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Archiv "Das HELLP-Syndrom - eine interdisziplinäre Herausforderung" (20.11.1998)

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(1)

as HELLP-Syndrom stellt ei- ne schwere Verlaufsform der Präeklampsie mit typischer laborchemischer Konstellation dar (H für Hämolyse, EL für erhöhte Leber- enzymwerte = elevated liver enzymes und LP für niedrige Thrombozyten- zahlen = low platelet count). Als Weinstein (28) vor über 16 Jahren den Begriff HELLP-Syndrom in die Lite- ratur einführte, beschrieb er zwar kein neuartiges Krankheitsbild, sondern es gelang ihm, mit diesem „Suggestivbe- griff“ (HELLP needs help!) zunächst Geburtshelfer und Neonatologen, später auch andere Fachdisziplinen auf eine lebensbedrohliche Erkran- kung in der Schwangerschaft hinzu- weisen, die aufgrund der Vielgestal- tigkeit ihrer Symptomatik, der Varia- bilität ihrer Erstmanifestationen und der multidisziplinären therapeuti- schen Probleme jeden Kliniker und niedergelassenen Frauenarzt vor er- hebliche Probleme stellen kann.

Bis vor kurzem lag die mütterli- che Letalität beim HELLP-Syndrom

weltweit zwischen 3 und 3,5 Prozent, die Rate mütterlicher Komplikatio- nen (unter anderem zerebrale Blutun- gen, akute Niereninsuffizienz, Lun- genödem, Leberruptur) betrug 12,5 bis 65 Prozent und die perinatale Mor- talität 22,6 bis 24,2 Prozent (17). In Deutschland machten vor kurzem Welsch und Krone auf den hohen An- teil des HELLP-Syndroms an der Müttersterblichkeit aufmerksam (29).

Die Inzidenz des HELLP-Syn- droms wird mit einem Erkrankungs- fall auf 150 bis 300 Geburten angege- ben, liegt aber inzwischen aufgrund einer gezielten Zuweisungspraxis in Perinatalzentren bei 1 auf 70 bis 80 Geburten. Ein spezifisches anamne- stisches Risikoprofil für diese Erkran- kung ist bisher nicht bekannt; das me- diane Lebensalter dieser Schwange- ren liegt bei 25 Jahren, der Anteil der

Erstgebärenden beträgt 52 bis 81 Pro- zent (18). Das HELLP-Syndrom ma- nifestiert sich im Median in der 34.

Schwangerschaftswoche, in 10 bis 30 Prozent der Fälle muß mit seinem Auftreten allerdings erst innerhalb der ersten sechs Wochenbettstage ge- rechnet werden (22).

Die Diagnose wird sowohl vom Geburtshelfer, vor allem aber auch vom klinischen Chemiker gestellt, wo- bei eine Erhöhung der Transaminasen über das Zwei- bis Dreifache der Stan- dardabweichung vom Normalwert, ei- ne Thrombozytopenie < 100 000/µl und die Zeichen der Hämolyse rich- tungweisend sind (22). Dabei ist zu berücksichtigen, daß eine Erhöhung des Bilirubins nur in 47 bis 62 Prozent der Fälle und der Nachweis von Frag- mentozyten im peripheren Blutaus- strich nur bei 54 bis 86 Prozent der Pa- tientinnen zu beobachten sind (16).

Am empfindlichsten gelingt der Nach- weis der Hämolyse durch die Bestim- mung des Haptoglobins, dessen Ver- lauf eine gute Korrelation zur klini-

A-2997 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 47, 20. November 1998 (57)

Das HELLP-Syndrom – eine interdisziplinäre Herausforderung

Werner Rath

Das HELLP-Syndrom stellt eine schwere, unkalkulierbar verlaufende und lebensbedrohliche Komplikation hyperten- siver Schwangerschaftserkrankungen dar, charakterisiert durch die laborchemische Trias aus Hämolyse, Erhöhung der Leberenzyme und Thrombozytopenie. Dabei ist die rasche Diagnosestellung und differentialdiagnostische Abklärung von entscheidender prognostischer Bedeutung für Mutter und Kind. Differentialdiagnostische Probleme ergeben sich in der Abgrenzung zu anderen gastrointestinalen Erkran- kungen in der Schwangerschaft, Lebererkrankungen wie der akuten Schwangerschaftsfettleber, der akuten Virushepatitis und der intrahepatischen Schwangerschaftscholestase und zu

den thrombotischen Mikroangiopathi- en. Eine intensive publizistische und

Fortbildungstätigkeit, die unverzügliche Diagnosestellung durch ein laborchemisches Screening, das gesteigerte interdis- ziplinäre Bewußtsein um die differentialdiagnostische Pro- blematik des HELLP-Syndroms sowie Fortschritte in der Neonatologie haben in den letzten Jahren zu einer deutlichen Senkung der mütterlichen Letalität und der perinatalen Mor- talität geführt.

Schlüsselwörter: HELLP-Syndrom, Differentialdiagnose, gastrointestinale Erkrankung, Lebererkrankung, thromboti- sche Mikroangiopathie

ZUSAMMENFASSUNG

The HELLP syndrome – an Interdisciplinary Challenge The HELLP syndrome is a severe, unpredictable and life- threatening complication of preeclampsia, characterized by a triad of hemolysis, elevated liver enzymes and low platelet counts. The early confirmation of diagnosis and evaluation of differential diagnosis is of significant prognostic importance for both mother and newborn. Problems in differential diag- nosis result from clinical and laboratory similarities to other liver diseases in pregnancy such as acute fatty liver, acute viral

hepatitis and intrahepatic cholestasis in pregnancy and thrombotic microangiopathies. Numerous

publications on this topic, strong efforts in education activities, increased interdisciplinary awareness concerning the differen- tial diagnosis as well as progress in neonatology have led to a significant reduction of maternal and perinatal mortality during the past years.

Key words: HELLP syndrome, differential diagnosis, gastro- intestinal diseases, liver diseases, thrombotic microangiopathy

SUMMARY

D

Frauenklinik für Gynäkologie und Geburtshil- fe (Direktor: Prof. Dr. med. Werner Rath), Uni- versitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen- Technischen Hochschule Aachen

(2)

schen Symptomatik aufweist (30), während die Erhöhung der Laktatde- hydrogenase, wie Auftrennungen des Isoenzymkomplexes mittels Agarose- Gelelektrophorese zeigten, keinen hä- molysespezifischen Parameter beim HELLP-Sydrom darstellt (18).

Der Verlauf des HELLP-Syn- droms ist unkalkulierbar, zumal bis- her zuverlässige prädiktive Parameter zur Abschätzung des Krankheitsver- laufes fehlen. Wie neue Untersuchun- gen zeigten, darf in 21,5 bis 43 Prozent der Fälle mit einer „biochemischen“

Rückbildung des Syndroms gerechnet werden beziehungsweise mit einem intermittierenden Verlauf, charakteri- siert durch wiederholte HELLP- Schübe (19); andererseits kann sich nach initialem Wohlbefinden der Schwangeren innerhalb weniger Stun- den aus dem kompensierten Stadium einer subklinischen chronischen Ver- brauchsreaktion mit noch inapparen- ter Mikrozirkulationsstörung ein de- kompensierter Zustand mit Störung der Globalgerinnung und Multiorgan- versagen entwickeln (15). Dabei hängt die Prognose dieser Schwange- ren entscheidend von der Latenzzeit zwischen Diagnosestellung und The- rapie ab, so daß bei jeder Schwange- ren mit Präeklampsie und/oder Ober- bauchschmerzen ein laborchemisches Screening unmittelbar nach der Auf- zunahme zu fordern ist. Dies gilt um so mehr, da diese Schwangeren häufig erst über zeitraubende interdiszi- plinäre Umwege aufgrund von Fehl- diagnosen den Weg zum Geburtshel- fer finden, so daß der raschen diffe- rentialdiagnostischen Abgrenzung des HELLP-Syndroms von anderen Krankheitsbildern besondere progno- stische Relevanz zukommt.

Differentialdiagnose:

Gastrointestinale Symptome

Klinisches Leitsymptom des HELLP-Syndroms sind die in 80 bis 90 Prozent der Fälle auftretenden, meist rechtsseitigen Oberbauch- schmerzen oder Schmerzen im Epiga- strium, die bei 20 bis 40 Prozent der Patientinnen der laborchemischen Manifestation der Erkrankung um Ta- ge und Wochen vorausgehen können

(Anamnese!). Ursache dieser Ober- bauchschmerzen ist eine Dehnung der Glissonschen Kapsel, bedingt durch die Obstruktion des Blutflusses in den Lebersinusoiden (18). Besonders ge- fährlich sind auf dem Boden konflu- ierender hämorrhagischer Nekrosen entstehende Leberhämatome (Häu- figkeit: 2,5 Prozent), die sich mittels bildgebender Verfahren häufig noch vor Beginn der klinischen Symptome nachweisen lassen (1). Daher ist eine Oberbauchsonographie bereits bei der Aufnahme dieser Schwangeren zu

empfehlen, die gegenüber dem Leber- CT eine höhere prognostische Treffsi- cherheit im Hinblick auf die Entwick- lung eines HELLP-Syndroms aufwei- sen soll (11).

Eine der schwersten Komplika- tionen stellt die Leberruptur dar (Häufigkeit: 1,5 bis 1,8 Prozent), die mit einer mütterlichen Letalität bis zu 35 Prozent und einer fetalen Mor- talität von 60 bis 70 Prozent belastet ist (21).

Letale Verläufe können nur durch die umgehende operative Inter- vention eines erfahrenen Abdominal- chirurgen vermieden werden, wobei das operative Spektrum vom „Leber- packing“ bis hin zur orthotopen Le- bertransplantation bei ausgedehnter

Leberschädigung reicht (5). Beson- ders gefährdet hinsichtlich einer Leberruptur sind offenbar Schwan- gere mit persistierenden Oberbauch- schmerzen 24 bis 28 Stunden post par- tum, bei denen vor der Geburt keine Zeichen einer Präeklampsie vorla- gen (26).

In diesem Zusammenhang ist von klinischer Bedeutung, daß bei bis zu 20 Prozent der Patientinnen zwar die laborchemische Konstellation des HELLP-Syndroms nachweisbar ist, die Zeichen der klassischen Prä-

eklampsie (Hypertonie, Proteinurie) aber fehlen können (HELLP-Syn- drom sine preeclampsia). In diesen Fällen ist dann oft nur das Symptom

„Oberbauchschmerz“ richtungwei- send für die Diagnose HELLP-Syn- drom (21, 22).

Andererseits ergeben sich aus diesem Symptom aber, bei 46 bis 86 Prozent der Schwangeren in Verbin- dung mit Übelkeit und Erbrechen, auch erhebliche differentialdiagno- stische Probleme, die – wie Kasuisti- ken aus verschiedenen Fachdiszipli- nen belegen (4) – nichtgeburtshilfli- che Erkrankungen mit ähnlichen ga- strointestinalen Beschwerden be- treffen (Grafik). Daher sollte bei al- len Schwangeren mit Oberbauch-

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

HELLP-Syndrom Oberbauchschmerzen

Übelkeit/Erbrechen

Erkrankungen der Gallenblase/-wege (Cholezystitis, Cholelithiasis)

Nierenerkrankungen (Pyelonephritis, Urolithiasis)

Hiatushernie Gastroenteritis/Ulcus

Appendizitis Pankreatitis Differentialdiagnose HELLP-Syndrom

Nichtgeburtshilfliche Erkrankungen mit gastrointestinalen Symptomen

Differentialdiagnose: „HELLP-spezifische“ Laborveränderungen eventuell Wiederholung nach 4 bis 6 Stunden Grafik

(3)

symptomatik – unabhängig vom Vor- liegen einer Präeklampsie – ein la- borchemisches Screening durchge- führt werden, da nur auf diese Weise eine rasche Diagnose gestellt werden kann. Bei initial nur diskret patholo- gisch veränderten Laborparametern ist eine Kontrolluntersuchung nach spätestens sechs Stunden zu empfeh- len (Dynamik des Krankheitsverlau- fes).

Differentialdiagnose:

Lebererkrankungen

Stellt man das betroffene Organ Leber in den Mittelpunkt differential- diagnostischer Überlegungen, so sind die akute Schwangerschaftsfettleber, die akute Virushepatitis und die in- trahepatische Schwangerschaftschole- stase vom HELLP-Syndrom abzu- grenzen (Tabelle 1).

Gemeinsames morphologisches Korrelat von akuter Schwanger- schaftsfettleber (Häufigkeit 1 : 13 000 Schwangerschaften) und HELLP- Syndrom ist eine mikrovesikuläre Verfettung der Hepatozyten unter- schiedlicher Ausprägung (10); eine Leberbiopsie zur Differenzierung zwischen beiden Erkrankungen er- scheint im Hinblick auf das erhöhte Blutungsrisiko nicht sinnvoll (31).

Weitere klinische Gemeinsam- keiten ergeben sich aus dem initialen Auftreten von Übelkeit, Erbrechen, epigastrischen Schmerzen und neuro- logischen Symptomen; in 30 bis 50 Prozent der Fälle tritt bei der akuten Schwangerschaftsfettleber eine Prä- eklampsie auf. Richtungweisend für die Schwangerschaftsfettleber sind Ikterus, Fieber, eine ausgeprägte Leukozytose sowie eine Hypoglyk- ämie als Ausdruck einer progredien- ten Leberinsuffizienz, die sich vor al- lem in schweren Gerinnungsstörun- gen mit konsekutiven Blutungen in den Gastrointestinaltrakt, die Niere und das ZNS manifestiert (8). Hin- sichtlich der laborchemischen Kon- stellation gelingt die Abgrenzung vom HELLP-Syndrom weniger durch die obligate Hyperbilirubinämie und die Transaminasenerhöhung als viel- mehr durch das Fehlen der Hämolyse und die im Rahmen einer dissemi- nierten intravasalen Gerinnung erst

sekundär auftretende Thrombozyto- penie, die ihrerseits aber Initialsym- ptom des HELLP-Syndroms ist (3).

Die akute Virushepatitis (Häu- figkeit in der Schwangerschaft: 0,04 bis 1,5 Prozent) ist mit 40 Prozent die häufigste Ursache für einen Ikterus in der Schwangerschaft. Die Unterschei- dungskriterien vom HELLP-Syn- drom sind die oft typische Anamnese (zum Beispiel Infektionsmodus), der rapide Anstieg der Transaminasen und des Bilirubins sowie das Fehlen von Thrombozytopenie, Hämolyse und Proteinurie. Durch die bei jeder unklaren Transaminasenerhöhung in der Schwangerschaft obligate Hepati- tisserologie ist die Diagnose meist si- cher zu stellen.

Eine Unterscheidung zwischen der intrahepatischen Schwanger-

schaftscholestase (Häufigkeit 1 : 500 bis 1 : 5 000 Schwangerschaften), mit 20 Prozent die zweithäufigste Ursa- che für einen Ikterus in der Gravi- dität (13), und dem HELLP-Syndrom bereitet im allgemeinen keine Schwierigkeiten, da das klinische Leitsymptom der Schwangerschafts- cholestase – der Juckreiz – neben dem Ikterus bereits klinisch die Weichen für eine korrekte Diagnose stellt. Die laborchemische Abgrenzung vom

HELLP-Syndrom gibt Tabelle 1 wie- der. Darüber hinaus finden sich bei der Schwangerschaftscholestase eine zwei- bis dreifache Erhöhung der al- kalischen Phosphatase, ein meist dis- kreter Anstieg der γ-GT sowie eine 10- bis 100fache Erhöhung der Gal- lensäuren (vorwiegend Cholsäure und Chenodeoxycholsäure) im Blut (13, 31).

Differentialdiagnose:

thrombotische Mikroangiopathien

Weitaus schwieriger gestaltet sich die differentialdiagnostische Abgren- zung des HELLP-Syndroms von selte- nen, ebenfalls lebensbedrohlichen Er- krankungen, wie der thrombotisch-

thrombozytopenischen Purpura (TTP) und dem hämolytisch-urämischen Syn- drom (HUS), wobei sich gerade diese beiden Erkrankungen oft nur durch den unterschiedlichen Schweregrad und den zeitlichen Verlauf des Auf- tretens einzelner Symptome vom HELLP-Syndrom unterscheiden. Die pathophysiologischen Gemeinsamkei- ten mit dem HELLP-Syndrom liegen in der obstruktiv-thrombotischen Mi- kroangiopathie, die sich bei der TTP

A-3000 (60) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 47, 20. November 1998 Tabelle 1

Differentialdiagnose des HELLP-Syndroms: Lebererkrankungen

Kriterien HELLP Akute Virushepatitis intrahepatische Schwangerschafts- Schwangerschafts-

Fettleber Cholestase

Hämolyse ++ (+) – –

Trans-

aminasen↑ ++ ++ +++ +

Thrombo-

zytopenie ++ sekundär + – –

Hypertonie ++ 85 – + 30 – – –

Proteinurie +++ 95% + 50% – –

Leukozytose – +++ ++ –

Nieren-

insuffizienz + →+++ sekundär + – –

neurologische

Symptome + → +++ ++ – –

Ikterus (+) + +++ ++

andere DIG Hypoglykämie Bilirubin ↑ Pruritus DIG → Blutungen Serologie Cholestase DIG = Disseminierte intravasale Gerinnung

(4)

präferentiell am ZNS, beim HUS an der Niere und beim HELLP-Syndrom mit Dominanz an der Leber manife- stiert (20).

Als klassische klinische Sym- ptome der TTP gelten neben einer schweren, Coombs-negativen, mi- kroangiopathisch-hämolytischen An- ämie eine ausgeprägte Thrombozyto- penie, Fieber bei 60 Prozent der Pati- entinnen, neurologische Symptome (zum Beispiel Krämpfe, passagere Hemiparesen) sowie Nierenfunkti- onsstörungen, wobei diese Pentalogie allerdings nur bei 30 bis 40 Prozent der Patientinnen nachweisbar ist (23) und die genannten Symptome in 60 Prozent der Fälle bereits vor der 24. Schwangerschaftswoche auftreten (27). Von klinischer Bedeutung ist, daß die Inzidenz für die Entstehung

einer TTP in der Schwangerschaft mit 40 Prozent so hoch ist, daß die Gravi- dität allein ein prädisponierender Faktor für eine TTP zu sein scheint (23).

Die TTP ist vom HELLP-Syn- drom noch am ehesten durch das Fie- ber, die stärkere Ausprägung der Hä- molyse und der Thrombozytopenie bei gleichzeitig bestehendem Ikterus, die klinische Dominanz neurologi- scher Symptome und vor allem durch

den geringen oder fehlenden Anstieg der Transaminasen zu unterscheiden.

Im Gegensatz zur TTP besteht beim HELLP-Syndrom ein normales Ver- teilungsmuster von Von-Willebrand- Faktor-Multimeren im peripheren Blut (24).

Neugeborene von an TTP er- krankten Müttern weisen im allge- meinen keine Anämie und keine Thrombozytopenie auf, während bei einer idiopathisch-thrombozytopeni- schen Purpura (ITP) infolge diapla- zentarer Übertragung antithrombo- zytärer IgG-Antikörper mit einer Thrombozytopenie des Kindes ge- rechnet werden muß. Im Hinblick auf die schwierige Diagnose und Therapie (Plasmapherese) ist eine enge interdisziplinäre Zusammenar- beit zwischen Geburtshelfern, Neo-

natologen und vor allem Internisten unerläßlich.

Gleiches gilt auch für das hämo- lytisch-urämische Syndrom, das zwar typischerweise im Kindesalter, aber auch beim Erwachsenen nach Ein- nahme oraler Kontrazeptiva (20) und vor allem im Wochenbett (nicht aber in der Schwangerschaft) einige Tage und bis zu zehn Wochen post partum auftreten kann (7). Da sich auch das HELLP-Syndrom in bis zu 30 Pro-

zent der Fälle erst postpartal manife- stiert, ist eine differentialdiagnosti- sche Abgrenzung oft schwierig (4).

Vom zeitlichen Ablauf der Sympto- me weisen die präpartale Existenz ei- ner Präeklampsie sowie der Beginn der Erkrankung innerhalb der ersten drei Wochenbettstage eher auf ein HELLP-Syndrom hin; darüber hin- aus gelingt eine Unterscheidung in diesen Fällen noch am ehesten durch die beim HUS meist ausgeprägtere Hämolyse und Thrombozytopenie, das Vorhandensein des Ikterus sowie vor allem durch die Manifestation ei- ner schweren Niereninsuffizienz mit sekundärer Entwicklung eines Hy- pertonus, wobei die Transaminasen im Gegensatz zum HELLP-Syndrom nur fakultativ erhöht sind (3, 20).

Eine weitere interdisziplinäre Herausforderung stellt die differen- tialdiagnostische Abgrenzung des HELLP-Syndroms von bestimmten Autoimmunerkrankungen dar, vor al- lem vom Systemischen Lupus Erythe- matodes (SLE), bei dem die Pfropf- präeklampsie mit einer Häufigkeit von 2,8 bis 25 Prozent die einzige schwangerschaftsspezifische Kompli- kation darstellen kann (12). Gemein- samkeiten mit dem HELLP-Syndrom bestehen in einer hämolytischen An- ämie (SLE: durch Autoantikörper in- duzierte Zytopenie mit Coombs-posi- tiver hämolytischer Anämie; HELLP- Syndrom: Coombs-negative hämoly- tische Anämie) und Thrombozytope- nie in 14 bis 20 Prozent der Fälle, die beim HELLP-Syndrom obligat ist, in einer Proteinurie bei 75 Prozent der Patientinnen mit Hämaturie und Pyurie als Folge einer Lupus-Nephro- pathie (Häufigkeit 60 bis 70 Prozent), während eine Erhöhung der Trans- aminasen beim SLE meist nicht nach- weisbar ist (25).

Diagnostisch richtungweisend für einen reaktiven SLE-Schub in der Schwangerschaft ist neben der typischen Anamnese der Nachweis von antinukleären Antikörpern bei 98 Prozent der betroffenen Patientin- nen (6).

Auch beim Antiphospholipid- syndrom muß in 50 Prozent der Fälle mit einer Präeklampsie während der Schwangerschaft gerechnet werden (2). Neben dem Fehlen der Transami- nasenerhöhung ist eine sichere Ab-

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

Tabelle 2

Differentialdiagnose des HELLP-Syndroms: Thrombotische Mikroangiopathien

Kriterien HELLP TTP HUS

Hämolyse ++ +++ +++

Trans-

aminasen ↑ ++ (+) (+)

Thrombo-

zytopenie ++ +++ +++

Hypertonie ++ 85 – (+) sekundär +

Proteinurie +++ 95% + ++

Fieber – + 60% + variabel

Nieren-

insuffizienz + →+++ + +++

neurologische

Symptome + → +++ +++ + variabel

Ikterus (+) ++ ++

andere DIG große Von-Willebrand- Wochenbett

Multimere TTP = Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura HUS = Hämolytisch-urämisches Syndrom

DIG = Disseminierte intravasale Gerinnung

(5)

A-3002 (62) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 47, 20. November 1998 grenzung zum HELLP-Syndrom be-

ziehungsweise zur Präeklampsie in diesen Fällen durch den Nachweis von Antiphospholipid-Antikörpern mög- lich (2).

Die Vielgestaltigkeit der klini- schen Symptomatik des HELLP- Syndroms spiegelt sich nicht zuletzt in seltenen Erstmanifestationen oder schwerwiegenden Begleiter- krankungen wider (Textkasten), die pathophysiologisch als Folge oder Komplikation der Grunderkrankung oder Ausdruck des Multiorganversa- gens anzusehen sind, im Einzelfall aber das bekannte Erscheinungsbild des HELLP-Syndroms überlagern und damit zu einer verzögerten Dia- gnosestellung führen können. Aus zahlreichen Kasuistiken der letzten Jahre (4) wird deutlich, daß damit fast alle Fachdisziplinen in das diffe- rentialdiagnostische Spektrum des HELLP-Syndroms miteinbezogen sind.

Gleiches gilt auch für die thera- peutischen Probleme, die nicht nur den Geburtshelfer und Neonatolo- gen, sondern auch den Anästhesisten, Chirurgen und Internisten unmittel- bar betreffen können.

Da bisher keine kausale pharma- kologische Therapie des HELLP- Syndroms bekannt ist, bestehen die Erstmaßnahmen in einer schonenden Blutdrucksenkung (zum Beispiel i. v.

Hydralazin) und in der Vermeidung der Eklampsie (zum Beispiel i.v.- Gabe von Magnesiumsulfat); kon- trovers diskutiert wird derzeit das geburtshilfliche Vorgehen beim

HELLP-Syndrom entweder im Sinne einer sofortigen Schwangerschaftsbe- endigung zur Vermeidung mütterli- cher (kindlicher) Komplikationen oder einer abwartenden Haltung mit Induktion der Lungenreife durch Ga- be von Kortikosteroiden und in der Erwartung auf eine Rückbildung des HELLP-Syndroms mit dem Ziel, die fetale Organreife zu erreichen (19).

Seit unserer Publikation im Deutschen Ärzteblatt 1989 (14) konn- te durch eine intensive publizistische und Fortbildungstätigkeit die Zahl der korrekten Einweisungsdiagnosen beim HELLP-Syndrom durch nieder- gelassene Ärzte und Krankenhaus-

ärzte deutlich erhöht werden. Die un- verzügliche Diagnosestellung durch ein laborchemisches Screening bei Aufnahme der Patientin, das interdi- ziplinäre Bewußtsein um die differen- tialdiagnostische Problematik des HELLP-Syndroms mit Vermeidung diagnostischer Umwege und Zeitver- luste sowie die optimale Betreuung dieser Risikoschwangeren und ihrer Kinder in Perinatalzentren haben in Verbindung mit unübersehbaren Fortschritten in der Neonatologie (unter anderem Surfactant-Behand- lung, Einführung neuer Beatmungs- techniken) dazu geführt, daß zumin- dest in den westeuropäischen Län- dern seit 1990 eine Verminderung der mütterlichen Letalität auf <1 Prozent und eine Senkung der perinatalen Mortalität auf 5,0 bis 16,2 Prozent er- reicht werden konnte (19).

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-2997–3002 [Heft 47]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med. Werner Rath Frauenklinik für

Gynäkologie und Geburtshilfe Universitätsklinikum

der RWTH Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Seltene Erstmanifestationen und

Begleiterkrankungen beim HELLP-Syndrom

– Fallberichte – c Hypoglykämie mit Koma c kortikale Erblindung c Netzhautablösung c Glaskörperblutungen c Diabetes insipidus c Diabetes mellitus Typ I c Hyponatriämie →Verwirrtheit c Pleuraerguß/Aszites

c unstillbares Nasenbluten c tödliche Karotisstenose c akute Perikarditis c HIV-assoziierte

Thrombozytopenie

Der Einsatz von Fluoriden in der Behandlung der Osteoporose und Prävention von Frakturen wird nach wie vor kontrovers beurteilt. In einer kontrollierten Studie an 200 postme- nopausalen Patientinnen mit radiolo- gisch gesicherter Osteoporose wurde die Wirksamkeit einer Kombina- tionsbehandlung aus Kalzium und Fluoriden gegen eine Monotherapie mit Kalzium untersucht. Über vier Jahre erhielten die Patientinnen täg-

lich 20 mg Fluorid (Monofluorphos- phat) und 1 000 mg Kalzium (Kalzi- umkarbonat) oder nur Kalzium.

Bei jährlichen Nachuntersuchun- gen (n = 164) konnte gezeigt werden, daß die Kombinationsbehandlung mit Fluoriden gegenüber der Monothera- pie mit Kalzium deutliche Vorteile auf- wies. Zwei von 84 Patienten (2,4 Pro- zent) in der Kalzium/Fluorid-Gruppe gegenüber acht von 80 Patienten (zehn Prozent) in der Kalzium-Gruppe erlit-

ten im Beobachtungszeitraum Wirbel- körperfrakturen. Während auch ein positiver Einfluß des Fluorids auf die Wirbelkörperdichte feststellbar war, ließ sich am Schenkelhals weder für die Frakturrate noch für die Knochendich- te eine Überlegenheit der Kombinati- onsbehandlung gegenüber der Mono- therapie nachweisen. acc Reginster JY et al.: The effect of sodium monofluorophosphate plus calcium on vertebral fracture rate in postmenopau- sal women with moderate osteoporosis.

Ann Intern Med. 1998; 129: 1–8.

Prof. Dr. Reginster, CHU Centre Ville, Quai Godefroid Kurth 45, Bâtiment K1, B-4020 Liège, Belgien.

Frakturprävention in der Postmenopause

durch Fluorid und Kalzium

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