach

A-966 (38) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 14, 8. April 1994

(3)

500 —

250 —

153

Zeit bis zum 1. Schub

Zeit bis zum 2. Schub

556 503

180 750 —

295

> 762 Zeit bis 1./2. Schub (Tage)

1,6 Mio. IU 8 Mio. IU

Placebo IFN-beta-1 b

Abbildung 2: Zeitdauer bis zum Auftreten des 1. und 2. Schubes nach Behandlungsbeginn 2,0 —

1,5 — 1,27

1 , 0_ 1,21

2 Jahre

3 Jahre

1,17

0,84 —

0,5 — - - -

1,05

0,84

0

Schübe/Jahr

1,6 Mio. IU 8 Mio. IU

Placebo IFN-beta-1 b

Abbildung 1: Jährliche Schubrate der behandelten MS-Patienten (2 Jahre: Plazebo: n = 112; IFN-be- ta-1b 1,6 Mio. IU: n = 111; 8 Mio. IU: n = 115 ; 3 Jahre: Plazebo: n = 123; IFN-beta-lb 1,6 Mio.

IU: n = 125 ; 8 Mio. IU: n = 124) zwei und drei Jahren keine signifi-

kanten Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen. Für die IFN- beta-lb-Gruppe zeichnete sich ein positiver Trend ab.

Die Häufigkeit von MS-be- dingten Krankenhausaufenthalten und die Gesamtzahl der Kranken- haustage war bei den mit 8 Mio. IU IFN-Beta-1b behandelten Patienten geringer als in der Plazebo-Gruppe (344 vs. 471 Krankenhaustage wäh- rend dreijähriger Studiendauer).

Nebenwirkungen

65 Patienten, in etwa gleich auf die drei Studienarme verteilt, been- deten die Behandlung vorzeitig. Als Gründe wurden unter anderem ange- führt: erhöhte Leberenzyme, Schmerzen an der Injektionsstelle, vermehrte Ermüdbarkeit, Übelkeit, Kopfschmerz, grippeähnliche Sym- ptome, allgemeines Krankheitsge- fühl. Häufigster veränderter Labor- parameter unter der Behandlung war eine vorübergehende mäßige Lym- phopenie; daneben wurden eine ge- ringgradige Neutropenie, Anämie und Thrombozytopenie berichtet.

Fieber, Schüttelfrost, Myalgien, Hy- perhydrose, allgemeines Krankheits- gefühl und lokale Reaktionen an der Injektionsstelle, wie Rötung und Schmerz, traten signifikant häufiger in der mit hoher Dosis IFN-beta-lb-

behandelten Patientengruppe auf als unter Plazebo. Diese Nebenwirkun- gen, so muß kritisch angemerkt wer- den, machen es unwahrscheinlich, daß hier eine durchgehende Blen- dung der Untersucher garantiert war.

Mögliche

Wirkmechanismen

IFN-ß zählt wie IFN-a und IFN-y zur großen Familie der soge-

nannten Zytokine. Dabei handelt es sich um Botenstoffe, die der interzel- lulären Kommunikation im Immun- system dienen. IFN-ß wird wie IFN-a von Fibroblasten und Leukozyten, IFN-y überwiegend von T-Lympho- zyten produziert (6). Eine Reihe von In-vitro- und In-vivo-Untersuchun- gen haben belegt, daß IFN-ß und IFN-y antagonistische Effekte besit- zen. Dieser Antagonismus scheint für die beobachteten Wirkungen bei MS grundlegend zu sein.

IFN-y, vornehmlich von CD4-T- Lymphozyten des „entzündlichen Phänotyps" (CD4-Thl-Lymphozy- ten) produziert, kommt für die Pa- thogenese der MS wesentliche Be- deutung zu (Übersichten bei 5, 6, 10, 11, 22). So bewirkt es eine verstärkte Ausprägung der für die Erkennung von (Auto)antigenen auf Antigen präsentierenden Zellen erforderli- chen Moleküle (MHC-Klasse-II-An- tigene, Adhäsionsmoleküle) auf Mo- nozyten, Makrophagen, Mikroglia- zellen und Perizyten (31, 35). Es sti- muliert die Freisetzung potentiell myelinotoxischer und entzündlich wirksamer Mediatoren aus Makro- phagen (10, 11). Im Blut und Liquor von MS-Patienten finden sich ver- mehrt IFN-y-produzierende Zellen (20, 26). Im Gehirn von MS-Patien- ten wurde IFN-y immunhistoche-

A-968 (40) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 14, 8. April 1994

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misch in Plaques lokalisiert (33). Ei- ne klinische Studie mit rekombinan- tem IFN-y bei Patienten mit schub- förmiger MS belegte die potentiell krankheitsfördernde Wirkung; bei diesen Patienten kam es unter der Therapie zu einer erhöhten Schub- frequenz.

In-vitra-Untersuchungen an Maus-Peritonealmakrophagen erga- ben, daß Interferon-ß die Interfe- ron-y-induzierte verstärkte Expres- sion von MHC-Kiasse-11-Molekülen antagonisiert (8, 13, 19). Ähnliche Effekte wurden an kultivierten hu- manen Glioblastomzellen und iso- lierten humanen Astrozyten beob- achtet ( 4, 18). Rekombinantes IFN- beta-1b scheint die Synthese von In- terferon-y durch T-Zellen zu unter- drücken, die man aus dem Blut von MS-Patienten und gesunden Blut- spendern isolieren kann, und einen hemmenden Einfluß auf die T-Zell- Proliferation auszuüben (25).

Eine weitere wichtige Wirkung von IFN-beta-1b dürfte die Verbes- serung der Suppressorfunktion von T-Zellen sein (23, 24). Seit langem wird postuliert, daß potentiell auto- aggressive T-Lymphozyten nicht un- terdrückt werden, weil die T- Suppressorzell-Aktivität bei MS- Kranken vermindert ist. Diese feh- lende oder unzureichende Kontrolle hat eine überschießende Immunre- aktion zur Folge (2, 3, 7). Schließlich konnte im Tiermodell der experi- mentell allergischen Enzephalamye- litis (EAE) mit intravenöser oder in- traventrikulärer Injektion von Rat- ten-Fibroblasten-IFN-ß die Erkran- kung abgeschwächt werden (1, 12).

Aus der Zusammenschau der obengenannten Befunde ergibt sich, daß IFN-beta-1b in die Pathomecha- nismen der MS über verschiedene Wirkungen immunmodulatorisch eingreifen kann und sich hieraus An- satzpunkte für die Erklärung der kli- nischen und der therapeutischen Ef- fekte ergeben.

Schlußfolgerungen und Ausblick

Die vorgelegte große multizen- trische Studie mit IFN-beta-1b belegt statistisch eine Wirkung auf die

DIE ÜBERSICHT

MRT-Daten

"Aktive Scans" (%) Zahl aktiver Läsionen/Jahr 40 - - - -

34,6 6 ~---

4,9

30 - - -- - - -- - - -

4 ~---

20 - - - 1 7 - - - -

15,4

2

f---·----·-

1 8 2

10 - - - -

1,6 Mio. lU 8 Mio. lU 1,6 Mio.IU 8 Mio. lU Placebo IFN-beta -1 b Placebo I FN-beta -1 b

Abbildung 3: Ergebnisse der 6wöchig durchgeführten kernspinternographischen Untersuchungen an 52 Patienten (Zahl der Untersuchungen: Plazeba: n = 282; IFN-beta-lb 1,6 Mio.IU: n = 283; 8 Mio.IU: n = 264)

Schubrate bei Patienten mit schub- förmig verlaufender MS. Trotz eini- ger Kritik an dieser Studie, die sich auf die denkbare Beeinträchtigung des Doppelblind-Designs durch die lokalen Nebenwirkungen der subku- tanen Injektion des Wirkstoffes und auf die Nichtbewertung von Patien- ten, die die Behandlung vorzeitig ab- gebrochen hatten, gründet, können die Ergebnisse als eindeutigpositiv an- gesehen werden. Diese Einschätzung stützt sich insbesondere auf die Zwei- J ahresdaten der beeindruckenden Wirkungvon IFN-beta-1b auf die Ent- wicklung der Läsionen im MRT.

..,... Zusammenfassend handelt es sich bei IFN-beta-1b um eine wichtige neue Substanz zur Behand- lung der schubförmigen MS.

Selbst wenn während der drei- jährigen Behandlungsdauer dieser Studie nur angedeutet auch ein Ein- fluß auf den durch die neurologi- schen Funktionsausfälle bedingten Behinderungsgrad nachgewiesen wurde, ist es durchaus möglich, daß die längerfristige Behandlung auch auf den Behinderungsgrad positive Effekte zeigt. Dies legt unter ande- rem eine sorgfältige epidemiologi- sche Studie aus Kanada nahe, nach der die Schubfrequenz in der Früh-

phase der Erkrankung prognostische Bedeutung für die sich mittel- und langfristig einstellende Behinderung besitzt (36). Ferner ist zu berücksich- tigen, daß die Bemessung der Behin- derung mittels des allgemein auge- wandten Kurtzke-Scores recht grob erfolgt. Kleine, aber potentiell funk- tionell bedeutsame Unterschiede sind mithin statistisch schlecht zu er- fassen.

Die Verträglichkeit von IFN-be- ta-1b kann insgesamt als ausreichend gut bewertet werden, allerdings kann naturgemäß derzeit noch nichts über mögliche Nebenwirkungen während einer langfristigen Therapie ausge- sagt werden.

Weitere Untersuchungen müs- sen zeigen, ob eine Behandlung mit diesem Präparat auch bei schweren neurologischen Defiziten und einer primär oder sekundär chronisch pro- gredienten Verlaufsform erfolgreich ist. Das Präparat IFN-beta-1b ist un- ter dem Handelsnamen Betaseron zur Zeit nur in den USA verfügbar.

Allerdings scheint auch dort, zumin- dest in diesem Jahr, die Versorgung aller Patienten, die für eine Behand- lung mit IFN-beta-1b in Frage kom- men, nicht möglich. Mit einer Verfügbarkeit des Präparates in Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 14, 8. April 1994 (41) A-969

(5)

N

ach Erlöschen der Ovarialfunkti- on kommt es bei Frauen zu we- sentlichen metabolischen Verände- rungen (Tabelle 1):

1. Im Knochenstoffwechsel mit Osteoporosefolge,

2. Im Fettstoffwechsel mit Choleste- rinanstieg/HDL-CH-Abfall/LDL-CH- Anstieg/Triglyzeridanstieg mit För- derung des multifaktoriellen Pro- blems Atherosklerose, Koronarskle- rose und Hypertonie (1 bis 10).

Ersteres Problem hat zu prakti- schen Konsequenzen geführt. Die Osteoporose-Prophylaxe mittels Östrogensubstitution setzt sich im- mer mehr durch. Bei mindestens ei- nem Drittel postmenopausaler Frau- en ist mit Osteoporose-Entwicklung ohne Östrogensubstitution zu rech- nen.

Beim zweiten metabolischen Aspekt, dem postmenopausalen Li- poproteinsystem, wird noch zu selten an die Indikation einer Östrogensub- stitution gedacht.

Am Nutzen postmenopausaler Östrogensubstitution zur kardiovas- kulären Protektion gibt es keinen Zweifel. Dazu wurden in den letzten zehn Jahren große epidemiologische Studien publiziert. Bei Beobach- tungszeiten zwischen 5 und 15 Jahren wurde ein reduziertes Mortalitätsrisi- ko für Herzerkrankungen um etwa die Hälfte errechnet (1, 5, 6, 7, 8, 10).

Dieses Phänomen ließ sich schon früher nachweisen, und zwar bei Frau- en mit Menopause vor dem 40. Le- bensjahr, also sehr früher Östro- genmangelsituation. Nach 11 bis 15 Jahren ließ sich eine Cholesterinspie- gelerhöhung um 25 Prozent nachwei- sen, nach 16 bis 20 Jahren sogar um 40 Prozent. Die Folge waren signifi-

kant häufigere ischämische Herzer- krankungen. Das HDL-CH korreliert signifikant mit endogenem Östron (Tabelle 2) (2, 7).

Wird das Risiko für KHK bei Se- rum CH 200 mg/dl mit 1 angesetzt, so errechnet sich für 250 mg/dl eine Verdoppelung, für 300 mg/dl eine Vervierfachung des KHK-Riskos.

Unter diesen Aspekten werden Li- pidsenker mehr oder minder großzü- gig indiziert. Bei welchen CH-HDL- LDL-Serumwerten dies geschieht, in Abhängigkeit von Alter und anderen Risikofaktoren, ist ebenso wenig aus- diskutiert wie die Frage, ob sich die KHK-Gesamtmortalität durch Lipid- senker reduzieren läßt.

Die Probleme infolge lipidsen- kender Medikationen werden zuneh- mend diskutiert, wie Anstieg der Sui- zid- und Unfallrate, erhöhte Krebsin- zidenz, insbesondere von Kolon- und Mamma-Karzinom. Kommen zu die- sem Wissen noch Lipidsenker-Ne- benwirkungen hinzu, wie beispiels- weise gastrointestinale Beschwerden, Müdigkeit und Kopfschmerz sowie etwas reduzierte Lebensqualität, dann ist mangelnde Compliance na- heliegend - auch hinsichtlich zusätz- lich geforderter KHK-risikoärmerer Lebens- und Ernährungsweisen.

Optimal, also complianceför- dernd, wäre ein Lipidsenker, der Le- bensqualität verbessert. Diesen gibt es für postmenopausale Frauen, und dies gilt es mehr zu nutzen:

Von Östrogenen ist bekannt, daß diese die Produktion von HDL- Vorstufen in der Leber steigern. Die Framingham-Studie zeigte, daß für

Universitäts-Frauenklinik (Direktor: Prof. Dr.

med. Rolf Kreienberg) und Poliklinik Ulm

Deutschland ist nach Aussagen von Schering nicht vor 1995 zu rechnen.

In einer weiteren, inzwischen vorzeitig beendeten multizentrischen Studie, die Jacobs und Rudick in den USA koordinierten, wurde ein ande- res rekombinantes IFN-ß auf seine Wirksamkeit bei der schubförmig verlaufenden MS untersucht. Das Präparat unterscheidet sich vom be- schriebenen IFN-beta-lb dadurch, daß es nicht in Escherichia coli, son- dern in Hamster-Ovarzellen (CHO) gentechnologisch produziert wird und daher glykosyliert ist. Diese Stu- die umfaßt über 300 Patienten, die zwei Behandlungsarmen randomi- siert zugeteilt wurden. Eine Gruppe erhielt 6 Mio. IU CHO-IFN-(3, die andere Plazebo, wobei die Injektio- nen intramuskulär einmal wöchent- lich über einen Zeitraum von zwei Jahren erfolgen. Die Patienten wer- den zwei Jahre nach Behandlungsen- de weiter beobachtet. Wichtigster Zielparameter ist das Ausmaß der neurologisch beschreibbaren Behin- derung, also nicht, wie bei der publi- zierten Studie mit IFN-beta-1b, die Zahl der Schübe. Ergebnisse liegen bislang noch nicht vor.

Wegen der Strukturunterschiede sind die Effekte von IFN-13-lb nicht ohne weitere Studien auf CHO-IFN-13 übertragbar. Die in Deutschland und Italien bereits verfügbaren CHO- IFN-ß-Präparate sind gegenwärtig für die Indikation MS nicht zugelassen.

Deutsches Arzteblatt

91 (1994) A-965-970 [Heft 14]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.

Anschriften der Verfassen

Professor Dr. med. H.-P. Hartung Professor Dr. med. K. V. Toyka Neurologische Klinik und Poliklinik und klinische Forschungsgruppe für Multiple Sklerose

Julius-Maximilians-Universität Josef-Schneider-Straße 11 97080 Würzburg

Professor Dr. med. R. Hohlfeld Ludwig-Maximilians-Universität Klinikum Großhadern

Marchioninistraße 15 81377 München

Lipid-Stoffwechsel- veränderungen und die Folgen bei

postmenopausalen Frauen

J. Matthias Wenderlein

A-970 (42) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 14, 8. April 1994

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