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Archiv "Narkose: Sicherheit und Trends in der Anästhesie" (28.08.2000)

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nästhesiologische Mindeststan- dards hinsichtlich personeller, räumlicher und medizintechni- scher Ausstattung sowie des methodi- schen Vorgehens bei unterschiedlichen Narkosearten wurden international erstmals im Jahr 1982 formuliert. Für eine optimale anästhesiologische Ver- sorgung seien zwölf bis 15 Anästhesi- sten bezogen auf 100 000 Einwohner er- forderlich, erklärte J-M. Desmonts (Pa- ris) auf dem 12. Welt-Anästhesiekon- gress in Montreal. Rechne man die Not- fallversorgung durch Rettungsdienste mit ein, steige die Zahl auf 16 bis 20.

Im europäischen Vergleich rangiert Luxemburg mit 15,6 Anästhesiologen pro 100 000 Einwohner an

der Spitze, Deutschland liegt mit 8,2 hinter Frankreich, Österreich und Schweden, Großbritannien bildet mit 4,6 das Schlusslicht. Katastro- phal sei die Situation in vie- len Ländern Afrikas und Asiens, bedauerte Desmonts.

Infolge krasser anästhesio- logischer Unterversorgung kommt es zum Beispiel in Kamerun zu einem Todesfall auf 250 Narkosen.

Der Frage „was kostet Si- cherheit in der Anästhesie?“

gingen D. Morell (Südafrika) und J. Millar (Großbritanni-

en) nach. Weltweit betragen die Kosten qualifizierter anästhesiologischer Ver- sorgung weniger als ein Prozent der ge- samten Gesundheitskosten. In diesem Zusammenhang ist es von großer berufs- politischer Relevanz, dass die narkosebe- zogene Letalität bei Anästhesieführung durch geschultes Fachpersonal bei

1 : 100 000 bis 1 : 180 000 liegt, aber sprunghaft auf 1 : 3 000 ansteigt, wenn nicht fachkundiges Personal eingesetzt wird. „Geringe Kosten bedeuten gerin- gen Standard“, resümierte Millar und erläuterte dieses Fazit anhand eines Beispiels aus dem Bereich der Chirur- gie: Bei der ambulant

durchgeführten Lipo- suktion ohne Anästhe- sisten liege die Leta- lität mancherorts bei 1 : 5 000.

Die Allgemeinan- ästhesie von Schwan- geren am Geburtster- min birgt Risiken wie

zum Beispiel erhöhtes Aspirationsrisi- ko und erschwerte Intubationsbedin- gungen. In Montreal wurde die Mei- nung vertreten, dass eine noch breite- re Anwendung regionalanästhesiologi- scher Methoden in der Geburtshilfe die mütterliche Mortalität senken kann.

Wiederholt brachten angloamerikani-

sche Wissenschaftler ihr Befremden darüber zum Ausdruck, dass in Deutschland immer noch über 70 Pro- zent aller Kaiserschnitte in Allgemein- anästhesie durchgeführt werden.

Die Spinalanästhesie ist das Verfah- ren der Wahl für die elektive Sectio cae- sarea. Werden Nadeln der Stärke 25 bis 27G mit stumpfem Schliff verwendet („pencil-point-needles“), tritt der früher so gefürchtete postspinale Kopfschmerz noch seltener auf als nach versehentli- cher Durapunktion im Rahmen der An- lage eines Periduralkatheters zur ge- burtshilflichen Anästhesie. Trete er den- noch auf, solle gerade bei stillenden Müt- tern frühzeitig ein epiduraler Eigenblut- patch durchgeführt werden, der in aller Regel rasch zum Sistieren der Beschwer- den führe, ohne das Kind durch der Mut- ter applizierte Medikamente zu belasten, empfahl Judith Littleford (Toronto).

Ropivacain wird zur geburtshilflichen Analgesie besonders wegen seiner im Ver- gleich zu Bupivacain geringeren motori- schen Blockade mit weitgehend erhalte- ner Mobilität der Kreißenden bevor- zugt eingesetzt. In Kombination mit ei- nem Opioid ist das hydrophile Sufenta- nil die Substanz der Wahl, da sie gut steu- erbar ist und im Gegensatz zu Morphin nicht die Gefahr einer Atemdepression in sich birgt.

Heftig gestritten wurde über die Frage, welche Thrombozytenzahl bei Schwangeren mit Präeklampsie vor An- lage eines Periduralkatheters toleriert werden kann. Die epidurale Blutung sei zwar eine seltene Komplikation ge- burtshilflicher Anästhesie, könne aber bleibende neurologische Defizite mit deutlich eingeschränkter Lebensqua- lität zur Folge haben, erklärte Gatt (Sydney). Nach derzeitiger Datenlage kam er zu dem Schluss, bei einer Thrombozytenzahl < 75 000/dl sei eine geburtshilfliche Periduralanästhesie kontraindiziert. Valerie Arkoosh (Phi- ladelphia, USA) hielt dem entgegen, präeklamptische Schwangere befänden P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 34–35½½½½28. August 2000 AA2215

Narkose

Sicherheit und Trends in der Anästhesie

Auf dem Welt-Anästhesiekongress in Montreal wurden Standards ebenso diskutiert wie das noch

auszuschöpfende Potenzial der Regionalanästhesien.

Medizinreport

Eine Studie zur Kombination von Vollnarkose und Re- gionalanästhesie bei Baucheingriffen wurde mit positi- vem Ergebnis vorgestellt. Fotos: Glaxo Wellcome

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sich ohnehin in einem Zustand der Hy- perkoagulabilität mit erniedrigten Se- rumwerten für Antithrombin III. Ohne vorheriges Gerinnungsscreening seien sogar Schwangere komplikationslos mit einem Periduralkatheter versorgt wor- den, bei denen sich postoperativ eine Thrombozytenzahl von 2 000/dl gefun- den hatte. Arkoosh schlug vor, auch bei weniger als 75 000 Thrombozyten eine Periduralanästhesie durchzuführen, so- fern sich keine Anzeichen für ein HELLP-Syndrom, eine Sepsis oder ei- ne disseminierte intravasale Gerinnung ergäben.

Eine Diskussion mit dem Auditori- um führte zu dem Kompromiss, bezüg- lich der Periduralanästhesie sicher- heitshalber die Untergrenze von 75 000 Thrombozyten zu respektieren, im Fal- le der Spinalanästhesie zur Sectio cae- sarea aber auch niedrigere Zahlen zu- zulassen, um die risikoreichere Vollnar- kose zu umgehen.

Nicht nur in der Geburtshilfe, son- dern auch in anderen operativen Diszi- plinen könnten Patienten vom differen- zierten Einsatz regionalanästhesiologi- scher Verfahren deutlich profitieren, machte Tryba (Kassel) deutlich. So trä- ten nach Kolektomien deutlich weniger Anastomosen-Insuffizienzen auf, wenn zur postoperativen Schmerztherapie Lokalanästhetika über einen Peridural- katheter appliziert würden. Bei Eingrif- fen am Kniegelenk lasse sich durch Re- gionalanästhesie oder die Kombination einer Vollnarkose mit rückenmarksna- her Leitungsanästhesie die Dauer des Klinikaufenthaltes zwar nicht verkür- zen, beide Varianten ermöglichten je- doch sowohl eine effektivere Schmerz- therapie und letztlich eine schnellere Rehabilitation als die alleinige Vollnar- kose.

Erstmals gelang es, in einer prospek- tiven Studie zu zeigen, dass die Morta- lität innerhalb der ersten drei Monate nach gastrointestinalen Notfallopera- tionen durch die Kombination Vollnar- kose/Periduralanästhesie im Vergleich zu reiner Vollnarkose von 30 auf fünf Prozent gesenkt werden kann. Dieser positive Effekt der regionalanästhesio- logischen Komponente ist wohl größ- tenteils auf die Blockade der posttrau- matischen Stressantwort zurückzu- führen; denn bei Anwendung des Kom-

binationsverfahrens sind die ACTH- Plasmaspiegel signifikant niedriger.

Übereinstimmend wurde von den Re- ferenten bemängelt, dass nach wie vor viele der zum Einsatz kommenden Me- dikamente für Kinder gar nicht zugelas- sen sind und diesbezügliche Studien kaum durchgeführt werden. Bei Anwen- dung des rasch an- und abflutenden In- halationsanästhetikums Sevofluran wer- den bei Kindern postoperativ vermehrt Verwirrtheits- und Exzitationsphäno- mene beobachtet. Um diese zu reduzie- ren, sollte unbedingt auf eine ausrei- chende Prämedikation (zum Beispiel mit Midazolam 0,5 mg/kg/KG), die Bei- mischung von Lachgas zur Maskenein- leitung und eine rechtzeitige postopera- tive Schmerztherapie geachtet werden.

So benötigt beispielsweise Paracet- amol als Suppositorium eine Stunde bis zur vollen Wirkung und muss folglich be- reits vor Operationsbeginn appliziert werden. Die Wundinfiltration vor Ver- schluss der Haut sollte mittlerweile Stan- dard sein. Ob die neuen Cyclooxyge- nase-II-Hemmer Rofecoxib und Celeco- xib wegen ihrer fehlenden Beeinträchti- gung der Blutgerinnung in der postope- rativen Schmerztherapie – insbesondere nach Tonsillektomien – zukünftig eine Rolle spielen werden, bleibt abzuwarten.

Kinderanästhesie:

Tubus blocken oder nicht?

Kontrovers wurde die Forderung von Frau I. Murat (Paris) diskutiert, den

„Mythos vom ungeblockten Tubus“ in der Kinderanästhesie zu beenden. Sie habe inzwischen über 10 000 Kinder erfasst, bei denen Intubationsnarko- sen mit geblockten Endotrachealtuben durchgeführt wurden. Verglichen mit ungeblockten Tuben, seien weniger Beatmungsprobleme aufgetreten, Um- weltbelastung und Kosten hätten sich reduzieren lassen. Im Rahmen der stan- dardisiert durchgeführten Nachunter- suchungen sei bei keinem einzigen Kind eine Tracheomalazie aufgefallen.

Rückenschmerzpatienten, die bei Be- handlungsbeginn jünger als 60 Jahre wa- ren, deren Schmerzanamnese weniger als sechs Monate andauert und bei denen eine Bandscheibenprotrusion und/oder eine Spinalkanalstenose vorliegt, profi-

tieren von diesem invasiven Therapie- verfahren am meisten. 77 bis 83 Prozent von ihnen erfahren eine lang anhaltende Schmerzlinderung. Bei bereits bestehen- dem Postnukleotomiesyndrom oder bei Spondylolisthesis lassen sich nur in 53 be- ziehungsweise 51 Prozent der Fälle ver- gleichbare Therapieerfolge erzielen. Die schlechtesten Ergebnisse sind bei nach- gewiesenen Osteophyten zu erwarten:

nur bei 40 Prozent der Rückenschmerz- patienten eine länger als sechs Monate anhaltende Schmerzlinderung. Diese Resultate legte Forrest (Hamilton, Ka- nada) vor, der 5 036 Patienten mit lumba- len Rückenschmerzen im Zeitraum von 1994 bis 1999 erfasste.

Bei jedem Patienten wurde vor Be- handlungsbeginn ein CT der Lenden- wirbelsäule durchgeführt, danach wur- den im Abstand von ein bis zwei Wo- chen jeweils 80 mg Prednisolon und 5 ml 0,5 Prozent Bupivacain peridural injiziert. Forrests Untersuchung und ei- ne zuvor von ihm vorgestellte Meta- analyse unter der gleichen Fragestellung lassen den Schluss zu, dass die epidura- le Injektionsbehandlung mit Corticoi- den bei definierten Indikationen einen festen Platz im Behandlungskonzept von Rückenschmerzen hat.

An relevante Neuerungen für die Anästhesie wurden vorgestellt:

❃Rapacuronium – ein in den USA bereits zugelassenes Muskelrelaxans – könnte das Ende der depolarisierenden Relaxantien einleiten. Sein Wirkungs- eintritt entspricht der von Succinylcho- lin, und die Wirkdauer ist nur unwe- sentlich länger.

❃ Die bisher vorliegenden Studien zur neuen 6-prozentigen Hydroxyethylstär- ke 130/0,4 zeigen Vorteile hinsichtlich Volumeneffekt, renaler Clearance und Beeinflussung der Blutgerinnung.

❃ Bei der Prämedikationsvisite sollte der Anästhesist auch nach Ernährungs- gewohnheiten und der Einnahme pflanzlicher Arzneimittel fragen, da es dadurch zu anästhesierelevanten Inter- aktionen kommen kann: So reduziert Echinacea die körpereigene Cortico- steroidsynthese, Knoblauch kann Hy- potonie auslösen und ebenso wie Ging- ko die Blutgerinnung beeinträchtigen.

Ginseng kann sowohl Tachykardie als auch Hypotonie hervorrufen.

Dr. med. Uwe Junker/Dirk Wagemann P O L I T I K

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A2218 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 34–35½½½½28. August 2000

Referenzen

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