• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "SI-Einheiten in der praktischen Medizin — Sinn und Unsinn" (04.03.1976)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "SI-Einheiten in der praktischen Medizin — Sinn und Unsinn" (04.03.1976)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin AUSSPRACHE

Der Aufsatz von H. Orth im DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATT, Heft 48/

1975, Seite 3321 über die Umstel- lung der Maßeinheiten für die Blut- druckmessung veranlaßt mich zu einer ergänzenden Stellungnahme.

Frühere eigene intensive Bemü- hungen in dieser Angelegenheit sind leider völlig ergebnislos ge- blieben. Inzwischen stehen der Ärzteschaft aber noch weitere Um- stellungen von ähnlicher Tragweite bevor: Die vorgesehene Einführung der SI-Einheiten in die klinische Chemie.

Jeder von uns wird sicher alle Be- strebungen unterstützen, die die internationale Einheitlichkeit von Meßgrößen und Maßeinheiten zum Ziel haben. Wir alle erinnern uns nur zu gut an die zahlreichen Schwierigkeiten mit den alten an- gloamerikanischen Maß-, Ge- wichts- und Temperatureinheiten.

Wenn jedoch auf irgendeinem Ge- biet bereits weltweit Einheitlichkeit besteht, sollte eine Änderung von Meßgrößen und Maßeinheiten be- sonders sorgfältig und unter Abwä- gung der verschiedensten Ge- sichtspunkte durchdacht werden, bevor man sie empfiehlt. Unter an- derem müssen folgende Fragen beantwortet werden:

O Werden die Genauigkeit oder die praktische Brauchbarkeit ver- bessert?

O Welche quantitativen Auswir- kungen wird die Umstellung einer bisher einheitlich verwendeten Meßgröße oder Maßeinheit haben, insbesondere

a) wie groß ist die Zahl der davon betroffenen Meßvorgänge?

b) Welche Kosten werden entste- hen (zum Beispiel für die Umrü- stung von Geräten, für die Um- schulung von Personal usw.)?

c) Welche und wie viele Institutio- nen und Menschen werden von der Änderung betroffen werden (zum Beispiel vorwiegend Wissenschaft- ler, Techniker, praktisch tätige Ärz- te oder die gesamte Bevölkerung)?

O Wie ist das Verhältnis der Ko- sten zum Nutzen?

O Ist die gleichzeitige weltweite Einführung beziehungsweise Um- stellung gesichert?

O Speziell im ärztlichen Bereich:

Besteht die Gefahr von Verwechs- lungen, Fehlbeurteilungen oder Mißverständnissen und dadurch die Möglichkeit einer Gefährdung von Menschenleben?

O Schließlich ist auch die Art der vorgesehenen Änderungen wesent- lich, besonders im Hinblick auf vor- stehende Ziffer 5. Ändert sich nur die Maßeinheit, nicht der Zahlen- wert? Lassen sich die alten Einhei- ten leicht, zum Beispiel durch ein- fache Kommaverschiebung, in die neuen umrechnen, oder ergeben sich völlig neue Zahlenwerte, weil die Umrechnung mit unrunden Faktoren vorgenommen werden muß?

O Wie verhalten sich denkbare Vorteile und Nachteile, wenn

a) gleichzeitig eine Umstellung al- ler Meßgrößen oder Maßeinheiten erfolgt, oder wenn

b) die Änderung jeweils einzelner Bereiche nacheinander in größeren Zeitabständen stattfindet?

Die Logik des von der ISO (Inter- national Organization for Standar- dization) vorgeschlagenen Sy- stems, das alle Maßeinheiten auf eine begrenzte Zahl von Grundein- heiten zurückführt, ist zweifellos bestechend. Anscheinend wird es auch laufend weiterentwickelt:

1971 wurde den ursprünglichen sechs Grundeinheiten noch das Mol zugefügt, seit 1973 wird statt der bis dahin noch zugelassenen Druckeinheit Bar nur noch das Pascal empfohlen (1, 2). Mir ist un- bekannt, ob die ISO bei ihren Emp- fehlungen oder die für die Einfüh- rung der SI-Einheiten verantwortli- chen Regierungen alle oben ange- führten Gesichtspunkte berück- sichtigt haben; für das Gebiet der praktischen Medizin kann dies je- denfalls kaum der Fall gewesen sein.

Umstellung

der Blutdruckmeßeinheiten

Der arterielle Blutdruck wird seit Jahrzehnten in der ganzen Welt einheitlich als mmHg (Millimeter Quecksilbersäule) gemessen, in- zwischen auch in Frankreich, wo früher cmHg (Zentimeter Quecksil- bersäule) benutzt worden war. Die vorgesehene Umstellung auf kPa (Kilopascal) oder mbar (Millibar) verbessert weder die Genauigkeit der Messung, noch bietet sie sonst irgendeinen praktischen Vorteil. Da 1 mmHg = 0,1333 kPa, ist eine ein- fache Umrechnung ebensowenig möglich wie bei der bis vor kurzem noch vorgesehenen Umstellung auf mbar (1 mmHg = 1,333 mbar) (Ta- belle 1).

Die Umstellung der Druckeinheiten bedeutet außerdem — hierauf hat mich Herr Professor Reindell auf- merksam gemacht — daß sich auch für zahlreiche in der kardiolo-

SI-Einheiten

in der praktischen Medizin Sinn und Unsinn

Zu einem Beitrag von Dr. med. Helmut Orth in Heft 48/1975, Seite 3321

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 10 vom 4. März 1976 657

(2)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin SI-Einheiten

gischen Diagnostik verwendete Funktionsparameter, in die intrava- sale oder intrakardiale Drücke ein- gehen, gänzlich andere Zahlenwer- te ergeben. Ferner müssen die Werte für p02 (Sauerstoff-Partial- druck) und p002 (Kohlendioxid- Partialdruck) sowie in der Ophthal- mologie die Werte für den Augen- innendruck umgerechnet werden.

Einführung der SI-Einheiten in die Klinische Chemie

Die Begründung für die Umstellung auf SI-Einheiten wird unter ande- rem darin gesehen, daß von Land zu Land und von Klinik zu Klinik eine verwirrende Vielzahl von Ein- heiten und Symbolen verwendet werde; dies könne für den Patien- ten gefährlich sein (2). Der letzte Teil dieser Behauptung trifft wohl kaum zu, denn zumindest in dem von mir übersehenen Bereich der Inneren Medizin sind mir keine kli- nisch relevanten Fehler erinnerlich, die durch das derzeit verwendete, gemessen an ISO-Standards zwei- fellos inkonsequente System von Maßeinheiten verursacht worden sind. Ebenso sind mir hierauf zu beziehende Schwierigkeiten in der internationalen Kommunikation bei Wissenschaftlern zumindest in meinem Fachgebiet nicht begeg- net, jedenfalls was die am häufig- sten verwendeten biochemischen Meßgrößen in der klinischen Medi- zin angeht. In wissenschaftlichen Spezialbereichen mögen Schwie- rigkeiten vorkommen; sie werden meist von den Betroffenen unter sich geregelt, wobei in derartigen Fällen die von der ISO gesetzten Standards in Zukunft von großer Bedeutung sein könnten.

Worum es jetzt geht, ist die Ände- rung der Maßzahlen zahlreicher, von Millionen Ärzten in der Welt täglich verwendeter hämatologi- scher und biochemischer Parame- ter. Die beabsichtigte Transforma- tion in SI-Einheiten läßt sich in mehrere Gruppen unterteilen:

a) Die Einheit ändert sich, der Zahlenwert bleibt gleich. Das gilt

zum Beispiel für Na, K, CI, Bikarbo- nat; hier wird das bisherige mval/I durch mmo1/1 ersetzt. Eine derarti- ge Änderung verursacht — außer geringen Kosten — keine Schwie- rigkeiten.

b) Einheit und Zahlenwert ändern sich, jedoch ist eine Umrechnung der Zahlen relativ einfach, da der Umrechnungsfaktor 0,1, 10, 100 usw. beträgt (Tabelle 2).

Auch diesen Änderungen könnte ohne weiteres zugestimmt werden, wenngleich nennenswerte prakti- sche Vorteile kaum ersichtlich sind. Bei den korpuskulären Blut- bestandteilen verschwinden die ge- wohnten „anschaulichen" Zahlen- werte, wobei zu prüfen wäre, ob hierdurch in der ärztlichen Routine die Möglichkeit von Übertragungs- fehlern oder Fehlbeurteilungen größer oder kleiner wird.

c) Einheit und Zahlenwert ändern sich, die Umrechnung erfolgt mit- tels unrunder Umrechnungs- faktoren (Tabelle 3). Sie muß im ärztlichen Alltag mit Hilfe von Ta- bellen oder „Vergleichsleitern"

vorgenommen werden.

d) Auch bei verschiedenen Funk- tionstesten ergeben sich neue Maßeinheiten und/oder andere Zahlenwerte, zum Beispiel bei den renalen Clearances, die statt in ml/

min in ml/sec ausgedrückt werden sollen. Die Kalorie wird durch Jou- le ersetzt (1 cal = 4,186 Joule).

Zusammenfassend lassen sich für die Umstellung sowohl der Blut- druckmaßeinheiten als auch der klinisch-chemischen Parameter auf SI-Einheiten folgende Feststellun- gen treffen:

O Die Blutdruckmaßeinheit mmHg sowie die meisten klinisch-chemi- schen Parameter werden im ärztli- chen Bereich weltweit einheitlich verwendet; Unterschiede in den chemischen Maßeinheiten sind in der Praxis belanglos, sofern die Zahlenwerte gleich sind. Nennens- werte Kommunikationsschwierig- keiten bestehen auf diesem Gebiet

weder national noch international.

Eine Verbesserung der Meßgenau- igkeit ist durch die vorgesehenen Änderungen nicht zu erwarten, ein besseres Verständnis der Meßwer- te allenfalls in umgrenzten Berei- chen und bei wissenschaftlichen Fragestellungen, aber kaum in der ärztlichen Alltagspraxis.

O Von einer Umstellung auf SI- Einheiten würden in Deutschland fast 100 000, in der Welt Millionen Ärzte und eine entsprechend viel- fach größere Zahl von Patienten betroffen.

O Ohne ständigen Gebrauch von zahlreichen (!) Umrechnungstabel- len oder Vergleichsleitern wären nicht mehr verständlich

a) frühere Eintragungen in Patien- tenkarteien oder Krankenblättern, b) die gesamte zurückliegende Fachliteratur.

O Ein großer Teil des Unterrichts- materials muß neu gezeichnet wer- den, zum Beispiel Lehrbücher, Dia- positive usw.

O Millionen von Ärzten müssen für zahlreiche Parameter nicht nur ein- zelne neue Normwerte, sondern neue Normbereiche lernen. Ob man dabei wohl einmal an die älte- ren Kollegen gedacht hat?

O Auf Grund seiner Erfahrung as- soziiert der Arzt mit dem Ausmaß einer Abweichung von der Norm auch eine bestimmte Schwere der Erkrankung oder Störung. Bei gänzlich andersartigen Zahlenwer- ten (Blutdruck, ein beträchtlicher Teil der Laborwerte), muß dieser Lernprozeß erneut stattfinden.

O Die Umrechnungsprozeduren, die in der praktischen Medizin we- gen Ziffer 3 a noch mehrere Jahre lang, von Wissenschaftlern wegen 3 b noch für viel längere Zeiträume vorgenommen werden müssen, er- fordern in ihrer Gesamtheit ei- nen unübersehbaren Aufwand an menschlicher Arbeitskraft und an Arbeitszeit

658 Heft 10 vom 4. März 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Tabelle 1: Beispiele für die Umrechnung von mmHg in kPa bzw. mbar 140/ 90 mmHg = 18,6/12,0 kPa = 186/120 mbar

180/115 mmHg = 24,0/15,3 kPa = 240/153 mbar Tabelle 2: Beispiele für einfache Umrechnungen

bisher SI-Einheit

Gesamteiweiß 7 g/100 ml 70 g/1

Hb 15,5 g/100 ml 155 g/I

Hämatokrit 450/0 0,45

Leukozytenzahl 5000/mm 3 5,0 x 109 /I = 5,0 G/I*) Erythrozytenzahl 5,5 Millimm 3 5,5 x 10 12/1 = 5,5 T/11 Thrombozytenzahl 125 000/mm 3 125 x 109 /I = 125 G/I*)

*) G = Giga; T = Tera

Tabelle 3: Beispiele für Umrechnungen mittels unrunder Faktoren bisher SI-Einheit Glukose 100 mg/100 ml 5,55 mmo1/1

400 mg/100 ml 22,2 mmo1/1 Harnstoff-N 50 mg/100 ml 17,8 mmo1/1 Kreatinin 5 mg/100 ml 442 Ym0 1/1

Calcium 5 mval/I 2,5 mmo1/1

Bilirubin 2,3 mg/100 ml 39,3 ymo1/1 Cholesterin 250 mg/100 ml 6,48 mmo1/1

Harnsäure, Eisen, PBJ, Phosphor, Triglyzeride und viele andere gehören ebenfalls in diese Gruppe.

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin SI-Einheiten

0 Die Kosten einer allgemeinen Einführung der Sl-Einheiten in die praktische Medizin sind schwer ab- zuschätzen. Sie entstehen zum Bei- spiel auf Grund von Ziffer 7 als Personalkosten für Ärzte, Wissen- schaftler und Laborpersonal, auf Grund von Maßnahmen gemäß Zif- fer 4, durch die Umeichung von Geräten, die Neuanfertigung von Formularen und Stempeln und durch erhöhte Druckkosten für Bü- cher und Zeitschriften, wenn, wie das teilweise schon heute der Fall ist, alte und neue Einheiten neben- einander angegeben werden.

0

Offensichtlich ist bisher keines- wegs sichergestellt, daß die Um- stellung auf SI-Einheiten weltweit und gleichzeitig erfolgt. Regie- rungsbeschlüsse und -abkommen bedeuten hier nicht viel, solange die ausländischen Kollegen und ganze Fachgesellschaften (mit gu- tem Grund) diese Beschlüsse igno- rieren. Was in den USA geschehen wird, ist völlig offen (vergleiche hierzu [3]), ebenso die Haltung der Ostblockstaaten. Andererseits könnte bei uns durch das gültige Eichgesetz, das auch die Blut- druckmeßgeräte einschließt, die Umstellung erzwungen werden.

Eine ungleichzeitige oder nur teil- weise Einführung der SI-Einheiten würde ein Kommunikationschaos im ärztlichen und wissenschaftli- chen Bereich in der Medizin be- deuten und die schon bei gleich- zeitiger Umstellung vorhandenen Schwierigkeiten ad infinitum ver- längern.

Es ist wohl deutlich geworden, daß die Einführung des hervorragend konzipierten Systems der SZ-Ein- heiten zum gegenwärtigen Zeit- punkt in der Medizin vor allem Schwierigkeiten, Kosten und bei vielen Kollegen sicher auch Fru- stration hervorrufen würde, ohne daß dem ins Gewicht fallende praktische Vorteile gegenüber- stünden. Auf vielen Gebieten wür- de gerade jener Zustand beseitigt, dessen Schaffung die ISO anstrebt:

Die jetzt vorhandene — zugegebe- nermaßen nach ISO-Maßstäben theoretisch unbefriedigende — in-

ternationale Einheitlichkeit würde verlorengehen. Auch eine gewisse Weltfremdheit ist unverkennbar:

Wer selbst erlebt hat, welche Zeit- räume nötig sind, um vergleichs- weise geringe Änderungen, wie die Umstellung der Hb-Werte von 0/0 auf g/100 ml oder der Elektrolyt- konzentrationen von mg°/o auf mval/1 bis in die letzten Laboratori- en durchzusetzen, fragt sich, wie lange es wohl dauern wird, bis die jetzt vorgesehenen weit umfangrei- cheren Umstellungen überall er- folgt sind. Auch viele Patienten müssen umlernen: Die Hypertoni- ker kennen ihre Blutdruckwerte, die Diabetiker ihre Blutzuckerwerte in den bisherigen Einheiten. Immer mehr Menschen wissen etwas über Kalorien: sie sollen jetzt „an ein Joule-Bewußtsein gewöhnt wer- den" (2).

Man fragt sich, wie es dazu kom- men konnte, daß eine kleine Grup- pe von Spezialisten im Verein mit den Regierungsbürokratien in der

Lage war, Millionen Ärzten unge- fragt (vergleiche hierzu auch die Leserbriefdiskussion im Lancet) oder trotz deren ablehnender Stel- lungnahme eine neue Terminologie aufzuzwingen. Die Geschichte mmHg — mbar — kPa ist hier viel- leicht lehrreich. Im Juli 1971 erhielt ich zufällig einen Hinweis auf eine Veröffentlichung in einer Techni- kerzeitschrift über neue Einheiten im Meßwesen. Als damaliger Vor- sitzender einer Kommission für die Ausarbeitung von Richtlinien für die Blutdruckmessung ermittelte ich den in dieser Angelegenheit fe- derführenden Regierungsbeamten:

Ministerialrat Dr. Strecker im da- maligen Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen (!). Ein vo- luminöser Schriftwechsel, in dem ausführlich die weitreichenden Konsequenzen einer Umstellung von mmHg auf (damals noch) mbar dargelegt wurden, führte sehr bald zu der Erkenntnis, daß dieser Be- amte die Problematik weder kannte noch begriff oder begreifen wollte.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 10 vom 4. März 1976 659

(4)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin SI-Einheiten

Im übrigen wurde ich von ihm in- formiert, daß bereits damals über die Einführung der SI-Einheiten in der Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz**) entschieden sei und der EWG-Ministerrat diese deutsche Regelung für den gesam- ten EWG-Bereich verbindlich über- nommen habe. Mit Unterstützung zahlreicher Kollegen wurden dann das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (BJFM), die Bundesärztekammer, die deut- schen Fachgesellschaften für Inne- re Medizin, für Kreislaufforschung, für Physiologie sowie die Interna- tional Society of Hypertension in- formiert. Das BJFM zog sich auf formal-juristische Argumente zu- rück, wobei der Hinweis von Inter- esse ist, daß das Einheitengesetz seit 1964 in Arbeit gewesen und bei der Vorbereitung auch das Bun- desgesundheitsamt (!) gehört wor- den sei. Alle oben erwähnten Fach- gesellschaften haben noch 1971 in Entschließungen und Stellungnah- men vor den schwerwiegenden Konsequenzen einer womöglich noch einseitigen Umstellung von mmHg auf mbar gewarnt, der 75.

Deutsche Ärztetag hat einen ent- sprechenden Beschluß gefaßt. Die durch die International Society of Hypertension veranlaßte Umfrage bei den Blutdruckspezialisten in verschiedenen Ländern ergab übereinstimmend, daß in keinem Land (einschließlich der EWG-Län- der) die fachkundigen Ärzte oder die zuständigen ärztlichen Fachge- sellschaften von ihren Regierungen trotz der jahrelang laufenden inter- nationalen Verhandlungen und Be- schlüsse informiert, geschweige denn gefragt worden waren; im üb- rigen waren sich alle in der Ableh- nung einig. Die Stellungnahmen der Ärzteschaft und schließlich auch noch der WHO haben weder die Ministerialbürokratie noch sonst irgendein zuständiges Gre- mium beeindruckt. Der vorgeprellte Gesetzgeber wurde dadurch des- avouiert, daß das bereits beschlos- sene bar als Druckeinheit in Zu- kunft nicht mehr benutzt werden

"*) Gesetz über Einheiten im Meßwesen vom 2. Juli 1969

soll (2). Dennoch fragte der Fach- normenausschuß Medizin am 7. Ja- nuar 1975 an, ob mbar oder kPa vorzuziehen sei. (Zitat: „Nach den bisher vorliegenden Äußerungen geht die Tendenz in Deutschland nach Kilopascal (kPa), allein schon, um die Zahlenwerte deut- lich von denen nach dem RR-Ver- fahren (1) zu unterscheiden.") Die Bundesärztekammer hat sich an- scheinend mit der Situation abge- funden.

Aus der Lektüre dieses umfangrei- chen Schriftwechsels ergibt sich für mich die bedrückende Konse- quenz, daß die federführenden Be- amten oder Funktionäre teilweise anscheinend von den Gegenstän- den, über die sie beschließen, kaum etwas wissen und daß auch manche Gremien von Fachleuten, die neue Normen festlegen, sich möglicherweise nicht immer über die weitreichenden praktischen Konsequenzen ihrer Beschlüsse klargeworden sind. Auch gewinnt man den Eindruck, daß zahlreiche verschiedene Ausschüsse und Nor- menorganisationen ohne vollstän- dige gegenseitige Information ne- beneinander arbeiten. Allen zusam- men muß man unzureichende Kon- takte mit denen vorwerfen, die von ihren Beschlüssen betroffen wer- den.

Was kann man tun?

0

Die Bundesärztekammer (und zwar ihre Spitze, nicht irgendein Ausschuß) sollte sich mit interna- tionalen Ärzteorganisationen, vor allem aber mit der American Medi- cal Association und anderen natio- nalen Ärzteverbänden in Verbin- dung setzen, um gemeinsam die Regierungen aller betroffenen Län- der zu veranlassen, die Vereinba- rungen und die bereits erlassenen Vorschriften über die Einführung von SI-Einheiten zunächst für den Bereich der praktischen Medizin außer Kraft zu setzen. Bis zu einer allgemein akzeptierten Regelung sollten die Alleingänge vereinzelter

„fortschrittlicher" Laboratorien oder Zeitschriftenredaktionen un- terbleiben, die ihre Benutzer bezie-

hungsweise Autoren zur Verwen- dung von SI-Einheiten zwingen.

0 In den nächsten Jahren sollte a) nochmals überprüft werden, ob und gegebenenfalls welche SZ-Ein- heiten zur Einführung in die Medi- zin empfohlen werden können, un- ter Berücksichtigung aller Vor- und Nachteile sowie der Kosten, b) über die Resultate dieser Über- legungen nach Anhörung aller be- troffenen Fachgesellschaften von kompetenten und repräsentativen Gremien der gesamten Ärzteschaft entschieden und

c) im positiven Fall international abgestimmte Pläne für eine koordi- nierte Einführung der betreffenden SI-Einheiten vorgelegt werden.

Vielleicht läßt sich die WHO dafür gewinnen, den organisatorischen Rahmen für die Lösung dieser die gesamte Ärzteschaft angehenden Fragen zur Verfügung zu stellen.

Sie haben viel zu weit reichende Konsequenzen, als daß sie einzel- nen Gruppen oder den Ministerial- bürokratien allein überlassen wer- den können.

Wir haben in der Medizin so viele, teilweise weit wichtigere Probleme zu lösen, daß wir uns nicht ohne zwingenden Grund zusätzliche, vielleicht vermeidbare Schwierig-

keiten und Kosten aufladen sollten.

Literatur

(1) Meßgrößen und Einheiten in der Klini- schen Chemie. Z. Klin. Chem. Klin. Bio- chem. 12 (1974) 180 — (2) Stamm, D.: Meß- größen und SI-Einheiten in der Klinischen Chemie. Mitt. d. Dt. Ges. f. Klin. Chemie e. V. Nr. 1/75, 3 — (3) Ingelfinger, F. J.:

Metrication an the crawl, New Engl. J.

Med. 292 (1975) 805.

Anschrift des Verfassers:

Professor

Dr. med. K. D. Bock

Medizinische Klinik und Poliklinik der Universität Essen (GHS) Hufelandstraße 55

4300 Essen 660 Heft 10 vom 4. März 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Bei Urinanalysen sollte die Aus- scheidung in einer Zeiteinheit ange- geben werden (z. Für Größen und Einheiten, über die noch keine internationale Einigkeit besteht, z.

Ein großan- gelegtes Gespräch vieler Experten (13) hat deutlich gezeigt, wie einheit- lich Einlagen abgelehnt werden, wie unterschiedlich aber auch die Mei- nungen über Form

Durch Änderung der Ausführungs- verordnung zum Gesetz über Einhei- ten im Meßwesen und durch Ände- rung der eichrechtlichen Vorschrif- ten soll gewährleistet werden, daß die

Doppelblendversuch: zweifach ausgeführter verwerflicher Ver- such, jemand durch Vorspiege- lung sehr beeindruckender, je- doch falscher Tatsachen zu täuschen..

Vier Studierende dürfen sich also für ein ganzes semester und das fünfmal die Woche auf Kosten der vier Lokale den Magen füllen. Ein besonders großes Dankeschön an die Weinstube,

Als ich kürz- lich anläßlich einer Tagung diese Frage einem Ärzteehepaar stellte, antwortete die katholische Frau etwas nervös: „Medizi- nisch gesehen ist das natürlich

> der speziellen Urlaubs- Haftpflicht- und -unfallversi- cherung, weil solche Risiken in den Ferien nicht größer sind als in der übrigen Jahres- zeit und weil die

Ziegenpater: Eremit, der seinen Lebensunterhalt mit der Herstellung eines exquisiten Fromage de chövre bestreitet. Zaster generalisatus: Gewinnausschüttung für al-